Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

32

Der Liebe wegen Ein Interview von Isabelle Graw mit Eva Illouz

Elizabeth Taylor und Mike Todd, 1957 Elizabeth Taylor und Mike Todd, 1957

Wie verhält sich die Liebe zum Kapitalismus? Wird die romantische Liebe nur durch Konsumkultur vereinnahmt oder ist die Beziehung zwischen beiden Bereichen komplizierter? In ihrer in den Vereinigten Staaten preisgekrönten und im hiesigen Feuilleton als "theoriepolitisches Ereignis" gefeierten Studie geht die Jerusalemer Soziologin Eva Illouz der Wechselbeziehung und wechselseitigen Durchdringung von romantischer Liebe und Kapitalismus nach. Isabelle Graw sprach mit Eva Illouz über ihre Untersuchung alltagsromantischer Rituale ­ wie etwa des Rendezvous ­ und befragte sie nach ihrem methodischen Ansatz, der gekonnt zwischen Kulturkritik, Soziologie und den Prämissen der "Cultural Studies" vermittelt.

Isabelle Graw: In Ihrem 1997 erschienenen und kürzlich ins Deutsche übersetzten Buch "Der Konsum der Romantik"1 haben Sie sehr überzeugend beschrieben, wie Kapitalismus und Konsumkultur in das Konzept und die Praktiken romantischer Liebe eingegangen sind. In demselben Maße, wie sich die romantische Liebe verdinglichte, wurden die Waren romantisiert. Romantische Liebe liegt somit keineswegs "jenseits" von kapitalistischen Verwertungsprozessen, sie ist vielmehr ihr bevorzugtes Terrain. Was mir an Ihrem Ansatz besonders gut gefiel, war die Tatsache, dass Sie nicht bei einem kulturkritischen Befund stehen bleiben. Ihrem Buch fehlt jede Spur eines pessimistisch-fatalistischen Tonfalls. Ganz im Gegenteil: Statt es uneingeschränkt zu bedauern, dass auch die romantische Liebe nun vom ökonomischen Kalkül erfasst ist, fragen Sie nach den Freiräumen, die dem Subjekt daraus erwachsen. Liebende Subjekte können heute autonomer entscheiden, auch wenn sich ihre Entscheidungen als ökonomisch zweckmäßig erweisen. Das Rendezvous zum Beispiel stellen Sie als Errungenschaft im Sinne eines neuen Erfahrungsraums dar und als ein Ritual, das von Konsum (Kino, Restaurant) geprägt ist und die liebenden Subjekte auf neue Weise in das System integriert. Das Gleiche gilt für Schönheitsstandards: Um ihnen zu entsprechen, muss man zwar einerseits über finanzielle Ressourcen verfügen ­ andererseits können sie Freiräume schaffen. Sie selbst haben in diesem Zusammenhang von "sozialen Paradoxen" gesprochen, und mich interessiert der methodische Hintergrund dieses Ansatzes. Warum haben Sie sich methodisch für eine Berücksichtigung und Benennung dieser Paradoxe entschieden?

Eva Illouz: Es gibt ein Kapitel, das der Verlag weggelassen hat: In der ursprünglichen englischen Version ist es vorhanden. Dieses Kapitel handelt von der Repräsentation der Liebe in Frauenzeitschriften. Ich finde es schade, dass es ausgegliedert wurde. Denn in diesem Kapitel wird das, was Sie ansprechen, noch mehr auf den Punkt gebracht. Es richtet sich gegen die Richtung, die ein Großteil der feministischen Analysen eingeschlagen hat, wo meiner Ansicht nach behauptet wird, dass die Darstellung von Liebe in Frauenzeitschriften allein dazu beiträgt, dass die Frauen in ihrer untergeordneten Stellung bleiben. Ich denke hingegen, dass es komplizierter ist: Durch diese Darstellungen der Liebe werden nämlich auch kapitalistische Werte ­ wie  die, sein Leben unter Kontrolle zu bringen, zu wissen, was man will, seine Bedürfnisse zu artikulieren ­ transportiert. Ich bin wegen dieses Buches häufig interviewt worden, aber niemand hat mir bisher die Frage nach der Methode gestellt. Wo kommt sie her? Lassen Sie mich einen Augenblick nachdenken. Eine vorläufige Antwort wäre die, dass ich auf eine Spaltung im Feld der Media Studies und Cultural Studies reagiert habe. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die Ideologie im Sinne von "Kontrolle" verstehen, und auf der anderen Seite diejenigen, die Widerstand feiern. Das Modell einer Ideologie, die Kontrolle ausübt, habe ich immer als zu einfach empfunden. Etwa so wie das Unbewusste: Man kann es nicht widerlegen, es ist immer da und total. Dies heißt aber auch, dass man die Antwort immer schon im Voraus kennt. Meine Freund/innen und ich nennen diese Perspektive "Zorro-Soziologie". Der Zorro-Soziologe demaskiert alle schlechten Menschen in der Gesellschaft, kann aber selbst seine Maske anbehalten. Ich will damit nicht sagen, dass kulturkritische Analysen des Kapitalismus heute nicht mehr gebraucht würden ­ sie werden sogar dringend gebraucht. Aber ich wollte auf dieses mechanistische Denken antworten, das in einigen Bereichen von Academia regiert.

Graw: Als ich über Ihre Methode nachdachte, kam es mir so vor, als würden Sie einen Spagat zwischen einer kulturkritisch ausgerichteten Soziologie im Sinne Bourdieus und jenem Strang der Cultural Studies versuchen, wo der Konsument nicht mehr als passives Opfer einer Manipulation, sondern als sinnstiftender Akteur begriffen wird. Im Zuge dieser Aufwertung des Konsumenten kam es jedoch auch zu einer Überschätzung seines Potenzials, so als könne das Shoppen mit einer emanzipatorischen oder gar politischen Handlung gleichgesetzt werden.

Illouz: Genau. Ich würde sagen, dass "Widerstands-" und ideologiebezogene Critical Studies zwei Seiten derselben Medaille sind. Als ich in den achtziger Jahren in dem Feld der Media Studies zu arbeiten begann, hatte ich den Eindruck, dass es ziemlich schwierig war, den damaligen theoretischen Diskussionen etwas Neues hinzuzufügen. Ich war, wie gesagt, nicht überzeugt von der mechanistischen Vorstellung, wie Bedeutung produziert und die Leute beeinflussen würde. Außerdem glaubte ich nicht, dass Soziologen anders als normale Menschen sein sollten. Ich bin zwar Soziologin, aber auch eine normale Person, und normale Personen kritisieren ständig, was passiert und sind sich dessen durchaus bewusst. Sie kritisieren die soziale Ordnung. Ich glaube, dass ein Großteil der Cultural Studies der ethno-methodologischen Prämisse nicht genug Aufmerksamkeit schenkt, dass die Leute sehr viel über die soziale Ordnung wissen und sich gegenseitig kritisieren. An diesem Punkt hat mich Michael Walzer stark beeinflusst, seine Sicht, dass Kritik ein Eigentum des Sozialen sei, etwas, was die soziale Textur durchwirkt. Walzer sagt, dass der gute Kritiker wie der biblische Prophet Jesaja funktionieren müsse. Der Prophet ist deshalb ein guter Kritiker, weil er die anderen in ihren eigenen Begriffen kritisiert. Er greift auf die Werte zurück, die sie mit ihm teilen, verfügt über denselben moralischen Code. Meiner Ansicht nach muss ein guter Kritiker immanent vorgehen ­ im Übrigen auch eine Einsicht der kritischen Theorie ­, seine Kritik muss von einem intimen Verständnis dessen, was die Leute machen und machen wollen, ausgegangen sein. Dies ähnelt der Kritik, in die der Psychoanalytiker seinen Patienten zu involvieren sucht. Psychoanalytiker und Patient unterhalten einen Dialog: Der Psychoanalytiker versucht, in die Bedeutungswelt des Patienten einzusteigen, und nur von dieser Bedeutungswelt aus kann Veränderung erfolgen. Ich glaube, dass es das ist, was ich auf der soziologischen Ebene zu machen versuche. Mit diesem Modell von Kritik arbeite ich, da  ich die Bedeutungswelt, in der die Leute sich aufhalten, sehr ernst nehme.

Graw: In den zahlreichen Interview-Passagen, in denen Sie die Leute zu ihren romantischen Erlebnissen oder zu ihren Vorstellungen von romantischer Liebe befragen, wird deutlich, dass Sie diese Antworten sehr ernst nehmen. Nur schien es mir einen eigentümlichen Kontrast zwischen den eher beiläufigen Erzählungen der Befragten und Ihren tendenziell abstrakten Analysen zu geben. Das wirkt manchmal sogar ein wenig herablassend. So als würden Sie die zum Teil eher zögerlich gemachten, von Skepsis gezeichneten Liebesberichte sogleich in Ihr Register überführen und gewissermaßen zu ernst nehmen. Zwar weisen Sie im Vorwort darauf hin, dass das, was die Leute zu tun vorgeben, nicht unbedingt mit dem übereinstimmen muss, wie sie sich tatsächlich verhalten. Doch am Ende nehmen Sie doch die "überlegene" Position des Soziologen in Anspruch, der auszuwerten und Zusammenhänge aufzuzeigen weiß.

I**Illouz:** Ich glaube, dass ich versucht habe, zwei Dinge zugleich zu tun: Erstens habe ich systematisch die institutionelle Basis dessen untersucht, was wir als unser privates Gefühl oder eine beiläufige Bemerkung erleben. Vielleicht ist es das, was Ihnen den Eindruck von Herablassung vermittelte: dass ich private Welten als institutionell geprägt betrachte. Auf der anderen Seite habe ich ­ im Vergleich zu zahlreichen Soziologen ­ das, was mir die Leute sagten, sehr ernst genommen. Ich glaube, dass wir Handlungen nicht erklären können, wenn wir uns nicht erklären können, was sie für die Leute bedeuten. Das muss ernst genommen werden. Und wenn ich "ernst nehmen" sage, dann meine ich das in zweierlei Hinsicht: dass man auf einer ethischen Ebene die Leute respektieren muss, mit denen man spricht. Aber dass das von ihnen Mitgeteilte auch Aufschluss über die Gesellschaft gibt. Sie erzählen uns etwas Wichtiges über die Gesellschaft. Diese beiden Überzeugungen motivierten meine Interpretation der Rede der Befragten.

Graw: Ich musste unwillkürlich an Pierre Bourdieus Einleitung "An den Leser" in "Das Elend der Welt" denken, wo er eine Art "Ethik des Interviews" entwickelt.

Illouz: Für mich ist die Kunst des Interviews und des Verständnisses dessen, was die Leute machen, eine Gratwanderung. Ich bin nicht sicher, wie ich dies meinen Student/innen vermitteln würde. Es geht mir um den schmalen Grat zwischen Sympathie ­ das ist es, wovon Bourdieu spricht; diese Leidenschaft für das, was die Leute vor einem ausbreiten ­ und der Notwendigkeit, sich nicht vollständig davon absorbieren zu lassen, sich nicht total zu identifizieren. Das Wissen über die Gesellschaft muss im Hintergrund vorhanden sein, damit sich einem die Bedeutung dessen, was einem erzählt wird, erschließt. Auch hier gibt es eine Analogie zur Arbeit des Psychoanalytikers: Man muss zugleich in die Subjektivität einer Person eindringen und Distanz wahren. Ich denke, dass nicht alle Soziologen in diesem Punkt mit mir übereinstimmen würden ­ aber ich glaube, dass wir mit dieser Spannung zwischen "Verstehen" und "Distanz" arbeiten.

Graw: Als "Drehbücher" der Liebe nennen Sie in erster Linie Film, und tatsächlich scheint der Film im 20. Jahrhundert die Rolle der "Liebesfolie" schlechthin gespielt zu haben, eine Rolle, die zuvor der Literatur zukam. Zudem ist der gemeinsame Kinobesuch, wie Sie zeigen, ein in Konsum eingelassenes Liebesritual. Ich habe mich jedoch gefragt, warum von einem anderen Drehbuch der Liebe ­ der populären Musik ­ gar nicht die Rede ist. Zahlreiche Popsongs verarbeiten und generieren schließlich Liebeserfahrung. Die meisten Paare, die ich kenne, haben "ihren Song" oder eine Praxis des gemeinsamen Musikhörens. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass Popmusik heute der stärkste romantische Signifikant ist, bedeutsamer als die gemeinsame Reise und damit verbundene Naturerfahrung, der Sie so viel Gewicht beimessen.

Illouz: Sie haben Recht. Zu Beginn des Buches befasse ich mich kurz mit Liebesliedern. Warum ich Popmusik ausgelassen habe? Nun ­ vielleicht ist das keine gute Entschuldigung, aber ich habe schlicht mit dem gearbeitet, was die Leute mir erzählt haben. Ich hätte vielleicht erstaunter darüber sein müssen, dass Musik nicht zur Sprache kam. Vielleicht lag dies auch an meiner Methode? Wenn ich sie nach einem Liebeslied gefragt hätte, hätten sie wahrscheinlich eines gehabt. Aber als ich ihnen die ziemlich offene Frage nach dem, was sie mit "Romantik" verbinden, gestellt habe, wurde Musik wenn, dann nur in einem größeren Zusammenhang genannt. Deshalb habe ich Musik nicht isoliert betrachtet. Natürlich hat die Musikindustrie aus der Liebe Kapital geschlagen, Liebe ist das Hauptthema populärer Musik. Das würde eine ganz eigene Studie verdienen, die vielleicht meinen Rahmen gesprengt hätte.

Graw: Besonders gut haben mir Ihre Überlegungen zum "Rendezvous" gefallen. Sie zeigen, dass die Praxis des Rendezvous einen Einschnitt in die Liebespraktiken bewirkte, weil diese nun "freier" und zugleich dem Konsum unterworfener wurden. Ich habe mich aber auch gefragt, ob diese ja sehr paarbezogene Praxis, wo es ums gegenseitige Sichkennenlernen und einander Erforschen geht, wirklich das derzeit vorherrschende Anbahnungsritual ist. Könnte man nicht sagen, dass Clubkultur oder der Besuch von Bars für eine soziale Praxis stehen, in der erstens Konsum keine so große Rolle spielt (ein paar Biere kosten nicht so viel) und wo zweitens die Paarbildung anders funktioniert? Ob ein Paar sich findet, hängt hier weniger von isolierten Ritualen der Zweisamkeit als von dem Verhältnis beider Partner zur Gemeinschaft ab. Ist diese Form des Treffens, bei dem es gewissermaßen auf die Gruppe ankommt und wo man gemeinsam abhängt, nicht weniger paarzentriert und zudem eine Form der Begegnung, bei der es auf Konsum (teure Restaurants) nicht so sehr ankommt wie beim klassischen Rendezvous?

Illouz: Diese Frage scheint mir auch deshalb besonders wichtig zu sein, weil ich in meinem Buch nicht das ganze Spektrum der Momente beschreiben wollte, in denen Personen miteinander interagieren. Es ging mir also nicht um die romantische Szene in einem weiteren oder diffuseren Sinn, etwa um die Arten und Weisen, wie sich Heterosexuelle oder Schwule gegenseitig aufreißen. Mein Anliegen war es vielmehr, zu zeigen, dass es eine Kategorie gibt, die sehr spezifisch für unsere Kultur ist: Die Kategorie des Romantischen, mit einer starken Bedeutung des Romantischen. Es gibt romantische Gefühle und romantische Momente, und ich wollte die soziale Genese dieser Kategorien verstehen, wie sie gelebt werden und was die Leute mit dieser Kategorie machen, um ihrer Beziehung Sinn zu verleihen. Ich würde sagen, dass mich diese Treffen, die Sie skizzieren ­ gemeinsam ein Bier trinken gehen ­, im Kontext meines Buches nur insofern interessieren, als sie eine Abweichung von einem Prototyp der romantischen Begegnung darstellen. Man kann sich in so einer Bar treffen und ein Bier trinken, aber wenn man will, dass die Beziehung funktioniert, ist man doch auf Klischees und Rollen angewiesen. Es müsste dann entweder der Rahmen eines One-Night-Stand sein oder eine beiläufige Affäre. Will man diese dann in eine "ernsthafte" ­ was immer "ernsthaft" oder "verbindlich" heißt ­ Beziehung verwandeln, dann muss man von dort aus beginnen und eben doch gemeinsam in ein schönes Restaurant gehen oder einen Spaziergang in der Nähe des Flusses machen oder ein gemeinsames Wochenende miteinander verbringen.

Graw: Ich bin nicht ganz einverstanden. Ist "romantische Liebe" wirklich immer noch so eng an diese Rituale geknüpft? Könnte eine andere Bühne ­ etwa die "Szene", zu der beide Partner gehören ­ nicht viel entscheidender für die romantische Intensität ihrer Beziehung sein? Könnte es sich nicht erst im Kontakt zu den anderen, und eben nicht in der Folge eines gemeinsamen Rückzuges, herausstellen, ob man zusammenpasst? Dann wäre die Beziehung zur Gruppe mindestens ebenso zentral wie das, was zwischen den Partnern passiert, und die Interaktion des Paares wäre ohnehin davon geprägt.

Illouz: Sehen Sie, die Liebespraktiken in den höfischen Gesellschaften waren nicht immer privat. Im prämodernen Europa, zum Beispiel im 16. Jahrhundert, machten sich Männer und Frauen auf ganz andere Weise den Hof. Es gab eine Gruppe von Mädchen, die strickte, und dann ließ eine ihre Nadel fallen, und der Mann, der sie aufhob, war wie ein Signal für sie und für die anderen, die sich alle die Tatsache vergegenwärtigten, dass dieser Mann ein Bewerber war. Auch die Bälle der Mittel- oder Oberschichten in England waren Gelegenheiten, wo die Mädchen nach potenziellen Verführern und Ehemännern Ausschau hielten. Deshalb ist die Praxis des sich Umwerbens nicht inhärent privat. Historisch war diese Praxis eine öffentliche Angelegenheit, und es würde mich nicht überraschen, wenn man heute Überreste dieser Praxis in der Subkultur wiederfinden würde. Dennoch verlangt eine starke Definition von "sich gegenseitig den Hof machen", dass sich das Paar aus der Gemeinschaft zurückzieht.

Graw: Hängt dieser Rückzug nicht auch mit dem "Älterwerden" der Beteiligten zusammen?

Illouz: Nein, wenn sie jung sind und sich gegenseitig sexuell entdecken wollen, dann tun sie dies gewöhnlich, wenn sie alleine sind. Sie können am Anfang dazu ins Kino gehen ­ und diese Situation könnte man "öffentlich" nennen. Nur handelt es sich am Ende doch um eine private Situation: Wir zwei in einer Menge von Menschen. Es ist interessant, wie sehr die öffentliche Konsumsphäre eine Privatheit unter den Augen der Öffentlichkeit herzustellen erlaubt. Das ist etwas, worüber wir gar nicht nachdenken, wenn wir ins Kino oder ins Restaurant gehen. In Wahrheit stehen wir permanent unter Beobachtung. Und zugleich sind wir allein, in unserer eigenen Welt. Ich glaube, dass wir diesen ständigen Wechsel zwischen öffentlicher Sphäre und privater Welt stark verinnerlicht haben. Und meines Erachtens haben viele Liebesgeschichten damit zu tun ­ mit diesem Aufbau einer Insel der Privat-heit inmitten der öffentlichen Sphäre.

Graw: Ich habe mich kürzlich mit dem Liebesbegriff der Surrealisten beschäftigt. Sie propagierten ein ausgesprochen romantisches Liebesideal, ohne dass es jedoch in Konsum eingebettet gewesen wäre. Die Folge von Rendezvous, die Breton in "Nadja" beschreibt, fand unverhofft und auf der Straße statt. Das Paar flanierte ziellos umher, ohne zu konsumieren. Wobei man natürlich sagen könnte, dass die Straße kein Freiraum ist und kapitalistischen Zwängen unterworfen bleibt. Außerdem handelte es sich auch bei diesen urbanen Spaziergängen um eine Art "Reise", die sich von Ihren Beschreibungen der "romantischen Reise zu zweit" kaum unterscheidet.

Illouz: In meinen Interviews habe ich Folgendes feststellen können: Je mehr jemand über kulturelle Kompetenz verfügt, desto eher wird er dazu in der Lage sein, die konventionellen Rituale von Liebe und Konsum umzukehren. Anders gesagt: Mit steigendem kulturellen Kapital wird man auch verstärkt so tun, als ob man die Dinge aufgrund von eigener Originalität und Kreativität tut und eben nicht auf die Standardbilder und Produkte der Konsumkultur angewiesen ist. Man kann eine direkte Verbindung zwischen beidem ziehen: Je höher die kulturelle Kompetenz, desto mehr Vertrauen wird die Person in ihre eigene intellektuelle Fähigkeit haben, Symbole zu manipulieren und neue Bedeutungen zu schaffen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant ­ und ich sage das auch in meinem Buch ­, dass es oft genau diese Leute sind, die besonders kompetent konsumieren. Es gibt diese Dualität in ihrem Bewusstein: Sie kennen sich mit allen Stereotypen aus, können sich treffen, nach Paris fahren, dort ein romantisches Wochenende verbringen ...

Graw: ... und sich zugleich darüber im Klaren sein, dass sie ein Klischee leben, aus dieser Klischeehaftigkeit sogar Freude beziehen.

Illouz: Beides passiert gleichzeitig: Einerseits wähnen sich die Leute über dem Klischee, weil sie so originell und kreativ sind, und zugleich wiederholen  sie die Muster der Konsumkultur. Das ist eines der "sozialen Paradoxe", mit denen ich mich in dem Buch beschäftige. Eben dann, wenn man das macht, was alle anderen tun, fühlt man sich besonders originell und kreativ. Diese Position ist nicht ohne Pathos.

Graw: Im Vorwort zu Ihrem Buch bereiten Sie den Leser darauf vor, dass von "feministischer Theorie" kaum die Rede sein wird. Ihre These ist die, dass die Rhetorik des Konsums zum Teil "geschlechterlos" funktioniert. Ich würde Ihnen einerseits Recht geben insofern, als "Geschlecht" tatsächlich eine der letzten Grenzen zu sein scheint, die der Kapitalismus im Zuge seiner Ausdehnung einreißen muss. Andererseits spekulieren doch zahlreiche Werbungen nach wie vor auf das Vorhandensein von Bedürfnissen und Ängsten, von denen angenommen wird, dass sie geschlechtsspezifisch seien?

Illouz: Okay. Konsum und Geschlecht. In den feministischen Wissenschaften wurde die Konsumsphäre immer als eine angesehen, die in erster Linie auf Frauen abzielt und die Frauen auf diese Weise unterdrückt. Ich glaube hingegen, dass Frauen an diesen Markt zwar angekoppelt wurden, dass sie darin aber auch unterschiedliche Positionen einnehmen konnten. Männer waren dafür verantwortlich, für das "Date" zu zahlen, und die Frauen ihrerseits waren für seine Gestaltung zuständig. Dieser Prozess war geschlechtsspezifisch organisiert. Sowohl die Frau als auch der Mann wurden geschlechtsspezi- fisch in die Konsumsphäre einbezogen, die nicht nur ein Geschlecht avisierte, sondern beide auf jeweils verschiedene Art und Weise. Ich sage aber auch, dass es eine Tendenz der Konsumkultur gibt, die Geschlechtergrenzen zu verwischen. Das konsumierende Subjekt wird zum abstrakten Konsumenten. So werden ja Frauen häufig dazu angeregt, zu denken, dass sie autonomer und freier würden, wie zum Beispiel in der Werbung für "Virginia Slim"-Zigaretten: "you've come a long way babe". Wenn es ihr passt, greift die Werbung schon mal auf Slogans aus den sozialen Bewegungen der siebziger Jahre zurück. Man sieht Bilder von emanzipierten, trinkenden oder rauchenden Frauen, die "frei" sind. Selbstverständlich kann man zugleich immer noch Bilder von Frauen sehen, die Kekse für ihre Kinder backen, aber parallel dazu gibt es Bilder von Frauen, die emanzipiert agieren. Mir ging es darum, dass die Konsumkultur dabei ist, die Geschlechtergrenzen zu verwischen.

Graw: Am Ende Ihres Buches deuten Sie an, dass die derzeit im Liebesdis-kurs dominierende Ideologie der Selbstbestimmung, die ja ihrerseits mit ein zentrales Ideologem des Kapitalismus ist, auf Dauer überwunden werden müsse. Man vermutet daraufhin, Sie seien womöglich von einer Vision geleitet gewesen, dass die Dinge auch ganz anders sein könnten. Auch wenn es in erster Linie darum geht, den heutigen Liebesidealen und -praktiken auf die Spur zu kommen, scheint Ihre Studie von einem latenten Wunsch nach Veränderung angetrieben? Ist dem so?

Illouz: Überhaupt nicht. Ich hatte keine "reine Vision" ­ und ein Prophet in diesem Sinne bin ich auch nicht. Ich liebe Max Webers Beschreibung der Aufgabe des Wissenschaftlers ­ nicht, dass ich mich für eine Wissenschaftlerin halten würde ­, aber für Weber ist der Wissenschaftler diese Person, die sagt: Schaut her, dies sind die Götzen, die wir anbeten. Max Weber meinte, dass es die Aufgabe der Wissenschaften sei, auf diese verschiedenen Götzen zu zeigen, und zwar auch deshalb, weil man selbst nicht wirklich dazu in der Lage ist, an sie zu glauben. Somit ist der Wissenschaftler ein stoischer Held: das, was von ihm gefordert wird, ist die vollständige Immersion in das Soziale. Es ist ihm jedoch unmöglich, in dieser Welt zu handeln, ein eigenes Verständnis dieser Welt zu gewinnen, durch das er sie verändern könnte. Der Soziologe ist in diesem Sinne dazu aufgefordert, sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der von ihm analysierten Gegenstände zu befinden. In den meisten heutigen Ausprägungen der Cultural Studies wird diese Position inzwischen abgelehnt, aber ich glaube, dass es in Webers Position eine Art Heroismus des Denkens gibt, die mich sehr bewegt. Diese Figur sieht und versteht den Glauben der Leute, versteht auch, warum sie das glauben, was sie glauben. Nur ist sie selbst nicht dazu in der Lage, an einen dieser Götter, die die Leute anbeten, selbst zu glauben. Auch weil sie sich der Tatsache, dass es eine große Variation von Göttern gibt, zu sehr bewusst ist. Das ist ein wenig meine eigene Position. Ich habe großes Verständnis und bin auch sehr empfänglich für die ungemeine Freude, die mit der Liebes-Mythologie und mit dem zeitgenössischen Kapitalismus verbunden sein kann, für die verschiedenen Glaubenssysteme, die diese Mythologie generiert. Das heißt jedoch nicht, dass ich selbst daran oder an etwas anderes glauben würde. Ich kann hier nicht eindeutig Position beziehen.

Graw: Ich hatte Ihre Bemerkung am Ende des Buches eher so verstanden, dass Sie dem vorherrschenden Glauben an "Selbstbestimmung" als einem Wert an sich kritisch oder wenigstens ambivalent gegenüberstehen würden.

Illouz: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Soziologie sein kann, eine neue Vision zu artikulieren. Das wird in der Kunst gemacht, dort suchen die Leute nach Wegen, um mit der Situation zurechtzukommen. Oder in der Psychologie. Aber die Filme kritisieren sich auch selbst: Im sozialen Gebäude selbst gibt es andauernd Versuche, die darauf zielen, neue Ideen und Ideale der Liebe zu formulieren. Man sieht es in der Schwulenbewegung, in neuen Liebeskonzepten feministischer Gruppen. Die interessantesten Dinge werden nicht von Soziologen gemacht. Statt eine neue Vision zu entwerfen, halte ich es für meine Aufgabe, zu zeigen, was es ist, woran wir glauben, und den Preis zu nennen, den wir für diesen Glauben bezahlen.

Anmerkung

[1]Eva Illouz, Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus, Frankfurt/M. 2003.