Anlässlich des Deutschen Computerspielpreises, der heute in Berlin verliehen wird, hört man Meldungen von einer Branche im Aufschwung: Während sich etliche Wirtschaftszweige im Krisenmodus befinden, verzeichnet die Gaming-Industrie seit Jahrzehnten Gewinne. Dass diese trotz der angespannten politischen Weltlage weiter steigen, bestätigt die Ausgangsthese von Rebekka Wilkens, die Gaming als Ablenkung im Sinne von Sigmund Freuds vier Triebschicksalen beschreibt. An unsere aktuelle Ausgabe „Death Drive and Sublimation“ anknüpfend führt die Philosophin einige Kerngedanken aus Francesca Raimondis Heftbeitrag zur Gegen-Sublimierung fort und plädiert mit ihrer feministischen Kritik an Freuds Triebtheorie für die Artikulation negativer Gefühle in unserer politischen Realität. Weil letztere sich zunehmend in virtuellen Räumen abspielt, wo Algorithmen und digitalaffine Player sie steuern, ist es umso dringlicher, Wut nicht in fiktive Welten zu verschieben, sondern sie IRL zum Ausdruck zu bringen.
Ein giftgrüner Gaming-Stuhl steckt in einem Sandhügel fest, als habe ihn dort jemand nach vielen durchzockten Nächten achtlos entsorgt. Die Vermutung bleibt jedoch spekulativ, denn es gibt keine Hinweise auf seine Geschichte. Die Besucher*innen von Emma Adlers Ausstellung „Veritas Vermibus“, die 2024 im Düsseldorfer Ausstellungsraum Caprii der Galerie Sies + Höke gezeigt wurde, fanden sich in einem halbdunklen Raum wieder, der wie eine unwirkliche Welt anmutete. Wände, Decke und Sandboden in gleichförmigem Grau erweckten den Eindruck einer zeitlosen Dystopie. Atmosphärisch schien sich Adlers Ausstellung damit der Virtualität von Videospielen anzugleichen, um sie im selben Zuge zu problematisieren.
Gaming ist für viele nicht zuletzt deshalb so attraktiv, weil sich Erfolge in der virtuellen Realität schneller einstellen als im echten Leben. Die Handlungsmöglichkeiten sind überschaubar und lassen Spielende die gefühlte Machtlosigkeit im Alltag vergessen. Über Controller und Gamepads lässt sich scheinbar mühelos Kontrolle zurückerlangen. Je öfter allerdings in die Welten des Gamings abgetaucht wird, desto stärker verschwimmen sie mit der Wirklichkeit; desto weniger fällt auf, dass beim Zocken keine realen Konflikte gelöst werden. Die Verwechselbarkeit virtueller mit realer Macht bezeugen die Berichte über das Account-Boosting von Elon Musk: Dieser galt als einer der besten Diablo-IV-Spieler weltweit, doch sein hoher Score, mit dem er unter anderem in einem Podcast prahlte, war erschummelt. Musk hatte andere Personen dafür bezahlt, heimlich für ihn zu spielen. Es scheint, als hätte er mit virtueller strategischer Kompetenz eine reale vortäuschen wollen.
In Adlers Ausstellung wird der Gaming-Stuhl zur symbolischen „Kanzel“, zum Ort politischer Indoktrinierung. Damit thematisiert die Künstlerin die zunehmende Verlagerung von Narrativen der Meinungsmache in virtuelle Räume, die autoritäre Player bestens für sich zu nutzen wissen. Da Gaming jedoch auch dann eine politische Dimension hat, wenn es im Alltag „nur“ als Ablenkung fungiert, möchte ich es hier als Teil einer Triebdynamik der Sublimierung interpretieren.
Die Ablenkung stellt eine Facette der Sublimierung dar und gehört damit zu einem von Sigmund Freuds vier Triebschicksalen. Im Zuge der Sublimierung wird ein Trieb vom ursprünglichen Objekt auf ein anderes verschoben. Diese Dynamik wird häufig als positiv gedeutet, weil sie nach Freud die Verdrängung aufhebt. So wird zum Beispiel das Sprechen über ein traumatisches Erlebnis als Sublimierung verstanden, als eine nachträgliche, fruchtbare Form der Auseinandersetzung. Die Verschiebung der Auseinandersetzung mit einem realen Problem in die Welt des Gamings verläuft konträr dazu – sie ist eine Ablenkung, die der Verdrängung des Problems Vorschub leistet. Wenn der virtuelle Raum lustvoller als der reale empfunden wird, hat durch die Verdrängung des realen Raums und seiner Probleme ein Lustgewinn stattgefunden. Zugleich werden Unlust und erhöhte Spannung, die in der Auseinandersetzung mit realen Problemen entstehen, vermieden.
Auch unangenehme Gefühle wie Wut werden gern verdrängt. Wut ist kein sozial erwünschtes Verhalten, sodass es bequem ist, sie in der virtuellen Welt abzuladen. Durch diesen „Ausweg“ wird eine direkte Ansprache der Wut-Objekte verhindert und ein Gefühl verdrängt, das – obwohl es zunächst destruktiv scheint – konstruktives Potenzial hat. Dieser problematische Umgang mit Wut soll im Folgenden untersucht werden.
AUF SAND GEBAUT: FREUDS UNTERSCHEIDUNG VON LUST UND REALITÄT
Ein ungehemmtes Ausleben von Affekten, gerade wenn sie negativ gelesen werden, wird häufig als unzivilisiert und nicht gesellschaftsfähig abgetan. Bei Freud stehen ihm kulturelle Regeln entgegen, die er als Realitätsprinzip bezeichnet. Diese schränken das sogenannte Lustprinzip ein (das Freud wechselweise als psychisches Gleichgewicht anstrebend oder als triebhafte Steigerung von Lust bezeichnet). Gelingt Heranwachsenden die Internalisierung der gesellschaftlichen Ordnung, lenkt das Realitätsprinzip ihre Triebe in Bahnen, auf denen sie im Einklang mit kulturellen Vorschriften befriedigt werden können, ohne Anstoß zu erregen. Den Gegensatz von Lust- und Realitätsprinzip so statisch zu begreifen, verharmlost ihn allerdings. Denn ein solches Modell lässt keine Wut auf die Wirklichkeit zu. Alenka Zupančič weist darauf hin, dass das, was wir als Realitätsprinzip oder schlicht als Realität begreifen, zutiefst ideologisch ist. Ein ,realer‘ Fakt kann niemals ganz uninterpretiert dargestellt werden. Die Realität als unkritisierbar zu begreifen, ist, so Zupančič, „the highest form of ideology, the ideology that presents itself as empirical fact or (biological, economic …) necessity (and that we tend to perceive as nonideological)“. Auch ein vermeintlich neutraler Realismus ist korrumpiert, weist eine bestimmte Rahmung auf. Mark Fisher bezeichnet ihn in seinem 2009 erschienenen Buch Capitalist Realism. Is there no alternative? sogar als depressiv, wenn in jeder Glaube an eine positive Veränderung als illusorisch abgetan wird. Es wäre demnach vorschnell anzunehmen, dass die Realität der Lust grundsätzlich entgegenstünde, die „Lebenskunst“ eine unbedingte Anpassungsleistung an die Realität sei. Diese Annahme, die vor allem Freuds Schriften über Kultur und Weiblichkeit durchzieht, hat besonders für weiblich gelesene Körper viel Schaden angerichtet und wehrt die in Wirklichkeit weitaus komplexere Beziehung zwischen Realität und Lust ab. Letztlich bleibt jeder Körper dieser Beziehung zwischen Lust und Realität immer wieder aufs Neue ausgesetzt, wandert entlang ihrer Berührungspunkte, nimmt ihre Demarkationslinien als hart oder permeabler wahr.
Was passiert allerdings, wenn die Verdrängung aller kritischen Gefühle der Wirklichkeit gegenüber so weit fortgeschritten ist, dass die gesellschaftliche Realität nur noch über den Screen oder gar vom Gaming-Stuhl aus wahrgenommen wird? Dies führt zu Vereinzelung und dazu, dass gesellschaftliche Antagonismen seltener gemeinschaftlich verhandelt werden. An die Stelle einer politischen Debatte setzen sich dann einzelne Individuen, die als Meinungsmacher*innen im virtuellen Raum agieren. Diese Form begünstigt die Zirkulation von Narrativen aus dem rechtsextremen Spektrum, das sich in Deutschland in Teilen zynisch als Alternative präsentiert und damit den Wunsch nach Veränderung aufgreift, ohne real eine zu bieten: Dass die Politik der AfD die materiellen Lebensbedingungen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung verschlimmern wird, ist vielfach belegt, was das Wähler*innenverhalten allerdings nur marginal verändern konnte. Zu Recht weist der Kulturwissenschaftler Paul Morten darauf hin, dass es bei jeder Wahlentscheidung ein triebhaftes Moment gibt, das von einem Lustgewinn motiviert ist. Letzteren versteht er vor allem als Gewinn von Trägheit, wenn er die problematische Selbstunterwerfung der Wählenden betont. Für Morten wird die AfD nicht aus Protest gegen die bestehende Ordnung gewählt, sondern aus einer affirmativeren Position heraus. Affirmiert und als lustvoll erlebt wird die Abgabe von Verantwortung. Da die Steuerung der Realität nicht so einfach möglich ist wie auf dem Gaming-Stuhl, wird sie in Mortens Interpretation an eine Partei abgegeben. Was bei der Wahl der AfD also verdrängt wird, ist daher nicht die Realität als solche wie beim Gaming, sondern das eigene Vermögen, gegen sie aufzubegehren. Der Lustgewinn besteht allerdings in beiden Fällen in einer Verdrängung des eigenen Handlungsspielraums.
FRISCH BEGRABEN ODER: WIE AUS HASS WUT WERDEN KANN
In einer Ecke von Adlers eingangs erwähnter Ausstellung lehnte ein metallenes Kreuz, in das die Worte „The Truth lies here“ eingraviert waren. Der Boden war ungleichmäßig mit Sand bedeckt, was den Eindruck erweckte, auf einem frisch zugeschütteten Grab zu stehen. Es wirkte, als wäre das Begräbnis der Wahrheit gerade zu Ende gegangen, als habe man sich bereits von ihr verabschiedet. Mit der begrabenen verwies Adler auf eine unbequeme Wahrheit, die die in der virtuellen Realität gefundene Trägheit durchkreuzt. Der Lustgewinn, den diese tiefere Wahrheit eines problematischen strukturellen Zusammenhangs bringt, hat nichts mit Homöostase zu tun. Sie ist vielmehr ein Gewinn im Sinne einer Steigerung, der eine andere Lustökonomie ermöglicht.
Diese zweite, weniger komfortable Form von Lustgewinn greift Francesca Raimondi in ihrem Beitrag zur aktuellen Ausgabe von TEXTE ZUR KUNST auf und setzt ihn als „Gegen-Sublimierung“ in ein Spannungsverhältnis zu jener Ablenkung von der Realität, die oben am Beispiel des Gamings als eine zeitgenössische Form der verdrängenden Sublimierung beschrieben wurde. Die Gegen-Sublimierung steigert die Lust, indem sie um ein Verhältnis zur Realität ringt, das nicht nur aus Ablenkung besteht. Raimondis Beispiel für die Gegen-Sublimierung ist die Umlenkung von Trieben in Wut. Letztere lenkt nicht von der Realität ab, sondern bezeugt sie. Vor allem für weiblich gelesene Personen ist das Ausagieren von Wut so essenziell wie gesellschaftlich unerwünscht, da das westliche Ideal Weiblichkeit als friedlich und kritiklos konzipiert. Unter dem Stichwort female rage hat weibliche Wut in jüngerer Zeit auch in der Popkultur verstärkt Beachtung gefunden; Taylor Swifts Song „Mad Woman“ (2020) ist nur ein Beispiel dafür. Wie Raimondi betont, leitet Wut ein Moment realer Verwandlung ein. Dadurch lässt sie sich, obwohl sie ein negativer Affekt ist, vom Hass unterscheiden (der unter anderem für die Wahlerfolge der AfD eine Rolle spielt).
Diese Unterscheidung zwischen Hass und Wut findet Raimondi bei Audre Lorde. In Sister Outsider berichtet die von ihrer Beobachtung, dass weiße Frauen, wenn sie Zeuginnen rassistischer Bemerkungen werden, häufig aus Angst schweigen, obwohl sie wütend seien. Die unausgedrückte Wut liege in ihnen „like an undetonated device“. Und sie wird in Lordes Erfahrung für gewöhnlich der ersten Woman of Color entgegengeschleudert, die in ihrem Beisein über Rassismus redet. Diese Verschiebung ist paradox, weil sie zugleich eine Verkehrung ist: Die Empörung, die zunächst gegen Rassist*innen gerichtet war, richtet sich nun gegen deren Opfer. Sie wird also aus Angst vor den Autoritäten entfremdet – systemisch ist es nicht gewollt, dass weiße Frauen sich antirassistisch positionieren. In dieser Entfremdung der weißen weiblichen Wut zeigt sich eine Verinnerlichung eines autoritären Imperativs. Während der Ausdruck von Wut bei Frauen oft weiterhin nicht ernst genommen und abgewertet wird, scheint es, als hätten viele weiße Frauen gelernt, dass sie, wenn sie schon die Beherrschung verlieren, dies lieber gegenüber einer vom System noch marginalisierteren Gruppe tun sollten. Die Wut einer weißen Frau gegenüber einer Woman of Colour könnte Lorde zufolge auch darin begründet sein, dass diese sie ihre Wut aufs System überhaupt erst spüren lassen. Die weiße Frau, die im Alltag mit weniger Benachteiligungen auskommt, kann deren systematische Natur leichter wegschieben. Als vergleichsweise privilegierte Person ist es bequem, die Marginalisierung anderer zu vergessen und sich einzureden, dass es – nur weil man persönlich selbstbestimmter als früher leben kann – allen so gehe.
In dieser von Lorde beschriebenen Verschiebung der Wut, die von einer Verinnerlichung der Autoritäten zeugt, geht aber auch ein Stück Differenziertheit verloren. Die Wut auf eine konkrete Person, die sich in einer bestimmten Situation rassistisch verhalten hat, verwandelt sich in Ärger auf die erstbeste Person of Color, die die Problematik thematisiert. Sie hat sich dadurch dem Hass angenähert, der, wie Lorde hervorhebt, unspezifisch auf ganze marginalisierte Gruppen gerichtet ist: Auf „all women, people of Color, lesbians and gay men, poor people – against all of us who are seeking to examine the particulars of our lives as we resist our oppressions“ . Wut ist situiert. Hass hebt die Differenziertheit auf. Er rührt aus keiner konkreten Situation, sondern speist sich aus verschiedenen Quellen und Verschiebungen und amalgamiert diese. Die virtuelle Realität, die Adler in ihrer Ausstellung als Sinnbild politischer Machtverlagerung inszeniert, ist durch die Ablenkung der Triebe von ihren eigentlichen Zielen hin auf verschobene Pseudoziele ein Setting, in dem der Hass ebenfalls gedeiht und die Wahrheit der Wut verschleiert bleibt, sich nicht artikulieren kann.
Wie Raimondi anhand von Jelena Jurešas Konzert-Performance Aphasia zeigt, kann es allerdings gelingen, eine Rückübersetzung von Hass in Wut vorzunehmen. Sie bezeichnet diesen Prozess als Gegen-Sublimierung, weil sich durch ihn die Richtung des Triebes ändert: Dieser wird nicht von seinem anfänglichen Ziel abgelenkt, sondern zurück in eine Differenziertheit überführt, den er durch seine Unterdrückung und Ablenkung verloren hatte. Wenn es sich bei der Gegen-Sublimierung um einen Wutausbruch handelt, kann dieser, gerade wenn die Wütende ein systemisches Problem thematisiert, zu neuen Allianzen führen. Die Bündnisse, die entstehen, wenn man sich mit einer wütenden Frau solidarisiert, wie sie im deutschen politischen Diskurs momentan Heidi Reichinnek verkörpert, sind unter Umständen unbequemer als der Hass, der online geschürt wird. Aber sie produzieren eine Neuverhandlung des Verhältnisses von Lust und Realität, bahnen neue Wege.
SCHLEIER ZERREISSEN: DIE KLARHEIT DER WUT
Der Begriff der Gegen-Sublimierung ermöglicht Raimondi eine kritische Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum an Sublimierungen, die aus einer feministischen Perspektive überfällig ist. Ebenso dringend scheint eine solche kritische Auseinandersetzung angesichts des zunehmenden Einflusses von Gaming und rechter Hetze in den Sozialen Medien, die beide mit problematischen Ablenkungsmanövern und einer Abgabe der eigenen Verantwortung verknüpft sind. Bleibt eine Sublimierung nur Ablenkung, werden gerade negative Gefühle der politischen Realität gegenüber oft nicht artikuliert. So wird ihr kritischer Impetus verschenkt oder – noch gefährlicher – schlägt in Selbsthass um. Eine Gegen-Sublimierung hingegen kann zu einer situierten Adressierung von Problemen führen, die das Verhältnis von Lust- und Realitätsprinzip aufbrechen und transformieren. Das größte Hindernis, das der Gegen-Sublimierung entgegensteht, liegt mit Freud in der Idealisierung des Objekts, das die Wut ursprünglich erzeugt hat. Ist diese zu groß, verliert man den Mut. Weicht die Idealisierung allerdings einer realistischeren Beurteilung, findet sich ein „Ausweg, wie die Anforderung erfüllt“, die Wut artikuliert werden können.
Maria Lugones, auf die sich Raimondi ebenfalls bezieht, betont die Klarheit, die Wut mit sich bringt: „[W]hen I have observed women in hard-to-handle-anger, they have been outrageously clearheaded; their words clean, true, undiluted by regard for others’ feelings or possible reactions.“ Diese Klarheit steht im Kontrast zum Schleier der Idealisierung. Genau deshalb kommt die Wut als Gegen-Sublimierung dem Realen näher als irgendein vermeintlich pragmatisches Realitätsprinzip, das keine kritische Auseinandersetzung mit der Realität zulässt. Mit Alenka Zupančič kann man Wut nicht als Idealisierung, sondern als Realisierung verstehen: als „creation and maintenance of a certain space for objects that have no place in the given“. Wird die Kunst als Teil einer solchen Umsetzung betrachtet, mag sie ihren Schleier – oder, um mit Adorno zu sprechen, ihren Rätselcharakter – einbüßen, kann aber neue Spielräume in der realen Welt erschaffen.
UNTER DER ERDE. WURMGÄNGE DER WAHRHEIT
Auf dem Kreuz, das in Adlers Ausstellung auf dem Grab der Wahrheit steht, ist unterhalb der Schrift eine Lemniskate (liegende Acht) eingraviert, die Endlichkeit und Unendlichkeit aporetisch verbindet: Die Wahrheit wurde zwar begraben, ist letztendlich aber nicht totzukriegen. Dieses Paradox haben Wahrheit und Trieb gemein: Auch letzterer ist nach Freud unersättlich, wird niemals ein für alle Mal befriedet oder begraben werden können.
Wer der Verlockung widersteht, sich von der unbequemen Realität abzulenken, ist bereit, die wahren Protagonist*innen aus Adlers Ausstellung als solche zu erkennen: Sie hausen im Dunkeln, unter der Erde, auch in unseren Körpern. Da sie uns so unheimlich nahe kommen, finden wir sie eklig. Würmer sind blind wie Triebe, umtriebig, außerdem stumm und taub. Wie Agent*innen der Gegen-Sublimierung identifizieren sie Giftstoffe in der Erde, graben diese um und verwandeln ihre Zusammensetzung. Solange wir der Realität begegnen wie der Wurm der Erde, findet die Wahrheit einen Weg.
Rebekka Wilkens ist Philosophin und wohnt in Berlin. Sie interessiert sich für die Schnittstellen aus Genießen, Denken und (künstlerischer) Praxis und promoviert zum Thema „Genießen, Differenz, Plastizität: Feminine Körper denken“ bei Katja Diefenbach. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Alexander García Düttmann an der Universität der Künste Berlin.
Image credit: Courtesy Emma Adler, MARTINETZ, Köln, Caprii by Sies + Höke, Düsseldorf; 1. Foto Nina Weimer; 2. Foto Tino Kukulies
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