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Die Entzauberung Der Vitrine Luisa Ziaja über Kaucyila Brooke in der Galerie Andreas Huber, Wien

Raumansicht Galerie Andreas Huber. Ausstellung Kaucyila Brooke Raumansicht Galerie Andreas Huber. Ausstellung Kaucyila Brooke 13.09.-25.10.2006

Eine unbetitelte Zeichnung auf Papier verdeutlicht einen der zentralen Aspekte der umfangreichen fotografischen Werkserie "Vitrinen in Arbeit" von Kaucyila Brooke, die in einer kleinen Auswahl in der Galerie Andreas Huber in Wien zu sehen war: Präzise, gleichzeitig reduziert sind Schaukästen, Museumsvitrinen gezeichnet, denen die Titel früherer Arbeiten Brookes’ zugeordnet sind. Ihre Transparenz, die bestimmende Qualität des Glases ist als Auslassung dargestellt, während die gezeigten Fotografien Studien der verschiedenen Eigenschaften gläserner Oberflächen zwischen Transparenz, Spiegelung und Opazität sind.

Kaucyila Brooke - Untitled # 93 Kaucyila Brooke - Untitled # 93. Aus der Serie: Vitrinen in Arbeit (2001-2004), Farbfotografie, 76 x 76 cm

"Vitrinen in Arbeit" umfasst etwa 140 Farbfotografien, die zwischen 2001 und 2004 im Naturhistorischen Museum in Wien entstanden sind.1. In dieser Periode wurde die seit der Eröffnung des Hauses 1889 bis dahin nahezu unverändert gebliebene Aufstellung und Präsentationsform erstmals einer Modernisierung unterzogen. Während vergleichbare internationale Institutionen spätestens in den 1990er Jahren zu Erlebnismuseen umstrukturiert wurden, gilt das Naturhistorische Museum in Wien nach wie vor als ein Paradebeispiel klassischer Museumskonzeption des 19. Jahrhunderts: Dem Prinzip der Taxonomie - also der Einordnung nach Arten und Familien - verpflichtet, das die Zusammenschau und Analogiebildung der Kunst- und Wunderkammer ersetzte, gründet es in den Wissenschaftsparadigmen dieser Zeit. Hinter der programmatischen Widmung "Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung" steht ein koloniales Projekt der Aneignung von Exponaten aus der bereisten und eroberten Welt, die mittels eines Klassifikationssystems Argumentation und Anschauungsmaterial einer Wahrheitsrede über die Natur und das Natürliche wurden. Wie die Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal in ihrem Aufsatz zum American Museum of Natural History schreibt, erzählen solche Exponate eine Geschichte, die "weder die Geschichte der dargestellten Völker noch die Geschichte der Natur, sondern die Geschichte des Wissens, der Macht und der Kolonisierung, die Geschichte von Macht/Wissen [ist]"2.. Dieser Wissensproduktion liegt eine Darstellungspraxis der visuellen Differenzierung zugrunde, die das Feld des Sichtbaren bestimmt und begrenzt, indem sie Distanz und Trennung verordnet. Zentrales Mittel der Konstruktion und Kontrolle des differenzierenden und distanzierenden Blicks ist die Vitrine.

Kaucyila Brookes Fotografien widmen sich diesem Blickregime und den daraus resultierenden Wahrnehmungsmodi, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Vielmehr nützt sie einerseits die mit der Reorganisation einhergehenden Brüche in der musealen Inszenierung und nimmt andererseits dort, wo diese noch oder schon wieder intakt scheint, Perspektiven ein, die sich dem autoritativen Gestus des Museums entziehen. Martin Prinzhorn bemerkt dazu "Der Blick der Künstlerin schwankt zwischen der Konzentration auf die ausgestellten Objekte und der Organisation der Museumsarchitektur des späten 19. Jahrhunderts. Die Perspektiven ordnen sich weder dem einen noch dem anderen völlig unter, und es ist immer ein leicht schräger Blick, der knapp an der vorgegebenen Richtung vorbeigeht und immer wieder an verschiedenen Details hängen bleibt, den Brooke auf die Dinge wirft."3. Mehr noch: Das Sehen und das Zu-Sehen-Geben an sich rückt in den Blick, gerade da, wo es in Un-Sichtbarkeit umschlägt. Die schrägen Blickachsen lenken die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Dreidimensionalität der hölzernen Rahmenkonstruktionen der Schaukästen, sondern schaffen durch die räumliche Überlagerung bzw. Hintereinanderschichtung mehrerer Vitrinen und vielfachen Spiegelungen des Glases eine hohe optische Dichte und Mehrdeutigkeit des Gezeigten. Der Akt des Ausstellens aber ist immer auch ein Akt der Eroberung, getrieben vom Interesse, die Natur zu denaturieren und aus dem obskuren Objekt der Begierde ein luzides, durchleuchtetes zu machen. Diese Eindeutigkeit der Darstellung und der ihr inhärenten Bedeutungsproduktion unterläuft Brooke, indem sie die zentrale Technologie der Konstruktion und Kontrolle des Blicks, die Vitrine und die in ihr zur Schau- gestellten Objekte in einem Spiel zwischen Transparenz, Reflexion und Opazität einfängt.

Eine Fotografie, die die Vielfalt der Mineraliensammlung in ihrem klassifizierenden und zugleich vereinheitlichenden Display zeigt, vermag Aspekte der Inklusion und der Exklusion wie auch der Normierung zu verdeutlichen, denen museale Repräsentationen stets zugrunde liegen. Wenn Brooke in zahlreichen Arbeiten den überlagernden, vielfach geschichteten Blick wählt, der in Kombination mit langen Belichtungszeiten diese Klassifikation und Systematik in der Anschauung außer Kraft setzt, offenbart sich die Ordnung nach der sichtbaren Oberfläche als Projektion, wird definitionsmächtige Eindeutigkeit in ihr Gegenteil gekehrt. In manchen Szenarien findet der Blick der Künstlerin einen Widerpart in aus ihren gläsernen Särgen herausstarrenden Stopfpräparaten, die so wie eine eingezäunte Neandertaler-Familie in einem ansonsten leeren Ausstellungsraum von der Künstlichkeit dieser "Sachzeugen aus der Natur" erzählen und vom Konstruktionscharakter dessen, was als natürlich gilt.

"Vitrinen in Arbeit" ist gleichermaßen eine Reflexion der musealen Präsentations- und Wahrnehmungsmodi und des zumeist verschleierten, normalisierten Blickregimes wie eine Manifestation des Blicks der Künstlerin als autonome visuelle Handlungsform, die den Ausstellungsraum und seine Inszenierungen erschließt, sich aneignet und auch neu konstruiert. Sie fokussiert Brüche, lässt Verdichtungen und Auslassungen deutlich werden und eröffnet damit Perspektiven auf Mechanismen visueller Kultur als Funktion und Motor hegemonialer, geschichtsbildender Praktiken. Dass gerade Leerstellen diese Repräsentationsstrategien zur Kenntlichkeit bringen, vermag die Fotografie einer leeren Vitrine im buchstäblichsten Sinne zu zeigen. Mangels eines zur Schau zu stellenden Objekts wird sie selbst zum Exponat - Staub und alte Wischspuren richten hier die Aufmerksamkeit auf die gläserne Oberfläche. Diese Vitrine in Arbeit lässt sich als Verweis auf die eingangs erwähnte Zeichnung verstehen, die wiederum eine Referenz auf ein wiederkehrendes Motiv in Kaucyila Brookes künstlerischen Projekten ist: Die Auseinandersetzung mit Veränderungsprozessen, in denen gerade durch Leerstellen gesellschaftliche Normen und Bedingtheiten, aber auch Potentiale der Neuverortung und des Widerstreits sichtbar werden.

Anmerkungen

[1]Die gesamte Werkserie "Vitrinen in Arbeit" ist in Form des Künstlerinnenbuchs gleichen Titels in limitierter Auflage erschienen.
[2]Martin Prinzhorn, "Kaucyila Brooke. Grenzen", in: Camera Austria, Nr. 86, Graz 2004, S.13.
[3]Vgl. Text zur Schausammlung auf der Website des Naturhistorischen Museums Wien unter www.nhm-wien.ac.at (04.12.2006)