L'Origine du Pop Art Barbara Hess über Evelyne Axell im Museum Abteiberg, Mönchengladbach
Evelyne Axell, „Le Joli Mois de mai“, 1970; VG Bild-Kunst Bonn
Die beiden zurückliegenden Dekaden haben eine Reihe von – teils posthumen – Wiederentdeckungen "radikaler" künstlerischer Positionen der vergangenen 50 oder 60 Jahre erlebt. [1] In diesen Kontext gehört auch die erneute Beschäftigung mit den weitgehend vergessenen, übersehenen oder unterbewerteten Protagonistinnen der Pop Art; eine Revision, die mit einer kritischen Reflexion der Ausschlussmechanismen und blinden Flecke der (feministischen) Kunstgeschichtsschreibung einhergeht. Denn angesichts der feministischen Kritik am verbreiteten Sexismus der Pop Art war die Vorstellung von „feministischem Pop“, wie Kalliopi Minioudaki vor Kurzem angemerkt hat, "ein dauerhaftes Oxymoron". [2]
Tatsächlich ist das Werk der belgischen Künstlerin Evelyne Axell (eigentl. Evelyne Devaux, 1935–1972) mit seiner freizügigen Bildsprache, in deren Mittelpunkt der (eigene) weibliche Körper steht, in dieser Hinsicht eine Herausforderung. Hier bot die Aufwertung eines weiblichen „radikalen Narzissmus“ zu einer positiv besetzten Kategorie, verfochten von Autorinnen wie Amelia Jones oder Joanna Frueh, einen theoretischen Hintergrund auch für die Auseinandersetzung mit den kontrovers diskutierten Vertreterinnen der Pop Art. So richtete jetzt, nach einer kleineren Präsentation im Hamburger Kunstverein in diesem Frühjahr, das Museum Abteiberg die erste umfassende Retrospektive Axells in Deutschland aus.
Die Ausgangsbedingungen für Axells nur acht Jahre umfassende, aber angesichts regelmäßiger öffentlicher Präsenz in Ausstellungen durchaus erfolgreiche Laufbahn scheinen verhältnismäßig günstig gewesen zu sein. Sie wuchs in einer angesehenen Kaufmannsfamilie in Namur auf, ihr Patenonkel besaß in Brüssel ein berühmtes Kino und nahm sie als Teenager mit zum Filmfestival nach Cannes; ein Foto aus den frühen 1950er Jahren zeigt sie in einer glamourösen Tafelrunde mit Gregory Peck. Als Axell 1964 ihren Mann, den französischen Filmemacher Jean Antoine, zu Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über Pop Art nach London begleitete und dort Künstler/innen wie Allan Jones, Peter Phillips und Pauline Boty kennenlernte, war sie bereits eine erfolgreiche Film- und Theaterschauspielerin. Offenbar war ihre Beziehung – anders als bei anderen kreativen Paaren ihrer Generation wie Dieter Roth und Dorothy Iannone oder Jasper Johns und Robert Rauschenberg – frei von Konkurrenzdruck; Antoine förderte vielmehr Axells zeichnerisches und malerisches Talent und stellte sie René Magritte vor, einem Freund seiner Familie und Interviewpartner seiner Filme. Axell ließ sich von dem berühmten Surrealisten in die Technik der Ölmalerei einführen, und nach einem Jahr regelmäßigen Unterrichts soll die Vaterfigur der belgischen Pop Art sie mit den Worten „Tu es un peintre!“ zur Malerin erklärt haben.
Axells künstlerisches Werk beginnt 1964 – im gleichen Jahr wie das ihres Brüsseler Kollegen Marcel Broodthaers. Die Koinzidenz ist nicht zufällig; es war der Moment, in dem die belgische Kunstszene die Pop Art, z.B. via Paris (etwa durch die Galerie Ileana Sonnabend, das europäische Standbein für das Programm Leo Castellis), aber auch durch institutionelle Ausstellungen wie „Figuratie/Defiguratie“ im Genter Museum voor Schone Kunsten, zu rezipieren begann. Zu Axells frühesten Bildern gehört ein noch an -Magritte erinnernder weiblicher Torso, dessen Unterleib durch einen geöffneten Reißverschluss den Blick auf sein mechanisches Innenleben freigibt. Der programmatische Titel, "La Machine érotique ou Conception du mec art", spielt mit dem Begriff Mec Art (als Kurzform für art méchanique), den der Künstler Alain Jacquet 1964 in Frankreich eingeführt haben soll, und dem französischen Wort mec (Kerl, im Argot Zuhälter). Doch schon mit "L’amour vite" und "La Gourmandise" aus demselben Jahr schwenkte Axell stilistisch um zu den auf zeitgenössischen Bildsprachen basierenden Strategien der Pop Art und führte zugleich einige ihrer bevorzugten Motive ein: in "L’amour vite" ein im Profil gesehener weiblicher Kopf mit Schutzbrille, in deren Glas sich ein britischer Rennwagen zu spiegeln scheint, während der linke Bildrand – isoliert durch eine schwarze mittlere Zone – von einem männlichen Oberkörper in Hemd und Krawatte mit ekstatisch zurückgebogenem Kopf eingenommen wird. In dem suggestiveren "La Gourmandise" umschließen lange, rosa lackierte Fingernägel den kreisförmigen Ausschnitt eines – offenkundig während der Fellatio aus männlicher Perspektive betrachteten – weiblichen Gesichts: ironische (Über-)Affirmation eines pornografischen Topos oder Teil von Axells libertär-emanzipatorischem, auf Nachahmung abzielendem Programm, "freie Bilder [zu] kreieren, die in der Lage sind, alle Arten von Leidenschaften abzubilden, so brillant, dass sie den Geschmack der Massen anregen"? [3]
Ihr Pseudonym Axell hatte sie bereits zu ihrer Zeit als Schauspielerin angenommen. In ihrem Bild „Axell-eration“ (1965), in dem Frauenfüße in roten Highheels und schwarzen Nylons an den Pedalen eines Autos zu sehen sind, wobei der rechte gerade Gas zu geben scheint, steht ihr Name für lustvolle Beschleunigung, für (sexuelle) Selbstermächtigung. Dass sie als Malerin nur mit ihrem (Künstler-)Nachnamen signierte und damit ihr Geschlecht kaschierte, soll der heftigen Kritik männlicher Zeitgenossen an ihrem provokanten Werk und der verbreiteten Misogynie des damaligen Kunstbetriebs geschuldet sein. [4] Angesichts dieser neutralisierenden Geste des Selbstschutzes fällt auch auf, dass Axell in zahlreichen Arbeiten bis etwa 1967 die Exponiertheit des nackten weiblichen Körpers häufig mit fetischartigen Accessoires verknüpft, die Schutz oder Sicherheit konnotieren: seien es der Schutzhelm in "Auto-Stop" (1965) oder die regenbogenfarbenen Sicherheitsgurte, die in „Ceinture de sécurité“ (1966) den weiblichen Körper umschließen. Axell scheint sich der Ambivalenz bewusst gewesen zu sein, die ihre Aneignung und Neukodierung sexualisierter Repräsentationen des weiblichen Körpers von Ingrès über Matisse bis zu Roger Vadim mit sich brachte.
Ende der 1960er Jahre experimentierte Axell mit neuen, zeitgenössischen Materialien wie Kunststoffen und Autolacken; ihre vereinfachende Bildsprache erinnert an Comics in bunt-psychedelischer Farbigkeit. Zugleich erweiterte sich ihr thematisches Spektrum um Referenzen auf die gesellschaftlichen Umbrüche der damaligen Zeit, wie in dem unregelmäßig konturierten Triptychon "Le joli mois de Mai" (1970). Die mittlere Tafel zitiert das berühmte Zeitungsfoto einer Pariser Maidemonstration 1968, auf dem das aristokratische Fotomodell Caroline de Bendern – in Anspielung auf Delacroix’ "Die Freiheit führt das Volk" – eine vietnamesische Fahne schwenkt (was prompt zu ihrer Enterbung führte). Der linke Flügel zeigt Axells Förderer, den Kritiker Pierre Restany, mit pathetisch erhobenem Arm; der rechte wird von einer Aktdarstellung der Künstlerin eingenommen, die einen in rote Farbe getauchten Pinsel hochhält. Kunst und Politik werden hier als miteinander verbundene und zugleich separate Felder präsentiert. Angesichts ihres frühen Todes durch einen Autounfall im September 1972 gewinnen die Memento-mori-Motive ihrer späten Arbeiten einen fast unheimlichen Unterton. In mehreren Bildern eines liegenden weiblichen Akts zitiert Axell Andrea Mantegnas Renaissancegemälde des in radikaler perspektivischer Verkürzung dargestellten toten Christus, wobei das unverhüllte Geschlecht zugleich Courbets "L’Origine du monde" aufruft. In der Collage "L’Examen critique" (1972) erscheint dieser weibliche Körper isoliert und wie aufgebahrt auf einem monochrom silberfarbenen Fond; im Hintergrund die Cut-outs zweier männlicher Gestalten in weißen Jacketts, die aus der Distanz auf die Liegende herabblicken – Metapher für eine vom männlichen Blick geprägte "kritische Untersuchung", die dazu neigte, eher den Körper der Künstlerin als ihr Werk zu fokussieren.
Vielleicht auch als Reaktion auf eine männlich dominierte Kunstwelt konzipierte Axell 1972 ein fiktives Museum, deren Gegenstand sie selbst war: In ihren farbigen Entwurfszeichnungen zu einem "Musée Archéologique du xxème Siècle, Département: Age du Plastique" (Axell hatte 1968 an Broodthaers’ Einweihung seines Brüsseler "Musée d’Art Moderne" teilgenommen) skizziert sie sich humorvoll mal als "plastifizierte Mumie", mal als "Venus aux plastiques" und inszeniert Fundstücke aus dem "sogenannten Axell-Hügelgrab in einer ehemals als ‚europa‘ bezeichneten Region". So gesehen, kam Axells Wiederentdeckung im Zeitalter des Narzissmus bei allem Weitblick früher als von ihr selbst erwartet.
Evelyne Axell, "Axelleration", Museum Abteiberg, Mönchengladbach, 3. Juli bis 3. Oktober 2011.
Anmerkungen
[1] | Siehe Diedrich Diederichsen, "Radicalism as Ego Ideal: Oedipus and Narcissus", in: e-flux journal, Nr. 25, Mai 2011. |
[2] | Kalliopi Minioudaki, "Der andere Pop: Die Verdrängten zweier Diskurse kehren zurück", in: Power Up. Female Pop Art, Ausst.-Kat., hg. von Kunsthalle Wien und Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen 2010/11, S. 134–143, hier S. 135f. |
[3] | Evelyne Axell, 1970. Zit. nach Anke Kempkes, "Evelyne Axell", in: Power Up, a. a. O., S. 50–53, hier: S. 51. |
[4] | Siehe ebd.; siehe auch Jean Antoine, in: Axelleration. Evelyne Axell 1964–1972. Ausst.-Kat., hg. von Museum Abteiberg, Mönchengladbach 2011, S. 90: "Später, als Malerin unterdrückt sie ihren Vornamen, da Frauen in der Galerienszene nur selten ernst genommen werden, erst recht nicht, wenn sie gut aussehen." |