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Vorwort

Der Allgemeinplatz, daß das "Andere" stets eine Projektion des Eigenen sei, reicht nicht hin, um die gegenwärtige Welle von Publikationen, Symposien und Ausstellungen zu diesem Thema zu erklären. Auch der Rekurs auf die Tradition solcher Beschäftigung mit dem Fremden hilft nur bedingt. Denn anders als von den frühen Avantgarden dieses Jahrhunderts wird das "Andere" heute nicht mehr als ein außerhalb der eigenen Zeit stehendes "Primitives" aufgefaßt.

Das Andere, von dem heute die Rede ist, ist vielmehr Produkt gegenwärtiger gesellschaftlicher Ausschlußprozesse in den Metropolen selbst, die Marginalität auf der realen und symbolischen Ebene organisieren. Entsprechend bietet dieses "Andere" nicht das Bild einer paradiesischen Alternative zum Bestehenden, sondern zeigt die Konsequenzen der Marginalisierungsprozesse und Züge des (gesellschaftlichen, kulturellen, politischen) Widerstands gegen sie.

„But in New York State, Asians, Pacific Islanders, Native Americans and Native Alaskans are still lumped together as 'other'. New York State does not even footnote the statistics, so someone not familiär with what 'other' means would not know that this alludes to Asians and Native Americans." (Aus: Suki Terada Ports und Marion Banzhaf: "Women, Aids 8c Activism" – Many Cultures, Many Approaches.)

Es ist erstaunlich, jetzt, im nachhinein, nach Fertigstellung des 3. Heftes festzustellen, daß wir vom "Anderen" redend damit fast selbstverständlich ein amerikanisches "Other" meinten, unter völliger Vernachlässigung der sich in Deutschland befindenden sog. Minderheiten. Die Homogenität des eigenen Umfelds (einer "whiter than white middle class boheme") wird durch kein Eindringen eines radikalen Unterschieds gestört und deshalb auch als homogen gar nicht mehr wahrgenommen.

So kann eine rein theoretische Beschäftigung mit dem aus amerikanischer Sicht als "anders" Empfundenen entstehen. Der wir entgegenwirken wollten, und zwar dadurch, daß wir einen "Import" amerikanischer politischer Korrektheit zu verhindern suchten, deren Grundlagen und theoretische Voraussetzungen hierzulande fehlen.

Unsere Aufgabe bestimmt sich als eine doppelte: es genügt nicht, die Phänomene mit quasi-ethnographischem Interesse vorzuführen, sondern der Modus der Vorführung (der selbst eine Form der Konstruktion des Anderen ist) muß befragt und kritisiert werden.

Deshalb geht es uns immer auch um die Bearbeitung von z.B. dem aktivistischen Material der Gruppe "Paper Tiger" aus hiesiger Sicht. Und darum, uns gleichzeitig nicht zu Vermittlern und Überbringern amerikanischer aktivistischer Praxis zu machen, sondern diese für sich selbst sprechen zu lassen. Wobei aktivistische Praxis sich im allgemeinen sowohl für theoretische als auch tatkräftige Arbeit als eine definieren ließe, bei der die Analysen vollständig der praktischen Instrumentalisierung untergeordnet sind.

Relevant ist die Auseinandersetzung mit dem Komplex des "Anderen" für uns aus zwei Gründen: zunächst, weil die Bearbeitung der Marginalisierungsprozesse selbst eine Form kultureller und künstlerischer Praxis ist, dann aber, weil die Vermarktung des "Anderen" als Teil seiner gegenwärtigen Geschichte angesehen werden muß. Dabei ist die Tatsache, daß uns das "Andere" als ein vorrangig kulturelles Phänomen präsentiert wird, kein Zufall, sondern Konsequenz der Kanalisierung ursprünglich politischer Impulse in den kulturellen Sektor.

Der Inhalt dieser Nummer weicht etwas von unseren Ankündigungen ab: aus aktuellem Anlaß haben wir Lloyd de Mauses Beitrag, der eine Analyse der psychohistorischen Dimension des Golfkriegs liefert, vorgezogen und die angekündigten Aufsätze von Gayatri Spivak und Trinh T. Min-ha auf das nächste Heft verlegt.

Im nächsten "Texte zur Kunst" erfolgt eine Ausarbeitung dessen, was wir in einer bundesdeutschen Alltagspraxis auszugrenzen uns angewöhnt haben. Die Frage, wem das Konzept des "Anderen" dienen könnte, wer also ein Interesse an einer Bestimmung und Berücksichtigung des "Anderen " hat, und die Frage, inwieweit seine Beachtung in seinem Interesse ist und ob es seiner offiziellen Registrierung nicht nur um seine Entschärfung gehen könnte, ist also mit diesem Heft nicht abgehandelt und fordert, genauso wie die Frage nach der Konstruktion des Politischen in der Kunst, nach weiteren Bearbeitungen, Ausführungen und Ergänzungen.

ISABELLE GRAW / STEFAN GERMER