Leergut Georg Imdahl über Claudia Kugler in der Galerie sima, Nürnberg
„What if there were no limits for creativity?“, wirbt ein amerikanisches Softwareunternehmen für seine Produkte. „We have apps for all that – and so much more. You can dream bigger“ – mit der Creative Cloud. Arme Kreativität! Wohl keine andere Vokabel aus dem Geltungsbereich der Ästhetik ist heute durch ökonomisches Framing so gründlich diskreditiert wie diese , kein Unternehmen auf dem Gebiet jener Kreativität für alle hingegen dürfte so erfolgreich operieren wie die Firma Adobe Systems Inc. Wer nutzt heute etwa keine Programme für Grafikdesign und 3-D-Software, wenn es darum geht, Bilder zu bearbeiten?
Als Grafikerin sind Claudia Kugler die ästhetischen wie die ökonomischen Versprechungen der Creative Cloud bewusst, als Künstlerin produziert sie seit den frühen 2000er Jahren Bilder, in denen sie das digitale Rendering vorführt, zugleich aber die – angeblich unbegrenzten – Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden Tools eher reduktionistisch einsetzt. Einen Überblick über ihre früheren Werke fasste Kugler 2013 in einem Poster zusammen, das sie mit ihrer damaligen Galerie Max Mayer herausgab. Einige Dutzend Abstraktionen sind darauf maßstabgetreu, wie im „Catalogue Raisonné“ Gerhard Richters, versammelt: Kompositionen, die sich in der Tradition autonomer, konstruktivistischer und konkreter Kunst verorten ließen und, ganz im Sinne letzterer, allein visuell geltend machen, indem sie räumliche Phänomene auf der Fläche verhandeln, die im virtuellen 3-D-Raum konstruiert worden sind. Darin unterscheiden sie sich von der Malerei wie auch der Fotografie.
Diesen Abstraktionen eignet eine kühle formale Brillanz und eine wie leergeräumte Stille, womit sie den Arbeiten von Liz Deschenes näherstehen als denen eines Tim Berresheim. Fast überflüssig zu erwähnen, dass sie jeglicher Narration oder eines ablesbaren Contents entbehren. Im Gegenteil: Die Legenden zu den einzelnen Werken finden sich auf besagtem Plakat rückseitig unter leeren weißen Flächen auf grünem Grund, die sich ihrerseits zu einer abstrakten Komposition fügen (und in der Vorführung des Abwesenden an Stephen Prinas Serie „Exquisite Corpse: The Complete Paintings of Manet“ erinnern).
Innerhalb dieser bildkünstlerischen Praxis Kuglers zeigt sich, dass das Formale als präzise Setzung nicht Selbstzweck ist, sondern Auskunft gibt darüber, in welcher Funktion und mit welchem Anspruch diese Bilder überhaupt in jener Präzision generiert worden sind – es geht ganz augenscheinlich darum, die Mittel der Bildgenerierung in einem ästhetischen Sinn ökonomisch einzusetzen.
In Ausstellungen wie zu Beginn des Jahres 2018 bei Natalia Hug in Köln hat Claudia Kugler ihr Repertoire dann um figurative Sujets erweitert, ohne den Fokus auf das einfache, irreduzible Bild preiszugeben. Nun aber kamen popkulturelle Referenzen ins Spiel, zum Beispiel in Form von Vampirzähnen oder einer knallroten Zunge auf schwarzem Grund, die plakativ ins Bild gesetzt ist und sowohl an das Plattencover der Rolling Stones erinnert als auch an das allseits verfügbare Emoji. Bei ihrer Ausstellung „Bill“ in der Galerie sima in Nürnberg stand jüngst nun das Gesicht im Zentrum.
Verglichen mit ihren Abstraktionen verlegt sich Kugler damit auf eine Produktion von regelrechten „Pictures“ (wie sich in Anklang an die von Douglas Crimp kuratierte New Yorker Gruppenausstellung von 1977 sagen ließe), denen wiederum Narration und Content abgesaugt scheinen. Diese neueren Bilder muten denn auch, wie Michael Franz treffend bemerkt, „underwhelming“ an, „zeit- und ortlos“, „fremd und irritierend“.
Dafür greift Kugler auf persönliche Fotos zurück, die sie verändert; zudem verwendet sie einfache monochrome Flächen, die sie mit entsprechenden Programmen (Photoshop, Cinema 4D, Illustrator) plastisch formt und moduliert und als C-Print auf Alu kaschiert, als Poster an die Wand hängt oder als Tapete an die Wand klebt. In diesen Bildern kreuzen sich Fotografie und digitale Bilderzeugung. Die Gesichter sind jeweils recht heftig an- und ausgeschnitten, in einem der Bilder erscheinen Mund und Nase en face, die Hautfarbe ist synthetisch und hat wenig mit Inkarnat zu tun, die Oberfläche ist leicht geknittert und lässt an die Vacuum Forms von Seth Price denken. Im Profil wiederum bilden Nase und Mund, auch hier in einem sterilen, gefühlstauben Beigegrau, einen scharfen Kontrast zu einem schwarzen Umraum, als würde sich die Person, deren Geschlecht unbestimmt bleibt, jemandem zuwenden. Hell und Dunkel greifen wie in einer Abstraktion ineinander. Schließlich ein drittes Gesicht mit verkniffenem Mund und rahmenloser Brille, hinter der die Augen verschwimmen.
Die Ausstellung präsentiert diese Bilder im Verbund mit einer grellen, irgendwie peinlichen Zunge und einer stilisierten Kaugummiblase. Sie lösen wie in einem Reflex das Begehren nach Bedeutung aus, die die Bilder schnöde verweigern. Es ist die – auch psychologisch – verstandene „Gestalt“, die diesen Arbeiten zugleich eingeschrieben und wieder entzogen ist. Lustvoll unterbieten sie ihr eigenes Sujet, enttäuschen die berechtigten Erwartungen, die an solche Bilder gestellt werden dürfen: irgendein Angebot, empathisch darauf zu reagieren. Eines dieser Bilder hat die Künstlerin in ihrer Nürnberger Ausstellung so fotografiert, dass sich darin die Arbeit „Scrolls“ spiegelt, die sich mehr wie blutrote Scratches durch das Gesicht ziehen. Als wäre es ein Akt von Autoaggression.
Interesse ziehen diese Arbeiten in einem defizienten Modus auf sich, lösen eine Affektion aus, die einen Punkt (in uns) berührt, aber unter Vorbehalt. Sie gerieren sich in einer aufreizenden Indifferenz. Eben diese hat mich in der Ausstellung wieder und wieder hinschauen und überprüfen lassen, ob ich nicht doch etwas übersehen habe.
„Claudia Kugler: Bill“, galerie sima, Nürnberg, 27. November 2018 bis 13. Februar 2019.
Georg Imdahl ist Kunstkritiker und Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Münster. Zuletzt erschien sein Buch "Ausbeute. Santiago Sierra und die Historizität der zeigenössischen Kunst", Hamburg, 2019.