Wolfgang Tillmans über seine politischen Plakate
HAVE YOUR SAY
Im Vorfeld der Brexit-Wahl 2016 initiierte Wolfgang Tillmans, als Künstler und kritischer Mitbürger, eine Pro-EU-Kampagne: Plakate basierend auf seinen unverkennbaren Bildern, die zur Wahl gegen den Brexit aufforderten. Im vergangenen Sommer startete der in London und Berlin lebende Künstler eine weitere Kampagne. Er forderte darin dazu auf, an der Bundestagswahl teilzunehmen — eine Wahl, die jetzt die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) als drittstärkste Kraft in den Bundestag einziehen ließ.
Weil Tillmans Aktion weit über die eingeschworenen Kunstkreise hinausreichte, gilt es, die ästhetischen Mittel seiner Kampagne zu betrachten: Wie interagierten Kunst, Marktkonformität und politischer Aktivismus? Mit diesen Gedanken, postete Chefredakteurin Caroline Busta einen offenen Kommentar auf Facebook. Vergangene Woche schrieb Tillmans zurück. Hier der daraus folgende Austausch.
[Facebook]
Caroline Busta
16. September 17:29
Wolfgang Tillmans Anti-AfD-Poster sind schön und eine wohlüberlegte Erweiterung seiner Praxis, die immer schon die exklusiven Reichweiten des Kunstmarkts und einen direkten Zugang zur Massenkultur ineinander fallen ließ. Aber: Bestärken sie nicht auch die ästhetischen Klischees des Kultursektors? Dienen sie nicht hauptsächlich dazu, dem/der bereits gegen die AfD entschiedenen Wähler/in das Gefühl zu geben, dass seine oder ihre Position auch, ja, ästhetisch auf einer Linie liegt mit seiner/ihrer Reebok-x-Cottweiler-Jacke und der halben Berghain-bedruckten E-Pille von letzter Nacht in der Tasche?
Ich schätze, das Hauptziel ist es wohl, die bereits Überzeugten dazu zu bringen, auch wirklich wählen zu gehen. Trotzdem frage ich mich, ob diese Poster, wenn/falls es ihnen jemals gelingt, mehr als offene Türen einzurennen, vielleicht sogar den gegenteiligen Effekt haben und ob sie etwa die unentschlossenen Wähler/innen daran erinnern, dass es irgendwie disloyal gegenüber ihrer Crew wäre, nicht die AfD zu wählen.
Eine alternative Anti-AfD-Strategie: Eine, in der Tillmans seinen Kamerablick verwendet, um die AfD in all ihrer tatsächlichen Peinlichkeit und Ekelhaftigkeit festzuhalten. Bilder der Horden von bleichgesichtigen, entschieden nicht-hotten, kellerbewohnenden Pro-AfD-Demonstrant/innen; oder von alten Männern mit Alkoholikergesichtern, die kalten Kartoffelsalat vom Vortag oder andere erkennbar deutsche Delikatessen aus der Plastikpackung essen. So ein Bild zum Beispiel und dann der Schriftzug AFD WÄHLEN.
Poster via http://tillmans.co.uk/zur-bundestagswahl-2017; Cottweiler für Reebok AW 2017 (via dazeddigital.com)
Leif Magne Tangen Naja, das würde auch nur diejenigen bestätigen, die entschieden gegen die Partei stimmen wollen. Oder?
Caroline Busta Ja, aber die Tillmans-Poster sprechen ästhetisch so direkt den Geschmack von hyper-spezifischen Kunstkonsument/innen an. Ich frage mich, ob sie für eine breitere Bevölkerungsgruppe überhaupt wirklich sichtbar oder ansprechend sind? (Vielleicht sind sie es ... ich frage nur). Oder ob sie eher visuelles Comfort Food für diejenigen von uns sind, die das Stockfoto einer hochschwangeren, weißen, deutschen Frau auf dem AfD-Poster nicht mehr sehen können, auf dem steht „Neue Deutsche? Machen wir selber“. Kotz. Aber jemand anderes denkt da vielleicht eher so, hmmm nee, diese avantgarde-geschmackvollen hübschen Blumen am Strand, das bin ich nicht, ich werde für das stimmen, was auch immer das Gegenteil davon ist.
Caroline Busta Und da ist auch die Frage, ob die Poster nicht eine Art „Virtue Signaling“ betreiben, also Rechtschaffenheit markieren. Gewinnen Tillmans Bilder in den Augen von manchen Leuten an Wert, weil sie mit dieser Aussage eines „guten Bürgers“ daherkommen, unabhängig davon, ob sie die Waagschale tatsächlich beeinflussen? Aber vielleicht ist das etwas für einen anderen Thread...
From: Wolfgang Tillmans
Date: 2017-10-04 7:44 GMT+02:00
Subject: Wahlplakate btw
To: Caroline Busta
Liebe Carly,
Lena Zimmermann hatte mich auf Deinen Post auf Facebook zu meinen Wahlplakaten aufmerksam gemacht.
Ich wollte mich darauf bei Dir melden, weil ich sagen wollte, dass die Beschränktheit auf die Kunstwelt, der allererste Punkt war, den ich vermeiden wollte.
Die begrenzte Reichweite der Kunstwelt war nicht mein Publikum, aber mir war klar, dass ich das Interesse der Kunstwelt auch nicht vermeiden konnte oder wollte.
Die ganze Kampagne hatte von Beginn an den Ansatz: Das einzige was zählt ist, potentielle Nicht-Wähler zu erreichen, Stimmen für andere Parteien als die AfD zu mobilisieren. Es ging explizit nicht darum, AfD Wähler umzustimmen, sie waren schlichtweg nicht Adressaten der Kampagne. Ich habe viel Zeit damit verbracht zu überlegen, wie ich Leute erreichen kann, die nicht-AfD-freundlich sind, ohne als Kollateralschaden AfD-Freunde zu „wecken“.
In der Bundestagswahlkampagne [1] versuchte ich meine Erfahrung aus der anti-Brexit Arbeit umzusetzen, [2] und mein Team aus Assistenten und freiwilligen Helfern hat das auf vier Ebenen umgesetzt:
Anzeigen, die detailliert die Optionen des Wählens erklären, wurden im August/September in 58 Zeitschriften geschaltet. Hier haben wir Zeitschriften gewählt, in denen wir 95% AfD-fernes Publikum erwartet haben. Musik, Hanf, Skater, Jazz, Vegan u.a. Spezialmagazine und eine Vielzahl von Stadtzeitschriften. Die Anzeigen habe ich gekauft, oft zu reduzierten Tarifen, beim Springer Verlag und einigen wenigen anderen waren sie auch kostenlos.
Außerdem wurden Edgar Postkarten gedruckt. Das sind in hunderten von Kneipen ausliegende kostenlose Karten. 750.000 davon wurden gedruckt und mir wurden nur die Druckkosten von zwanzigtausend Euro in Rechnung gestellt, während Edgar die Verteilung übernommen hat.
Im Brexit Wahlkampf hatte es sich als Riesenproblem herausgestellt, die für die Aktion gedruckten A2 Plakate wirklich landesweit zu verteilen. Darauf legten wir den anderen Hauptfokus der Bundestags-Kampagne. Unsere Kreuzberger Druckerei, Bloch & Co, haben uns einen Verpack- und Mailservice angeboten, sodass wir 9000 Posterrollen mit je 6 Postern an individuelle Adressen verschicken konnten. Hier war wiederum das Gebot „Nicht-Wähler erreichen, AfD Wähler wecken vermeiden“. Die Adressenlisten haben wir zum Teil gekauft und zum Teil selbst erstellt, darauf waren Yoga Schulen, Jazz Bars, türkische Kulturvereine, Outdoor Shops, Plattenläden, Clubs etc. Das war der kosten-aufwendigste Punkt, jede Rolle hat 6 Euro gekostet. Die Anzeigen haben ähnlich viel gekostet.
Als die Poster postalisch bei den verschiedenen Leuten ankamen, haben wir zusätzlich die Online Kampagne zum Selberdrucken gestartet. Das habe ich über meinen Medienverteiler gemacht und über die 5000 Adressen auf den Between Bridges-Verteiler. Das hatte eine überraschend weite Verbreitung erreicht. Vier Tage vor der Wahl war jeder zehnte Post zur Wahl auf Instagram eines unserer Poster, was zeigt, dass wir weit mehr als die Kunstwelt erreicht haben. Fotos von Plakaten in situ haben auch bestätigt, dass die Kampagne weit über die Kunstwelt hinaus aktiv war.
In einem Kommentar zu Deinem Post wurde der Begriff „Virtue Signaling“ aufgeworfen. Mir war egal, ob einige in der Kunstwelt, die die Kampagne nur dort sahen, das als Virtue Signaling, als „Tugend zeigen“ sehen wollten. Mir ging es um jede einzelne Stimme, egal ob Kunstwelt oder nicht. Und ich habe alles mir mögliche getan, um die Kampagne aus der kleinen Kunstwelt zu einem größeren Publikum zu überführen, ohne dabei AfD Schläfer zu provozieren. Dass das sicher doch in manchen Fall passiert sein mag, liegt in der Natur von öffentlich arbeiten.
Ich hatte die Kampagne Ende Juni einem Kreis von Aktivist/innen und Interessierten bei Between Bridges zur Diskussion in Berlin vorgestellt, dann Mitte Juli kalte Füße bekommen, und mich gefragt „Lehnst du dich nicht zu weit aus dem Fenster, mit einem Problem was keines ist?“, und erstmal die Arbeit eingestellt. Aber dann bin ich Anfang August meinem Instinkt gefolgt, dass dem deutschen Sommerschlaf nicht zu trauen ist, und habe die Anzeigenkampagne hochgefahren. Danach kamen die Offset-Druckposter und dann Social Media.
Anbei das Anzeigenmotiv was wir im August/September bundesweit und bewusst in 58 Zeitschriften außerhalb der Kunstwelt geschaltet haben (mit Ausnahme von Monopol, die uns Sonderkonditionen anboten).
Beste Grüße
Wolfgang
Von: Caroline Busta
Datum: 2017-10-04 15:50 GMT+02:00
Betreff: Re: Wahlplakate btw
An: Wolfgang Tillmans
Dear Wolfgang,
Ich entschuldige mich, dass ich auf Englisch schreibe, aber mein Deutsch ist immer noch sehr schlecht...
Ich will Dir aber sagen, dass ich Deine Antwort wirklich zu schätzen weiß. Es ist sehr interessant, von Deinen Intentionen bezüglich Deiner Medienstrategie für diese Kampagne zu erfahren, sowie von Deinen Beweggründen für die spezifische Form, die sie letztlich annahm – Materialformat, Zirkulation, Vertriebspunkte, Zielpublikum (Yoga Studios, Hanf- und Skater-Magazine, etc.). Angesichts dessen habe ich nun sowohl ein anderes Verständnis von dem, was Du mit dieser Initiative erreichen wolltest, als auch einen anderen Maßstab für ihren Erfolg.
Diese Fragen des Kontexts und des Vertriebs scheinen mir auch auf eine Dynamik hinweisen, die wohl immer zentral für Deine Arbeit war – z.B. die alte Debatte der 90er über den ‚künstlerischen’ Status Deiner Bilder angesichts ihres zeitgleichen Erscheinens in Magazinen wie i-D, Spex, Purple und an den Wänden von Galerien und Museen.
Ich bin dankbar, dass Du die Frage nach dem „Virtue Signaling" aufgegriffen hast. Während ich Deine Motive nicht in Frage stelle – wenn überhaupt bin ich unglaublich beeindruckt von dem enormen Aufwand Deinerseits, unsere Gemeinschaft politisch aktiver zu machen – würde ich daran festhalten wollen, dass Deine politischen Poster doch eine wichtige kunstkritische Frage stellen: Was geschieht, wenn ein scheinbar nicht- oder apolitischer Teil Deiner Produktion im Dienste einer politischen Initiative wie „Anti-Brexit“, „Anti-AfD“ oder „Pro-Wählen-Gehen“ neu gefasst wird? Kommt diesen Bildern nicht eine Art zusätzlicher, irreversibler, sozialer (wenn nicht sogar Markt-) Wert zugute? Aber damit komme ich vom ursprünglichen Punkt ab...
Um zum Hauptanliegen zurück zu kommen: Ich frage mich, ob Du bereit wärest, Deine Antwort zu veröffentlichen – vielleicht gemeinsam mit meinem ursprünglichen Facebook-Post, als Online-Beitrag für Texte zur Kunst ?
Ich hänge Dir hier noch ein Poster an, das ich kurz vor der Wahl in freier Wildbahn (im Wedding) entdeckt habe.
Kind regards,
Carly
From: Wolfgang Tillmans
Date: 2017-10-05 2:38 GMT+02:00
Subject: Re: Wahlplakate btw
To: Caroline Busta
Liebe Carly,
Ich hatte Interviewanfragen spezifisch zur Kampagne abgelehnt während sie lief, weil auch da nicht klar gewesen wäre, ob nicht potentielle AfD Wähler geweckt würden. Die Leipziger Volkszeitung war die eine Ausnahme, da ich diese Anfrage von einer sächsischen Lokalzeitung interessant fand.
Bei Brexit war meine persönliche Stimme als deutscher Londoner EU-Bürger relevant, weil auch sonst ganz wenige dort bereit waren sich öffentlich positiv zur EU zu bekennen. Bei der Bundestagswahl war das anders, da wollte ich nicht als der aktivistische Künstler erscheinen, sondern wollte nur Bild/Textbotschaften produzieren, die zwar nicht anonym, aber auf sich gestellt funktionieren sollten. Alles was ich zur Sache sagen wollte, stand, bewusst mit viel Text, in der Anzeige und mit weniger Text auf den Postern. Ich wollte nicht öffentlich gegen die AfD sprechen, sondern nur auf die Korrelation von Wahlbeteiligung und Prozentanteil der AfD hinweisen (immer im Kleingedruckten auf den Plakaten, und prominent in der Anzeige). Es gab jetzt 5% mehr Wahlbeteiligung als 2013, und für mich waren die drei Landtagswahlen die gleichzeitig im März 2016 stattfanden bei denen die AfD durchschnittlich 15% bekamen die Messlatte. Seitdem wusste ich, was da auf uns zukommen würde. Warum bei 12,5% im Bund jetzt alle so überrascht sind, wundert mich.
Zur Frage was mit einem Werk passiert, wenn es in einen politisch-aktivistischen Kontext eingebracht wird, habe ich mir natürlich auch Gedanken gemacht. Ich hatte erst Sorge darum, bei Brexit, die Bilder von Himmeln und Horizonten, die ich im letzten Winter im Serralves Museum in Porto ausgestellt hatte, mit diesem Gewicht zu belasten, da es ihre vielschichtigen Lesemöglichkeiten hätte einschränken können. Weil es mir aber bei dieser Bildergruppe gerade um Fragen von Grenzen ging, dachte ich: Es ist nicht nur ok dieses Risiko einzugehen, es ist wert dieses Risiko einzugehen. Im Rückblick glaube ich sagen zu können, dass es die Bilder weder belastet hat, noch wertvoller gemacht hat. Das Foto des vielleicht eingängigsten Posters „No Man is an Island...“ habe ich nicht als Arbeit in den Markt gegeben. Es ist mir als reines Foto zu „geographisch", erst durch den Text und die Typografie ist es so stark geworden.
Die Bundestagswahlmotive sind Arbeiten, die als Kunst ausgestellt wurden und werden. Aber in ihrer bewusst gewählten Unterschiedlichkeit funktioniert keines als Logo der Kampagne. Daher glaube ich, ist keines der sieben Motive spezifisch politisch aufgeladen. Jedenfalls nicht über das Maß hinaus, was mein Werk sowieso darstellt. Umgekehrt muss man sich auch Fragen, warum ich nicht meine Sprache, die ich in Bild und Wort gefunden habe, benutzen sollte, um auch außerhalb des Galerieraums zu kommunizieren. Ich verstehe ja meine journalistische Arbeit seit 25 Jahren immer als Verstärker, um Inhalten und Personen größere Aufmerksamkeit zu geben. Bei beiden Kampagnen ist allerdings auch etwas Neues hinzugekommen.
Für mich ist hier das Wort das entscheidende Element. Die Bilder sind Hintergrund und Träger der Sätze. Ich habe in den letzten zehn Jahren immer wieder mal über anti-Rechts-Poster nachgedacht, aber nie die Worte gefunden. Im Frühjahr letzten Jahres war die Dringlichkeit plötzlich durch den Brexit da und ich habe Peinlichkeitsangst und Hemmungen überwunden und direkt getextet, Sprache gefunden. Paul Hutchinson, Künstler und Assistent in meinem Studio, hat übrigens ein Drittel der Texte beigesteuert.
Ich habe lang gezögert, mich direkt persönlich einzusetzen. Durch das Überwältigende was da gerade passiert, habe ich diese Scheu letztlich verloren. Und ich denke heute auch, dass es mir egal sein kann, wenn da ein paar Leute das Totschlagargument „Virtue Signaling / Tugend zeigen“ anbringen. Ich bin der Bürger, der ich bin, und kann und will das jetzt nicht ändern, um neutraler zu erscheinen.
Beste Grüße
Wolfgang
Übersetzung (Busta, Tangen): Hannah Magauer
Anmerkungen
[1] | Über Tillmans Poster zur Bundestagswahl 2017: http://tillmans.co.uk/zur-bundestagswahl-2017 |
[2] | Über Tillmans Poster zur pro-EU/anti-Brexit 2016: http://tillmans.co.uk/campaign-eu |