Reduzierte Spielpläne und Ausstellungsprogramme, drohender Personalabbau: Die Ende letzten Jahres durch den Berliner Senat verabschiedeten Kürzungen schränken die Arbeit von Kultureinrichtungen stark ein. Weniger augenscheinlich sind die Leerstellen, die diejenigen Projekte hinterlassen, deren Förderung schlicht gestrichen wurde. Zum Abschluss unserer Reihe zur aktuellen Berliner Kulturpolitik setzt Annette Maechtel die gegenwärtigen Sparmaßnahmen ins Verhältnis zu denen der 1990er Jahre. Die damals als Reaktion auf den Sparkurs entstandenen Projektförderungen verortet Maechtel in ihrem historischen Kontext und skizziert deren langfristige kulturpolitische Implikationen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Kultur in Berlin von massiven Budgetkürzungen betroffen ist. Bereits im Jahr 1995 sah sich der Berliner Senat mit einer finanziellen Notlage konfrontiert, die – ähnlich wie gegenwärtig – die Vielfalt im Kulturbereich erheblich gefährdete. In der Folge wurde eine Veränderung innerhalb der Kulturpolitik eingeleitet, die sich unter den aktuellen Sparmaßnahmen spätestens heute als besonders prekär und angreifbar erweist: die projektorientierte Förderlogik.
Der Grund für die finanziellen Einschnitte im Kulturhaushalt Mitte der 1990er Jahre war ein Finanzierungsdefizit von 7,5 Milliarden DM im gesamten Berliner Haushalt, bedingt durch den Wegfall der Bundeshilfen nach der Wiedervereinigung. Ende 1994 wurden diese vom Subsidiaritätsprinzip im Länderfinanzausgleichs abgelöst. Die Zuwendungen fielen dabei deutlich geringer aus, außerdem wurde Berlin kein Sonderstatus mehr eingeräumt. Für den Kulturhaushalt bedeutete dies eine Kürzung der Berliner Sondermittel von 210 Millionen im Jahr 1991 auf 28 Millionen DM im Jahr 1995. 1994 liefen nach vier Jahren auch die Sonderprogramme und Provisorien für den Ostteil Berlins aus, wie der Fonds Deutsche Einheit. Wie in der aktuellen Situation gingen die Wirtschaftsprognosen in Berlin nicht von einem Wachstum aus, das das Defizit hätte ausgleichen können. Die Erwartung nach der Wiedervereinigung, die Stadt werde sich in wenigen Jahren zu einer führenden Metropole Europas entwickeln, blieb unerfüllt, was sich auch daran zeigte, dass viele Immobilien, insbesondere Büroflächen mit tausenden von Quadratmetern, leer standen. Somit wies der Berliner Kulturetat 1995 eine Deckungslücke im Vergleich zu 1991 von 182 Millionen DM auf, die vom Berliner Senat nicht ohne Schließung und Privatisierung von Institutionen – etwa der Staatlichen Kunsthalle Berlin und des Schillertheaters – aufgefangen werden konnte.
Mit dem Hauptstadtbeschluss 1991 kamen auf Berlin neue Aufgaben hinzu; für den damit zusammenhängenden Aufwand trat ab August 1992 zwar ein Hauptstadtvertrag in Kraft, der aber ausschließlich „hauptstadtbedingte“ Kultur- und Bildungseinrichtungen finanzieren sollte. Die Debatten mit der Bundesregierung unter Helmut Kohl über die Kultur im Land Berlin spiegelten lediglich das Interesse an repräsentativen Einrichtungen wider. Als Reaktion auf diese kulturpolitische Situation und aus Sorge um den Erhalt der Berliner Kulturszene gründete sich 1994 der Rat für die Künste Berlin, in dem sich unterschiedliche institutionelle und freie Akteur*innen des Kunstfeldes zusammenschlossen und der bis heute besteht. Der Rat forderte die Förderung von Institutionen und freien Projekten durch den Bund, weil vom Berliner Senat keine Mittel zu erwarten waren. Als zentrale Initiative entwickelte der Rat für die Künste eine Vorlage für den Hauptstadtkulturfonds, der schließlich 1996 etabliert und vom Bund finanziert wurde. Der Fonds, dessen Mittel ausdrücklich spartenübergreifend eingesetzt werden sollten, stellt im Bereich seitdem ein umfangreiches Förderinstrument für künstlerische Projektvorhaben in Berlin dar. Der Hauptstadtkulturfonds erweiterte damit nicht nur bisherige Kulturförderinstrumente, sondern trug auch veränderten künstlerischen Praktiken Rechnung. In den 1990er Jahren diversifizierte sich das Kunstfeld durch selbstinitiierte Räume und Künstler*innen, die parallel in verschiedenen Rollen, Medien und Genres arbeiteten. Der Rat für die Künste versprach sich mit dieser vom Bund finanzierten Projektförderung einen größeren Gestaltungsspielraum für die Realisierung künstlerischer Produktionen außerhalb institutionell festgelegter Programme und bestehender Förderinstrumente.
Ging die Förderpolitik in den 1990er Jahre noch von klassischen Formaten und Einzelkarrieren aus, war sie folglich im Bereich der bildenden Kunst auf Stipendien von Künstler*innen, auf Ausstellungsförderung, Ankäufe oder Kunstpreise ausgerichtet. Kollektive und projektbasierte Arbeitsweisen konnten damals nicht berücksichtigt werden. Projektzuschüsse beschränkten sich auf freie Theatergruppen und E-Musiker*innen im Rahmen von Reisekostenzuschüssen und auf den soziokulturellen Bereich („kulturelle Aktivitäten ausländischer Mitbürger“). Heute hingegen sind Projektförderungen aus der Kunst- und Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken und betreffen Einzelförderungen genauso wie institutionelle Strukturen. Grundsätzlich ist dadurch das Budget des Berliner Senats für Künstler*innen erhöht worden. Der über Berlin hinausreichende Ausbau von Projektförderungen im Kulturbereich kann mit dem Begriff „Projektitis“ beschrieben werden. Diese Entwicklung markiert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel im kulturpolitischen Begründungszusammenhang, der von der „Subvention zur Investition“ schwenkt. Damit werden zunehmend außerästhetische Kriterien wie Standortpolitik, Besucher*innenzahlen, Presseresonanz und Einnahmen zur Legitimation von staatlicher Finanzierung herangezogen. Es etabliert sich dadurch nicht nur eine zeitliche Begrenzung von öffentlichen Förderverpflichtungen, sondern auch ein verstärktes Denken in „Outputleistung“, nicht zuletzt, um den erfolgreichen Mitteleinsatz quantitativ zu evaluieren.
Auf der institutionellen Ebene lautete die Argumentation des Berliner Senats im Zuge der Sparmaßnahmen der 1990er Jahre, dass sich bestehende Einrichtungen „von innen heraus reformieren“ müssten, was zu einer Suche nach ökonomisch effizienteren Management- und Finanzierungsmodellen für Kulturinstitutionen führte. Eine Maßnahme in diesem Kontext war die Überführung von einigen Landesinstitutionen in die private Rechtsform einer GmbH. In verwaltungswissenschaftlicher Literatur wird der Vorteil dieser privaten Rechtsform in der größeren Flexibilität – und auch begrenzten Haftung des Senats – im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Rechtsformen gesehen. Erst die dadurch vollzogene Abkoppelung vom öffentlichen Dienst-, Organisations-, und Haushaltsrecht (das heißt auch der parlamentarischen und aufsichtsbehördlichen Kontrolle) ermöglichte einen Handlungsspielraum für mehr Rentabilität und Wirtschaftlichkeit im Umgang mit (geringeren) öffentlichen Förderungen und damit neoliberale Transformationen: Die gleiche Arbeit wird mit weniger Kosten für Personal und Programm erfüllt.
Diese strukturellen Veränderungen wirken bis in die Gegenwart nach und schaffen die Voraussetzungen für aktuelle Kürzungsentscheidungen. Wie Berlins derzeitiger Finanzsenator Stefan Evers in einer Ansprache der Kulturakteur*innen im September 2024 offen aussprach, erlauben insbesondere projektbasierte Förderstrukturen im Kulturbereich kurzfristige Kürzungen, da sich aus ihnen keine langfristigen vertraglichen Verpflichtungen ergeben. Während institutionell geförderte Häuser gezwungen sind, mit geringeren öffentlichen Förderungen auszukommen, können bei finanziellen Engpässen die Projektförderungen einfach gestrichen und so den Projekten die Basis ihrer Arbeit entzogen werden.
Annette Maechtel ist promovierte Kunstwissenschaftlerin und seit 2020 Geschäftsführerin des Kunstvereins nGbK in Berlin und seitdem auch Mitglied im Rat für die Künste Berlin.
Image credit: © Harald Hauswald/Ostkreuz
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