DAFFY, DRAG, DISKURSROCK Antje Krause-Wahl über Cosima von Bonin in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M.
Bei der Eröffnung von Cosima von Bonins Ausstellung „feelings“ war viel los. Im Foyer der Schirn legte DJ LéLé Cocoon auf. Durch die beiden Ausstellungshallen im ersten Stock manövrierten Mary Messhausen und proddy produzentin eine überdimensionierte Kiste. Die beiden Dragqueens aus Toronto, mit denen von Bonin schon häufig zusammengearbeitet hat, trugen Patchwork-Kleider aus Karostoffen; nach einer Gesangseinlage im hinteren Bereich der Ausstellung holten sie einen mit Karostoff bezogenen Keilrahmen aus der Kiste und befestigten ihn an der abschließenden Stellwand. Während „feelings“ also mit einer Performance begann, markierten deren Überreste den räumlichen Abschluss der Ausstellung, in der Tierfiguren und Stoffbilder zu einem Weg arrangiert waren.
Im Eingangsbereich der ersten Halle stimmten zwei Figuren aus der Werkgruppe What if it Barks (2018) die Besucher*innen auf die cartooneske Bildwelt Cosima von Bonins ein: Found Objects aus Hartplastik in Form von Makrelen, von der Künstlerin mit rosa Rock bzw. mit Schärpe bekleidet und mit Ukulelen ausgestattet. In neuen Arbeiten der Reihe Open Your Shirt Please (2023) kämpft Daffy Duck in Zeichentrickszenen nachempfundenen Motiven mit einem schwarzen Bühnenvorhang: Auf einem Stoffbild versucht er, diesen zu lüften, auf einem anderen scheint er von ihm aus dem Bild gedrängt zu werden. Zwischen den auf Podesten im Raum präsentierten Szenen aus Stoff waren Stoffschweinchen oder Hummer in Handschellen in aus Draht geformten und umhäkelten Zementmischern positioniert.
In der zweiten lang gestreckten Ausstellunghalle stand die umgeknickte Straßenlaterne The MK 2 Formula #303 (outdoor version) (2014) samt glimmender, aus Neonröhren bestehender Zigarette am Anfang eines Weges, der von weiteren glimmenden, auf der Höhe von Ladenschildern angebrachten Zigaretten – Smoke (2008) und Smoke, black edition (2020) –flankiert wurde. Im folgenden Verlauf führte der Weg vorbei an Shirt/Fluff/Same Day (2007), einem schaufenstergroßen Bild aus Baumwoll- und Lodenstoffen mit gestickten Figuren: In diagonal gegenüberliegenden Ecken des Bildes zwei sitzende Pinocchios, deren Füße und Nasen durch weiße Stoffapplikationen hervorgehoben werden. Auf den Nasen des einen turnt Daffy Duck, benachbart von einer Affenbande auf Pilzen. In der Bildmitte greifen vier Heftstiche das charakteristisch leere Label der Modemarke Maison Margiela auf. Daneben ist der Schriftzug „Harmonie ist eine Strategie“ gestickt, eingefasst von zwei blassen, geballten Fäusten.
Shirt/Fluff/Same Day – die zentralen Themen von Bonin: Ein in der Kunstszene im Rheinland der 1990er Jahre kultivierter Hedonismus, in dem Nichtstun und Feiern als Widerstand gegen neoliberale Selbstausbeutung und Optimierung gelebt wurde. Zudem die kollektive Erschöpfung als Auswirkung des Kapitalismus und zugleich ein schlummerndes, widerständiges Potenzial, das im Kollektiven an sich liegt, das sich in einer in Netzwerken organisierten Kunstproduktion zeigt. So bezieht sich die Arbeit von 2007 auf das im selben Jahr erschienene Album Kapitulation von Tocotronic. Die Zeile, die in krakeliger Schrift in von Bonins Bild gestickt ist, stammt von einer der Singleauskopplungen, die Dirk von Lowtzow in übertriebener Intonation als „Harmonie-ie-ie ist eine Strategie“ singt. So erweitert sich der Fokus des Motivs vom kollektiven Abhängen hin zu einer Sehnsucht nach dem „Pärchenscheiß“ – wie von Lowtzow es in einem Interview mit der taz einmal einmal nannte. [1] Tocotronics Lied unausweichlich im Ohr, traf man auf zwei weitere Stoffbilder, die unweit von Shirt/Fluff/Same Day einander vis-a-vis gehängt waren. Mit applizierten Rehkitzen und den Aufschriften „Love Bombing“ und „Gaslighting“ scheinen sie sich gegen die von niedlichen Disneyfiguren propagierte Tyrannei der Intimität zu wenden: Ob die unter den Figuren ins Bild genähten Fellflecken zur Munition bereitliegen, um das Gegenüber mit Liebesbekundungen zu bombardieren oder es einzuschüchtern, bleibt offen.
Vor dem letzten, durch eine Glaswand abgetrennten Abschnitt der Ausstellungshalle, waren zwei brav sitzende Plüsch-Bernhardiner postiert: Petit Saint Bernard avec box und Petit Saint Bernard avec box (linen eyepatch version) (beide 2016) tragen das typische Schnapsfläschchen wie ein Schmuckstück, um einen Hundehals ist ein Seidentuch geschlungen. In der Schirn war einer der beiden Bernhardiner so positioniert, als wolle er die elegante, mit schicker Tasche versehene Walfischdame Mae Day VII (Dirty Pink Velvet with Silver Swing Version) (2024) bewachen. Die Kombination von Hündchen und „Dame“ auf Schaukel verlieh der Szene Fragonard-artige Züge; verglichen mit den recht freundlich in die Ausstellung einladenden Makrelen, erschien sie jedoch deutlich bissiger.
In ihrem Buch Our Aesthetic Categorie: Zany, Cute, Interesting legt Siane Ngai dar, dass die weichen Formen niedlicher Stofftiere Resultat des Kapitalismus sind. Die Weich- und Rundwerdung der ersten massenproduzierten Spielzeuge in den Blick nehmend, führt sie aus, wie sich die Warenwelt den instinktiven Affekt, der sich bei niedlichen Dingen einstellt, durch eine Art Ästhetisierung der Machtlosigkeit zunutze gemacht und ihn schließlich als Aspekt der ihr eigenen Warenästhetik vereinnahmt hat. [2] Von Bonins Rettungshunde führen demnach nicht nur ihre ursprünglich funktionale Ausrüstung als Luxusaccessoire vor, sondern verkörpern als niedliche Stofftiere, die Produkte präsentieren, auch eine gewisse Machtlosigkeit. Mit der Anspielung auf Fragonard wird auch das widerständige Potenzial der Kunst hinterfragt: Sie wird zur Ware, die den Geschmack der Konsument*innen bedient.
Im hinteren Abschnitt der Ausstellung werden Cosima von Bonins Stoffbilder deutlicher. In Why? What, What? (2009) ist ein Tuch von Hermés integriert, das, trotz des typischen Orangetons des Modehauses, an die Gemälde Jo Baers erinnert. Das Hermés-Tuch mit einem dunkeln, karierten Lodenstoff sowie einem rosafarbenen mit Rankenornament kombinierend spielt die Arbeit mit der Formsprache der Abstraktion. Auch sie ist mit dem Margiela-Label versehen. Von einer Seite ragen genähte Hände Daffy Ducks ins Bild hinein, zugleich kommentiert die Ente aus dem Off die selbstreferenzielle Leere der glamourösen Kunst- und Modewelt in Sprechblasen: „Nichts! Nichts! Nichts! Nichts!“ In Kalt Modern Teuer (2023), Social Climber (2023) und Emporkömmling (2023) posiert Daffy Duck dandyhaft oder blickt die Betrachter*innen grimmig an.
Daffy, die nicht immer sympathische Ente, tritt ursprünglich in Filmen auf, die eine selbstreflexive Ebene aufweisen. In Duck Amuck (1953) beispielsweise muss sie sich gegen die Eingriffe eines die Kulissen und seine figurative Erscheinung verändernden Zeichenstifts zur Wehr setzen. Es ist eine Szene, die thematisiert, dass das Medium die Figur sichtbar macht, sie aber auch wieder zum Verschwinden bringen kann. [3] Wenn Cosima von Bonin in der Stoffarbeit Open Your Shirt Please beispielsweise eine Szene wählt, in der Daffy Duck das „ENDE“ im Abspann des Films – also die Schrift auf schwarzem Grund, die ihn zu erdrücken droht – wegzuschieben versucht, dann zeigt sie Daffy dezidiert als eine Figur, die mit den Bedingungen kämpft, die sie zugleich erschaffen haben.
Es bietet sich an, die Ente als das Alter Ego der Künstlerin zu begreifen. Von Bonin, die in einer von Künstlern dominierten Szene sozialisiert wurde, greift deren Werke lustvoll auf, um sich widersetzend einzuschreiben: Das Surfbrett, ein von Michael Krebber häufig genutztes Objekt, lehnt bei ihr an der Wand; ihre zuvor erwähnte Straßenlaterne, die jene trunken Taumelnden in den Arbeiten Martin Kippenbergers evozieren, ist abgeknickt. Pinocchio, der in einem von Bonins Stoffbildern mit dem Rücken zu den Betrachter*innen in einer Ecke steht und an Kippenbergers Martin, ab in die Ecke und schäm dich (1989) erinnert, wurde von Daffy Duck an die Wand gespielt. Duffys Hände – in Shirt / Fluff / Same Day noch zu Fäusten geballt – fand man im letzten Abschnitt der Ausstellung als Teil einer frei im Raum stehenden Skulptur mit punkigem Karorock (Church of Daffy, 2023) beschwörend erhoben an. So gesehen können die Hände in der benachbart platzierten Arbeit Why? What, What? (2009) auch als magische verstanden werden, die die Klaviatur des Kunstbetriebs und den Geschmack der Kunstkonsument*innen souverän zu bedienen wissen.
Im Niedlichen, so Sianne Ngai ist immer eine Ahnung von Gewalt vorhanden, die Möglichkeit, manipuliert zu werden. Daran wurden Besucher*innen der Schau in der Schirn erinnert, wenn sie hinter Church of Daffy den Schriftzug Cute (Pink Version) (2018) erblickten, der an die triefende Typografie in den Titelsequenzen von Horrorfilmen erinnert. An der schmalen Seite dieser Wand, die ursprünglich wohl kaum für eine Hängung vorgesehen war, hatten Mary Messhausen und proddy produzentin bei der Eröffnung ihr Stoffbild befestigt, auf dem nun – als Erinnerung an die Performance – ihre beiden darin getragenen Röcke lagen. Quer zu den Hängeflächen der Ausstellung ausgerichtet, markierte das Arrangement einen möglichen Ausgang: raus aus der Institution und ab zum Feiern.
„Cosima von Bonin. feelings“, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M., 21. März bis 9. Juni 2024.
Antje Krause-Wahl ist Heisenberg-Professorin für Gegenwartskunstgeschichte am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe Universität Frankfurt/M.
Image credit: © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Fotos Norbert Miguletz
ANMERKUNGEN
[1] | Interview zwischen Kirsten Riesselmann und Thomas Winkler: „Dieses ganze scheiß Harmlosistan“; 2. 7. 2007; https://taz.de/Tocotronic/!5198588/. |
[2] | Sianne Ngai, Our Aesthetic Categories. Zany, Cute, Interesting, Cambridge, Mass. 2012. |
[3] | Erwin Feyersinger nennt die „extradiegetische Einwirkung auf die eigene Welt“ Metalepse. Erwin Feyersinger, „Diegetische Kurzschlüsse wandelbarer Welten, Die Metalepse im Animationsfilm“, in: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 16, 2007, 2, S. 113–130, 119. |