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AUFGELADENE FRACHT Nadja Abt über Ulrike Müller im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

Die Erfindung einer genormten, stapelbaren Stahlbox revolutionierte 1956 den Welthandel und ist heutzutage Sinnbild der Globalisierung. Anfang Januar verlor die „MSC Zoe“ ca. 300 dieser Container während eines Sturms in der Nordsee. Seitdem werden Flachbildschirme und alle möglichen Waren an die verschiedensten Küsten gespült. Die Treibgutansammlungen im Meer werden auch als inaccurate drifters [1] bezeichnet, was sich poetisch mit gegenkultureller Strömung übersetzen und mit Uneindeutigkeit bzw. einem Umherdriften assoziieren ließe.

Dieser Gegensatz aus genormtem Maß und inaccurate drifting findet sich auch in Ulrike Müllers Ausstellung „Container“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen wieder. Beim Eintreten in den großen Raum des Kunstvereins fällt zunächst die exakte, strenge Hängung der einzelnen Arbeiten in verschiedenen Werkgruppen auf – jede mit einer bestimmten, immer gleichen Maßeinheit (Monotypien, Collagen, Teppiche, Emaille-Bilder). Aufgrund von in den Raum halb hineinragenden Wänden und der zwei bestechenden, die Werkgruppen separierenden Wandfarben (Almost Black) und (Classic Grey) wird die Besucher*in sofort in die Ausstellung hineingezogen und zum Umherschweifen (Driften) animiert. In der dunkler gestrichenen Raumhälfte hängen verschiedene Gruppen von Müllers Monotypien. Bis auf eine einzige wurden alle präsentierten Arbeiten 2018 produziert. Das aus dem 17. Jahrhundert stammende Druckverfahren wird in dieser Werkgruppe kombiniert mit zwei weiteren Drucktechniken: dem Pochoir (wofür Schablonen benutzt werden) und dem Chine-collé (für die exakte Kolorierung bestimmter Bildbereiche). Die Kombination der drei Techniken bewirkt eine Vielzahl an Schichten, Farben, Figuren und damit eine bildnerische Tiefe, die bei Drucken eher weniger vermutet wird: Man erkennt Pinselstriche; mit Kreide gezogene Rasterlinien; Schablonen, die mal Blumen, mal Kannen, Malerpaletten oder Katzenfüße im Bild auftauchen lassen; Schachbrettmuster und viele weitere abstrakte Formen. Die ästhetische Nähe von Müllers Arbeiten zu Klassikern der Moderne zieht sich durch ihr Schaffen, und so ist es auch in Düsseldorf ein glücklicher Zufall, dass eine Paul-Klee-Ausstellung gegenüber dem Kunstverein in der Kunstsammlung NRW einen Dialog über den Grabbeplatz eröffnet. Farben und Formen wie etwa in Klees Malerei „Landschaft bei Pilamb“ von 1934 werden bei Müller aufgegriffen und in neue Kontexte verwoben. Jedoch wirken ihre Formen weniger zufällig, sondern sind vielmehr Resultat von Schablonen und Vorzeichnungen, basierend auf Details aus Archivrecherchen und Alltagsmotiven wie bereits Manuela Ammer in ihrem Text „Go, Figure.“ im Katalog „Always, Always, Others“ (2017) zu Müllers mumok-Ausstellung (2015/16) beschreibt.

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

Durch diese gestische Sichtbarmachung des Schaffensprozesses eröffnen Müllers Arbeiten zudem einen Dialog zu Werken zeitgenössischer Künstler*innen wie beispielsweise Amy Sillman oder R. H. Quaytman. Ähnlich wie bei Sillmans Arbeiten, die zuvor im Camden Arts Centre in London zu sehen waren, werden hier Druckverfahren zwar als reproduzierbare Technik, aber auch als Offenlegung malerischer Mittel wie Pinsel- oder Kreidestriche verwendet. Durch das Prozesshafte implizieren Müllers Drucke immer auch einen Blick in das Atelier: Gedanklich entstehen Bilder davon, wie die verschiedenen Farbschichten aufgetragen, Layer ausprobiert und Schablonen ausgeschnitten werden. Kurzum: Müllers Arbeiten – und dies gilt natürlich auch für die Collagen, Teppiche und Emaille-Bilder – machen Freude an einem künstlerischen Handwerk, das in der aktuellen Fülle an Videoinstallationen oder an industriell, unter fraglichen Bedingungen produzierten Skulpturen mitunter zu vermissen ist. Jedoch sorgen die scharf gesetzten Titel, die Müllers weiteres künstlerisches, kuratorisches sowie publizistisches Schaffen im queer-feministischen Kontext offenlegen, dafür, dass es sich hier nicht um einen herbeigerufenen Atelierromantizismus handelt. Plötzlich wird die eben noch vermeintlich im Bild erkannte Maler­palette zum „Kinderwunsch“ (2018) – und die verschoben-ovale Form mit Loch verwandelt sich zur Eizelle. Sprachspiele wie „Flatterby“ (2018) oder auch Titel wie „Nett“ (2018) verweisen nicht nur auf einen erweiterten Malereibegriff, sondern beweisen auch Humor.

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 2018/2019, Ausstellungsansicht

Ein Aspekt, der ebenfalls ins Auge sticht, ist Müllers Verwendung von Farben. Alle Werke durchzieht ein Wechselspiel aus warmen Erd- und Violetttönen mit tiefen Blautönen. In der Monotypie „Diavolaki“ (2018) wirkt die Palette aus Magentatönen über Cadmium-Orangegelb bis hin zu einem Ceruleanblauton fast fluoreszierend intensiv. Die derart bunten Drucke lassen an tropische Farbpaletten eines Hélio Oiticica denken und an jüngere abstrakte Arbeiten und Teppiche des brasilianischen Kollektivs AVAF. Sie alle verbindet ein queer-politischer Diskurs um Farbe im Sinne von „Buntheit“, also Vielfalt als vereinendes optimistisches Moment in Zeiten politischer Repression – sei es die brasilianische Diktatur von damals, heute, oder, im Falle der in New York lebenden Ulrike Müller, ein amerikanischer Präsident. Dazu passend erinnern auch die vertikal gehängten Collagenreihen „Cut and Paste“ (2018) an die Poesiebewegungen Ende der 1960er Jahre in Brasilien, wie etwa an den Poema/Processo-Künstler Falves Silva, der den farbigen Punkt als wesentliches Element der Semiotik ansah. Der farbige Punkt zieht sich auch durch Müllers Arbeiten – ihre Collagen bestehen zum Großteil aus ausgeschnittenen, sozusagen recycelten „Resten“ nicht gezeigter Monotypiepapiere, die zu minimalen Ensembles aufgeklebt werden. „Cut and Paste“ ist also durchaus konkret analog als auch poetologisch gemeint. Anders als bei den präzise benannten Drucken überlässt Müller hier der Betrachter*in eine freiere Interpretation jener „Visuellen Poesie“ (außer der vertikalen Aus- und Leserichtung). Die Künstlerin entwickelt so ihre eigene Semiotik aus immer wiederkehrenden Farben und Formen, die jeweils in Ausschnitten von einer Arbeit zur nächsten übernommen werden – was wiederum den prozesshaften Charakter der Arbeiten aufgreift und eine Art Gesamtleserichtung der Ausstellung vorschlägt. Am deutlichsten wird dies am Emaille-Bild „Step by Step“, das das Referenzmotiv liefert für die zwei großen, in Oaxaca hergestellten Wandteppiche „Rug (con tacónes)“ (2018) und die einzig ältere Arbeit von 2010 darstellt. In der Raumachse hängt das Bild mittig, fast ein wenig versteckt an einer Querwand zwischen den zwei Teppichen. Die drei Werke zeigen jeweils ein Paar Absatzschuhe eine Stufe hinaufsteigend. Als Vorlage diente hierfür das Werbeschild eines Schuhmachers, das die Künstlerin entdeckt hatte. Was hier noch relativ konkret in der Umsetzung bleibt, zeigt Müllers einzigartige Weise, Recherchen zu Kunsthandwerk- und Alltagsobjekten oder auch zu queer-lesbischer Geschichte in vergrößerten abstrahierten Details wiederzugeben, um so neue Verbindungen, Zwischenräume und Lesarten zuzulassen.

Im helleren „klassisch-grauen“ Raum hängt in weitem Abstand zueinander die neun Werke umfassende Emaille-Serie „Container“ (2018). Müllers Farb- und Formensprache wird hier auf jeweils 39,5 x 30,5 cm kleinen Stahlplatten in äußerster Präzision und Farbintensität durch­exerziert. Durch eine vertikale mittlere Achse entstehen jeweils zwei Bildhälften, in denen ihr „Alphabet“ aus Punkten, Rundungen und Linien gerade so Platz findet. Hier ließen sich weiblich oder männlich konnotierte Formstereotypen – ähnlich etwa zu Sadie Bennings Arbeiten aus Modulierharz – in die Bilder hineinlesen, werden aber durch die Abstraktion jäh gebrochen und lassen so den Raum für ein Dazwischen. So hebt beispielsweise ein tiefes Schwarz ein stechendes Orange hervor, ein gedecktes Graublau den primärgelben Halbkreis. Neben dem Verlangen, die dreidimensional glänzend geschmolzene Glaspulverschicht anfassen zu wollen, entsteht der Wunsch, dass Müllers Variationen niemals ein Ende finden werden. Diese „Container“ enthalten sowohl sensorische als auch assoziativ diskursive Informationen, die sicher im Hafen am Rhein entladen wurden.

„Ulrike Müller: Container“, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 15. November 2018 bis 17. Februar 2019.

Anmerkungen

[1]Vgl. Alexander Klose, Das Containerprinzip, Hamburg 2009.