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Mathematik, Schwarzer Nihilismus und Afropessimismus Michaela Wünsch über Kameelah Janan Rasheed in der Galerie Nome, Berlin

Kameelah Janan Rasheed, „Future“, 2019, Archival Inkjet Print, 101.6 x 127 cm

Kameelah Janan Rasheed, „Future“, 2019, Archival Inkjet Print, 101.6 x 127 cm

Die Diagnose vom Ende der großen Erzählungen übersieht, dass schon die Widerstandsgeschichte afrikanischer Sklav*innen keine lineare und heroische war. Anders als die westlich-europäischen Universalismen der Aufklärung, des Idealismus und des Humanismus muss die Geschichte Afrikas im Anschluss an Autor*innen wie Saidiya Hartman und Hortense Spiller vielmehr als Assemblage aus Anekdoten, mündlichen Überlieferungen und Gerüchten verstanden werden. Ganz im Sinne einer solchen Assemblage fungieren auch die Arbeiten der Künstlerin und Schriftstellerin Kameelah Janan Rasheed, deren erste deutsche Einzelausstellung Michaela Wünsch besucht hat.

Kameelah Janan Rasheed hatte kürzlich ihre erste deutsche Einzelausstellung, „A Casual Mathematics“ in der 2015 gegründeten Galerie Nome in Berlin-Kreuzberg. Durch ihr Studium von Public Policy and Africana Studies nehmen Theorie- und Textproduktion auch in ihren künstlerischen Arbeiten viel Raum ein. So waren in der Berliner Ausstellung etwa Calvin L. Warrens Essay „Black Nihilism and the Politics of Hope“ (2015), Frank B. Wildersons „Afro Pessimism. An Introduction“ (2018) sowie Texte von Saidiya Hartman, Steve Martinot, Jared Sexton und Hortense Spiller auf einem Tisch vor einer Projektion von YouTube-Clips ausgelegt, die verschiedene Aufnahmen von Nina Simones Mississippi Goddam (1964) zeigten. Die wiederkehrende Zeile in Simones Song Do it slow wurde in der gleichnamigen Arbeit do it slow (2019) aufgegriffen, in der dieser eine Satz in schwarzen Buchstaben auf weißem Papier in verschiedenen Größen aufgedruckt ist.

Die Komposition Calvin Warren calls it an ‚ontologocal equation‘/or methods of estimating the odds to rise in the coming centuries (2019), die aus weißen Buchstaben auf schwarzem Papier, drei unverbundenen halbrunden weißen wackeligen Linien und einem in vier Teile unterteilten Kreis bestand, enthielt wiederum Ausschnitte aus Warrens Text auf dem die kaum zusammenhängenden Textstellen aus Black Nihilism and the Politics of Hope standen, die durch eine Fußnote gekennzeichnet waren. Warren bezieht sich darin auf die Black-Lives-Matter-Bewegung, die nicht lediglich humanistische Forderungen nach der Wertschätzung und Inklusion von Menschenrechten auch für Schwarze stellt, sondern die Fragen impliziert, ob der Humanismus Schwarze angesichts anti-Schwarzer Gewalt nicht immer schon konstitutiv ausschließt und ob das Leben von Schwarzen nicht per se als lebensunwert gilt. [1] Als Nihilist und Ontologe geht es Warren nicht um liberale Konzepte von Befreiung oder um Inklusion in humanistische Werte. Vielmehr kritisiert er explizit diese Vorstellungen als etwas, das er einen „humanistischen Affekt“ nennt: die falsche, da hoffnungsfrohe, Erwartung, dass sich am Terror gegen Schwarze etwas ändern könnte. Laut Warren nehmen Schwarze eine bedrohliche Funktion des ‚Nichts‘ in der westlichen Philosophie seit Hegel, Kant und Descartes ein, von der diese gleichsam besessen sind. Warrens Schriften zielen demnach darauf ab, die Grundlagen und die Logik der Metaphysik zu verwunden. [2]

Rasheed schließt sich diesen Konzepten von Schwarzem Nihilismus und Afropessimismus einerseits installativ durch das Auslegen der Texte in der Ausstellung an, andererseits collagiert sie einzelne Textfragmente in ihren Arbeiten, u.a. mathematische Gleichungen mit politischen Slogans oder mit Zitaten aus dem Koran. Kathleen Reinhardt schreibt im Katalog zur Ausstellung, dass Rasheed die fragmentierten Texte durch Vergrößerung, Verkleinerung oder Neuanordnung destabilisiere. Ähnlich wie etwa die konkrete Poesie die Linearität von Literatur infrage stelle, verteile Rasheed ihre Rahmen, Kopien und kleinen Textausschnitte im Galerieraum, um die Materialität der Sprache zu untersuchen. Dieser Umgang mit Sprache zeigt sich auch in Rasheeds neuer Publikation No New Theories (2019). Wieder strikt in Schwarz-Weiß gehalten, ist jede Seite anders gestaltet. Einige Seiten enthalten Zitate, andere Fotos, manche nur einzelne Worte. Auf einer Seite heißt es z.B.: „1 + 1 = 2. We already human! But lazy equations can trick our efforts“ – und in der Fußnote hinter „human“ wird „not yet“ ergänzt. Rasheed stellt vermeintliche Sicherheiten (mathematische wie politische) dadurch in Frage, dass sie sie als ‚faule Gleichungen‘ herausstellt.

„Kameelah Janan Rasheed: A Casual Mathematics“, Nome Galerie, Berlin, Installationsansicht

„Kameelah Janan Rasheed: A Casual Mathematics“, Nome Galerie, Berlin, Installationsansicht

Eine andere Buchseite wiederum zeigt Steve Urkel aus Family Matters (1989–98). Laut Alexander Weheliye repräsentiert Urkel einen Wechsel in der Repräsentation Schwarzer geeks: „The prominence of Steven Urkel (portrayed by Jaleel White) […], who is by far the most well-known black geek in contemporary popular culture, suggests a significant shift in this development, since he was not doomed in the same way as his literary progenitors.“ [3] Vielleicht begreift auch Rasheed sich als black geek. Im Kurzporträt am Anfang des Buches steht ein Zitat von ihr als Siebenjährige: „My name is Kameela Rasheed. I am seven years old and go to Flood School. Seven years old is very young but I like to read, write, and do art. I live in East Palo Alto. I’m in the 2nd grade. I’m a good reader.“ [4] Dass sie sich als gute Leserin bezeichnet, könnte sich als Hinweis darauf deuten lassen, dass sie sich wie die Figur Urkel als black geek begreift.

Eine andere Seite widmet sich wiederum der Naturwissenschaft und Mathematik. Rasheed zeigt Suchergebnisse zu Fragen nach Entropie wie: „What is the relationship between information and entropy? Is it, the more entropy, the more information, or the more entropy, the less information? I encounter contradictory statements about this.“ [5] Diese Frage nach dem Unterschied zwischen einem thermodynamischen und informationstheoretischen Entropiebegriff ist einer der Bezüge zu Kybernetik und Mathematik, die an Rasheeds Berliner Ausstellung interessant waren. Zum einen gibt es eine etwa ein Jahrhundert alte Rezeption des thermodynamischen Entropiebegriffs in Kunst und Kunsttheorie, beispielsweise bei Rudolf Arnheim, Jean Arp, Robert Smithson, Max Bense u.a. Diese Autoren widmeten sich dem Verhältnis von Ordnung und Unordnung sowie selbst generierenden Prozessen – ähnlich wie auch Rasheed danach fragt, welche Menge an Komplexität/Entropie/Information ein sich selbst reproduzierendes System benötigt oder wie die Entropie vergrößert werden kann, wenn sie eine Zwangsstörung hat und alle Materie des Universums in eine schön geordnete Struktur konvertieren würde. Damit schließt sie sowohl an die Rezeption von Ordnung/Unordnung der Entropie an, aber auch indirekt an eine Rezeption in Psychologie und Psychoanalyse, indem sie die Zwangsstörung einbringt.

In der Psychoanalyse diente der thermodynamische Entropiebegriff Freuds zur Darstellung von Todestrieb und Energiehaushalt in der Psyche, während Jacques Lacan Claude Shannons informationstheoretische Verwendung des Entropiebegriffs aufgriff, um dem Zufall und der Grenze der Vernunft in der Psychoanalyse gerecht zu werden. Denn obwohl die Mathematik und Informationstheorie sich bemühen, den Zufall als Wahrscheinlichkeit berechenbar zu machen, unterscheidet die Entropie sich doch von den cartesianischen Prinzipien der Vernunft, da sie mit Kategorien der Unvollständigkeit und der Relativierung von Wahrheit, Sinn und Bedeutung eindeutige Vernunftprinzipien hinterfragt. Ich würde daher zumindest Warrens Gleichsetzung von Mathematik, Naturwissenschaft und Metaphysik nicht teilen [6] , und mir scheint, dass trotz Rasheeds Kritik an Wahrscheinlichkeitstheorien auch eine Faszination für Mathematik und Kybernetik besteht, die sich in der Ästhetik ihrer Arbeiten zeigt, in denen sie spielerisch mit Mathematik und Wahrscheinlichkeitstheorie umgeht, etwa in der Arbeit Long Division, II (2018), in der Zahlenreihen mit den Sätzen „new means Of [sic] sentences. may be established.“ und „Rubbing: contradictions and ambiguities“ kombiniert werden. Widersprüche und Ambiguitäten kommen also auch in der Mathematik und Kybernetik vor, Rasheed kontextualisiert diese neu im Rahmen einer Schwarzen Perspektive und teils tragischen, teils humorvollen Kritik an einer anti-Schwarzen Gesellschaft und Politik.

„Kameelah Janan Rasheed: A Casual Mathematics“, 30. November 2019 bis 1. Februar 2020, Galerie Nome, Berlin

Michaela Wünsch arbeitet als Kulturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin in Berlin und an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Image credit: 1. Kameelah Janan Rasheed/Galerie Nome, 2. Sara Clarken

Anmerkungen

[1]Schwarz und Weiß schreibe ich groß, um sie als soziale und politische Kategorien zu kennzeichnen.
[2]Den Begriff „verwunden“ wie auch seine gesamte Metaphysikkritik entlehnt Warren Martin Heidegger, der philosophisch seinen Hauptbezugspunkt bildet. „Verwunden“ oder „Verwundung“ benutzt Warren im Sinne von „neu ordnen“ oder „verdrehen“, aber nicht im Sinne von „verletzen“ oder „eine Wunde zufügen“. Da Heidegger jedoch nicht von „verwunden“ spricht, sondern von „verwinden“, also davon, dass die Metaphysik nicht einfach überwunden werden kann, handelt es sich bei Warren entweder um einen Neologismus oder um eine Fehllektüre von Heideggers Begriff der „Verwindung“. Vgl. Calvin L. Warren, Ontological Terror: Blackness, Nihilism, and Emancipation, Duke University Press, 2018.
[3]„Alexander Weheliye, Post-Integration Blues: Black Geeks and Afro-Diasporic Humanism“, in: Contemporary African American Literature: The Living Canon, hg. von Lovalerie King/Shirley Moody-Turner, Indiana University Press, 2013, S. 212.
[4]Kameela Janan Rasheed, No New Theories, Printed Matter, 2019.
[5]Ebd.
[6]Meiner Ansicht nach folgt auch hier Warren Heideggers Kritik am rechnerischen und kalkulativen Denken, das Heidegger antisemitisch auch dem Judentum zuschreibt. Warren erwähnt zwar Heideggers Sympathien für den Nationalsozialismus, aber nur im Hinblick auf die Verbindung metaphysischer und anti-Schwarzer Gewalt, Antisemitismus erwähnt Warren nicht. Vgl. Calvin L. Warren, Ontological Terror. Blackness, Nihilism, and Emancipation, Duke University Press, 2018, S.8f.