Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

217

Vojin Saša Vukadinović

SARAH SCHUMANN (1933−2019)

Sarah Schumann vor der Seepyramide von Pückler-Muskau, 1992

Sarah Schumann vor der Seepyramide von Pückler-Muskau, 1992

Vojin Saša Vukadinović

Als die Berlinische Galerie 2007 die große ­Hannah-­­Höch-Retrospektive zeigte, würdigte Sarah Schumann in einem EMMA-Beitrag das Lebenswerk der Dadaistin, mit der sie zeitbedingt weder durch eine gemeinsame Schule oder gar dasselbe Milieu, dafür aber über das Genre der Collage verbunden gewesen war. [1] „Gerade dadurch, dass sie eben nicht eine im strengen Sinne akademische künstlerische Ausbildung erhalten hatte, wurde Höch zwanglos Teil einer Bewegung, die vornehmlich gegen die akademische Verspießerung rebellierte“, urteilte die jüngere Malerin über die ältere: „Sie musste sich nicht befreien, sie war frei von Anfang an.“ [2]

Das Manko als Chance – die Partizipation an einer Bewegung, ohne mit dieser identisch zu werden. Ungebundenheit als biografische Konstante: Was Schumann hier an Höchs Leben hervorhob, umschrieb auch ihr eigenes. An dieses zu erinnern, heißt deshalb zunächst, sich ein außerordentliches, konsequent „frei“ gebliebenes Werk zu vergegenwärtigen, das eine beachtliche Spannbreite aufweist, was Genres, Raum und Politik anbelangt. Dass die Künstlerin keine institutionellen Karrierepfade eingeschlagen hatte und zudem Zeit ihres Lebens Distanz zu Betrieb wie Betriebsamkeit wahrte, mag erklären, weshalb eine umfänglichere Wertschätzung bis heute aussteht. Ungerechtfertigt ist dieser Umstand allemal. Sarah Schumann war – man kann es nicht anders sagen – eine singuläre Erscheinung.

1933 unter anderem Namen als Tochter eines Berliner Künstlerpaars geboren, früh von zu Hause fortgegangen und verheiratet, hatte sie in den 1950er Jahren ohne formale Ausbildung zu malen begonnen und bereits als 20-Jährige ausgestellt – ein Umstand, der nicht nur für die frühe Bundesrepublik ungewöhnlich war. Schon zu Beginn ihrer Karriere zeichnete sich entschiedene Eigenständigkeit ab, die werkprägend wirkte, ohne die Mythen des Kunstmarkts zu bedienen, und die zugleich, wenn auch ex negativo, Auskunft über die westdeutsche Gesellschaft gab. Während der Nationalsozialismus in der Adenauer-Ära aktiv aus dem Bewusstsein verdrängt wurde, fertigte die junge Künstlerin Collagen an, die dem Heile-Welt-Imaginären des Nachkriegskonservatismus gründlich zuwiderliefen. In einer Zeit, in der niemand an die jüngste Vergangenheit erinnert werden wollte, gemahnten diese Arbeiten auf gänzlich undidaktische Weise daran, dass unter dem hauchdünnen Fundament des Zivilisatorischen das Unfassliche liegt. Später folgten farbige Collagen. Der Schrecken, der die frühesten Arbeiten bestimmt hatte, wich zunehmend dem Fantastischen. Blüten, Blätter und Haare, Chiffon, Samt und Brokat wurden in Kompositionen integriert, die wie ein Dämmerzustand des Realen wirkten: Sinnestäuschungen oder einsetzenden Träumen nicht unähnlich, legten sie die Emphase auf eine bisweilen morbid-entrückt anmutende Weiblichkeit, die hier im Wortsinn ungreifbar blieb, was fast schon deren Wirkmächtigkeit im Unbewussten eruierte. Klaus Reichert hatte den „Freiheitsgrad dieser Bilder“ bereits 1963 darin bestimmt, dass sie „unter dem Blick ihr Gesicht verändern wie Vexierbilder beim Hin- und Herdrehen“ [3] – wer sie hingegen heute betrachtet, wird erkennen, was sie an Neuerungen aufboten und inwiefern die späteren und bekannteren Arbeiten der Künstlerin in ihnen angelegt waren.

1968 war Schumann nach Westberlin gezogen. Als sich bald darauf die Neue Frauenbewegung formierte, beteiligte sie sich schon in deren Frühphase an dieser. Sie war Gründungsmitglied von Brot und Rosen, einem der ersten der hiesigen feministischen Zusammenschlüsse, unter dessen Protagonistinnen sich bemerkenswerterweise vor allem künstlerisch Tätige fanden – so etwa die Malerinnen Evelyn Kuwertz und Antonia Wernery, die spätere Schriftstellerin Verena Stefan oder die Filmemacherin Helke Sander. Mit Letzterer arbeitete Schumann auch in anderen Konstellationen und Formaten zusammen: In Sanders Spielfilm Eine Prämie für Irene von 1971 spielte sie eine Fabrikarbeiterin, anschließend entstanden die Dokumentarfilme Macht die Pille frei? und Männerbünde, bei denen beide gemeinsam für Drehbücher und Regie verantwortlich waren.

Mitte der 1970er Jahre traf Sarah Schumann auf Silvia Bovenschen (1946−2017). Aus der Begegnung wurde eine Lebensgemeinschaft. „Ich habe es zu tun mit einer anarchistischen Preußin oder einer preußischen Anarchistin“, hatte die angehende Frankfurter Literaturwissenschaftlerin ­anfänglich gemutmaßt. [4] Sie, die aus dem Bürgertum kam, war zunächst irritiert davon gewesen, dass die Ma­lerin zu „Sauberkeit und Ordnungsliebe“ neig­te, dies jedoch stets durch „etwas Explosives, Wildes, ja Elementares“ in ihrem Verhalten durchbro­chen worden war, spürbar in „dieser Äußerung, in jener Reaktion – und in nahezu allen ihrer Bilder. [5] “Festgehalten findet sich diese Impression in Sarahs Gesetz, Bovenschens 2015 erschienener Würdigung der mehr als 40 Jahre währenden Paar­beziehung. Obschon die frühe Einschätzung von der Urheberin rückblickend als „ganz falsch“ [6] abgetan worden ist, ist diese Umschreibung doch hervorzuheben. Sie hatte eine Spannkraft zwischen Disziplin und Auflehnung begreifbar zu machen versucht, die sich durch das Gesamtwerk der Künstlerin zieht und durchaus als dessen Konstante zu bewerten ist.

Besagte Ungebundenheit blieb auch dann gewahrt, als sich Kunst und Politik in den 1970er Jahren aufeinander zubewegt hatten. Schumann war, wie Bovenschen einmal an anderer Stelle bemerkt hatte, „den Gefahren entgangen, die mit der ersten feministischen Emphase verbunden waren: Etikettierungen, thematische Verengung, Reduktion auf Programmerfüllung, programmierte Larmoyanz …“ [7] . Das resultierte mitunter aus der Tätigkeit selbst – dem Umstand nämlich, dass die Malerin bereits zwei volle Jahrzehnte künstlerisch tätig gewesen war, als die Neue Frauenbewegung Gestalt angenommen hatte –, vor allem aber aus ihrem Anspruch auf Schönheit. Während Illustrationen der Bewegungsliteratur oftmals die Sinnproduktion verengten, weil sie ohnehin schon bedrückende Vorstellungen von Weiblichkeit noch weiter typisierten, rückten Schumanns Collagen aus den 1970er Jahren Frauen in den Bildmittelpunkt, um ebenjenen Sinn zu weiten. In den zunehmend großformatigen Arbeiten – dank Harun Farocki ist die Entstehung einer solchen dokumentiert [8] – stellten Fotoporträts das Zentrum, um das herum sich ein turbulenter Strom entfaltete. Das Unruhige bis Unkontrollierbare wurde hier buchstäblich als auswärtige Kraft gezeichnet, was wegen der zumeist ruhenden Posen der Abgebildeten einen erheblichen Kontrast generierte, eine Umkehrung, die Frauen das Chaos meistern und elegant aus ihrem vermeintlichen Naturzustand treten ließ.

Neben der Malerei widmete sich Schumann auch dem geschriebenen Wort und verfasste Essays, so etwa für das anspruchsvollste Periodikum der bundesdeutschen Frauenbewegung, die Schwarze Botin. Zudem betätigte sie sich kuratorisch. Ihre diesbezügliche Lebensleistung – angesichts des Aufwands wie Innovationscharakters gibt es keinen Grund, es bescheidener auszudrücken – war die Ausstellung „Künstlerinnen international 1877−1977“, die 1977 in Westberlin gezeigt wurde und auch in Frankfurt/M. Station machte. Zu den dort versammelten 182 Künstlerinnen zählten nicht wenige, die später Weltruhm ereilen würde, beispielsweise Louise Bourgeois, Frida Kahlo, Eva Hesse, Georgia O’Keeffe oder Meret Oppenheim. Wer den Katalog durchblättert, stößt gleichwohl auch auf die Namen jener, die wie Elfriede Lohse-Wächtler oder Otti Berger den nationalsozialistischen Terror nicht überlebt hatten, die wie Alice Lex-Nerlinger im Zuge dessen verhaftet worden waren oder die wie Alexandra Povòrina öffentliche Demütigungen ob „entarteter Kunst“ hatten über sich ergehen lassen müssen. Die weitsichtige Ausstellung war somit in vielerlei Hinsicht ein historischer Meilenstein, der bis heute zu Recht mit Sarah Schumanns Namen in Verbindung gebracht wird.

Die thematische Setzung blieb auch nach Ende des feministischen Aufbruchs gewahrt. „Frauen, in mehr oder weniger abstrakten Landschaften, sind das Thema vieler Arbeiten von mir“, hatte die Malerin 1975 festgehalten: „Das hat biographische Gründe – allerdings bin ich darüber hinaus auch der Meinung, daß sich keine Künstlerin unter heutigen Produktionsbedingungen die Auseinandersetzung über das Verhältnis von ihrer Kunst und ihrer Geschlechtszugehörigkeit ersparen kann, sie geht notwendig in die Arbeit mit ein.“ [9] Aus der Einsicht wurde allerdings keine Agenda gezimmert. Sollte sich diese Vita je über eine definiert haben, war es ebenjene Ungebundenheit. Diese „Bilder werden auch in Zukunft den Versuch, sie zu vereinnahmen, unbeschadet überstehen“ [10] , hatte Bovenschen prognostiziert – und recht behalten.

Im Juli 2019 ist Sarah Schumann im Alter von 85 Jahren in Berlin verstorben. In ihrem letzten Interview, das Bettina Böttinger wenige Monate zuvor mit ihr geführt hatte, stellte sie nochmals das ihr eigene, durchaus preußisch-anarchistisch zu nennende Selbstbewusstsein unter Beweis: Auf Nachfrage erklärte sie, Zeit ihres Lebens „eine mutige, starke, kämpferische Künstlerin“ gewesen zu sein. [11] Diese Einschätzung, vorgetragen mit der ihr eigenen, unaufgeregten Treffsicherheit und warmherzigen Akzentuierung, war keine Übertreibung: Der subjektive Eindruck korrespondiert mit der zeithistorischen Bewertung dieser grundeigenständigen, bisweilen autark anmutenden Biografie.

Anmerkungen

[1]Peter Gorsen hat früh darauf hingewiesen, dass sich der Gebrauch der Collage bei den beiden Künstlerinnen erheblich unterschied, was an dieser Stelle nochmals betont sei. Höch flickte einzelne Komponenten, um „auf diese Weise Allegorien des in Teilreize und Fetischformen dissoziierten Frauenkörpers“ zu erhalten, während Schumann „synthetisch, nicht analytisch“ sowie „konstruktiv und idealisierend“ vorging. Peter Gorsen, „Das Prinzip Hoffnung ist weiblich. Versuch über Sarah Schumann“, in: Fröhlich & Kaufmann (Hg.), Sarah Schumann. Mit Beiträgen von Silvia ­Bovenschen, Peter Gorsen und Klaus Reichert, Berlin 1983, S. 161−174, hier: S. 171.
[2]Sarah Schumann, „Hannah Höch. Schrankenlose Freiheit“, in: EMMA, Mai/Juni 2007, S. 74−79, hier: S. 77.
[3]Klaus Reichert, „Sarah Schumanns Fotomontagen“, in: Fröhlich & Kaufmann (Hg.), Sarah Schumann, S. 49.
[4]Silvia Bovenschen, Sarahs Gesetz, Frankfurt/M. 2015, S. 31.
[5]Ebd., S. 30f.
[6]Ebd., S. 31.
[7]Silvia Bovenschen, „Vexierbilder des Schreckens“, in: Fröhlich & Kaufmann (Hg.), Sarah Schumann, S. 11−24, hier: S. 23.
[8]Ein Bild von Sarah Schumann, R: Harun Farocki, Bundesrepublik Deutschland 1978.
[9]Sarah Schumann, „Künstlerischer Lebenslauf“, in: Kunstverein in Hamburg (Hg.), Sarah Schumann. Bilder, Collagen, Druckgrafiken, Hamburg 1983, o. S.
[10]Silvia Bovenschen, „Vexierbilder des Schreckens“, S. 24.
[11]VAN HAM Art Estate, „Sarah Schumann im Gespräch mit Bettina Böttinger“, 2019.