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Vorwort

Kunstkritik hat eine zweifelhafte gesellschaftliche Stellung. Da sie zwischen akademischer Kunstgeschichte und Journalismus steht, aber schneller und häufig theoretisch versierter als diese arbeitet und im Unterschied zum Journalismus über das reine Tagesgeschäft hinausgeht, ist es schwierig, ihr einen festen Gegenstandsbereich, eine gleichbleibende Aufgabe oder gar ein fixes Set von Methoden zuzuordnen. Marcel Broodthaers war überzeugt, daß die Kunstkritik allein den Bewegungen des Marktes folge, und Benjamin Buchloh konstatierte, daß die Kritik in den achtziger Jahren ihre Orientierungs- und Vermittlungsfunktion verloren habe. Tom Crow beschrieb in seinem Vortrag auf einem Kunstkritikertreffen in London l die Entwicklung der Kunstkritik zur "Insiders Language" nach 1970. Diese müsse mit den Forderungen in Verbindung gebracht werden, welche eine institutionsorientierte künstlerische Praxis an Kunstkritik stellte. Wenn Künstler (wie Michael Asher, Lawrence Weiner oder Dan Graharn) als eine Art "last public philosopher" institutionskritisch operierten, mußte Kunstkritik parallele Untersuchungen betreiben. Veränderte Funktionsbestimmungen von Kunst führen also zu einer Neubestimmung von Kunstkritik — das Aufkommen der unpersönlich-distanzierten kunstkritischen Sprache (wie sie in den 70ern in "October" praktiziert wurde) kann mit den Prämissen der Konzeptkunst in einen Zusammenhang gebracht werden. "There is a matching between rhetoric and its object."

Uns interessiert Kunstkritik als ein Feld, in welchem — gerade weil es nur über ein Minimum an disziplinären Regeln verfügt — sich Diskurse kreuzen und welches deshalb Verbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären ermöglicht. Kunstkritik heißt für uns weniger ein abgeschlossener Bereich rein kunstbezogener Reflexion als vielmehr "criticism in the expanded field" — eine Kunstkritik, die die gesellschaftliche Relevanz künstlerischer Praxis dadurch aufzeigt, daß sie sie beispielsweise mit politischen, psychoanalytischen oder feministischen Diskursen vernetzt.

Diese Nummer handelt vom Schreiben über Kunst. Die Frage, wie überhaupt über Kunst geschrieben werden kann, zieht sich durch alle Ausgaben von TEXTE ZUR KUNST: Diesmal setzen wir jedoch einige Schwerpunkte: konservative Kunstkritik als Suche nach dem Werk als Ereignis (siehe Interview mit Karl Heinz Bohrer) und Kunstkritik im Feuilleton, die sich, um zu funktionieren, als freie Meinungs- und Geschmacksäußerung versteht (Interview mit Eduard Beaucamp). Gerald Schröder versammelt die Gemeinplätze der deutschen Beuys-Rezeption und Joshua Decter untersucht die fortschreitende Integration des Oppositionellen (auch der Kritik) in das kulturindustrielle System. Die Beiträge von Edward Said und Thanos Lipowatz sind Beispiele für die Vernetzung literarisch theoretischer Reflexion und politischer Praxis: sie bezeichnen Positionen eines eingreifenden Denkens.

ISABELLE GRAW / STEFAN GERMER