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Vorwort

Beim Wiederaufgreifen einer Tradition wird keine feststehende Substanz übertragen. Es entstehen Komplikationen, wo ältere kulturelle Bestände in eine veränderte Situation integriert werden. Nicht zufällig liegt der Begriff Tradition etymologisch in der Nachbarschaft der Bedeutungen "Handeln" (trade, trade union) und "Verrat" (treason). Aber was wird verraten, was wird gehandelt? Wissen, Erfahrung, Haltung, Form, Bedeutung sind aufbewahrt in dem, was vorliegt.

Um den "Handel" mit der Tradition unter Dach und Fach zu bekommen, werden Verträge aufgesetzt zwischen vergangener und aktueller Produktion. Darin heißt es: Die Setzung künstlerischer Traditionen ist ein Produkt individueller und kollektiver Selektionsprozesse. Diese lassen sich sowohl individual-psychologisch als auch aus der Logik des kunstgeschichtlichen Kanons ableiten.

Es gibt wohl kaum einen Künstler, der nicht für gewisse Abschnitte seiner künstlerischen Arbeit ein Vorbild wählt, das ihm als Legitimationsinstanz eine Anschlußmöglichkeit verspricht oder zum Widerstand herausfordert. Jackson Pollock begibt sich in seinen psychoanalytischen Zeichnungen, so Rosalind Krauss, in eine mimetische Rivalität mit Picasso — er wollte in den Raum aus Ruhm und Autorität hinein, wo Picasso einsam regierte.

Zur (ideologie)kritischen Gewohnheit ist geworden, daß jedes normative Postulat daraufhin befragt wird, welchem Agenten es dient, wer ein Interesse daran hat. Warum wurde z.B. Marcel Broodthaers in den Achtzigern wiederentdeckt? Für Broodthaers' Produktionszweig "institutionelle Kritik" interessierte man sich im Hinblick auf zeitgenössische künstlerische Praxis.

Eine davon unterschiedene Traditionslinie verlief über Bruce Nauman. Die Liste der Künstler, die sich um 1990 auf ihn beriefen, reichte von Georg Herold bis zu Liz Larner, Seine Ausstellung bei Konrad Fischer, wo zum ersten Mal in Deutschland die zerstückelten Tiere hingen, durfte man nicht verpassen. Nauman war der Künstler, auf den sich, laut Fragebogen, die meisten Künstler der Köln Show (1990) einigen konnten. Warum? Naumans Zuwendung zum Material, die mit sich überlappenden denz geschrieben und geplant. Aktivistische Künstlergruppen stießen bei der Recherche auf ältere Agitprop-Varianten. Die Institution reagierte und sicherte sich z.B. 1991 "ihren" John Heartfield mit einer Großausstellung. So orientiert sich die Selbstverständigung an den Bewegungen der Gegenwart, aber in die Geschichte hinein — zwecks Wiederholung auf die andere oder eigene Weise.

Die relative Geltung dieser Wiederholungen reizte zur Kritik. Revisionistische Kunsthistoriker mußten sich vorwerfen lassen, den bestehenden Kanon nur durch einen anderen ersetzen zu wollen. Aus der Abweisung der Hegemonie schloß man auf die Errichtung von Gegen-Hegemonien.

Hierarchie, Legitimität, Autorität ergänzen sich immer wieder höchst problematisch.

Die vorliegende Nummer versucht, verschiedene Traditionsschienen zu bearbeiten: Das Interview mit dem Kunsthistoriker Gottfried Boehm gilt der sogenannten hermeneutischen Kunstgeschichte, Roberto Ohrt rekonstruiert den Wiener Aktionismus und T.J. Clark modifiziert den revisionistischen Ansatz seines Schülers Serge Guilbaut, der in "How New York Stole the Idea of Modern Art" (1983) den Abstrakten Expressionismus mit dem Kalten Krieg und außenpolitischen Interessen der USA in Verbindung brachte. Clarks Vorgehen nähert sich unauffällig Pierre Bourdieus These von der Homologie der Interessen bei Produzenten und Konsumenten von kulturellen Gütern: Der Abstrakte Expressionismus entspreche dem vulgären Geschmack des amerikanischen Bürgertums. Um aber die bürgerliche Ideologie einer "überzogenen Individualität" in den Bildern der Abstrakten Expressionisten ausmaChen zu können, verbindet Clark die Rezeptionsgeschichte mit der Suche nach einer Terminologie für eine Bildbeschreibung, die in den Bildern angelegte Intensitäten beobachtet und subjektive Erfahrung wieder zuläßt. Damit begibt sich Clark in die Nähe einer Methode, die der Tradition der Sozialgeschichte nicht unbedingt entspricht, und entwickelt Affinitäten zu einem hermeneutisch geleiteten Formalismus und dekonstruktivistischen Verfahrensweisen.

ISABELLE GRAW / STEFAN GERMER