IN DER GEISTERBAHN Stefanie Diekmann über „Poetics Of Encryption“ im KW Institute For Contemporary Art, Berlin
„Poetics of Encryption“ ist eine Ausstellung über Intransparenz. Und über das Unbehagen an und mit der Technologie. „Wir verlassen uns auf digitale Technologien, begreifen aber nur sehr selten, wie sie wirklich funktionieren“, heißt es auf einer der Tafeln im ersten Raum des Parcours, der durch das Erdgeschoss und immerhin drei Stockwerke der Kunst-Werke führt. Während dies auf der einen Seite eine unbestreitbare Feststellung ist, bestehen auf der anderen sehr verschiedene Möglichkeiten, das Unbehagen zu adressieren und sich mit der Komplexität digitaler Infrastrukturen zu befassen.
Die Option, die der Kurator Nadim Samman für diese Ausstellung gewählt hat, ist die der Geisterbahn. Hermetik als Leitmotiv, Hauntologie als organisierendes Prinzip, die Unheimlichkeit der Apparate als eine zentrale Prämisse und „Black Site“, „Black Box“ und „Black Hole“ als Keywords einer Szenografie, in der die Ausstellungsräume und deren atmosphärische Aufladung mindestens ebenso wichtig sind wie die künstlerischen Positionen, die sich über die Räume verteilen.
Diese „Poetics “ sind kein analytisches Projekt. Vielmehr sind sie, durchaus programmatisch, darauf ausgerichtet, digitale Technologien mitsamt den zugehörigen Apparaten, Infrastrukturen, Oberflächen als ein Faszinosum zu behandeln, auch: als eine dystopische Erlebniswelt, gebaut, um Beklemmung zu erzeugen und zu kultivieren. Die Ikonografie der Opazität spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die der Unübersichtlichkeit; und unter den Positionen sind die in der Überzahl, die zu dieser Ikonografie ein affirmatives Verhältnis haben.
„Black Site“, Schauplatz derjenigen Positionen, die der Idee der Einschließung – konkreter: der Abhängigkeit und der Verstrickung – gewidmet sind, ist der dunkelste Teil des Parcours. (Wie eine weitere Wandtafel erklärt: „Black Site is about being locked in.“) Eine Folge enger, sehr lichtarmer Räume, in denen die Geräuschkulisse reduziert ist und Infotafeln erst mit Hilfe des Smartphones lesbar werden; ein Trip vorbei an Terrarien, Kabinen, Spiegeln und flackernden Oberflächen, die mal mehr, mal weniger plausibel und wirkungsvoll in Szene setzen, dass technologische Umgebungen immer auch als klaustrophobische wahrgenommen werden können.
Klaustrophobisch jedenfalls wirken die Außen- und Innenansichten von Flugzeugwracks (Roger Hiorns, Film Footage of ,A Retrospective View of the Pathway, Ipswich Burial‘, 2018–). Diese videografischen Erkundungen erscheinen umso beunruhigender, je weniger sie Aufschluss darüber geben, was zur Zerstörung oder zum Absturz der Flugzeuge geführt haben könnte. Und klaustrophobisch ist auch der anschließende Raum, in dem die installierten Bildschirme (Gillian Brett, After James Webb und After Hubble, beide 2022) und das gewölbte LCD-Display (Rachel Rossin, Scry Glass, 2023) als Interfaces von flackernden, flirrenden Anzeigen figurieren, die nicht (oder: nicht mehr) dechiffrierbar sind. Einschließung ist, überdeutlich, das Thema der zwei Kabinen, die Jon Rafman zur Betrachtung seiner kompilativen Videos eingerichtet hat (Videocabins, 2023), sowie der benachbarten Installation, in der ein Playthrough an der Grenze endet, die zwischen zwei Terrains eines fiktiven Videospiels verläuft (enoré, Holding Death Close, 2021). Und sie findet ihre Apotheose in dem deformierten Kubus, unter dessen glatter, schwarzer Oberfläche ein Programm abläuft, das auf die Präsenz der Besucher*innen reagiert, Positionswechsel und Bewegungen genau registriert, für den Blick von außen jedoch vollständig unzugänglich bleibt (Carsten Nicolai, anti, 2004).
Überhaupt wird die Opazität des Digitalen, seit Vilém Flusser ein Topos der Medientheorie, in „Poetics of Encryption“ allerorten evoziert. Nicht nur in Nicolais Kubus oder in den Gebilden aus schwarzem Obsidian, die sowohl im Erdgeschoss als auch in einem der oberen Stockwerke platziert sind (Julian Charrière, thickens, pools, flows, rushes, 2020), sondern auch in Charles Stankievechs Video Eye of Silence (2023), das als Dreikanal-Projektion im Kellergewölbe läuft und die Erkundung eines Höhlensystems als psychedelischen Trip inszeniert. Es ist viel Flirren in dieser Ausstellung, viel Flackern, dazu der eine oder andere Flare; und neben den visuellen Effekten eine Geräuschkulisse, die dem suggestiven Einsatz von Sound (Rauschen, Kratzen, Summen, droning) den Vorzug vor artikulierteren Verwendungen gibt.
Interessanter als die Positionen, die der hauntologischen, suggestiven Perspektive anhängen, sind diejenigen, in denen Undurchdringlichkeit auf andere Weise konzipiert wird. Nicht als dunkles Geheimnis oder als verborgene Aktivität, sondern als eine Eigenschaft von scheinbar transparenten Strukturen und Objekten. Dazu gehören die ziemlich irren Grafiken, von denen es in dieser Ausstellung einige gibt. Im zentralen Raum zum Beispiel die großformatigen Drucke von Kate Crawford und Vladan Joler, Calculating Empires (2023) betitelt, die als Teil des Projekts „Genealogy of Technology and Power, 1500–2025“ eine Unzahl von Kolonnen, Tabellen, Diagrammen, von Zahlen, Pfeilen und Symbolen zu einer halluzinatorischen Übersicht zusammenführen. Und im Treppenhaus die bunt bedruckten, über eine dubiose Website akquirierten Plakate, die, ebenfalls mit Hilfe von Diagrammen, Pfeilen und Symbolen, verschwörungstheoretisch grundierte Positionen in eine grafische Darstellung überführen (Posters, Various, 2017–2024).
Die vielleicht intelligenteste Arbeit im Ensemble der Schein- und Pseudotransparenzen ist Tilman Hornigs Serie Glassbook (2013–2023): acht aufgeklappte gläserne Laptops auf einem weißen Tisch. Vollkommen durchsichtig, vollkommen lapidar illustriert diese Serie neben dem generischen Design diskreter Apparativität (Modell: Apple etc.) auch ein Konzept von Entzug und Unverfügbarkeit, das den Theorien medialer Vermittlung deutlich näher ist als der Ästhetik der Geisterbahn.
Hornigs Laptops befinden sich im oberen der beiden Stockwerke, die dem Thema der „Black Box“ gewidmet sind; in einem überraschend lichten, übersichtlichen Raum, in dem die Box (das Gehäuse) tatsächlich präsenter ist als das Dunkel, das in der Abteilung der „Black Sites“ regiert. In diesem Stockwerk steht, in einem Gitterkäfig, der kleine Server, zu dem niemand das Passwort hat, weshalb die Kunstwerke, die angeblich von dort aus zirkulieren, bis auf Weiteres nicht verfügbar sind (Eva und Franco Mattes, P2P, 2022). Und hier verzweigt sich auch die von denselben Künstler*innen entworfene chromgelbe Kabeltrasse (Yellow Tray, 2021), die an verschiedenen Stellen auf sämtlichen Ausstellungsetagen wieder auftaucht, ohne dass zu erkennen wäre, ob es sich um eine durchgehende oder um eine fragmentarische Konstruktion handelt.
Quer über die Stockwerke und vor allem in der Abteilung „Black Hole“ verteilen sich die Arbeiten, die mit der Aktivität von Programmen und Algorithmen befasst sind: Trevor Paglens und Kate Crawfords ImageNet Roulette (2019) zum Thema der Gesichtserkennung; Sebastian Schmiegs Search By Image (2011) über die opaken Gesetze der Reihung und Verkettung digitaler Bildbestände; Screens, auf denen geraubte Kunstwerke durch fantasmatische Gebilde substituiert werden (Juan Covellis Speculative Treasures, 2020–2022) oder sich die Leiter prominenter Kunstinstitutionen in Avatare verwandeln, die entsprechende Restitutionen zusagen (Nora Al-Badri, The Post-Truth Museum, 2021–2023), oder auf denen eine verlorene Tradition des genderlosen Porträts restituiert wird (Morehshin Allahyaris Moonfaced, 2022), oder die Angst vor den Avataren kultiviert, die, wie aus dem Nichts, auf dem Bildschirm erscheinen, um von Sehnsucht oder von Begehren zu sprechen (Émilie Brouts und Maxime Marions Idle, ActsaAndb, 2023).
Wo die Geisterbahn aufhört, fängt die Wunderkammer an. Wo die Wunderkammer aktiviert ist, beginnt das Reich der Schauwerte, Spektakel, Kuriosa, die in dieser Ausstellung unter anderem in Gestalt von zahlreichen Chimären vertreten sind (die Glitch-Katzen von Eva und Franco Mattes oder die Fabelwesen aus dem 3-D-Drucker, die von der Künstlergruppe Troika unter dem Titel Aktaion und I Woke Up to Find Myself Scattered, beide 2023, ausgestellt werden). In ihrer sehr sichtbaren Begeisterung für den Effekt und für die Potenziale digitaler Anwendungen sind die meisten Arbeiten in dieser Ausstellung, von denen viele aus den allerletzten Jahren stammen, vor allem dies: Dokumente einer Auseinandersetzung, die sich aus dem Zustand der Faszination und dem wohligen Schauder noch lange nicht gelöst hat.
„Poetics of Encryption“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 17. Februar bis 26. Mai 2024. Rauminstallation: H. / J. Mayer und Partner, Architekten.
Stefanie Diekmann ist seit 2012 Professorin für Medienkulturwissenschaft an der Universität Hildesheim und war 2023/24 als Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien. Aktuelle Forschungsinteressen: Nebenfiguren, Audiovisualität des Interviews, intermediale Konstellationen, Comics. Sie lebt in Berlin.
Image credit: Courtesy of the artists, Fotos Frank Sperling