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COUNTRY CLUB OF MANNERS Katharina Hausladen über Amelie von Wulffen in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin

„Amelie von Wulffen“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2020, Ausstellungsansicht

„Amelie von Wulffen“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2020, Ausstellungsansicht

Während die frühen Arbeiten Amelie von Wulffens noch stärker vom Leben und Arbeiten in Kollektiven geprägt waren und häufig auch kollaborativ entstanden sind, ist seit einiger Zeit ein deutlicher Rückbezug der Künstlerin auf das ‚Eigene‘ festzustellen – und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Bildmotive als auch mit Blick auf ihr Produktionsmodell als Künstlerin. So ist mit der Zeit ein vergleichsweise introspektiver Begriff von Kollektivität – die Familie, die Malerei, die Nation – an die Stelle einer zwischen politischem Aktivismus und Kunstpraxis angesiedelten gemeinschaftlichen Produktion getreten. Der Bezug auf die Gesellschaft ist dabei jedoch nicht verloren gegangen, sondern eher einem anderen Bildvokabular gewichen, für das von Wulffen, wie Chefredakteurin Katharina Hausladen aufzeigt, widersprüchliche und darum oft komische, zum Teil auch aggressive Umgangsformen findet.

In ihrem Essay „Why Amelie von Wulffen Is Funny“ (2017) schreibt Amy Sillman, dass von Wulffens Kunst keine Kritik am Bürgertum darstelle, sondern eine Reaktion auf diese Kritik sei, also durchaus aus der Selbstwahrnehmung als einer bürgerlichen Kultur angehörend resultiere: „What else is there? Aren’t all days of our lives built of the parade of minor details that populate such [bourgeois] subjectivity?“ [1] In der Tat geht es bei von Wulffen stets um den Bezug auf bürgerliche Modi und Milieus und darum, wie – im doppelten Wortsinne – reich der Umgang mit den Codes der sich ihrer Freiheit zur Selbstverwirklichung bedienenden Subjekte ist: sei es der alljährliche Urlaub an einer der Küsten Südwesteuropas oder das Erlernen des Klavierspiels; sei es die familiäre Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung in Form von Einzel- und Gruppenporträts (vornehmlich der Ältesten und der Kinder); sei es der souverän-wissende Umgang mit Kunst, ja, überhaupt: der Zugang zu Kunst. Das Verdinglichte am eigenen Dasein, die Verwirklichung der Logik des Privateigentums (ob materiell oder symbolisch), für die solch bürgerliche Verfeinerungstechniken stehen, zeigt sich bei von Wulffen gerade in der Widersprüchlichkeit, mit der sie diese reflektiert. Denn weder tut sie dies in einfacher Affirmation des bürgerlichen Freiheitsversprechens – dafür weiß sie offenkundig zu sehr um die Selbsttäuschungen des Bürgertums – noch in einfacher Negation seiner moralischen wie ästhetischen Ideale; so spannungsreich erscheinen sie von Wulffen dann doch, um sie in ihrer Willkür und in ihrer Dominanz, aber eben auch in ihrer Lächerlichkeit als hochherrschaftliche Fiktionen zu entkleiden.

Dabei scheint es nur konsequent, dass von Wulffen sich, wie ihre umfangreiche Werkschau in den Berliner KW beweist, nicht nur bourgeoisen Sujets (etwa Tafel- und Jagdszenen) und Themen wie den oben genannten (familiäre Repräsentation, Inbesitznahme von Kunst- und Kulturgütern etc.) zuwendet, die häufig auch die Biografie der Künstlerin selbst berühren. Es sind auch die Materialien, derer sie sich bedient, meist bürgerlichen Lebenswelten entnommen, die sie mit teils rustikal-ruralen, teils massenmedialen Bildmotiven und Objekten fusioniert. So fertigt sie beispielsweise aus Tafelbesteck, Muscheln, Gehölz und Glasscherben kleine Shellcraft-Figuren, wie sie in Souvenirläden verkauft werden, und installiert sie auch so: als Ausstellungsobjekte auf einem Basar. Aus Bett, Klavier und Beichtstuhl baut sie ein Möbelstück, das sie in einem Mashup aus impressionistischer Ansichtskartenmotivik, jugendlicher Pferdezeichnung und surrealistischem Alpenhorror bemalt. Realistische Stillleben (meist von Krügen, Äpfeln und Weintrauben), die Flohmarktfunde sein könnten, collagiert sie mehrfach in ihre Arbeiten und zitiert wiederholt massenkulturelle Bildsprachen (etwa von Langnese-Werbetafeln oder den Vorschaukacheln der Watchlists von Netflix), ebenso wie die Bleistiftzeichnungen ihrer erstmals in Berlin gezeigten Serie Die graue Partizipation (2001) allesamt Titel tragen wie Warten auf Goldene Zitronen oder Robbie Williams Konzert I.

Amelie von Wulffen, „Ohne Titel“, 2016

Amelie von Wulffen, „Ohne Titel“, 2016

Ohnehin wird das Prinzip der Collage bei von Wulffen nicht nur als ein intermediales Mittel eindrücklich (wie in ihren Fotocollagen urbaner Architekturen aus den 1990er Jahren oder den bei after the butcher parallel zur Ausstellung gezeigten Knetgummi-Animationen, von denen in den KW die mit Michael Graessner koproduzierte Arbeit Pedigree, 1996–1999, zu sehen ist), sondern auch als ein zutiefst malerisches: als ein künstlerisches Verfahren zur Gestaltung des Bildraumes, mehr noch zur Bearbeitung von disparaten, wenngleich synchron ablaufenden Handlungen mit den Mitteln der Ölmalerei. Krug, Äpfel und Weintrauben, alles bürgerlich-weltliche Klischees der Malerei, stellen dabei so etwas wie den Ideenhimmel eines von zahlreichen Nicht-Ereignissen bestimmten (Künstler*innen-)Lebens zwischen Doomscrolling, Körperhygiene und sinnlosem Arbeiten ohne Ziel und Erfolg dar (entsprechend zweigeteilt in oben und unten in Ohne Titel, 2016). Zugleich ist in diesem „Himmel“, der bei von Wulffen besonders in seinen Wirtshaus- und Volkstrachtvarianten wiederkehrt, das malerische Ideal einer deutschnationalen Kulturlandschaft angedeutet, das es so zwar nie gegeben hat, das aber von Künstlern wie Franz von Defregger, dessen folkloristische Genrebilder später nicht umsonst die Nazis für sich entdeckten, lange Zeit am Leben erhalten wurde.

Bemerkenswert im Sinne der Collage ist daher weniger das Braun, in dem von Wulffen dieses Deutschland malt und das so als „braunes“ Deutschland verständlich wird, oder die Schwere der von ihr appropriierten Bauernschränke, die dieses Land andeutungsweise als ein bleiernes und von der Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialist*innen geprägtes verkörpern. Eigentümlich ist vor allem die Tatsache, dass und wie diese Elemente miteinander kombiniert werden, dass also etwa das Braun zur Darstellung von so unterschiedlichen optischen Mustern wie Kot, Holzmaserung und Schokolade verwendet wird oder in einem der eh schon leicht psychedelisch bemalten Bauernschränke dann auch noch ein Miniatur-Friedhof aus Terrakottagrabsteinen lauert (dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee nachempfunden). Diese Kombination aus Horror und Niedlichkeit, Psychose und Witz, aber auch aus Angst und Mut zur eigenen Imperfektion, die besonders von Wulffens Figuren kennzeichnen – ob Menschen (etwa die Künstlerin in ihren Selbstporträts), Tiere mit menschenähnlichen Attributen (die Plastik einer Biene Maja vor Urinlache oder ein Die Erbschaft betiteltes Bild einer Gruppe von einander feindselig gegenübersitzenden Katzen und Kauzen, 2016) oder verlebendigtes Obst und Gemüse (in der Aquarellserie This is how it happened, 2011–2020) –, lässt das Uneingestandene und Verdrängte der Gesellschaft nicht nur offen zu. In dieser Konfrontation spannungsgeladener Antagonismen wird die Verdrängung auch erst als solche explizit, werden das Verdrängte und tendenziell Gewaltförmige in ihrer konkreten Zugerichtetheit – nämlich als Komik, Banalität oder Unrecht – kenntlich gemacht.

„Amelie von Wulffen“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2020, Ausstellungsansicht

„Amelie von Wulffen“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2020, Ausstellungsansicht

Insofern kommt das Ideal einer bürgerlichen Kultur der feinen Unterschiede bei von Wulffen niemals zu sich. Denn die Kühnheit der Appropriation widerstrebender Stilelemente (etwa von Goya- und Grandville-Zitaten in ein und demselben Bild) geht nicht in ironischem Distinktionsbemühen auf, so wie auch das selbstsichere Fremdgehen zwischen Kunstfeld und Bauernstube, Wahlverwandtschaft und Familie nie den kompensatorischen Zweck erfüllt, sich in einem der beiden Kontexte vorübergehend einzurichten, um vom jeweils anderen selbstgewiss Abstand nehmen zu können. Stattdessen politisiert von Wulffen die Symptome alltäglicher Kompromisse und Unzulänglichkeiten dadurch, dass sie widersprüchliche und deshalb oft komische, zum Teil auch aggressive Umgangsformen für ein Bildvokabular findet, das allen vertraut ist (Obst, TV-Serie, Familienalbum, Eiscreme, Popkonzert, Hochhaus etc.). Zugleich paraphrasiert sie auf der Ebene der Stilmittel durchweg männlich-kanonische Positionen der Kunstgeschichte und nimmt sie damit feministisch in ihren Besitz.

Eine der großen Leistungen der Ausstellung ist es, dass sie nicht in der Art eines Bildungsromans verfährt, der die Entwicklung von Wulffens über drei Dekaden als aufklärerische Bewegung feiert. Materialschlacht ist die Schau zwar durchaus, da sie dem Werkgedanken zuweilen mehr Raum gibt als den einzelnen Arbeiten. Allerdings scheinen die aufgrund ihrer räumlichen Dimension für Malerei maximal herausfordernden KW – insbesondere die Halle im Untergeschoss, in der von Wulffens neueste Arbeiten zu sehen sind – selbst diese Fülle zu absorbieren. Entsprechend haben die kotartigen Schmierspuren in brauner Farbe, die von Wulffen wie Verbindungslinien zwischen den Bildern ihrer aktuellen Serie an den Wänden aufgebracht hat, mindestens die Funktion eines formalen Ordnungsprinzips inmitten der messestandartigen Stellwandsituation in der Halle. Wie in einer Familienaufstellung werden die Bilder (die fast ausschließlich Verwandte von Wulffens zeigen) dadurch miteinander in Beziehung gesetzt. Dabei kommt der lebensgroßen Figur aus Pappmaché, die vor diesen Bildern steht, eine machtvolle Rolle zu: Einerseits ist sie Urheber*in der braunen Farbspuren an den Wänden, ja, besteht sogar gänzlich aus „Exkrementen“. Andererseits steht sie dem „Souvenirladen“ mit seinen aus Strandgut gefertigten Figuren vor, die sie als Waren feilbietet. Sie ist Chronist*in, Künstler*in und Händler*in in Personalunion.

Wenn das Verhältnis zum Besitz und zur Herrschaftsordnung in der bürgerlichen Gesellschaft ein fetischistisches ist, eines, in dem die Kunst die Funktion eines gestatteten Ausbruchs hat, wird allein mit dieser Installation von Wulffens klar, dass auch die Subjektwerdung als Künstlerin eine hochgradig verdinglichte ist. Denn die Kunstwelt, dieser „country club of manners“ [2], wie Sillman es treffend formuliert, in dem Rhetoriken des uneigentlichen Sprechens vorherrschen, produziert zwar laufend Affekte und stilisiert sie als soziales Kapital, das Abhängigkeiten generiert. Nur wenige allerdings finden für diese prototypische Schizophrenie des Kapitalismus, in der jede*r jede*n beobachtet und nur darauf wartet, dass er*sie einen Fehler macht, eine hinsichtlich der Markierung von scheinbar Gegebenem derart stichhaltige und zugleich sinnliche Form wie Amelie von Wulffen.

„Amelie von Wulffen“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 17. März bis 24. Mai 2021.

Anmerkungen

[1]Amy Sillman, „Why Amelie von Wulffen Is Funny“, in: Dies., Faux Pas. Selected Writings and Drawings, after 8 books, 2020, S. 201–210, hier: S. 206. Ursprünglich erschienen in: Isabel Podeschwa/Bernhart Schwenk/Joe Scotland/Amelie von Wulffen (Hg.), Amelie von Wulffen. Bilder 1998–2016, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 2017.
[2]Ebd., S. 209.