No Guru No Method No Master Zur Methode und Zukunft der Lehre
Innerhalb und außerhalb Deutschlands sieht die Situation an Kunstakademien wie auch an Universitäten und anderen Bildungsinstitutionen angesichts drastischer Kürzungen im Bildungswesen nicht gerade gut aus. Im Zuge allgegenwärtiger "Evaluierungen" nach dem kapitalfixierten Schema von Unternehmensberatungen scheinen Kunsterziehung und die Vermittlung von "künstlerischem Wissen" zunehmend zweitrangig zu werden insbesondere wenn man bedenkt, welche Bedeutung eine "ästhetische Praxis" innerhalb von Unternehmen bzw. einer internationalen "Image"-Industrie hat. Auf die Anforderungen eines auf Symbolproduktion geeichten Marktes wird an Lehrinstituten immer häufiger mit Strukturen reagiert, die am ehesten mit elitären "Karriereclubs" in Rufnähe zum internationalen Kunstmarkt zu vergleichen sind.
Wie stark sind Lehrende an Kunstakademien von diesen veränderten Strukturen betroffen? Wirken sich diese auf ihre Lehrmethode aus? Und wie sieht diese überhaupt aus?
In unserer Umfrage haben wir unterrichtende Personen aus dem Kontext Kunstakademie um ein Statement gebeten, das eigene Erfahrungen mit einschließt und mögliche Alternativen benennt. Die beiden von uns gestellten Fragen lauteten dabei: 1. Auf welche Art und Weise unterrichten Sie Kunst? 2. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas im bestehenden Ausbildungssystem zu ändern, was wäre das?
Charles Harrison
Methode
Mein Hauptarbeitgeber ist die British Open University, eine Fernuniversität, die älteren, zu Hause im Teilzeitmodus Studierenden Seminarstoffe mit der Post und über verschiedene elektronische Medien vermittelt. Für mich bedeutet deshalb "Lehre" üblicherweise, als Mitglied eines Teams Seminar-Pakete zusammenzustellen. Ich habe in diesem Bereich auf verschiedenen Ebenen gearbeitet, etwa beim Verfassen von einführendem Textmaterial für Studienanfänger/innen oder spezialisierteren Texten zur Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts für weiter Fortgeschrittene. Es ergeben sich allerdings auch immer wieder meistens lohnende Gelegenheiten, Studierenden von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und in Museen und Galerien gemeinsam mit ihnen zu arbeiten. Mein allgemeineres Anliegen ist es, den Studierenden a) die Bedeutung der Erfahrung von Kunst in ihrer ursprünglichen Form klarzumachen, ihnen b) die Unterschiede zwischen kritischer Einbildungskraft und einer unreflektierten Konsumhaltung zu verdeutlichen und ihnen c), wenn es um Kunstwerke geht, Unterscheidungskriterien an die Hand zu geben.
Durch meine künstlerische Mitwirkung bei Art & Language bin ich außerdem mit einer anderen Art pädagogischer Aktivität befasst. Diese beiden Verpflichtungen miteinander in Einklang zu halten fällt nicht immer leicht, auch wenn ich die Spannungen zwischen ihnen meistens als produktiv empfinde.
Änderungsvorschläge
Wenn das ginge, würde ich den allgemeinen politischen Trend rückgängig machen, der dazu führt, dass von Universitäten öffentlichen Instituttionen gefordert wird, dass sie sich wie Organisationen in einem kommerziellen Wettbewerb verhalten. Mir ist klar, dass dieser Trend, auch wenn es sich nur um "eine Sache" handelt, trotzdem zu unabsehbaren Konsequenzen und Verzweigungen führt; dazu gehören massive Expansion und überzogene Machtzumessungen auf allen Ebenen des Managements, das Wuchern so genannter "interner Märkte" (durch die Kolleg/innen unterschiedlicher Abteilungeen dazu gebracht werden, sich so zu verhalten, als arbeiteten sie für konkurrierende Organisationen), daraus folgend die Herabsetzung aller denkbaren Standards und die Verschiebung der Macht hin zu den universitären Entscheidungsgremien in der Verwaltung, wodurch die Wirtschafts- und Managementabteilungen florieren, die natur- und geisteswissenschaftlichen Fakultäten dagegen zusammengekürzt und nachhaltig ihrer Rechte beraubt werden. Solange allerdings kein Ende der "Management-Revolution" abzusehen ist, die sich seit Ende der siebziger Jahre durch westliche Institutionen frisst, hat es wohl wenig Sinn, sich über Details Sorgen zu machen. Es gibt jedoch bei der Lehre von Kunst und Kunstgeschichte eine Konsequenz mit einer spezifischen und höchst schädlichen Auswirkung: Wer sich zurzeit mit dem Entwurf und der Durchsetzung von Lehrplänen befasst, sieht sich verstärkt mit der Forderung der Regierungsbehörden konfrontiert, sich zu "Wirtschaftlichkeitsprofilen", "Lehrprinzipien", "Lernresultaten" und "Bewertungskriterien" und Ähnlichem zu äußern. Eine solche Durchdrinngung der Sprache der Erziehung mit dem Jargon des Managements hat das stabilste aller Grundprinzipien beim Kunststudium aus den Angeln gehoben: dass es sich bei Kunst um ein Gut an sich handelt.
(Übersetzung: Clemens Krümmel)
[Eine gut recherchierte Analyse vergleichbarer Prozesse in Kunstinstitutionen: Chin-tao Wu, Privatising Culture, London 2002.]
Astrid Klein
Methode
Seit 1993 habe ich als Professorin für Bildende Kunst an der HGB Leipzig künstlerisches Wissen ästhetische und theoretische Erfahrung an junge Künstlerinnen und Künstler weitergegeben. Aus meiner Fachklasse, in der interdisziplinäre und medienübergreifende Arbeit eine selbstverständliche Praxis ist, die sich in individuellen wie in kollektiven Projektzusammenhängen formuliert, sind seither Filmemacher, Bildhauer und Maler, Fotografen und Konzeptkünstler, aber auch kuratorische Positionen und Galeriegründungen hervorgegangen. Theoretische Reflexion und kritischer Diskurs sind wesentliche Eckpfeiler der Ausbildung, sowohl in einer allgemeinen, gesellschaftspolitischen Perspektive als auch im Hinblick auf die spezifischen Rahmenbedingungen der Produktion, Rezeption und Distribution von Kunst.
Vor diesem Hintergrund ist mir vertraut, wie sehr die Infragestellung der bisherigen Parameter künstlerischer Ausbildung durch die fortschreitende Reduktion finanzieller Mittel und die gesellschaftliche Abwertung künstlerischer Wissens- und Praxisformen in der Tat real ist: Sie zeigt sich nicht nur darin, dass die Lehre ökonomisch in eine konzeptionelle und personelle zunehmend auch verwaltungstechnische Enge getrieben wird, sondern ebenso in der generellen Problematik einer wachsenden Zahl von Studierenden, die spüren, dass sie im Begriff sind, in eine gesellschaftlich marginalisierte Kaste einzutreten, deren Stimme und Engagement trotz hoher künstlerischer Qualität auf wenig Resonanz und Respekt hoffen kann. Junge Künstlerinnen und Künstler auszubilden, sie zu einer kritischen Positionierung herauszufordern, ihre Widerspenstigkeit zu stärken, ihnen Kenntnisreichtum in Geschichte, Verfahren und Materialien ästhetischer Praxis zu vermitteln und zugleich zu wissen, dass das Feld immer kleiner wird, in dem ihre Fähigkeiten und ihre künstlerische Haltung auf Wertschätzung stoßen, ist ein zunehmend schwieriger auch ethischer Spagat. Dass die Absolvent/innen meiner Fachklasse gelernt haben, ein soziales und intellektuelles Netzwerk zu bilden, auf das sie zählen können, erhöht ihre Chancen, ändert aber nichts am eigentlichen Problem.
Änderungsvorschläge
Nach wie vor halte ich es für entscheidend, ein spezifisch künstlerisches Wissen, das breit gefächert ist und auf ästhetischer Erfahrung aufbaut, an begabte junge Künstlerpersönlichkeiten weiterzugeben. Die klassischen Aspekte der Kunstausbildung haben dabei weiterhin Bestand und sind gegen ihren Abbau zu verteidigen.
Ebenso entscheidend ist es aber auch, zugleich nicht nur tradierte künstlerische Identitäten und Arbeitsmodelle zu reproduzieren, sondern die Studentinnen und Studenten fähig zu machen, sich in einer neuen gesellschaftlichen Situation zu behaupten, die ihnen veränderte Berufs- und Identitätskonzepte und neue ökonomische wie (außer)institutionelle Zusammenhänge und Methoden kultureller Praxis einerseits abverlangt, andererseits als Chance bietet. Die Absolvent/innen der Akademien müssen künftig in der Lage sein, in verschiedenen kulturellen/gesellschaftlichen Räumen aktiv zu werden und für sich eigene Handlungsperspektiven zu entwickeln, wo die herkömmlichen Modelle, die eine Existenz im Kunstfeld bisher sicherten und strukturierten, nicht mehr ausreichen. Dazu ist es unabdingbar, eine hoch qualifizierte, z.T. auch transinstitutionelle Ausbildung anzubieten, die auch "kunstferne" Fragestellungen einzuschließen weiß. Wir sind im Begriff, in künstlerische und kulturelle Praktiken einzutreten, die ihre Souveränität innerhalb der sich verändernden ökonomischen, politischen und institutionellen Parameter neu formulieren müssen. Die Akademie kann sich nicht auf historische Legitimationen, etwa die Wahrung von Tradition, zurückziehen.
Damit ist nicht die Neuausrichtung der Lehrinhalte auf ihre verbesserte pragmatische Anwendbarkeit hin gemeint. Um im Kontext der neoliberalen Funktionalisierung des Kreativen und der staatlichen Aufweichung kultureller Kerninstitutionen ihre Position zu behaupten, muss die Akademie eine übergeordnete, antizipative Perspektive einnehmen und Visionen formulieren, für die sie einsteht.
5% derjenigen, die ihre Ausbildung bei uns durchlaufen haben, werden es "schaffen", so sagt man. Wir müssen sie darin bestärken, dass sie auch morgen noch eine wichtige soziale und politische Rolle einnehmen können und diese auch gegen den durchkommerzialisierten Kulturbetrieb einfordern müssen. Denn für das Empfinden und die Formulierung unserer Bedürfnisse nach Transzendenz, nach geistiger wie materieller Emanzipation und kritischer (Selbst-)Reflexion, nach intellektueller Herausforderung und Solidarität sowie nach zeitgenössischen Formen der Wissensproduktion übernimmt die Kunst als einzige gesellschaftliche Instanz zunehmend die Rolle einer elitären Widerständigkeit. Um sich der Unterwerfung unter die gegebenen Verhältnisse die Ökonomisierung des Kulturellen, die Effizienzlogik, die Popularisierung kritischer Diskurse, die Verdummung öffentlicher medialer Räume entgegenzustellen, verfügt die Kunst über ein nennenswertes Repertoire an historisch gewachsenen Praktiken und analytischen Strategien, die zu aktualisieren sind.
Aber die Rede von den 5%, die immer ausgeblendet hat, dass sie nur jene einschließt, die sich auf dem Kunstmarkt behaupten werden, verstellt den Blick auf das Potenzial, das in den übrigen 95% liegt. Unser Ziel müsste es sein, dass morgen eine Kunstausbildung begonnen und erfolgreich abgeschlossen werden könnte, nicht nur um eines Tages zu den 5% der reüssierenden Künstler zu zählen, sondern mit der aussichtsreichen Perspektive, zu eben jenen 95% zu zählen, die künftig auch unabhängig von künstlerischer Begrifflichkeit und Praxis einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs zu bieten haben. Die Kunstakademie muss sie als eine ihrer großen Chancen erkennen: qualifizierte Persönlichkeiten, die ihre kreative Intelligenz, ihr Bewusstsein, ihre Wahrnehmung, ihre geistige Mobilität in die Entwicklung neuer materieller wie immaterieller Produktivität einbringen.
Hans Haacke
Methode
Es war mein Ziel, die Kunsthochschulstudenten, mit denen ich an der New Yorker Cooper Union zu tun hatte, so früh wie möglich auf die eigenen Beine zu stellen. Auf keinen Fall wollte ich sie zu Jüngern oder Nachahmern abrichten.
Das Curriculum des Bachelor of Fine Arts (bfa) Programms der Cooper Union kommt diesem Bedürfnis insofern entgegen, als es die Konzentration in einem Fach und damit das Studium mit nur einem oder ganz wenigen Dozenten bis zum letzten Jahr der vierjährigen Ausbildung nicht zulässt (durchschnittliches Abschlussalter 22 bis 24 Jahre). Normalerweise sind die Studenten gleichzeitig in vier Studio-Klassen eingeschrieben, die wöchentlich für zwei bis vier Stunden zusammentreffen (fünfzehn Semesterwochen). Am Semesterende erhalten sie Noten. Die Belegschaft aller Klassen ist auf achtzehn Studenten begrenzt. Nachdem sie eine straff geführte Grundlehre (Foundation Program) von zwei Semestern absolviert haben (2- und 3-dimensionales Gestalten, Zeichnen, Farblehre, Einführung in Techniken, Werkzeuge, Materialien), werden außer in Grafikdesign- und einigen Fotoklassen nur von sehr wenigen Dozenten verbindliche Aufgaben gestellt. Kunstgeschichte und andere geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Fächer machen rund ein Drittel des gesamten Studiums aus.
Außer einer Grundlehreklasse in 3-dimensionalem Gestalten habe ich 35 Jahre eine nominal als "Sculpture" ausgewiesene Studio-Klasse geführt, in der Studenten vom dritten bis achten Semester zusammentrafen. Im "Course Catalog" der Schule (Vorlesungsverzeichnis) hatte ich die Klasse folgendermaßen angezeigt: "Diese Klasse soll Studenten eine Basis erarbeiten, die sie in die Lage versetzt, selbständig zu entscheiden, was sie machen, wie sie es machen und warum es gemacht werden soll. Feedback zu ihren Arbeiten erhalten sie im Rahmen der Klasse und im persönlichen Gespräch. Arbeiten anderer Künstler, theoretische Fragen und Fragen zur Kunst im gesellschaftlichen Kontext der Gegenwart sind Thema allgemeiner Diskussionen."
Um die Besprechung ihrer Arbeiten in der Klasse nicht zu präjudizieren, hatte ich es mir angewöhnt, zunächst mit meiner Meinung zurückzuhalten. Ebenso waren die Studenten, die ihre Arbeiten vorstellten, gebeten, am Anfang auf einstimmende Erklärungen zu verzichten. Diese Zurückhaltung erleichterte es, das Kommunikationspotenzial der Arbeiten unbefangen zu testen. Erst zum Ende der allgemeinen Diskussion erklärten die Produzenten, was sie im Sinn hatten. Und dann bin auch ich erst mit meinen Überlegungen herausgerückt. Wenn es noch nicht bereits geschehen war, habe ich dann versucht, die Arbeiten in einen historischen Kontext zu stellen und, soweit es mir möglich war, die unausgesprochenen ideologischen Positionen der Diskussion bewusst zu machen. Mir lag daran, dass die Besprechungen nicht im unverbindlichen "I like it I don't like it" versandeten oder durch persönliche Sympathien und Fehden belastet wurden.
Solange ein professioneller Umgangston beibehalten wird, glaube ich, kann ein konstruktives Klima auch bei rückhaltloser Kritik und scharfen Meinungsverschiedenheiten bewahrt werden. Es muss geübt werden. Für alle Beteiligten ist eine solche Professionalität der Mühe wert und kann über den Studienkontext hinaus.
Änderungsvorschläge
Meine Kenntnisse der Verhältnisse in Deutschland gehen auf mein eigenes Studium vor rund 45 Jahren zurück, die später durch gelegentliche Gastspiele in deutschen Kunsthochschulen und durch Hörensagen nur ungenügend aufgefrischt werden konnten. Deshalb sind meine Einschätzung und meine vagen Empfehlungen mit Vorbehalten zu genießen.
Ich glaube, für jüngere Studenten ist das mir von der Cooper Union bekannte und im Vergleich mit deutschen Kunsthochschulen sehr viel schulischere System hilfreicher als die bereits in den Anfangsjahren des Studiums viel lockerere deutsche Ausbildungsweise. Für eine intensive und Erfolg versprechende Ausbildung wäre sowohl für Studenten wie auch Dozenten die Anwesenheit während des gesamten Semesters zu befürworten.
Die praktische und theoretische Ausbildung sollte eine breite Basis schaffen, die sich nicht am aktuellen Stand des Kunstmarkts orientiert, sondern die Studenten zur Bewältigung einer noch nicht bekannten persönlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Zukunft befähigt. In diesem Sinne wäre die Durchlässigkeit bestehender Fachgrenzen und der Zugang zu allen Werkstätten und Labors der Schulen anzustreben.
Wie auch immer die künstlerische Ausbildung organisiert ist, bleibt es natürlich eine Binsenweisheit, dass es letzten Endes auf die Kompetenz und die pädagogische Begabung der Lehrenden ankommt.
Thomas Bayrle
Unterrichten an Kunstschulen habe ich immer als Rangieren von "gleichwertigen Zügen" mit verschiedener Ladung begriffen oder als Gewebe, in das hunderte Fäden verwebt sind, deren mitgebrachte Qualität entscheidend erst durch die Bindungsqualität des Gesamtgewebes bestimmt wird. zu ganz schön summenden Bienenstöcken sind diese Akademien in den letzten Jahren geworden oder zu kollektiven Quallen, die sich aus ständig wechselnden Individuen neu zusammensetzen und sich wieder zerlegen relativ frei schwimmend im gesellschaftlichen Raum. Dieses fließende Akkumulieren und Dekonstruieren von irgendwie hochempfindlichen "kleinsten Unternehmern"(Beuys) kann für die ganze festgefahrene Vorstellung vom Begriff Arbeit ein neues Fenster sein!
Gareth James
Ich möchte die beiden Fragen gern in umgekehrter Reihenfolge beantworten: Eine Antwort auf die zweite Frage betrifft den Kontext von Erkennbarkeit, aus dem heraus sich eine Antwort auf die erste ergeben wird. Ich lege gleich die Karten auf den Tisch - es geht um eine Art Basisontologie der Erziehuung. So genannte alternative Erziehungsmodelle haben stets versucht, mit Veränderung vor allem an den Grundbedingungen von Erkenntnis anzusetzen. Schändlicherweise wird ihnen aufgrund ihrer anarchischen Hervorbringungsfülle selten erlaubt, zu gängigen Praktiken zu werden, und das nicht nur, weil fast immer Drogen, delegitimierte mystisch-theologische Praktiken oder Hühner mit im Spiel sind.
Oft genug verbleiben Gedanken zu diesem Thema bei der Frage stehen, wie der Lehrer lehren soll, und sind damit immer, vorausgesetzt der Lehrer ist schon Teil einer Institution, von institutionellen Verhandlungsstrukturen begrenzt. Seltener wird darüber diskutiert, wie man unterrichtet werden soll. Bei den wenigen vorhandenen Ausnahmen wird meistens die relationale Kategorie "Alternative" von der Kategorie "Opposition" verdrängt, d.h. wie nicht unterrichtet werden soll. Dass wir normalerweise davon nichts hören wollen, zeigt ein relativ junges Beispiel: "Oleanna", das viel geschmähte Theaterstück von David Mamet. Mamets Stück ist eine weit reichende und tief dringende Beobachtung der Erziehung und damit der Gesellschaft im Zustand der Krise. Das Stück ist weitaus interessanter, als es seine derzeitige Rezeption suggeriert: ein bissiges Pamphlet gegen politische Korrektheit, das vermutlich ein liberales Publikum von den Sitzen aufspringen, die Fäuste recken und schließlich applaudieren lässt, wenn der bedrängte Professor aus Frustration gewaltsam auf den schwierigen Studenten einschlägt. Mamet verbindet das derzeitige pädagogische Makroproblem (wie der Gesellschaft beibringen, dass sie gefälligst aufhört, so verdammt bigott zu sein) mit einer noch unbeantworteten Befragung des studentischen Radikalismus der sechziger Jahre (wie nicht unterrichtet werden, um an der Behandlung der Frage beteiligt zu werden, wie man unterrichten soll). Letzten Endes wird Mamets Stück dann wohl doch nicht neben John Stuart Mill in einen Sammelband über die Philosophie der Erziehung aufgenommen werden, da es sich definitiv weigert, sich die Hände schmutzig zu machen, indem es irgendeine und sei es auch noch so vorläufige programmatische Selbsterklärung anbieten würde.
Das kann man von den Situationisten nicht behaupten. Wenn man für einen Augenblick deren eigenes (sowohl internes wie externes) Autoritätsproblem beiseite lässt, schlägt der Text "Über das Elend im Studentenmilieu" (1966) vor, Aufgaben der Erziehung mit den Aufgaben der Revolution zu verbinden. Da wird Lukács wohlwollend mit einer Einlassung zur Frage der Revolution zitiert, und die S.I. stellt gemeinsam mit der Studentengruppe "Die Fünf von Straßburg" fest, dass verschiedene theoretische Richtungen und Differenzen, wenn sie in der Praxis realisiert werden sollen, unmittelbar in organisatorische Fragen übersetzt werden müssen. [*] Ich bin sicher nicht dafür, alle Unterschiede zwischen Studierenden und Lehrenden abzuschaffen, obwohl ich ganz gerne mit diesem Gedanken spiele. Ebenso wenig halte ich das Problem des "Studenten-Konsumenten", das erstmalig in den Vereinigten Staaten auftrat, sich aber schnell verbreitete, für groß genug, um widerwillig den Machtfluss in der Verbindung von Revolte und Erziehung zu akzeptieren. (Eine solche Reaktion erscheint mir als unzulässige Vermischung allgemeiner Wertbildungsprobleme im Kapitalismus mit den spezifischen Machtproblemen im Feld der Erziehung.) Meiner Meinung dürften organisatorische Fragen nicht länger auf verschiedenen Ebenen enttotalisiert verhandelt werden. Nur dann kann eine Antwort auf das Problem gefunden werden, das sich einstellt, wenn man heute nach dem Unterrichten und morgen nach dem Unterrichtetwerden fragt wozu die oben genannten Optionen tendieren. Die theoretischen Tendenzen und Differenzen zwischen Studenten und Lehrern müssen in dieselbe Befragung der Organisationsstrukur übersetzt werden. Oder anders gesagt, bei einer solchen Übersetzung sollte man bemerken, dass die Frage danach, wie nicht unterrichtet zu werden, nicht die Frage danach ist, wie (überhaupt) nicht unterrichtet zu werden als ob der Einsatz der Studenten immer nur insoweit nützlich wäre, Lehrern zu helfen, besser zu lehren, statt selbst als Forderung ernst genommen zu werden, sich selbst zu unterrichten, auch wenn das für Lehrer eine erschreckende Vorstellung sein mag.
Irgendwo weiter vorne hatte ich schon angefangen, die Frage nach meiner Lehrmethode zu beantworten. Das könnte eben auch heißen zu überlegen, wie man nicht lehrt, auch wenn das für einige Studierende eine erschreckende Vorstellung sein mag. Vielleicht erscheint dies manchen etwas zu abstrakt, aber wenn uns nicht gestattet wird, Erziehung an Kunsthochschulen zu deinstrumentalisieren, uns zu weigern, in den normalen Kreislauf von Produktion und Reproduktion des Kapitals einzutreten, wo sonst? Damit meine ich etwas ganz anderes, als vom Wissensaustausch Abstand zu nehmen. Vielmehr führt dies zur Frage von Organisation als Übersetzung zurück, die Fähigkeit zu handeln statt zu verdinglichen. Das bedeutet, darauf zu beharren, dass man in einer Lehrsituation damit anfangen muss, an den Bedingungen von Erkennbarkeit zu arbeiten, ohne sich von vornherein Inhalte anzumaßen, die es zu unterrichten gilt, und versuchen muss festzustellen, ob es überhaupt irgendetwas zu unterrichten gibt.
(Übersetzung: Susanne Leeb)
Anmerkung
[*] | Über das Elend im Studentenmilieu, betrachtet unter seinen ökonomisschen, politischen, sexuellen und insbesondere intellektuellen Aspekten und über einige Mittel, diesem abzuhelfen" geschrieben von Mitgliedern der Situationistischen Internationale und den Fünf von Straßburg", afgess, November 1966, in: Situationist International Anthology, hg. v. Ken Knabb, Berkeley 1981. |
Judith Hopf
Entsprechend meiner Auffassung, dass sich die Rollen, die man zur Vermittlung einnehmen kann, größtmöglich unterscheiden sollten von einem erprobten Lehrer/in-Student/in-Machtverhältnis, beschäftigt mich zuerst einmal die Frage nach Variationen dieser Konstellation.
Natürlich wäre es mehr als vernebelnd zu behaupten, es gäbe da kein Machtverhältnis, im Gegenteil ist es klar sichtbar: Ich bin angesprochene und bezahlte Profi, die unterstützend tätig sein soll bei Student/innen, die ihrerseits etwas rausfinden wollen in Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten und die daran angeschlossenen möglichen Stellen des Verbundenseins der ästhetischen, gesellschaftlich relevanten, politischen und historischen Praxis namens Kunst.
Interessanterweise konnte ich bald feststellen, dass die Konstellationen recht schwer beweglich scheinen: Mein Vorschlag einer gütigen Diktatur zum Beispiel, in der ich das Thema bestimme, anhand dessen die Student/innen dann "projektorientiert", "frei" arbeiten können (eine kurze Fantasie meinerseits, die meine eigene Praxis widerspiegelt), wurde ziemlich direkt mit einer gewissen Gegendynamik beantwortet (leere Blicke, die durch mich hindurch schauen und weit in eine Unendlichkeit hinein fokussieren).
Umgekehrt stand ich immer etwas ratlos der Beurteilungsforderung seitens der Student/innen gegenüber, die entstandenen Arbeiten anhand von zum Beispiel Noten zu kategorisieren oder anhand eines Gespräches im Sinne von "gute Arbeit/schlechte Arbeit" zu unterteilen es scheint mir etwas unsinnig, diese komplexen Arbeitsprozesse, an denen teilzuhaben ich angestellt bin, anhand einer Beurteilungsskala zu besprechen ich vermute stets komplexere Wertfindungsprozesse hinter den Ergebnissen der Gruppen- oder Einzelproduktionen, die es nachzuvollziehen gilt, um diese dann entsprechend ihren Sinnzusammenhängen zu kritisieren und an zeitgemäße Debatten anzuknüpfen.
Das Professor-Subjekt mit dem vermeintlichen Überblick oder einer angenommenen rigorosen Haltung, das ich aus meiner eigenen Studienzeit kenne, sollte im besten Fall durch ein kritisches Gespräch untereinander ersetzt werden, das mich und meine Auffassung von Kunst genauso zur Debatte stellt wie die Arbeiten und Ansichten, die die Student/innen entwickeln und besprechen wollen daraus ergeben sich erfahrungsgemäß Themenkomplexe, die es aufzugreifen und zu beantworten gilt, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Hintergrundtexten, von parallel laufenden Film- und Veranstaltungsreihen oder Diskussionszusammenhängen mit eingeladenen Gästen wichtig scheint mir hierbei die Fähigkeit, einen Abstand herzustellen zu dem, was man als eigenes Wissen begreift, das man möglicherweise bestätigt wissen möchte, und dem Wissen zu saisonalen Fragen und Attraktionen, das die Student/innen selbst immer wieder neu mitdiskutieren. Durch diesen Abstand zeigt sich meiner Meinung nach die Verortung einer möglichen Rolle als Dozentin, die in der Lage ist, die aktuellen Handlungs- und Beschäftigungsfelder der Studierenden aufzugreifen und mitzuverhandeln.
Ich hatte bisher die Möglichkeit, an unterschiedlichen Hochschulkonzepten Eindrücke zu sammeln. Daraus ergibt sich kein einheitlicher Eindruck hinsichtlich der Frage, was man an den verschiedenen Hochschulen ändern sollte, sondern ein etwas abwägender Blick auf Vor- und Nachteile dieser Institutionen und ihrer unterschiedlichen Konzeptionen.
Genereller würde ich es für wünschenswert betrachten, die binären Denksysteme, die sich eigentlich in jeder Institution abzeichnen und entlang den Fragen von Theorie versus Praxis, Erlernbarkeit der "Instrumente" versus experimenteller Praxis usw. stellen, weiter zu entschärfen zugunsten einer aufmerksamen Praxis, die die Student/innen nicht so stark als formbares Inventar, wohl aber als Mitorganisatoren dieser Institutionen begreift. Es ist auffällig, dass auch die progressiveren Hochschulkonzeptionen dem Druck nach Effektivität nicht noch mehr, etwas stureren Widerstand bieten. Was soll das für ein Erfolg sein, der da immer mitgezählt wird, als einer, der daran arbeitet, dass die Grenze zwischen dem Außen und den Hochschulen nicht so unüberwindbar ist, wie es das Akademiekonzept vorgibt, das die Hochschule als abgeschlossenen Wissensraum versteht, in dem das wiederholt wird, was man als Kanon bestimmt hat. Nichts anderes aber bedeutet doch eigentlich die fortschreitende Elitisierung und der Ruf nach Effizienz innerhalb der verschiedenen Akademien.
Albert Oehlen
Methode
Durch gemeinsames Besprechen der aktuellen Bilder der Studenten sollen für alle verständliche Kriterien gefunden werden. In Einzelgesprächen werden die Studenten dann weiter verunsichert.
Änderungsvorschläge
Da müsste ich erst meinen Galeristen fragen.
Eran Schaerf
Rollenspiel. Für eine Methode des Unvorhersehbaren
Jeder Teilnehmer an einem Lernprozess - Professor, Student -operiert mit Vorstellungen vom anderen Teilnehmer. Wenn das Verhalten des einen von der Vorstellung des anderen abweicht, wird es entsprechend als verkehrt, autoritär, überraschend, enttäuschend, inspirierend oder inkorrekt bewertet. Dabei bezieht sich die Bewertung darauf, wie die Person ihre Rolle als Student oder Professor aufgeführt hat. Um diese Rolle als mögliche Position außerhalb der Institution wenn die Personen sich zum Beispiel als zwei Künstler begegnen würden zu analysieren, muss der Bühnencharakter der Institution imaginiert werden. Das Rollenspiel als Methode ermöglicht es, die Realität von Rahmenhandlungen, die von der Institution nicht direkt vorgesehen sind, innerhalb der Institution zu proben. So sind die zwei Fragen nach der Methode und nach der möglichen Änderung des Systems nicht wirklich voneinander getrennt. Die Methode befreit uns nicht von den Fesseln des Systems, sie verlängert die Laufleine. Sie markiert einen Raum, der sich innerhalb des Systems befindet, aber nicht notwendigerweise mit diesem kongruent ist.
Eine Kunsthochschule ist ein institutioneller Rahmen, der die Handlung Lernen/Lehren durch ein Set von vorgestellten Rollen, Funktionen und Formaten regelt: Lehrende und Studierende, die Studienzeit und das danach beginnende Berufsleben, der Hochschulkontext und die "größere" Öffentlichkeit, Produktion, Präsentation, Praxis und Theorie, um nur einige zu erwähnen. Dieses Set stützt sich auf gesellschaftliche Vorstellungen, findet Ausdruck in architektonischen Maßnahmen und wird gesetzlich festgehalten. Entsprechend werden den Räumen, die der Lehre zur Verfügung stehen, Funktionen zugewiesen: ein Klassenraum, in dem die Studierenden arbeiten, ein Privatraum des Professors (der im Meisterschüler-Modell das Atelier des Professors war), in den er sich zurückziehen bzw. in dem er Arbeitsgespräche führen kann. Selbst das Verhältnis des Kunstprofessors zu seiner eigenen künstlerischen Praxis als Existenzgrundlage wollte das Gesetz nicht ungestaltet wissen: Demzufolge darf ein Professor zusätzlich zu seinem Gehalt als Professor nichts verdienen. Er wird vorgestellt als jemand, der seine künstlerische Praxis als Existenzgrundlage aufgegeben hat und als Hobby oder als volontäre Öffentlichkeitsarbeit weiterführt. Er blickt auf eine Praxis zurück, die es ihm erlaubt, in der Akademie als lebende Legende zu funktionieren. Die Professur ist eine Art Zinssatz, den die künstlerische Praxis eingebracht hat, die aber selbst als Kapital nicht mehr gefragt ist. Wenn er also von der künstlerischen Praxis als Existenzgrundlage spricht, steht er im Widerspruch zu dem Konzept seiner Berufung: Er erzählt seinen Studenten von etwas, das er selbst nicht praktiziert, und wird, wie man sagt, theoretisch. Falls er sich für einen anderen Theoriebegriff interessiert, soll er sich mit der Verwaltung absprechen, denn ein Kunstprofessor kann keinen Theorie-Schein ausstellen.
Dieses Rollen-Set - das nicht nur in meiner Beschreibung paradoxe und parodistische Züge hat -als Rollen-Set zu nehmen heißt, es als Regieanweisung zu nehmen und also die Freiheit der Akteure anzusprechen, die Interpretation ihrer Rollen selbst zu verantworten. In der Praxis, zum Beispiel im Kombinatorik-Seminar, das ich an der HfbK Hamburg veranstalte, sieht das so aus: Das Seminar findet in einem Raum statt, der innerhalb meines "Privatraums" konstruiert wurde. Seine Funktion wird von seinem jeweiligen Gebrauch durch Studierende neu bestimmt als Seminarraum, Ausstellungsraum, Probe-Raum. Ob eine Arbeit präsentiert oder eine Diskussion veranstaltet wird: Studieren heißt hier, dass es zunächst offen bleibt, ob die Diskussion oder die präsentierte Arbeit, beide gleichermaßen oder das Verhältnis zwischen ihnen die künstlerische Praxis ausmacht. Die Unbestimmtheit des Zusammenhangs ermöglicht es, die Herrschaft des Endprodukts und seine herkömmlichen Formen zu studieren und Alternativen zu erproben. Ebenso wird die Praxis, Kunst und Theorie als das Vor- oder Nachspiel voneinander zu positionieren, infrage gestellt. Kunst kann ebenso Theorie sein, wenn sie nicht allein abbildend verfährt, und Theorie kann ebenso Kunst sein, wenn sie etwa den Schreibprozess als kreativen Akt mit thematisiert. Die Rollenteilung, die den einen oder den anderen nur eine Rolle spielen lässt, ist logistisch sicherlich einfacher zu handhaben, hat aber auch ihre identitätspolitischen Konsequenzen. Zu Anfang des Semesters spreche ich einen Zusammenhang von Themen an, indem ich hauptsächlich deren Anschlussmöglichkeiten an andere Themenkomplexe darstelle. Die Teilnehmer werden dazu aufgefordert, ihre Beiträge für die Fortsetzung des Seminars ausgehend von ihrer jeweiligen Praxis zu erarbeiten. So wird die Lernmethode thematisiert, während "das Thema des Seminars" sich von Beitrag zu Beitrag verschiebt. Ich denke, dass Künstler es sich nicht leisten können, die theoretischen Aspekte ihrer Praxis nur in Auftrag zu geben. Durch die Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Kontexten, die für die eigene Praxis relevant sein können, stellt sich eine andere Dramaturgie zwischen Reflexion und Produktion her. Studierende, die von mir die Rolle der Wissensautorität erwarten, enttäusche ich häufig. Ich verstehe mich weder als Kunstwissensvermittler, noch simuliere ich die Position des Nicht-Wissens; ich bin eine Art Software mit ausbaufähigen Umgebungsfunktionen und möchte auch als ein Empfänger in einen ahierarchischen Austausch eintreten können. Jedes Gespräch ist zunächst eine Probe von der Möglichkeit, dass beide Teilnehmer über ein bestimmtes Wissen verfügen. Wenn es dabei aber nicht um mehr als nur dieses Wissen ginge, würden sie sich nicht treffen. Von einer Sprechhandlung erwarte ich mehr als das Auflegen von Wissensplatten. Es ist eine Praxis des Denkens, die offensichtlich nicht vor dem eigenen Bildschirm stattfinden kann. Ein Seminar besteht aus einer Gruppe von Studierenden, die mehr oder weniger zufällig zur gleichen Zeit in einer Stadt, etwas weniger zufällig an einer Hochschule sind und sich aufgrund von ein paar Worten, die ein Lehrangebot beschreiben, zusammengefunden haben. Es gibt da also ein Interesse, das ihnen gemeinsam werden kann, das sich zunächst auf etwas richtet, was noch nicht bestimmt ist und verschiedene Interessen hervorrufen können soll. Kurz, sich Wissen zu ermächtigen befreit einen nicht davon, denken zu lernen, und eine Praxis, die das Denken beansprucht, definiert sich ständig um. Das heißt, dass Studierende sich möglicherweise in einem Bereich "spezialisieren", so dass sie darin ihren Professor bald etwas lehren können. Diese Empfangsbereitschaft macht Arbeit: Ich lese häufig Bücher, die ich sonst nicht in die Hand nehmen würde. Es macht mir Spaß, wenn eine Situation entgegen allen Erwartungen umkippt und ich in eine unvorhergesehene Rolle gerate.
Marina Grzinic
Methode
Ich vertrete und praktiziere eine Repolitisierung des Kunstfelds, die, wie kürzlich Suely Rolnik, eine Psychoanalytikerin und Professorin aus Sao Paulo, formuliert hat, Kreativität mit Widerständigkeit zu verbinden sucht. Die globale Maschinerie des Kapitalismus funktioniert nämlich genau umgekehrt sie versucht unablässig, Kreativität und Widerstand voneinander zu trennen. Das gleiche geschieht heutzutage an den Universitäten und Akademien. Die Universität wird in der staatlichen Bildungspolitik als manageriales Unternehmen verstanden. Das betrifft jedoch nicht nur diese und andere Bildungsinstitutionen. Die Gesellschaft wird in ihrer Gesamtheit, nach Brian Holmes etwa, als Geschäftsunternehmen gedacht und geführt. Holmes fügt dem hinzu: Polizei und Militär versorgen dieses Unternehmen "großzügig" mit Unterstützung. Auf diese Weise werden alle auf Bildung, Intellekt, Kritik und Wissen bezogenen Gesellschaftsebenen gefährdet und infrage gestellt. In diesem Sinne ist Profit und nicht Wissen die wichtigste Triebkraft hinter Universitäten und Akademien. Nach der Idealvorstellung postindustrieller staatlicher Politik verwandeln sich Bildungseinrichtungen in effiziente, leicht kontrollierbare Managementschmieden, die anstelle denkender Bürger/innen neue Generationen von Konsument/innen (heute sanft "User" genannt) und einsatzbereiter Bürokraten hervorbringen. Genau darum bestehe ich auf einer Repolitisierung des Kunst- und Kulturbereichs. Man kann, wie ich finde, kaum von einem offenen demokratischen Projekt der Kunst sprechen, wenn man nicht zugleich auch wieder an die Möglichkeit einer radikal-künstlerischen Erfahrung denkt, die sowohl als "open source", als frei zugängliche Quelle, funktionieren könnte als auch die Möglichkeit eines Sprungs hin zu einer radikal-politischen Erfahrung innerhalb einer größeren Community birgt. Wir leben heute in einer Welt, die nur im Sinne eines oberflächlichen Trends multikulturell, tatsächlich aber ganz und gar nicht offen genannt werden kann. In Kunstinstitutionen, Akademien, Museen und so fort hat man es immer wieder mit denselben Namen zu tun. Da reicht ein Blick auf die riesige Theorieindustrie, die sich perfekt in das kapitalistische System einfügt und der es mit ihrer unausgesetzten und obsessiven Produktion von Interpretationsüberschüssen nur selten gelingt, irgendetwas Bedeutungsvolles über die Zweite und Dritte Welt zu sagen.
Es ist also nicht nur wichtig, in der Lehre zu berücksichtigen, wer spricht, sondern auch, von welchem Ort sie, er oder es zu uns über Kunst, Kultur und Gesellschaft spricht. Der Zuhälter, den wir in Rolniks Sicht im kapitalistischen Kunstsystem erblicken können, kann aus einem "Engel" in der Kunst schnell eine Hure machen. Dieser Positionswechsel ist eine zutiefst strukturell verankerte Sache und nicht nur ein psychologisches Spielcheen oder ein irgendwie existenzielles Unterfangen.
In unserer Gegenwart hat dies eine gewaltige Auswirkung auf Identitäten und Identitätspolitiken. Es wirkt sich stark auf die Herstellung fließender, hybrider Identitäten aus. Die sind zuallererst ein Zeichen für ein Versagen von Identitätsvorstellungen! Identität ist wesenhaft mit den innersten Prozessen des Kapitals verknüpft. Es ist wichtig hervorzuheben, dass der zeitgenössische globale Kapitalismus mit den ihm eigenen De- oder Reterritorialisierungsprozessen die für das Wuchern neuer multipler Identitäten nötigen Voraussetzungen liefert.
Änderungsvorschläge
Darauf kann ich mit dem Manifest oder Programm meiner Klasse an der Wiener Kunstakademie antworten, das beschreibt, was dort geschieht und wie wir uns selbst verstehen. "Konzeptuelle (Kunst-)Praktiken" ist eine aus etwa sechzig Studierenden bestehende Klasseneinheit, von der verschiedene Interventionen in Kunst, Community, Technologie und Raum ihren Ausgang nehmen. Diese Klasseneinheit ist als Plattform für Arbeit, Leben und Austausch gedacht. Statt einer gewöhnlichen Klassenstruktur bevorzugen wir ein Projekt-Seminar als modulare Lehrplattform. Wir sind interessiert an der Erschließung von Räumen für Studierende und neuen Infrastrukturen, aber auch an einer wesentlich dynamischeren Ausrichtung von Lehrprozessen. Ein theoretisch und kunstkritisch ausgerichteter Forschungsansatz ist für uns von zentraler Bedeutung. Der Grundgedanke, den Brückenschlag zwischen medialer und konzeptueller Arbeitsweise zu erhalten, bedeutet für uns, dass wir uns nicht einfach auf Technologien verlassen wollen, sondern dass wir sie vor allem zur Erarbeitung politisch-kritischer und sozial engagierter Themen, Projekte und Konzepte einsetzen wollen. Vom simplen Bleistift bis zum Computer ist uns jeder "context provider" gleichermaßen willkommen. Wir arbeiten an eiinem neuen Verständnis des Verhältnisses zwischen Kunst, Gesellschaftlichem, Kulturellem und Politischem. Welche Funktion haben Künstler/innen in der neuen globalen Welt, wie können sie Strategien aktivistischen, theoretischen und kritischen Wissens einsetzen?
Wir sind sehr an einem laborartigen Community-System interessiert, das offen ist für Kreativität, Widerstand und Solidarität. Wir wollen einen neuen Raum technischer Möglichkeiten schaffen, halten zugleich aber auch an einer Community-Plattform auf der Grundlage von kritischer Forschung, von Teamwork- und Partnerschaftsprozessen fest. Die Idee dahinter: zu verhindern, dass aus uns einfache Konsument/innen werden. Stattdessen wollen wir ein Netzwerk aktiver und politisch engagierter Subjekte/Künstler/innen/ Agent/innen aufbauen.
(Übersetzung: Clemens Krümmel)
Roberto Ohrt
Methode
Ich unterrichte nicht und habe auch keine Methode. Ich verfolge meine Interessen, suche Verbündete, lerne von ihnen und bringe ein, was ich weiß und kann.
Änderungsvorschläge
Die Situation an den Akademien in Deutschland kenne ich nur aus einigen kurzen Gastspielen. Aus dieser Zeit ist mir die Lage und architektonische Erscheinungsform besonders aufgefallen. Dazu nun einige konkrete Vorschläge: Die Hamburger Akademie liegt in dem Stadtteil im Osten sehr ungünstig; auf halbem Weg zwischen einem Internat außerhalb der Stadt und einer Schule, die noch von der Wirklichkeit fern gehalten werden muss. Beides veranlasst die Studierenden, ihre Ausflüge in den Unterricht als ernstes Unternehmen anzugehen, eine Sache, die sie dann wie sie sagen wirklich wollen müssen. Daher schlage ich vor, die Akademie nach St. Pauli zu verlegen. Dort steht zurzeit zum Beispiel die ehemalige Astra-Brauerei leer. Die Düsseldorfer Akademie sollte direkt hinter dem Pförtner einen angemessen großen Raum freimachen und ihn den Eltern der Studierenden zur Verfügung stellen; die Eltern sollten in dieser Galerie in regelmäßigen Abständen ihre Kunst ausstellen und ihre Kinder sowie Freunde oder andere Verwandte zur Eröffnung einladen. Die Frankfurter Städelschule sollte allen Akademien beispielhaft vorausgehen und ihre Räumlichkeiten ins Städel, also das unmittelbar benachbarte Museum, ausweiten; vielleicht wäre zunächst mit der Mensa zu beginnen, die natürlich auch von einer breiteren Öffentlichkeit genutzt werden könnte. Seminarräume und Ateliers sollten aber gleich mit einziehen in das Museum. Die Berliner Akademie kann dieselbe Ausdehnung in den benachbarten Bahnhof Zoo durchführen. Im Gegenzug sollten aber auch Funktionen und Räume des Bahnhofs in die Akademie verlegt werden, so dass es dann zu einer wirklichen Durchmischung kommt, zumindest in den Eingangsbereichen im Erdgeschoss. Die Münchener Akademie ist architektonisch unvollendet. Sie sollte endlich um einen breiten Burggraben (mit Wasser usw.) ergänzt werden, der zu beiden Seiten der Eingangstreppe vor der Fassade der frontalen Hauptansicht in die Erde gegraben wird, parallel zu und ungefähr in den Ausmaßen des gleich dahinter liegenden Kellerganges. Vielleicht sollte aus pädagogischen Gründen für alle deutschen Akademien eine Torbogenschrift aus Eisen angefertigt werden, auf der in großen Lettern zu lesen ist: "Arbeit macht frei". Die einzelnen Akademien könnten für die Platzierung in oder an ihrem Gebäude einen Wettbewerb ausschreiben, an dem sich entweder nur die dort lehrenden Professoren oder nur die dort Studierenden beteiligen dürften, je nach der Ansicht des Direktors.
Renée Green
Methode
Zur Beantwortung der Frage "Wie unterrichten Sie Kunst?" muss ich zunächst einige Voraussetzungen klären. Meine derzeitige Situation lässt noch andere Fragen sinnvoll scheinen: "Wie können Sie Kunst an einem US-Forschungsinstitut unterrichten, das historisch gesehen einen Managerhumanismus' gefördert und ein korporatives Expansionsmodell unterstützt hat?" Eine andere Frage, die ich gerne stellen würde, lautet: "Warum überhaupt Kunst unterrichten?" abgesehen von der Tatsache, e, dass Künstler/innen Geld brauchen und dass auf verschiedenen Gebieten kunstrelevante Infrastrukturen entwickelt werden, wie Kurator/innen-Programme, Kunstgeschichtsstudien und Critical-Studies-Programme, die noch mehr kunstbezogenes Personal, noch mehr freie Kritiker/innen, Kurator/innen, Historiker/innen und unabhängige Unternehmer/innen produzieren, um den Kunstzusammenhang zu füttern. Nicht zuletzt lautet eine weitere Frage, die seit Jahrzehnten immer wieder auftaucht, "Kann Kunst unterrichtet werden?", und die könnte wieder von einer Erklärung "Warum Kunst nicht gelehrt werden kann" begleitet werden.
Eine Neubewertung dessen, was zurzeit mit "Kunst unterrichten" gemeint ist, bedeutet, sich erneut "humanistische" Anliegen anzuschauen und zu überrlegen, was in der gegenwärtigen fortgeschrittenen Welt von Wert sein kann. Meine Erwähnung verschiedener Humanismen, einschließlich des "Managerhumanismmus", geht zum Teil auf das vor kurzem erschienene Buch "Ivy and Industry. Business and the Making of the American University, 1880-1980" von Christopher Newfield zurück. Newfield entwickelt anhand einer mehr als hundertjährigen Geschichte und anhand der widersprüchlichen Beziehungen von geschäftlichen und humanistischen Interessen, die die amerikanischen Forschungsuniversitäten weitestgehend prägen, eine provokante These. Industrien und Universitäten entstanden gleichzeitig, und, wie Newfield darstellt, gab und gibt es Formen der Symbiose, jedoch überwiegen die Abhängigkeiten seitens der Universitäten von der Industrie. Im Unterschied zu europäischen Pendants, wie die Humboldt-Universität in Berlin, konnten amerikanische Forschungsuniversitäten nicht mit öffentlichen Geldern rechnen, sondern mussten immer auf zwei "Kundengruppen" bauen: "auf Studenten, deren Gebühren den größten Einzelposten ausmachen, und auf reiche Geldgeber." [1] Newfield schreibt: "Kurz gesagt musste sich die Forschungsuniversität nach den Regeln der Verwaltung, des Wachstums, des Kundenservice, des Arbeitsethos und des Marktes richten. Sie produzierte Absolventen statt Kapital intellektuelles Kapital würden einige heute sagen." [2] Um eine Ahnung davon zu vermitteln, was es heißt, in einer solchen Umgebung "Kunst zu unterrichten", möchte ich auf Aspekte dieser Bedingungen eingehen.
Ein Grund, warum ich den Humanismus erwähne, ist seine partielle Verbindung mit der Mission der Universität. Ein weiterer ist seine Verbindung mit der Annahme, Kunst könne innerhalb dieses Bereiches und vermutlich auch jenseits davon eine Rolle spielen. Humanismus wird als eine tausendköpfige Hydra beschrieben und für gewöhnlich mit Disziplinarformen verknüpft: "Alle Humanismen waren in irgendeiner Weise suprematistische Humanismen, verstrickt in die Versuche ihrer Anwender, die Überlegenheit eines nationalen Status, Fremdenfeindlichkeit oder einen Lebensstil zu rechtfertigen." [3] Um dieses Argument zu widerlegen, hebt Newfield hervor, dass Humanismen, wie die meisten Bedeutungssysteme auch, nicht statisch sind. Darin kann ihr Potenzial liegen. Es ist auch der Punkt, an dem Kunst und Kunsterziehung ins Spiel kommen. Behauptet wird, dass ein liberaler Humanismus weiterhin "professionelles und unternehmerisches Leben ins Wanken bringen" kann. Die Erwähnung von liberalem Humanismus verdankt sich der Tatsache, dass man ihn mit Freiheit, Unabhängigkeit und freien Künsten assoziiert. Newfield schreibt: "[D]ie freien Künste stellen ein Gedächtnis und einen Traum von Freiheit dar eine Kunst der Freiheit, Freiheit, wie sie am vollkommensten in der Kunst ausgedrückt wird." [4] Das mag sich alles in hohem Maße idealistisch anhören, ausgehend von dem Szenario, das mein derzeitiges Umfeld ist: ein an der Küste gelegener Campus eines riesigen US-Forschungsuniversitätskomplexes mit 25000 Personen (Studenten, Verwaltung, Lehrkörper, Fakultätsmitglieder), mitten zwischen Hollywood und Silicon Valley. Und dennoch scheint angesichts von "Kunst unterrichten" der Begriff der Hoffnung eines der wenigen ermächtigenden Dinge zu sein, die man nochmals erwägen kann.
Änderungsvorschläge
Trotz der gerade beschriebenen Beschränkungen gibt es immer noch Möglichkeiten, einige Denkprozesse und kritische Handlungsformen anzuregen. Solche Formen tauchen im kulturellen Bereich nach wie vor auf verschiedenste Weise auf. Sie werden nicht notwendigerweise sanktioniert. Ich fühle mich dem näher, was Henry A. Giroux eine "gelehrte Hoffnung" nannte, statt ständig das zu wiederholen, was er als "Pädagogik der Depressiven" beschrieb. In seinem Essay "Something's Missing. From Utopianism to a Politics of Educated Hope" [5] bezieht sich Giroux auf eine Reihe von Denkern, u.a. Ernst Bloch, Paolo Freire, Cornelius Castoriadis und Raymond Williams, dank derer er zu seiner Prämisse kommt: "Für Denker wie Bloch war utopisches Denken antizipierend, nicht messianistisch; eher mobilisierend als therapeutisch. Bestenfalls weist utopisches Denken über das Gegebene hinaus, indem es in ihm verhaftet bleibt', wie Anson Rabinbach formulierte. In diesem Fall erschöpft sich die Sehnsucht nach einer menschlicheren Gesellschaft nicht in der Form einer Weltflucht, sondern entsteht aus der kritischen und praktischen Beschäftigung mit gegenwärtigem Verhalten, institutionellen Formationen und Alltagspraktiken. In einem solchen Kontext verkennt die Hoffnung gerade nicht die schlimmsten Dimensionen von menschlichem Leid, Ausbeutung und sozialen Verhältnissen, im Gegenteil: sie erkennt die Notwendigkeit an, die Fähigkeit aufrechtzuerhalten, das Schlimmste zu sehen und gleichzeitig mehr als das für unsere Überlegung zur Verfügung zu stellen'." [6] Was im Wesentlichen gelehrt wird, sind Möglichkeiten zu sehen, was Bedeutung haben kann, zu sehen, dass es die unterschiedlichsten Wahrnehmungsweisen gibt, sich dem auszusetzen, was gedacht wurde, wie Handlungen stattgefunden haben und welche Motivationen es geben kann, in der Gegenwart zu denken und zu handeln. Wie Giroux aufzeigt, entsteht dieses Bedürfnis nicht nur im Klassenraum, sondern in ganz unterschiedlichen Milieus.
Möglichkeiten Der Umsetzung: Vorschlag Für Eine Klasse
Ein Klassenziel ist, zu zeigen, dass Denken zwar harte Arbeit, vor allem aber eine lustvolle Tätigkeit sein kann. Analytische Fertigkeiten auszubilden ist notwendig, um darüber nachzudenken, warum man das macht, was man macht, was auch immer das gerade ist. Darüber hinaus sind solche Fertigkeiten wichtig, um einzuschätzen, welche Formen und technischen Möglichkeiten einem am besten helfen, seine Ideen wirkungsvoll umzusetzen. Den Student/innen werden Arbeitsbeispiele von Künstler/innen und anderen vorgestellt, bei denen es dann um Denk- und Wahrnehmungsprozesse im Verhältnis zu Produktions- und Distributionsprozessen geht und darum, ob diese vorkommen oder nicht. Sie werden mit historischen und zeitgenössischen Medien konfrontiert und in Künstlerschriften, theoretische und solche Texte eingewiesen, die die gegenwärtige Rezeption von Arbeiten beschreiben und sie historisch einordnen. Weiterhin werden ihnen Hilfsmittel an die Hand gegeben, um die verschiedenen Komponenten des Kunstnetzwerkes zu entmystifizieren ausgehend von einer historischen Perspektive bis hin zu dessen gegenwärtiger Konfiguration. Neue Medien werden historisiert und ihre Überschneidungen mit anderen Netzwerken, einschließlich künstlerischen, politischen und sozialen, untersucht.
(Übersetzung: Susanne Leeb)
Anmerkungen
[1] | Christopher Newfield, Ivy and Industry. Business and the Making of the American University, 18801980, Durham 2003, S. 36. |
[2] | Ebd., S. 40. |
[3] | Ebd., S. 45. |
[4] | Ebd., S. 48. |
[5] | Henry A. Giroux, Something's Missing. From Utopianism to a Politics of Educated Hope. Public Spaces, Private Lives, Democracy beyond 9/11, Lanham 2001, vgl. v. a. S. 109140. |
[6] | Ebd., S. 121. |
John Miller
Methode
Wie viele amerikanische Kunstlehrer gehe auch ich von dem Bauhaus-Diktum aus, dass Kunst nicht gelehrt werden kann. Die persönliche Erfahrung als Kunstlehrer hängt sehr davon ab, mit welchen Student/innen man es gerade zu tun hat. Je nach deren Intelligenz, Empfindungsvermögen, Zielen und Motivation kann sich die Eigenart des Jobs radikal verändern. Insofern könnte man versucht sein, diese einzelnen Punkte mit der objektiven, systemischen Funktion des Kunstlehrers zu verwechseln. Allerdings ist die Art und Weise, in der jedes Individuum innerhalb eines Systems arbeitet, von diesem System selbst überdeterminiert. Jedes System, das es nicht schafft, den eigenen Teilnehmern seine Anforderungen aufzuzwingen, ist zur Auflösung verdammt. In dieser Hinsicht hat die Funktion des Kunstlehrers weniger etwas mit individuellem Wollen zu tun geschweige denn damit, ein Kunstprojektt um seiner selbst willen zu realisieren , als damit, die Produktionsverhältnisse zu reproduzieren.
Als ich zu unterrichten anfing, übernahm ich die Herangehensweise eines meiner Lehrer, Michael Asher. Er sprach in seiner Klasse sehr wenig, was die Studenten nötigte, selbst zu reden. Wie die Psychoanalyse zielt diese Herangehensweise auf die Selbstartikulation oder die Produktion eines Diskurses. Der ideale Lehrer wäre in diesem Fall, wie der ideale lacanianische Analytiker, eine Leiche. Später habe ich das aufgegeben, weil ich darüber nachzudenken begann, dass ich meinem Schweigen nicht so viel Bedeutung beimessen sollte. Mittlerweile habe ich überhaupt keine bestimmte Methode mehr, außer dass ich versuche, möglichst unaufdringlich zu unterrichten. Es ist schon merkwürdig. Wie jeder andere in der Klasse sage ich meine Meinung, aber ich weiß, dass ich als Lehrerfigur, leichenhaft oder nicht, unvermeidlich das Kunsterziehungssystem personifiziere.
Änderungsvorschläge
Ich würde Bewertungen abschaffen. Das heißt nicht, "bestanden" oder "durchgefallen" wieder einzuführen, was ebenfalls eine Bewertung ist. Stattdessen würde ich den Kunstunterricht gerne vollkommen losgelöst von allen Legitimationsformen sehen. Keine Noten. Keine Punkte. Keine Stufen. Keine Rede von Kunstunterricht auf der Grundlage irgendwelcher College-Transkripte. Man hört viele Lehrende sagen, Bewertungen seien arbiträr und hätten nichts mit der Qualität des künstlerischen Könnens des jeweiligen Studenten zu tun. Ich glaube das genaue Gegenteil. Durch Bewertungen tritt Qualität überhaupt erst auf. Sie sind in Wahrheit das Instrument, mit dem eine institutionelle Version von Qualität produziert wird als Grundlage dafür, der Kunstproduktion als Ganzer Wert zuzuschreiben.
Studienanfänger, die sich abmühen, eine menschliche Gestalt in den richtigen Proportionen zu zeichnen, scheinen meilenweit von jenen Eliteprofis entfernt, die am internationalen Biennalen-Kreislauf teilnehmen. Allerdings hängt genau dieser Professionalismus der Eliten teilweise von der Anwerbung und Eingliederung nicht-professioneller Neulinge ab, die ebenfalls Elite-Status anstreben. Howard Singerman zeigt in seinem Buch "Art Subjects", dass es in den Vereinigten Staaten die mfa-Programme sind, die auf dem Kunstmarkt eine genaue Wiedererkennbarkeit der Produkte garantieren. Mit anderen Worten, die Institution der Kunsterziehung stabilisiert einen kritischen Diskurs, der seinerseits ein ansonsten aufgesplittertes Feld materieller Praktiken und inhaltlicher Engagements kohärent macht.
Seltsamerweise hat sich die amerikanische Postgraduate-Erziehung im Verbund mit dem avantgardistischen Projekt entwickelt, die Kunstfertigkeiten abzuschaffen. Dieses Ende der Kunstfertigkeiten ("de-skilling") bedeutete aber tatsächlich ihr Wiedereinsetzen, nur dass man nun nicht mehr im kunsthandwerklichen Bereich, sondern in kritischen Diskursen kompetent zu sein hatte.Von dieser Kompetenz entkoppelt würden die in Galerien und Museen gezeigten Objekte in einen kunsthandwerklichen Status zurückfallen. Kurz: Sie würden ihren Wert als Statussymbole verlieren. Zumindest wären sie ihrer Funktion der Markierung sozialer Hierarchien größtenteils entledigt.Das wäre die ultimative Definition von Kunst, etwas, das auch Harold Rosenberg nur vage ahnte.Umgekehrt dazu dienen Lehrer oder Kritiker, absichtlich oder nicht, zunehmend als Türsteher eines Legitimationsprozesses, der von der Logik des Tauschwerts regiert wird.
Tausch beruht auf der Zuschreibung von Wert.Qualität bemisst sich letztlich am Potenzial eines Kunstwerks, Neid zu erregen, und nicht an der Art und Weise seines Gemachtseins.Qualität ist eine Abstraktion, durch die der heterogene Stoff unterschiedlicher Poetiken zu etwas Homogenem gemacht wird. Etwas, das einmal um seiner selbst willen existierte, existiert nun für etwas anderes. Raymond Williams sprach hier von der falschen Rolle des Dichters als Produzent für den Markt. Durch das Abschaffen von Noten wird diese Grundvoraussetzung nie angegriffen werden können, aber es könnte helfen, sie in eine andere Richtung zu entwickeln.
(Übersetzung: Susanne Leeb)
Alexander Roob
In meinem Unterrichtsangebot wechseln sich neben den Einzelbesprechungen, in denen ich die Ansätze der Studenten im Vier-Augen-Gespräch zu fördern versuche, Theorie- und Praxis-Angebote kontinuierlich ab. Im Grunde ein Drei-Komponenten-Modell.
Praxis, die Reibung am Konkreten, meint bei mir meist Zeichnen nach Modellen als Grundlage für alles Mögliche im bildnerischen Bereich. Die Modelle sind in der Regel Schauspieler, die alltägliche Handlungsabläufe in einer zeitlupenartigen Abfolge von Stills aufführen. Im Winter findet das einmal wöchentlich drinnen in einer kammerspielartigen Bühnensituation statt, im Sommer kann es auch draußen sein im Zusammenhang mit Stadtbegehungen.
Hin und wieder finden auch langwierigere Gemeinschaftsprojekte statt. Zur Zeit arbeite ich beispielsweise zusammen mit dem Kollegen Georg Winter und Studenten meiner Klasse an einem multimedialen "Making of" von Becketts "Film". Die Beschäftigung mit Figuren wie Beckett oder im Vorgängerprrojekt dem blinden rumänischen Fotografen Evgen Bavcar, die an Schnittstellen verschiedener Medien gearbeitet haben, eignet sich besonders, um ein übergreifendes Interesse an wahrnehmungstheoretischen Fragestellungen zu wecken.
Durch diese Gemeinschaftsprojekte bildet sich streckenweise ein durch einzelne Vorträge begleiteter thematischer Fokus heraus, ansonsten aber ist der wöchentliche Theorietag ein Forum für alle möglichen Themen, die die Einzelnen gerade beschäftigen. Im Gegensatz zum kunsttheoretischen Seminar läuft hier alles crossover durcheinander und ist auch nicht, wie in der klassischen "Klassenbesprechung", auf die Ergebnisse bildnerischer Produktion und das Festklopfen so genannter "Positionen" fixiert. Die Rede über die eigenen künstlerischen Ansättze läuft hier eher vermittelt über die Rede über das Ähnliche oder ganz Andere.
Die gesellschaftliche Funktion von Kunst hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Eine Lehrform, in der ein Künstlergenius seine Gabe quasi fluidal weitergibt, lässt sich meiner Ansicht nach in einer solchen Situation nicht mehr aufrechterhalten. Auch im Bereich der so genannten Freien Kunst muss es heute mehr um konkrete Lehrangebote gehen, um Herausforderungen im praktischen Feld, an denen sich Funken entzünden können, und vor allem auch im theoretischen Bereich, in Philosophie und Kunstgeschichte, sollte eine Art Grundbildung gewährleistet sein.
Zumindest was einen strukturierten Anforderungskatalog betrifft, kann ich die Phobien vieler Kollegen hinsichtlich der Einführung des Bachelor-Master-Systems im Bereich der Freien Kunst nicht teilen.