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Roberto Ohrt

Honig Für die Schnauze der Schweine Ein Plädoyer Für Poesie

"Poesie", das klingt im Deutschen immer noch wie ein "Fremdwort" oder klebt an kitschigen Sinnsprüchen voll aufgeschäumter Sinnlichkeit, und die gesprochene Sprache macht Stimmen für Gedichte ohnehin nicht frei; in der geschriebenen ist es schon etwas anders, aber auch dort lässt eine Taxierung wie "lyrisch" sich weitaus unproblematischer als Schimpfwort einsetzen denn als Ausdruck der Anerkennung, egal ob die Texte dem kritischen Vorbehalt nun Recht geben oder nicht. Dass "Poesie" einmal zum Kern des revolutionären Programms der Surrealisten gehörte, ist hierzulande schlecht vorstellbar; noch weniger, dass sie - wie bei den Situationisten - die Eröffnung eines radikaleren Konflikts ankündigt. Letzteren genügte es im Unterschied zu den Surrealisten nicht mehr, ihre künstlerische Praxis den vorfabrizierten Linien des Klassenkampfs zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil: Die Revolution habe sich in den Dienst der Poesie zu stellen.

So weit zu den besonderen Bedingungen in Deutschland. Ich lese nun in der kurzen Instruktion, die mir zugesandt wurde, dass es diesmal in Texte zur Kunst "nicht nur darum gehen" soll, "irgendeine Lanze für literarisches Schreiben zu brechen, sondern darum, das Potenzial von (Kunst-)Kritik als einem Fleck zu behaupten, wo die verschiedensten Grade von Involviertheit und Reflexivität koexistieren könn(t)en." Nichts gegen eine friedliche Koexistenz oder ihre Behauptung, dennoch möchte ich lieber die "Lanze brechen", denn ganz so friedlich (nebeneinander her) geht es da meines Wissens nicht zu. Schöne Texte sind selten, und das hat seine Gründe; dafür wird gesorgt. Poesie kommt von denen, die sich mit der Kunst in einer Auseinandersetzung befinden, aus der sie sich selbst nicht herausnehmen. Eine poetische Schreibweise entfacht bei sich selbst Momente der Faszination und Verführung; sie hat Lust auf ungewöhnliche Formulierungen und abweichende Gedanken, lässt sich anstecken von ihrem Gegenstand und entwickelt selbst einen ansteckenden Stoff voller Ambivalenzen, provoziert, fällt auf und macht sich angreifbar. Ihr gegenüber steht, immer noch hoch im Kurs, die Schutzfigur des unberührten Beobachters, der sich den Gegenstand unterwirft, ihn mit seinem - zumeist philosophischen, aber ebenso gern soziologischen, politischen oder mathematischen - Instrumentarium einordnet und suggeriert, es wäre hübsch, wenn das Feld eines Themas kontrollierbar ist; das sei die Aufgabe der Theorie oder das Recht des Lesers oder im Sinne unseres Konsenses (um allem gleichermaßen fern zu bleiben).

Die dieser Ermächtigung dienende Sprache liefert Komik unfreiwillig. Meist haut sie mit ihrem Werkzeug einfach nur daneben, ist also - wie der berühmte Professor im Stummfilm - mit den Worten bei einer anderen Sache, beharrlich, ungenau und manchmal Satz für Satz. Das geht nicht ohne Beulen ab oder Späne - und erstaunt, denn wer hätte gedacht, dass moderne junge Menschen einen groben Apparat schon so unverdrossen schwingen? Der sprichwörtliche Hobel der Akademiker wird im Übrigen nicht beiseite gelegt, wenn ihre Elfenbeintürme geschliffen sind, denn der Bart des Bürokraten gedeiht auch bei der Arbeit in der freien Wirtschaft. Nicht weniger komisch ist es, wenn Mengenlehresätze sich das Bild des Textes malen, Kreise ziehen und Farben bestimmen, innen, außen, auf der Grenze, bis jede Mur-mel des Phänomens einmal durch Besonderheit, Schnittmenge und Differenz gerollt wurde; das bringt Ordnung ins Gefühl des Überblicks. Ich will gar nicht behaupten, eine poetische Schrift befände sich per se näher an ihrem Gegenstand und die trockene immer nur draußen im Öden des Ungegenständlichen. Theorie, ist sie genau, ohne Angst vor Komplexität und dem Konfliktstoff der Geschichte, erzählt nicht minder schön. Und außerdem gibt es Bedarf an flotten Sprüchen inzwischen reichlich; geschmeidig sollen sie sein und ihrer Korrektur entgegenkommen, denn für den Alltag der Werbung oder vor den Dadaisten der Bildzeitung nimmt keine Schlagzeile im Zufall Platz; sie sitzt so locker wie bei Polizisten der Knüppel und schleift mit ihrer Fantasie das Gold der Zähne, ganz nach dem Motto: "Geiz ist geil".

Die Frage nach der Poesie kann nicht getrennt werden von der Praxis in den Redaktionen, den Gewohnheiten der Verständigung, die in dieser Konstruktion von Öffentlichkeit herrschen. Ein einheitlich vom Kanon vereinbarter Begriffe gefasster Text ist schnell erstellt, lässt sich leichter korrigieren, bietet begrenzten Diskussionsstoff mit berechenbaren Fehlerquellen und enthält weniger Widerstandspotenzial. Das ist in den Hierarchien der Wissensaneignung letztlich entscheidend und begünstigt Jargon - oder seinen akademischen Vorläufer in der Biografie. Wie sollte es auch umgekehrt funktionieren, wenn etwa die Chefredaktion sich vom einfachen Redakteur über die Lage in der Wirklichkeit belehrt verstehen muss? Poetische Formulierungen wären nicht so schnell ausgelotet. Sie geben nicht gleich zu erkennen, was von Satzanfang zu Satzende passiert, oder sagen es einfach - im vollen Bewusstsein der Theorie verdichtet - zu unmissverständlich, und mit beidem kommen die Bewohner in den Einrichtungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Organisation noch immer schlecht zurecht.