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SCHWEINISCH SCHÖN Aurea Klarskov über Albert Oehlen in der Galerie Max Hetzler, Berlin

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Über die selbstbestimmten Versuchsanordnungen, aus denen Albert Oehlen seine Malereien entwickelt, ist viel geschrieben worden – auch in TEXTE ZUR KUNST. So stellte Isabelle Graw zum Beispiel schon 2009 mit Blick auf Oehlens Kunst fest, dass „das äußere Korsett, welches man sich qua Versuchsanordnung anlegt, das Singuläre und Besondere der eigenen Idiosynkrasien“ hervortreten lässt. Ohne diese kunstkritische Rezeption außer Acht zu lassen, behält sich Aurea Klarskov in ihrer Auseinandersetzung mit den jüngst bei Max Hetzler auf der Potsdamer Straße gezeigten Arbeiten genau die Offenheit vor, mit der Oehlen vor circa 40 Jahren einem Unbekannten begegnete. So bleibt der Blick frei, um die jeweiligen Vorgaben herauszuarbeiten und die Spezifik dessen zu erfassen, was Oehlen hier als „Schweinekubismus“ präsentierte.

Höhere Wesen befehlen: Auf großformatigen Leinwänden malen! Na gut, keine höheren Wesen, sondern ein unbekannter Mann, dem Albert Oehlen irgendwann Anfang der 1980er Jahre in einer Eisdiele begegnet ist. Es war die Zeit, als Oehlens Kunststudium bei Sigmar Polke zu Ende ging und seine Karriere als Maler begann. [1] Und es war wohl auch eher ein Rat als ein Befehl – aber einer, dem Oehlen gefolgt ist. Aus der zufälligen Begegnung in der Eisdiele leitete Oehlen eine Vorgabe für seine Malerei ab, der er in seinem inzwischen langen Leben als Maler oft gefolgt ist.

Die Feststellung, dass selbst gesetzte Regeln Oehlens Bilder bestimmen, zieht sich durch die Kunstkritik seiner Praxis. [2] Die disziplinierte Orientierung an einer äußeren Vorgabe mag bei einem Maler, der – wenn auch nie bündig – den „Jungen Wilden“ zugerechnet wurde, überraschen. [3] Zugleich sind die „externen Versuchsanordnungen“ von Oehlens Bildserien nicht deterministisch fixiert und lassen Spielraum zu. Wenn die „Bildfindung“ zunächst an eine „äußere Instanz“ abgegeben wird, die Versuchsanordnung aber offenbleibt, ergibt das eine produktive Spannung. [4] So ausgestattet mit dem Wissen um die Produktionslogik des Malers – lassen sich damit die Vorgaben ausmachen, die die Werke in der Ausstellung „Schweinekubismus“ bestimmen?

Ein erster Blick zeigt: Alle Bilder sind großformatig. Im Erdgeschoss reihen sich an der linken Wand der nach oben offenen Halle acht etwas unterschiedlich formatierte, aber immer großflächige Leinwände, alle Untitled, alle von 2023/24. Die Bildflächen sind farbintensiv, viel Rot-Rosa, viel Blau; fast schon überfordernd ansprechende (sprich: schöne) Farbkompositionen und -verläufe. [5] Auf drei der Bilder ergeben die Anordnung von kleinen und großen Farbflächen, die Linien, die Kritzeleien etc. Porträtkompositionen. Ein bisschen wie in Giuseppe Arcimboldos Porträts aus Gemüse und Obst, nur dass die Elemente, die in ihrer Konstellation die groben Züge eines Kopfes, vielleicht mit Hut, ergeben, aus dem Setzkasten der Malerei entnommen scheinen. Sich entweder für figurative oder abstrakte Malerei zu entscheiden war für Oehlen noch nie eine plausible Lösung. [6] So machen es sich auch diese Bilder in einem Dazwischen bequem, und die geneigte detektivische Betrachterin kann in dem besonders rosaroten Bild, das eine Porträtkomposition mit möglichem Rüssel ergibt, den Namensgeber des „Schweinekubismus“ entdecken.

Albert Oehlen, „Ömega Man 27,“ 2022

Albert Oehlen, „Ömega Man 27,“ 2022

Den ordentlich nebeneinanderhängenden, großformatigen Leinwänden auf der linken Wand steht die Gestaltung der rechten Wand gegenüber. Hier wurde farblich und formal die Ausstellungskonvention aufgebrochen, derzufolge Werke auf einer weißen Wand gereiht werden. Eine extra eingezogene, abgerundete Wand ragt von rechts in den Raum. Auf dieser Fläche hängt vorn eine Leinwand, die von den Rändern her derart mit gelber Lackfarbe übermalt wurde, dass eine Form ausgespart bleibt. Sie ist irgendwas zwischen einem Omega-Zeichen, einem rundlichen X und einer rudimentären Rumpfgestalt. Das mit Ömega Man 27 (2022) betitelte Bild ist Teil der gleichnamigen Serie (seit 2021). Die Fläche hinter der eingezogenen Wand wurde mit einem ähnlich deckenden Gelb wie das der Lackfarbe bemalt, und auf ihr hängen drei Shaped Canvases: Leinwände, die wie die zentrale Form von Ömega Man 27 zugeschnitten sind. Sie gehören auch zur Serie, genauso wie drei skulpturale Rumpfgebilde aus Aluminium, die im Ausstellungsraum verteilt sind. Zwei der Shaped Canvases wurden mit opaker gelber Acrylfarbe stellenweise so übermalt, dass beim flüchtigen Blick unklar ist, wo die gelbe Farbe der Wand aufhört und wo sie sich auf der Leinwand fortsetzt.

Hier ging die malerische Vorgabe wohl in die Richtung: Probiere aus, welche Variationen zwischen Wand und Leinwand, zwischen ausgesparter und zugeschnittener Ömega-Form, zwischen deckendem Gelb und geschichteter Ölfarbe sich stimmig im Galerieraum von Hetzler präsentieren lassen! Das Ergebnis: Mal wurde die Leinwand geshaped, wie in Frank Stellas minimalistischen Antworten auf den abstrakten Expressionismus, mal shaped die Lackfarbe durch Aussparung eine Form auf der Leinwand, mal gleicht sich die Farbe auf der Leinwand der Wandfarbe an. Oder: Sich den Mitteln der Malerei bediendend, wird hier nicht nur mit den Zuständigkeitsbereichen von Vorder- und Hintergrund, sondern auch von Wand und Leinwand gespielt. Nun ist die Befragung der Bedingungen der Malerei mit ihren eigenen Mitteln der modernistische Topos schlechthin – kann es darum gehen in Oehlens neueren Bildern?

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Im Obergeschoss der Galerie hängen vier Leinwände, die im Saalplan als eine einzelne Arbeit aufgeführt sind (Untitled, 2022–2024): eine Farb- und Formexplosion im Großformat (250 × 230,3 cm). Und es gibt sehr, sehr viel zu sehen: weiche milchige Flächen, scharfe Kanten, Linien, Tropfenschwärme, getrocknete Spritzer und Klumpen, Farbverläufe, Farbstudien, Übergänge, Unterbrüche.

Im Bild ganz links gibt es oben links Farbrinnsale: Dünne grünbraune Streifen reihen sich nebeneinander, flüssige Farbe hat, der Schwerkraft folgend, Pigmentspuren auf der Leinwand hinterlassen. Auf den drei anderen Bildern von Untitled befinden sich an gleicher Stelle ähnliche Rückstände. Diese sind aber mit feinem Pinsel eingezeichnet. Einmal aufmerksam geworden auf diese „künstlichen“ Rinnsale, fallen immer mehr „kontrollierte“ Tropfspuren auf: scheinbar spontane, tatsächlich aber vorsichtig aufgemalte Überbleibsel schnell aufgetragener, flüssiger Farbe.

Was zunächst nach Spritzern und Tropfen à la abstraktem Expressionismus aussieht, ist umsichtig erarbeitet. Unter all den dynamischen, sogar großkotzigen Gesten liegt eine Rasterstruktur: Kacheln oder Quadrate teilen die Bildfläche auf und bleiben als Vorzeichnungen unter oder hinter den Formen und Flächen sichtbar. Außer eben beim Bild ganz links; hier gibt es keine unterliegende Rasterstruktur, es ist also das „Original“, das als Vorlage für die anderen drei Variationen dient, deren Grundkomposition mit einem Übertragungsverfahren auf die großen Leinwände transferiert wurde. Wobei auch das „Original“ von einer anderen (außerbildlichen) Quelle oder Vorgabe erarbeitet wurde. And there is more: Diese Rasterstrukturen sind auch bei fast allen Gemälden im Erdgeschoss auszumachen. Oft überschneiden sich hier die durch die Kachelung entstehenden Farbfelder, und der Vorder- und Hintergrund der Flächen bzw. deren Staffelung werden uneindeutig.

Wenn Kubismus der Name ist für das Verfahren, das mithife von Kuben, Kacheln und Rechtecken den einheitlichen Bildraum der klassischen Avantgarde aufsprengte, ist „Schweinekubismus“ der Name für Oehlens schweinisch schöne Fragmentierung und Neuzusammensetzung der Bildfächen. Warum braucht es neben den unterliegenden sorgfältigen Rastern auch das Kleckern, Spritzen und Schmieren? Warum so schweinisch? Weil sonst Oehlens Leichtigkeit verloren ginge, erdrückt von der schweren Last der Malereigeschichte des 20. Jahrhunderts.

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Albert Oehlen, „Schweinekubismus,“ Galerie Max Hetzler, Berlin, 2024

Ich habe geschrieben, dass es sehr, sehr viel zu sehen gibt. Oehlen hat gesagt, dass auch er seine Bilder lange anschaut. [7] Dass Sehen Teil seiner Praxis ist, wird gerade bei Untitled für die Besucherin mit der Zeit absolut schlüssig. Aber lässt sich noch etwas präziser beschreiben, was es zu sehen gibt? Vielleicht ist es so etwas wie ein Repertoire der Mittel der Malerei seit dem Kubismus. Es geht, um einen Gemeinplatz der Kunstkritik zu reproduzieren, in Oehlens Malerei um die Malerei. Und darum, was der Malerei im 20. Jahrhundert alles widerfahren ist. Das kündet schon der Name der Schau an („Schweinekubismus“), ist aber auch handwerklich (Pseudo-Rinnsale) und an den Referenzen (Shaped Canveses) nachvollziehbar. Das alles läuft als Folie nebenher mit, ohne das Seherlebnis mit allzu viel akademischem Ballast zu beschweren.

Und es geht um Oehlens Malerei in Oehlens Malerei: „Schweinekubismus“ ist ein Rückblick auf unterschiedliche Serien und Themen innerhalb seines inzwischen langen Lebens als Maler. Im Saaltext wird die Selbstbezüglichkeit der Arbeiten betont, der Bezug auf das Baummotiv, auf die John Graham Remixes (seit 1997) oder die Ömega Man-Serie. Die Vorgaben kommen nicht mehr aus Zufallsbegegnungen in einer Eisdiele, sondern aus der eigenen Praxis des Künstlers, werden aber in etwas Neues überführt. In dieser Zeitschrift wurde schon 2009 in der Besprechung einer Oehlen-Ausstellung bei Max Hetzler der „zyklische […] Charakter einer künstlerischen Produktion“ beschrieben, die „zwar von Versuchsanordnung zu Versuchsanordnung schreitet, dabei jedoch immer wieder auf die gleichen Probleme trifft“. [8] Das berechtigt zu der Frage, ob Oehlen in „Schweinekubismus“ Altbewährtes präsentiert, verpackt in schöne, neue Farben. Ob seine Versuchsanordnungen etwa zu Zitatmaschinen geworden sind, die nur mehr die Malereigeschichte des 20. Jahrhunderts zitieren, die Oehlens eigene Malerei zitieren. Die Schau bei Hetzler wirft damit auch die Frage auf, wie umzugehen ist mit der eigenen Malereigeschichte. Die Antwort: Leichtigkeit und das Geschenk des Humors („Schweine“) kann das Pathos des Kanons ironisch auffangen („Kubismus“). Und auch ohne alle Entwicklungsstationen von Oehlens Malerei, die von Anfang an eng mit der Galerie Hetzler verbunden war, verfolgt zu haben, wird in „Schweinekubismus“ die Vielfalt von Oehlens Malerei zugänglich und macht dabei – ich kann es nicht anders sagen – Spaß.

„Albert Oehlen: Schweinekubismus“, Galerie Max Hetzler, Berlin, 14. September bis 2. November 2024.

Aurea Klarskov ist Postdoktorandin am Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik der Universität der Künste in Berlin.

Image credit: © Albert Oehlen / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025, courtesy the artist and Galerie Max Hetzler, Fotos def image

ANMERKUNGEN

[1]The Lydian Spin, Podcast with Lydia Lunch & Tim Dahl, Episode 49, ausgestrahlt am 18.6.2020, letzter Zugriff: 31.10.2024. David Salle beschreibt Oehlen als den Schüler Polkes, der für den künstlerischen Weg, den dieser bereitet hatte, besonders empfänglich war, vgl. David Salle, How to See. Looking. Talking, and Thinking about Art, New York/London 2016.
[2]Vgl. Albert Oehlen. Grau, Ausst.-Kat., Nahmad Contemporary, New York, 2017, S. 20; Albert Oehlen. Spiegelbilder 1982–1990, Ausst.-Kat., Max Hetzler, London, 2019, Nahmad Contemporary, New York, 2019/2020, S. 14.
[3]Vgl. Albert Oehlen. Spiegelbilder S. 14f.; Albert Oehlen. Grau, S. 24, 31.
[4]Isabelle Graw, „Fremdbestimmt ist selbstbestimmt. Über Albert Oehlen in der Galerie Max Hetzler, Berlin“, in: Dies., Texte zur Kunst. Essays, Rezensionen, Gespräche, Hamburg 2011, S. 409.
[5]Zur negativen Schönheit von Oehlens Bildern siehe Albert Oehlen. Terpentin, Ausst.-Kat., hg. von Stephan Berg, Kunstmuseum Bonn, 2012, S. 47.
[6]Vgl. Albert Oehlen. Grau, S. 16.
[7]Vgl. The Lydian Spin.
[8]Graw 2011, S. 408.