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RECORD AND REFLECT Ein Fragebogen zu (Video-)Vorträgen von Lila-Zoé Krauß

Lila-Zoé Krauß, „The Art of Mind: A quick Guide“

Lila-Zoé Krauß, „The Art of Mind: A quick Guide“

Im Gegensatz zur unmittelbaren Begegnung zwischen Publikum und Vortragenden ist der Vortragsstil bei Onlineformaten zwangsläufig an die medialen Bedingungen geknüpft. Als praktische Erweiterung der Auseinandersetzung mit dem Thema „Lecture“ haben wir Künstler*innen und Wissenschaftler*innen eingeladen, in einem kurzen Videovortrag zu einem Thema ihrer Wahl Ansatz, Aufbau, Rhetorik und Methodik ihrer Präsentationen zu reflektieren. Lila-Zoé Krauß’ Videobeitrag, eine Erweiterung ihres ­Projekts [After her Destruction], nimmt ­thematisch und formal Bezug auf medienhistorische Entwicklungen und Techniken. Der folgende Fragebogen nimmt auf ihr Video Bezug.

FRAGE: Du konntest das Thema deines Beitrags frei wählen – wozu hast du dich im Zusammengang mit dem Heftthema entschieden und warum?

ANTWORT: In meinem Videobeitrag The Art of Mind: A quick Guide geht es um ein fiktionales Computer­programm, das ich für mein Projekt [After her Destruction] erfunden habe. Ausgangspunkt für das Programm ist die These, dass „Medien […] eben darum zu privilegierten Modellen [­werden], nach denen unser sogenanntes ­S­elbstverständnis sich bildet, weil es ihr erklärter Zweck ist, dieses Selbstverständnis zu täuschen und zu hintergehen.“[1]

Dieser These zufolge ist die Beziehung zwischen Menschen und Medien inhärent ein Prozess der Fiktionalisierung. Wir nutzen sie, um uns zu täuschen, und besonders effektiv ist diese Täuschung im Feld der optischen ­Medien. Auch in der Geschichte des Vortrags spielen sie eine einflussreiche Rolle, insbesondere seit der Entstehung des Web 2.0. Traditionell hatte der Vortrag die Funktion, Zugang zu Wissen zu gewähren. Er fungierte als Interface zwischen Publikum und Orten der Wissensproduktion. „[D]as Internet [aber], [ist] die erste mediale Umgebung […], der es gelingt, den Vortrag als Szenario und Performance in ihre Datenbanken zu integrieren.“[2] Damit verliert der Vortrag seinen Status als ein übergeordnetes Interface und wird selbst Teil des Archivs. Zwischen Wissen, Kollektiv, ­Verbreitung und der Rolle von Fiktion entstehen neue ­Dynamiken, die vor allem von ökonomischen Parametern bestimmt werden. Mit Verweis auf Gilles Deleuze’ und Félix Guattaris Konzept des Fabulierens [3] verwende ich in meiner Praxis, wie auch in diesem Videobeitrag, Fiktionalisierung, um mir existierende Narrative deutscher Geschichte, der Psychiatriegeschichte, der Mediengeschichte usw. anzueignen und neu zu arrangieren. Hierfür füge ich zum Beispiel Fakten und Informationen ­hinzu, die in den bisherigen Erzählungen fehlten.

F: Dieses Heft unterscheidet zwischen Vortrag und Lecture Performance. Du auch? Wo und wie verläuft für dich die Grenze?

A: Für mich ist ein Vortrag immer auch eine ­P­erformance von sozialen Hierarchien, da Performativität diesen Hierarchien inhärent ist. Demnach würde ich argumentieren: Je deutlicher die Performativität in einem Vortrag gekennzeichnet ist, desto transparenter sind die ihn umgebenden Hierarchien. Ein Prozess, den ich akademisch wie auch künstlerisch erstrebenswert finde, um klarzustellen, dass Hierarchien beweglich sind bzw. sein sollten.

F: Welchen spezifischen Erkenntnisgewinn versprechen akademische bzw. künstlerische Vortragsformate?

A: Ich denke, beide Formate bieten die ­Möglichkeit, (mitunter riskante) Denkmodelle zu exemplifizieren. Gerade die Beziehung mit dem Publikum spielt dabei eine wesentliche Rolle. Denn ob eine Idee wirklich nachvollziehbar ist, eine performative Intervention eine Wirkung entfaltet, bewahrheitet sich erst im Moment der Präsentation. In diesem Sinne können performative wie auch nicht performative Vorträge die Grenzen des bisher Gedachten verschieben, wenn sie in ihrer Präsentation eine Wirkkraft entwickeln. Im ­Umkehrschluss können sie auch scheitern.

F: Welche Aspekte der Verkörperung sind beim Vortragen für dich wichtig?

A: Ich verstehe Verkörperung im Sinne von Haraways Begriff vom „situierten Wissen“. Im Gegensatz zum traditionellen Verständnis von Wissensproduktion, das den Körper und die Emotionalität von der Rationalität ausschließt, basiert dieses Konzept auf der unentwirrbaren Verflechtung von Wahrnehmung, Emotion, Erfahrung und Körper. Bei der Verkörperung geht es also um einen kritischen und auch spielerischen Umgang mit der eigenen Position als Vortragende*r.

F: Wie findest du deinen Rhythmus?

A: Der Rhythmus findet mich.

F: Wo liegt während des Vortrags dein Fokus?

A: In The Art of Mind: A quick Guide trete ich in ­Gestalt verschiedener Avatare auf. Die KI einer Onlineplattform hat ihre Porträts zum Leben (oder zum Sprechen) erweckt – mit Cheap ­Resolution, weil KI in Hi-Res deutlich mehr kostet. In diesem Zustand maschinell performter Subjektivität erzählen die Avatare ihre persönliche Geschichte, die zugleich auch die Entstehung von The Art of Mind beschreibt.

F: Was bewegt dich dazu, einen Vortrag oder eine Lecture Performance persönlich ­aufzusuchen, angesichts des dauernden Überangebots an ­Informationen und Kunst und der Zeitknappheit, die unseren Alltag prägt?

A: Ich schätze Live-Events und Vorträge. Die physische Präsenz allein beglaubigt etwas. ­Meistens sind solche Veranstaltungen auch wichtige Treffpunkte für soziale Netzwerke, die sich über aktuelle Themen austauschen. Ich denke, dass solche Plattformen wesentliche Werkzeuge sind, um sich politisch zu organisieren.

F: Welche Lecture Performance ist dir besonders in Erinnerung geblieben und warum? (Falls die Antwort Robert Morris’ 23.1 von 1964 ist, bitte ein weiteres Beispiel.)

A: Es interessiert mich, wenn eine Lecture Performance Reibung mit dem ­Publikum und der Institution verursacht, in der sie ­stattfindet. Lecture Performances, die mir besonders in ­Erinnerung sind: Luce deLire in meiner Ausstel­lung in Hamburg am 11. Juli 2024. Diverse ­Performances der Geheimagentur, von Elliot Reed und vielen mehr.

F: Wer war bei der Aufnahme dieses Video­vortrags dein Publikum (real oder imaginiert)?

A: Ich stelle mir immer ein diverses Publikum vor, zum Beispiel in Bezug auf Alter, Herkunft oder Geschlecht. Eine besondere Publikumsfigur ist meine Mutter. Ihre Perspektive und Erfahrungen bieten mir einen wichtigen Anhaltspunkt besonders deshalb, weil sie nicht aus dem akademischen Kontext kommt.

F: Welche Schuhe hast du getragen?

A: Stoppersocken mit Superman-Aufnähern.

Lila-Zoé Krauß ist Multimediakünstlerin und Musikerin. In ihrer Praxis verbindet sie Musiktheater, Multimediakunst und Theorie zu einer Oper der Imagination.

Anmerkungen

[1]Friedrich Kittler, Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999, Berlin 2022, S. 34.
[2]Sibylle Peters, Der Vortrag als Performance, Bielefeld 2011, S. 160.
[3]„As Deleuze remarks [the concept of fabulation] is not the same as a utopia […], which can be thought of as a fiction to defer the production of a new people […], but something that has a more pronounced traction on reality in so far as it is partly involved in the actual invention of a people in the here and now. Mythopoesis does not promise another world (or offer an escape from this one) it is not a technology of transcendence in this sense. Rather, it helps set up further conditions […] for the production of a different mode of being (and thus, again, a different world) from within already existing ones.“ David Burrows/Simon O’Sullivan, Fictioning. The Myth-Functions of Contemporary Art and Philosophy, Edinburgh 2019, S. 18.