THE MATTER IS THE MESSAGE Sabeth Buchmann über Asef–Burckhardt im MOS Art Center, Gorzów Wielkopolski

Asef-Burckhardt, “MOTHER-BURN,” 2025
MOTHER-BURN (2025) ist der Titel des zweiten Videos einer Trilogie des Künstler*innenduos Mario Asef und Kirstin Burckhardt. Gemeinsam mit dem ersten, zuvor im Kunstverein Göttingen gezeigten Video SHELTER-BONE (2024) sowie einem Materialarchiv mit Fotografien, Zeichnungen, Collagen, Malerei, einer Soundskulptur und einer Performance war es kürzlich im MOS (Miejski Ośrodek Sztuki) Art Center im polnischen Gorzów Wielkopolski zu sehen. In den kommenden Jahren soll die Präsentation stetig ergänzt und an unterschiedlichen europäischen Städten ausgestellt werden. Im MOS von Bartosz Nowak mit präzisem Gespür für die Resonanzbeziehungen zwischen medialen Oberflächen und räumlichen Strukturen kuratiert, bildeten die Installationselemente in der zweiten Iteration dieser Reihe eine mehrdimensionale, über die Ausstellungsräume verteilte Montage, die von den beiden besagten Performancefilmen gerahmt wurde: Dreh- und Angelpunkt bildeten dabei die durch „natürliche“ Vegetationsbrände und Wildfires verbrannten Reste des Redwood Grove auf dem Gelände der sogenannten Sea Ranch im Norden San Franciscos.
Bei der Ranch handelt es sich um ein auf eine Initiative von Al Boeke zurückgehendes Öko-Community-Projekt, das Anfang der 1960er Jahre als Plansiedlung von dem Landschaftsarchitekten Lawrence Halprin gemeinsam mit den Architekten Joseph Esherick, Charles Moore, Donlyn Lyndon und Richard Whitaker und William Turnbull konzipiert und umgesetzt wurde. Abgesehen von seinen ikonischen Holzhäusern wurde das Projekt durch die dort unter anderen von der Tänzerin und Choreografin Anna Halprin abgehaltenen Workshops berühmt, an denen neben Tänzer*innen und Performer*innen auch bildende Künstler*innen teilnahmen und die eine Arena der US-Avantgardeszene der 1960er und 1970er Jahre darstellten. Die den Workshops zugrunde liegende Idee einer „collective creativity“ nahm die seit den 1990er Jahren zunehmend etablierten (und heute bekanntlich von Trump unterdrückten) Konzepte kultureller, ethnischer, geschlechtlicher, sexueller, generationeller, klassenbezogener „diversity“ vorweg. [1]

Asef-Burckhardt, “Personal Archive,” since 2023
Ein von Asef und Burckhardt reproduziertes Foto zeigt Halprin, die gemeinsam mit einer anderen Person eine ausgerollte Papierbahn mit dem „Entry Score“ hält, der dazu auffordert, langsam zu gehen, zu schauen, zuzuhören, zu atmen, zu riechen und zu berühren. Der an Mindfulness-Prinzipien erinnernde Verhaltensindex findet sich in Asefs und Burckhardts leporellohaftem, das heißt in Faltform an der Wand präsentiertem Personal Archive (2023–25), das die sogenannten RSVP Cycles dokumentiert, welche die Halprins als Methodologie für die kreative, kollaborative Arbeit entwickelt hatten und über Tanz, Performance und Architektur hinaus auf alle Lebensbereiche zu übertragen suchten: R stand dabei für Ressources (i.e. vor allem das Generieren und Sammeln von Intuitionen, Ideen, physischen Materialien), S für Score (i.e. die Notation von offenen und geschlossenen Systemen), V für Valuaction (i.e. wertebasierte Respondenzen) und P für Performance (i.e. die Übersetzung der Scores in Körperbewegung). Dem Personal Archive hinzugefügte handschriftliche Kommentare Asefs und Burckhardts stellten die kybernetisch gedachten RSVP Cycles mit Blick auf die Utopie eines Einklangs von Leben, Natur, Kunst und Architektur zur Debatte. Sie bezogen sich zum Beispiel auf die damalige Vision, der Ödnis vornehmlich weißer Mittelstandsvorstädte ein integratives Modell des Sozialen entgegenzustellen – die Vermeidung weißer Dominanz war von Anbeginn der Sea Ranch ein Thema. Von den Künstler*innen reproduzierte Archivdokumente verweisen darauf, dass die ursprüngliche Vision bereits in den 1980er Jahren Vergangenheit war. Die zunehmend hochpreisigen Immobilien der Siedlung konnten sich schon damals vornehmlich wohlhabende Weiße leisten, die statt platzsparender Apartments raum- und Ressourcen konsumierende Einfamilienhäuser bevorzugten. Die gesellschaftlichen und ökologischen Effekte des neoliberalen Finanzkapitalismus – die sich gegenwärtig unter anderem in den temporären Airbnb-Vermietungen der Siedlungshäuser zeigen – mit den materiellen Spuren des Klimawandels verknüpfend, stellte sich Asefs und Burckhardts gleichermaßen dokumentarisch-archivarische und performativ-inszenatorische Erforschung der Sea Ranch als eine in der Gegenwart verortete Frage nach den Konsequenzen und der Anschlussfähigkeit für künstlerische Ansätze dar. Diese schließen an Halprins unter anderem im Rahmen der „documenta 14“ (2017) präsentiertes Performance-Konzept einer sozioökologischen Lebens- und Kunstpraxis an.
Asef-Burckhardt, “Personal Archive,” since 2023
Die mimetisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Halprin-Erbe zeigte sich in der nach dem Video benannten Ausstellung „MOTHER-BURN“ in den medial und materiell distinkten Installationselementen: So übertrugen die beiden Künstler*innen die RSVP-Prinzipien zum Beispiel auf die berühmten Zypressenhecken, die einst zum Schutz gegen Wind und Brandung auf dem Gelände der Sea Ranch angelegt worden waren und deren fotografische, an die Wand gehängten Reproduktionen sie mit einem Architekturplan überzeichnet hatten (Hedgerow House, 2024). Die inzwischen durch Wachstum und Klimawandel veränderten Hecken stellten sich so als möglicher Wohnraum und damit als Revision sozioökologischen Bauens dar. Auch Burckhardts formal äußerst reduzierte, geradezu zeitlupenartige Tanzperformance, die von Asef aufgezeichnet wurde und den Kern des Videos bildet, widersetzte sich einer analogen Umsetzung der RSVP-Scores und begegnete diesen stattdessen mit situativen, spontanen Reaktionen auf die wind- und brandungsbedingten Bewegungen und Sounds der entlang des Küstenstreifens angesiedelten Gräser, Sträucher und Bäume. Kybernetisches Systemdenken wurde so mit der aus der kritischen Ethnologie stammenden Idee einer dekolonialen Umkehr von Subjekt-Objekt-Verhältnissen konfrontiert. Die Mammutbäume zu formativen Akteuren machend, korrespondierte die Interaktion von Choreo- und Videografie mit der Idee einer techno-organischen Kollaboration von Vegetation, Körper und Kamera. Als handle es sich um ein Echo auf Land-Art-typische Verflechtungen von natur-, kultur- und industriehistorischen Prozessen, stellte sich die Naturlandschaft als (medien-)ästhetische Infrastruktur und damit auch als Bestandteil von Kolonialgeschichte dar. So beinhaltete das an quasikinematische Montagen erinnernde Personal Archive auch Gesprächsnotizen zu dem aus Südamerika importierten, als „invasiv“ geltenden Pampasgras, das entlang des an die Sea Ranch grenzenden Küstenstreifens gedeiht. Historische Aufladungen wie diese legten nicht zuletzt Assoziationen mit der rassistischen Immigrationspolitik der aktuellen US-Regierung nahe.
Asef-Burckhardt, “Oil and Discarded Matter on Canvas,” 2025
Indem sie verkohlte Baumreste und getrocknetes Pampasgras zugleich als Found Footage und als Zeichenutensil – zum Beispiel für die großformatigen, an klassische Wandbehänge angelehnten Landschaftsgemälde (Oil and Discarded Matter on Canvas, 2025) – verwendeten, transformierten Asef und Burckhardt die den RSVP Cycles zugrunde liegende Idee des Recylings zu einer formalästhetischen Verkehrung von Darstellungsmittel und -gegenstand. Die Kombination mit Collagen aus fotografischen Zooms in die Flora der Sea Ranch und diagrammatischen Zeichnungen, die naturwissenschaftliche Illustrationen der Erdschichten mit organischen Mustern verbinden, ließen Anna und Lawrence Halprins „Experiments in Re-Encoding Environment“ [2] nicht als historisch abgeschlossenes Projekt, sondern als spekulative Materialisierung der Küstenlandschaft erscheinen: So als wohne den Formen der Wellen, den Steinen, Sträuchern, Stämmen, Ästen, Blättern immer schon die Bedingung ihrer wahrnehmungsästhetischen Reproduktion inne. Einer solchen Lesart entsprechend, lassen Asefs und Burckhardts Arbeiten (Re-)Produktion und Rezeption in eins fallen. So war etwa ihre zeltdachförmige Skulptur In Between Before and After (2024) mit Transducern versehen, die ein vorab aufgezeichnetes Gespräch in Schrift auf dickes Papier übertrugen: Die darauf platzierte Kohle zeichnete, qua Vibration der Stimme auf dem Papier, das Gespräch mit Linien und Staub taktil auf – und rieb sich dabei selbst ab; so verwandelte sie die Arbeit in ein Medium der (Selbst-)Artikulation über die Frage nach einer fürsorglichen Verwendung von Redwood-Holzkohle jenseits ökologischer Dystopien. Die Perspektivumkehr von Darstellungsmittel und -gegenstand setzte sich im Verlauf einer Ausstellung fort, die weniger in Blicken auf die als vielmehr in Blicken (aus) der Landschaft bestand.

Asef-Burckhardt, “In Between Before and After,” 2024
Reiht man Asefs und Burckhardts Ausstellung in die künstlerische Revision von Land-Art- und Community-Projekten ein, liegen Vergleiche mit Arbeiten von Julie Ault, Martin Beck, Renée Green, Nils Norman und anderen nahe. Dabei fällt auf, dass Asefs und Burckhardts recherche-, kontext- und ortsbasierten Verfahren die Idee eines performativen Selbstausdrucks der von ihnen präsentierten Materialien zugrunde liegt. Die RSVP Cycles bilden dabei so etwas wie einen auto-environmentalen Code, der auch auf kunsthistorische Landschaftsgenres anwendbar ist, liefern diese doch die Vorbilder für hierarchische Repräsentationen des Naturschönen durch das Kunstschöne. So entfacht „MOTHER-BURN“ genau dort Funken, wo Objekte ihrer eigenen Mittel beraubt werden.
„Asef–Burckhardt: MOTHER-BURN“, MOS Art Center, Gorzów Wielkopolski, 6. Juni bis 6. Juli 2025.
Sabeth Buchmann ist Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin und lebt in Berlin und Wien. Sie ist Professorin für moderne und postmoderne Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Buchmann ist Mitherausgeberin von PoLyPen, einer Reihe zu Kunstkritik und politischer Theorie (b_books, Berlin), und Vorstandsmitglied von TEXTE ZUR KUNST, The European Kunsthalle und dem Documenta Institute. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen gehören: Kunst als Infrastruktur (2022), Broken Relations: Infrastructure, Aesthetic, and Critique (2022, Mitherausgeberin) und Putting Rehearsals to the Test: Practices of Rehearsal in Fine Arts, Film, Theater, Theory, and Politics (2016, Mitherausgeberin).
Image credits: 1 + 2 + 5 © Asef-Burckhardt; 3 + 4 © Monika Szalczyńska; all images courtesy Miejski Ośrodek Sztuki