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Negative Capability Kathrin Bentele über Ketty La Rocca bei Fri Art, Kunsthalle Fribourg

Ketty La Rocca, „Photo 13, riduzioni“, 1973

Ketty La Rocca, „Photo 13, riduzioni“, 1973

Während wir im letzten Heft die feministische Bewegung der 1970er Jahre vor allem aus der Sicht der französischen Schauspielerin und Filmemacherin Delphine Seyrig diskutierten, widmen wir uns nun ihrer italienischen Künstlerkollegin Ketty La Rocca. In ihren Performances, Collagen und Skulpturen beschäftigte sich La Rocca vor allem mit patriarchalen Strukturen des alltäglichen Sprachgebrauchs. Die Kritikerin ­Kathrin Bentele geht dem Vermächtnis von La Roccas künstlerischer Praxis nach, deren Verbindungen ­zwischen Feminismus und Linguistik die Arbeit zahlreicher Künstler*innen bis heute prägt.

Carla Lonzis TACI, ANZI PARLA („Schweig’ oder sag’s besser“), wie sie ihr Tagebuch einer Feministin von 1972 bis 1977 nannte, konfrontiert uns mit dem unbequemen Balanceakt einer Subjektivität, die gegen die Kompliz*innenschaft mit der existierenden Kultur arbeitet, in der Gehörtwerden zugleich Unverständnis bedeutet. Das kurze Werk der italienischen Künstlerin Ketty La Rocca (1938–1976) verkörpert eine solche ‚Kommunikationskrise‘ auf einer Linie mit feministischen Stimmen wie der Lonzis oder der Kunstkritikerin Annemarie Sauzeau-Boetti, die im dominanten linguistischen Code nach parallelen, unerwarteten Linien und einer Manipulation vorgefertigter Singularitäten suchten. Von La Rocca, die in der Peripherie von Florenz lebte und nie eine Kunstausbildung absolvierte, gibt es diese bitter-ironische Selbstdeklaration – „für den Betrieb ungeeignet“ („inadatto allo spazio operativo“) –, die sich in der Konfrontation mit ihrem produktiven Output von 1964 bis 1976 aber mehr wie strategischer Inoperationalismus anfühlt, wie Sabotage eines männlich dominierten Sprachcodes, dessen operativer Logik und ‚produktiven‘ Mythos. Es hat deshalb etwas Ironisches, wenn die Kunstkritikerin Lucy Lippard (mit der La ­Rocca Briefe austauschte) schreibt: „Ketty La ­Rocca, unable to break into the male art world with her art or her writing.“ [1]

In La Roccas Arbeit, die sich zwischen visueller Poesie, Konzeptkunst und Body Art bewegte, zeigt sich Sprache als befremdende, normierende Infrastruktur („metalinguaggio“ oder „Metapher“, wie sie es abwechselnd nannte), verankert in einem kulturellen System, das zwischen einem postfaschistischen Erbe und katholischer Moral pendelte: „In this action that I would call conjugation I am an example to myself and to others of a total enslavement to language, to its most enticing infrastructures“ [2] , schreibt sie 1975 im Magazin data. Nirgendwo sonst gibt sie der Metasprache oder den „lives clinging to syllogisms“ [3] ein plastischeres Gesicht als in Dal momento in cui (1971), der titelgebenden Arbeit für die Ausstellung bei Fri Art: Ein grammatikalisch perfekter, aber perfekt inhaltsleerer Text, in dem Tautologien, Syllogismen und Paralogien ein Argument vorbereiten, das sich nie realisiert, aber die ganze Zeit ungebrochene Hoheit einfordert. Ein Puzzle von Nonsens, das Leser*in und Schreiber*in ohne Position zurücklässt. Wie in anderen Arbeiten auch, hält La Rocca dem mit der Schreibmaschine getippten Text hier einen identischen zweiten, mit der Hand geschriebenen entgegen, als wollte sie das körperliche Zeichen als rohen, nicht dechiffrierbaren Störfaktor oder Enfant terrible im bestimmenden linguistischen Algorithmus vorschlagen.

Eine andere Arbeit, J (1970) (für „Je“/„Ich“), besteht aus einer tiefschwarzen Buchstabenfigur: ein Personalpronomen/eine erste Person, die sich von der Infrastruktur der Syntax emanzipiert hat und etwa so groß wie ein Kind im Raum steht. Auf einer Linie mit dem linguistischen shifter postuliert sie ein Selbst, das mit seinem Kontext mutiert; nicht stabile Subjektivität, sondern eine in Aushandlung mit dem Du/Uns, das ihm wechselnd gegenübersteht – eine kleinere Version dieser Arbeit war de facto zur gleichen Zeit auch in der Kunsthalle Basel in der Ausstellung von Nick Mauss zu sehen, von Weitem sichtbar und neben Rosemary Mayers Hypsipyle (1973) platziert, eine zeitgleich mit La Rocca in New York arbeitende Künstlerin und Mitbegründerin der A.I.R. Gallery.

Solche Wandelbarkeit verknüpft sich mit Annemarie Sauzeau-Boettis Negative Capability, einer 1976 viel debattierten Skizze einer feministischen Existenz innerhalb von Sprache: „a subject in the negative who wants to displace the horizon, not to alter it / BETRAYING the expressive ­mechanisms of culture in order to express herself through the break.“ [4] Der Begriff „Negative Capability“ geht zurück auf den englischen romantischen Dichter John Keats (1817) und beschreibt (auch) eine Methode des Schreibens und In-der-Sprache-Seins, bei der Ambivalenz, Unsicherheit und Widersprüchlichkeit vor intellektueller Klarsicht kommen, nicht um bei einer beruhigenden Synthese zu landen, sondern umgekehrt bei unaufgeräumter Ambiguität.

„Ketty La Rocca: Dal momento in cui…“, Fri Art, Fribourg, 2020, Ausstellungsansicht

„Ketty La Rocca: Dal momento in cui…“, Fri Art, Fribourg, 2020, Ausstellungsansicht

Etwas davon scheint präsent in den bei Fri Art am Boden platzierten Flyern, Veline (1966), die La Rocca bei einer Fluxus-inspirierten Aktion während ihrer kurzen Verbindung mit der Gruppo 70 verteilte, einer Florentiner Gruppierung der Poesia visiva. Verschiedene Readymade-Einzeiler und Aphorismen fügen sich hier zu einem Amalgam unterschiedlichster Stimmen, die Intimes im Öffentlichen situieren und vice versa manchmal ähnlich floskelhaft wie Jenny Holzers Truisms (1977–79) – „l’amore è di fate la guerra“ („Liebe ist, Krieg zu führen“), „la vita è un’altra cosa“ („Das Leben ist etwas anderes“) – wirken, manchmal als kontextabhängige, leere Füllwörter fungieren, die erst realisiert werden, wenn sie jemand in die Hand bekommt – „è giusto“ („es ist richtig“), „è indispensabile“ („es ist unverzichtbar“).

Was an Photo 13, riduzioni (der einzigen Arbeit in der Show aus ihrer riduzioni -Serie) und ihren frühen Collagen interessant ist, ist die untrennbare Verlinkung zwischen ‚Metasprache‘ und der Sphäre technischer Reproduktion: Zeitlich zwischen Pop Art und Pictures Generation angesiedelt, wird das Readymade(-Bild) hier zum Klischee oder ewig quälenden, befremdenden Déjà-vu, das La Rocca als Manipulationsmate­rial unterschiedlich korrumpiert: „I take images that are ready-made, already seen by so many people and for so long, rendered vacuous by consensual descriptions, and I relive them with all the knowledge stereotypes that have been thrust upon me.“ [5] Eine Collage von 1964/65 auf tiefschwarzem Grund zeigt eine Art Wandmöbel mit Spiegel, darüber die ausgeschnittene Zeile „INTELLETTUALI IN COLLEGIO“ („Intellektuelle im Internat“) neben einer frei schwebenden nackten Frau, die eine Headline hochhält: „SE VI ­SENTITE SOLI / MANGIATE UNA ­DONNA“ („Wenn Sie sich einsam fühlen/essen Sie eine Frau“). Ihre Montagen von gefundenem Text- und Bildmaterial sind Tableaus weiblicher und imperialistischer Klischees und verblödeter Konsumkultur, die das Déjà-vu in seiner Absurdität reproduzieren.

In Photo 13, riduzioni (1973) geht La Roccas Manipulation viel bedingungsloser über diesen Wiedererkennungseffekt hinaus: Hier lässt sie ein Fotomagazin-Cover durch mehrere Abstraktionsstufen/Reproduktionsloops laufen – zuerst ersetzt sie die Konturen des Bilds durch einen handgeschriebenen Text („Dal momento in cui“ und das Wort „you“), dann durch Linien, wie Andy Warhol im selben Jahr ein Foto von Mao Zedong (Mao, 1973) –, bis vom nackten Hintern einer jungen Frau nur noch grob simplifizierte Umrisse übrigbleiben oder ein asemischer Text, der aus der (sprachlichen) Signifikation herausfällt. „You“ verkörpert, wie La Rocca einmal an Lucy Lippard schreibt, ein „Minimalmaß“ von geschriebener Sprache. Dem Horror vacui massenmedialer Genderklischees hält sie eine Tabula rasa entgegen, was de facto nicht nur das Bild killt, sondern auch ihre eigene handgeschriebene Sprache: „Well then I mortified them with a machine that copies, less real, but more mine.“ [6]

Ihre Selbstaktualisierung ist hier nicht die gleiche wie in früheren Arbeiten, die in Körpersprache und Geste noch so etwas wie ungefilterte Authentizität suchen, zum Beispiel die Videoarbeit Appendice per una supplica, die sie in Gerry Schums Videosektion der Venedig Biennale 1972 zeigte und die hier in einer separaten Blackbox läuft. Was Photo 13 so interessant und immer noch relevant macht, ist der schwierige Doublebind zwischen dem Drinnen und Draußen von geschriebener (‚technischer‘) Sprache – hier scheint hingegen so etwas wie ein ‚präsprachlicher‘ Exit durch, der viel kürzer greift: Zwei paar Hände performen vor schwarzem Hintergrund einen asemantischen Text von Intimität, Kontrolle und Macht. Das sind nicht die Hände einer industriellen Arbeiterin, einer Stenografin/Sekretärin, jener „0“thers (zeroes), die à la Sadie Plant die Infrastruktur der Reproduktionsmaschinerie sind und den technischen Code weiterspinnen. Es sind performative Hände, die ein neues, authentisches und direktes Alphabet suggerieren – auf einer Linie vielleicht mit der „Materializzazione del linguaggio“-Ausstellung bei der Venedig Biennale 1978, die eine weiblich-körperliche (mater) Rückforderung von Kommunikationstools skizzierte. Im bekannten radikal-feministischen Manifesto Rivolta Femminile, geschrieben 1970 von Carla Lonzi, Carla Accardi und Elvira Banotti, gibt es eine ähnliche Zeile, die nach der Rettung von echter (Selbst-)Erfahrung vor dem Alice’schen Looking-Glass ruft: „From now on, we do not wish to have any screen between ourselves and the world.“ [7]

La Roccas riduzioni, wie hier in Photo 13, schreiben dagegen eine Selbstaktualisierung ohne ‚Original‘, durch den Screen, immer schon mediatisiert, entfernt und entfremdet, wodurch sie sich selbst als Manipulatorin in das technische Reproduktionssystem einschleust; nicht (nur), um weiter zu multiplizieren, sondern um den technischen Code zu verzerren, vulgär zu machen und mit fremdem, undechiffrierbarem Begehren zu infiltrieren: „making the asymptote of alienation immediately clear / ‚you‘ also means i, i have no alternatives, i am saved in my own hysteria.“ [8]

„Ketty La Rocca: Dal momento in cui…“, Fri Art, Fribourg, 1. Februar bis 5. Juli 2020.

Anmerkungen

[1]Lucy Lippard, „The Pains and Pleasures of Rebirth: Women’s Body Art“, in: Art in America, May – June 1977, S. 74–82.
[2]Ketty La Rocca, in: data, V, 16/17 Juni/August 1975, S. 68f., übersetzt von Angelika Stepken (Hg.): Ketty La Rocca, Works and Writings 1964–1976, S. 94.
[3]Ketty La Rocca, in: Giornale di Brescia, 14. Februar 1976, übersetzt von Stepken (Hg.): Ketty La Rocca. S. 79.
[4]Annemarie Sauzeau-Boetti, „Negative Capability as Practice in Women’s Art“, in: Studio International, 1976, Vol. 191, No. 979, S. 24f.
[5]Publiziert anlässlich einer Einzelausstellung von Ketty La Rocca in der Galleria Documenta, Turin, Februar 1975, übersetzt von Stepken (Hg.): Ketty La Rocca, S. 95.
[6]Unpublizierter Text von Ketty La Rocca aus dem Cavellini- Archiv, geschrieben anlässlich der Performance Le mie parole, e tu? bei der Galleria Nuovi Strumenti, Brescia, im März 1975, übersetzt von Stepken (Hg.): Ketty La Rocca, S. 98.
[7]Carla Accardi, Elvira Banotti, Carla Lonzi, Manifesto Rivolta Femminile, 1970.
[8]Ketty La Rocca, „You You“, in: Lea Vergine, The Body as a Language (Body Art and Performance), Prearo Editore, Milano 1974.