Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

Peter Abs

Mut zur Schwäche Frances Stark in der Galerie Daniel Buchholz, Köln

Frances Stark, 1 Frances Stark, 2

Der Bereich der Bildenden Kunst und der des Schreibens spielen in den Arbeiten der Künstlerin Frances Stark gleichermaßen eine Rolle. Oftmals gehen diese Bereiche sogar nahtlos ineinander über, etwa wenn sich Zeichnungen und Collagen aus zitierten Textzeilen zusammensetzen.

Ihre zweite Einzelausstellung in der Galerie Daniel Buchholz kreiste um das Thema des Archivierens und bot auch erstmals einen Einblick in Starks gesammelte Schriften.

Es gibt künstlerische Arbeiten, die sich einer "Ethik der Schwäche" oder einer "Politik des Zweifels" anvertrauen. Oft liegt ihnen eine doppelt emanzipatorische Motivation zugrunde. Einerseits die Befreiung kanonisierter Zuschreibungen, die erneut und neuartig lesbar werden, weil die Aufmerksamkeit auf vermeintlich schwache Stellen oder wunde Punkte im Werk gelenkt wird. Andererseits geht es um die Überwindung jener Verlegenheit, die aus einer hohen Dosis Geschichtssinn und Verpflichtungsgefühl gegenüber künstlerisch Vorformuliertem herrührt. Beide Arten des Bezugs auf das, was - zugegebenermaßen verkürzt und vereinheitlichend - auch "Archiv" heißen kann, sind sowohl in früheren wie aktuellen Arbeiten von Frances Stark anzutreffen. Allein das Zusammenspiel aus administrativen, aggressiven und amourösen Bedeutungsmomenten im Titel "Destroy Date" ihrer zweiten Einzelausstellung in der Galerie Daniel Buchholz weist auf ein verschachteltes, zuweilen schizophrenes Verhältnis zum Archiv hin. Es lähmt, macht Angst, soll angefochten, sabotiert, zerstört werden. Aber ebenso lockt es mit produktiven Verheißungen, will geöffnet werden, um eine irgendwie stimulierende Komplizen-oder Widersacherschaft zu entfalten. Auf "The Golden Auditors", einem Diptychon aus der Serie neuer Bilder von Frances Stark sind "Perma-Boxes", Kisten zur Aufbewahrung von Dokumenten und Aktenmaterial zu wackligen Türmen gestapelt und derart gezeichnet, dass ihre Umrisslinien ein unregelmäßiges, teilweise verworrenes Gitternetz aus Diagonalen ergeben, auf denen sich goldene, spatzenähnliche Vögel wie auf Hochspannungsleitungen niedergelassen haben. Die Immunität der Tiere gegen High Voltage einmal außer Acht gelassen, bilden sie ein beunruhigend abwartendes Spalier für einen möglicherweise noch beunruhigenderen Vorgang, wäre der Inhalt der Schachteln Starks Künstlerinnenbiografie und die in ihr angesammelte künstlerische Erfahrung, Sicherheit und Reputation ebensosehr einer Verfallsfrist ausgesetzt, wie ein Satz Akten in der Amtsstube. Keine Neuigkeit, dass im ästhetischen Selbstzweifel, im Prozess des Zögerns und Zagens ein leistungsfähiger Dynamo am Werke ist. Aber der Häufigkeitsgrad an selbstverordnetem Tabula Rasa-Machen, die Prozeduren des Verwerfens und Re-Arrangierens, die eine Arbeit durchläuft, bleiben zumeist allenfalls erahnbar, sollten sie nicht, wie bei Frances Stark, öffentlich exemplifiziert werden. Das geschieht höchst instruktiv in "Collected Writing: 1993-2003", einem eierschalenfarbenen Buch im DIN-A-4-Format, das fast zeitgleich zur Ausstellung erschien und das u.a. Kolumnen und Essays zusammenfasst, die die Künstlerin in den vergangen zehn Jahren für Kunstmagazine, Periodika und Ausstellungskataloge verfasst hat. Dieses Konvolut war auf dem Counter der Galerie zur Ansicht ausgelegt und bereits wenige Tage nach der Eröffnung nicht unbeträchtlich verschmutzt, was besonders auffiel, weil die bis dato eher indirekte Halogen-Beleuchtung der Galerie just gegen unbarmherziges Neonlicht ausgetauscht worden war. Der Schmutz auf dem Buch machte Frances Stark einerseits ein das Kompliment regen Besucherinteresses. Andererseits schien er auch eine gewisse Irritation, die Suche nach einem Leitfaden zur Ausstellung anzuzeigen. Die samtmatte, ebenfalls monochrom eierschalenweisse Grundierung der Bilder im vorderen Ausstellungsraum verursachte im Zusmammenspiel mit dem Neon einen Lichtsog, der zunächst einmal die Bildträger inspizieren ließ. Mit dem Anblick von durch die Kaseinfarbe schimmernden Nägelköpfen und der daraus resultierenden Assoziation "Robert Ryman" in petto erwies sich etwa "Destroy Date with Woodpecker" auch nach dem dritten Besuch der Ausstellung als dauerhaftes Reservoir verschiedenartiger Überlegungen zur Bildentstehung. Auf ihm ist das Kisten-Motiv so variiert, dass sich die Boxen zu einer schiefen, flächigen Vertikalen schichten, nicht unähnlich zu früheren Zeichnungen der Künstlerin, wo Catchphrases (etwa "the end of all paying attention and having to think" oder "the brimming profusion of freely piled up mountains of money") wie in chinesischer Schreibweise vertikal ausgerichtet in einer bestimmten Wiederholungssequenz und einer ausgesucht schreibmaschinenhaften Typo per Hand auf Papier hektographiert wurden. Diese älteren Arbeiten und andere Papier- und Textschnipsel bildeten das Ausgangsmaterial für einen großformatigen, collagierten "Quilt" und die Darstellung eines "Poinsettia Tree" (Weihnachtsstern) in einer weiteren Collage. Stark bewahrt den auto-retrospektiven Anteil dieser Bilder vor dem Umkippen ins Autistische, indem sie ihn in die Motive populärer bis nahezu fetischisierter Objekte einschleust, wie sie in den USA der bestickte Quilt insbesondere nach dem 11. September und die beliebte Zierpflanze um den Jahreswechsel sind. An das Motiv schlechthin delegiert Frances Stark allerdings in erster Linie die Aufgabe, die Exzentrik und Konstruiertheit seiner Genese mit Anflügen von vermeintlicher Lieblichkeit und Dekor-Attrappen in der Ausführung kollidieren zu lassen, so dass Friktionseffekte entstehen. Mit ihnen werden bei Frances Stark die Kalamitäten künstlerischen Weitermachens zu einer schönen, komplizierten, bittersweeten Angelegenheit, zu der man sich gern noch einmal mit ihr verabredet.

Frances Stark, "Destroy Date", Galerie Daniel Buchholz, Köln, 30. Januar bis 6. März 2004

Anmerkungen

[1]Vgl. Hans Ulrich Obrist: "Cerith Wyn Evans", in: Hans Ulrich Obrist‚ Interviews, vol. I, Milan: Edizione Charta 2003, pp. 939-958
[2]Vgl. Frances Stark: "Collected Writing: 1993-2003", London: Book Works 2003