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Michelle Nicol

Konsumistische Internationale The Future Has a Silver Lining im Migros Museum, Zürich

Brice Dellsperger, "Body Double 15", 2001, Videostill Brice Dellsperger, "Body Double 15", 2001, Videostill

Galt der Begriff des Glamourösen in modernistischer Kunstauffassung als Begleiterscheinung einer vermeintlich minderwertigen popkulturellen Ästhetik, so ist Glamour heute offensichtlicher Bestandteil des ökonomischen Kunstmarktsgefüges und wichtiger Referenzpunkt künstlerischer Praxis. Die Ausstellung im Migros Museum Zürich verfolgt Spuren des Glamourösen in künstlerischen Arbeiten und macht klar, dass Glamour nicht nur das ist, was eine glitzernde Oberfläche aufweist, sondern als Phänomen auch stellvertretend für Prozesse gelesen werden kann, die über die Massenkultur hinausweisen.

Erst mal amüsant. Der Gegensatz. Glamour: Das ist schnöder Tand, exzessiver Hedonismus, versiegelte Oberfläche. Hysterie, Spektakel und Kapitalismusfreude. Und um diesen ging es in der Ausstellung "The Future has a Silver Lining". Dann der Eintritt in die Ausstellungsräume. Erst mal nichts. Die Inszenierung der Kunstwerke ist spröde, spröde und spaßfeindlich, scholastisch. Genau, scholastisch in dem Sinne, dass Wahrheiten immer nur bei den Autoritäten gefunden werden können. Die Evidenz ist dann an den akademischen weißen Raum gebunden.

Eine Sprödheit, die Absicht ist. Klar. Denn über Glamour intelligent sinnieren, das traut sich eher, wer jede Verführungsinstanz und somit jeden Spaßverdacht unmissverständlich von sich gewiesen hat. Ganz einfach gefragt: Wie sieht eine Kunst aus, die sich mit dieser Technologie radikaler Sichtbarkeit auseinander setzt? Und wie wiederum muss eine Ausstellung daherkommen, die sich die glamouröse Kunst zum Thema wählt? Ehrlich gesagt gibt es eine glamouröse Kunst, die einem sofort in den Sinn kommt. Denn in den neunziger Jahren etablierte sich eine Kunst, die sich die konsumistischen Strategien des Glamour mit einer gewissen Nonchalance aneignete und erfolgreich wurde. Es ist eine Kunst, die sich als Konzeptkunst versteht, sich aber deutlich von den Hardlinern der Siebziger unterscheidet. Existenzialistische Selbstbefragung ist sicher dabei, aber auch der Wunsch nach einer Erschließung von Massenkultur. Man kann es so sagen: Der Begriff "kommerziell" ist nicht länger ein Unwort, sondern einfach eine neue Option in der Produktionsvielfalt von Kunst. Diese Kunst und ihre Macherinnen und Macher werden in der französischen, englischen und amerikanischen Vogue porträtiert. Sie entwerfen gebrauchsechte Umkleideräume für Dior Homme, die zugleich ambivalente, spannende Kunsträume sind. Produzieren Anzeigen für Cartier International. Fotografieren Modekampagnen und Modestrecken. Das ist für diese Kunst ganz normal. Sie glamourös zu nennen ist irgendwie falsch, denn es trifft nur eine Facette dieser Kunst, dass sie eben auch radikal ästhetisch und sichtbar ist, und sie geht klar einher mit einer Entwicklung des Kunstmarkts in Richtung mehrheitsfähig, medientauglich, renditetauglich, Pop.

Die Verbindung von Ware, Business und Kunst geht natürlicherweise, und noch natürlicher als in den sechziger und siebziger Jahren, mit einer Glamourifizierung der Kunstszene einher. Stéphanie Moisdon-Trembley schreibt in der Modebeilage der Libération: "Kunst ist zugleich eine Tendenz und eine Platzierung unter anderen, wo Rentabilität immer zufällig ist, die aber ein bestimmtes Commitment einfordert, eine Lust am Risiko, eine vermutete Form der Modernität."

Und weil der Glamour nicht nur die Denaturalisierung der Eleganz ist, sondern eben auch mit Übertreibung zu tun hat, leicht ins Groteske fallen kann, ist er oft eine spektakuläre Angelegenheit. Und dann sind wir bei der Ausstellung als Spektakel angelangt. Wenn Ausstellungen zu einem ganz bestimmten Moment im Leben eines jeden Betrachters werden, so wie ein Film oder ein Konzert. Ein transitorischer Event, der letztlich auch nicht so wichtig ist im Leben jedes einzelnen Kunstwerks. Und es endet damit, dass Ausstellungen nach kosmetischen Produkten benannt werden, was ich ehrlich gesagt richtig finde.

Die Ausstellung "Genealogies of Glamour" im Migros Museum geht den ganz anderen Weg. Sie agiert erstens historisch und zeigt Arbeiten wie die großformatigen fotografischen Selbstdarstellungen und Selbsttransformationen von Leigh Bowery (1961-1994), exzentrischer Performer, Drag-Ikone, Clubbetreiber, dessen Einfluss auf die ästhetische Kultur von heute noch viel zu wenig konstatiert wurde. Sein Motto: "Dress as though your life depends on it, or don't bother." Und entzieht zweitens dem Glamour die Verführkraft. Reiht kühl die Beispiele aneinander. Da wären Reflexionen von massenkulturellen Modellen von Schönheit und Überlegenheit. Der Einfluss von Selbstinszenierungen von Filmstars und Popmusikern auf die Selbstbilder der Künstlerinnen und Künstler. Und da kann es sein, dass die unterschiedliche Beschäftigung mit Perücken genügt, um sich als glamouröses Kunstwerk zu etablieren ("Women Who Wear Wigs", eine wunderbare Videoinstallation von Kutlug Ataman).

Die Hitliste der glamourösesten Arbeiten aus der Ausstellung: auf Platz 1: "Body Double 15" (2001) von Brice Dellsperger, das filmische Remake einer Sequenz aus Brian de Palmas "Dressed to Kill" von 1980. In der besagten Szene wird eine Frau im Metropolitan Museum of Art in New York von einem Fremden verfolgt und verführt und dann von einem Serienmörder gerichtet. Dellsperger, in Frauenkleidern, spielt sämtliche Rollen selber, zeichnet Verfolgte und Verfolger jedoch als eine Person und wird so zum mono-sexuellen Doppel-Körper. Auf Platz 2: "The Funeral of Marlene Dietrich" (1999) von T. J. Wilcox. Eine filmische Collage auf 16 Millimeter kopiert, eine Konstruktion von Marlene Dietrichs Vorstellungen ihres eigenen Begräbnisses. Auf Platz 3: die fotorealistischen Bilder von Franz Gertsch aus den siebziger Jahren. Er porträtiert seine Boheme-Umgebung, alles schöne junge Menschen, just in der Phase des Zurechtmachens vor dem Ausgehen. Auf Platz 4: Glamrocker David Bowie in seiner Ziggy-Stardust-Phase um 1973, fotografiert von Mick Rock. Und weitere Arbeiten von so unterschiedlichen Protagonisten wie Sylvie Fleury, Manon, Katharina Sieverding, Tom Burr, Urs Lüthi, Francesco Vezzoli, Michel Auder, James Lee Byars. Eine spezielle Erwähnung verdient die tischgroße Bodenvitrine des Bildhauers Daniel Robert Hunziger, der mit diesem amorphen Raumobjekt in pauvrer Ästhetik eine Bühne schafft für diverse Inszenierungen und konsumistische Objekte von John Edward Heys, Cecil Beaton, Man Ray, Meret Oppenheim, Marc Leckey, General Idea und anderen. Die Ausstellungsmacher bezeichnen das kristalline Gebilde, angefüllt mit Artefakten aus dem Fundus des Glamour, als eine "Vorstufe eines Werkzeugkastens", und das finde ich wiederum sehr glamourös. Weil Glamour auch das ist, was sich magisch artikuliert.

"The Future has a Silver Lining - Genealogies of Glamour", Migros Museum Zürich, 28. August bis 31. Oktober 2004.