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MICHAEL F. ZIMMERMANN (1958–2025) Von Beate Söntgen

Michael F. Zimmermann

Michael F. Zimmermann

Was es heißt, Kunstgeschichte im interdisziplinären, kulturwissenschaftlichen und mediengeschichtlichen Rahmen zu schreiben, hat Michael Zimmermann früh und eindrucksvoll gezeigt. Seine vielen, meist kooperativ verwirklichten Projekte zur visuellen Narratologie, zu didaktischen Fragen und zu Dialogkulturen sind Zeugnisse einer jahrelangen Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung und deren gesellschaftspolitischer Relevanz. Bildsprache in ihrer Evidenz und Ambivalenz zu beleuchten und in eine neue Perspektive zu rücken, war Michaels wissenschaftliches Lebensprojekt, das nun zu einem abrupten Ende gekommen ist.
Kennengelernt habe ich Michael 1985 bei meinem Wechsel zum Hauptstudium, wie es damals hieß, von Marburg nach Westberlin, wo er Assistent von Thomas W. Gaehtgens am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität war. Hinter ihm lag das Studium in Köln, Rom und Paris und eine glanzvolle Promotion, die Kunst- und Wissenschaftsgeschichte am Beispiel von Georges Seurat zusammengedacht hat. Kaum älter als ich, war Michael bereits ein souveräner Wissenschaftler und ein leidenschaftlicher Dozent. Ihm gelang es, den Studierenden auch auf den ersten Blick unattraktive Gegenstände, wie etwa die Malerei des 19. Jahrhunderts, nahezubringen, die nicht zur „Hurra-Geschichte“ (ein Begriff, den Michael so gern verwendete) der Moderne gehörte. So zum Beispiel Giovanni Segantinis schweizerische Biotope, die Tiere, menschliche Figuren und die Landarbeit in heroisches, die Härte dieses Lebens hervorkehrendes und zugleich überstrahlendes Licht tauchte. Oft hat mir Michael in meiner damaligen Kenntnisfreiheit aus der Verlegenheit geholfen, als ich studentische Hilfskraft bei Thomas Gaehtgens war (nicht zuletzt durch Michaels Fürsprache und Ermutigung) und dessen im Schwung der stets energetischen Arbeit vorgetragenen Aufträge von kryptischer Kürze ich oft nicht verstand. Michael hat mich unterstützt, ermutigt und in seiner Begeisterung mitgerissen. Seine Forschungen zur Mediengeschichte, die er in seiner Zeit als wissenschaftlicher Assistent am Kunsthistorischen Institut in Florenz weiterbetrieben und als Habilitationsschrift an der FU eingereicht hat, habe ich dann mehr aus der Ferne und lesend verfolgt als durch intensiven Austausch im Gespräch. Der Titel ist Programm für Michaels wissenschaftliches Gesamtprojekt, das die medientechnologische Bedingtheit und die politische Involviertheit der Künste in den Vordergrund stellte: „Industrialisierung der Phantasie. Illustrierte Presse, Malerei und das mediale System der Künste in Italien während des Aufbaus der modernen Staatsnation, 1875–1900“.
In der Schweiz sind wir uns wiederbegegnet, wo Michael von 2002 bis zu seinem Ruf an die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt 2004 an der Université de Lausanne eine Professur innehatte, während ich als Laurenz-Professorin in Basel war. Wir begeisterten uns beide für die Präsentation von Gemälden der Nabis in der Winterthurer Villa Flora: Dort hingen diese auf genau solchen gemusterten Wänden, wie sie auch auf den Bildern von Édouard Vuillard oder Pierre Bonnard die Figuren zu verschlucken drohten. In jener Ausstellung war Michael in seinem Wahrnehmungselement: Selten ist die von ihm immer wieder betonte Bedeutung von Umgebungen für die Wirkweise von Bildern so buchstäblich vor Augen gestellt worden. Ebenso interessiert hat ihn das Zusammenspiel von künstlerischer und sozialer Fantasie, wie er es in Filmen, Gemälden und Medienbildern ausgemacht hat, etwa an Bernardo Bertoluccis filmischem Epos 1900 (1976) oder dem großformatigen Gemälde Der Vierte Stand (1899) von Giuseppe Pellizza da Volpedo, mit den bedrohlich auf die Zuschauenden zumarschierenden Arbeiter*innen.
Dass Michael von 1991 bis 2002 elf Jahre als Vizedirektor des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte wirkte und dort seinen Ansatz zu Kunst-, Wissenschafts- und Mediengeschichte in zahlreiche Formate übersetzen konnte, war ein Glück für das Fach. Seine theoretischen Zugänge, die sich aus unterschiedlichsten Disziplinen nährten, waren theoria im besten Sinne: aus der Anschauung gewonnen und in diese zurückgeführt. Die politische Dimension des Wahrnehmens und Darstellens lag Michael ebenso am Herzen wie die Lehre. So hat er die Videogespräche „Fake und Fakt im Bild“, die er für die Bayrische Akademie der Wissenschaften geführt hat und die Formen der Narrativierung und des visuellen Argumentierens thematisieren, auch als Material für einen interdisziplinären Methodenkurs genutzt.
Dass Michael auch dieser Zeitschrift verbunden war, verwundert nicht angesichts seiner intensiven Erkundungen der gesellschaftspolitischen Verflochtenheit künstlerischer Praktiken. Er war befreundet mit – dem ebenfalls früh, 1998 verstorbenen – Stefan Germer, der mit Isabelle Graw 1990 Texte zur Kunst aus der Einsicht in die Notwendigkeit, Kunst- und Sozialgeschichte wieder zusammenzudenken, gegründet hatte. „Avantgarde und Massenkultur“ war das Thema des ersten Heftes, das auch von Michael hätte mitgestaltet worden sein können. So war er es, der einen Nachruf auf Stefan Germer in der Berliner Zeitung veröffentlichte, unter einem Titel, der auch sein leidenschaftliches und zugleich ambivalentes Verhältnis zum Fach bestens fasste: „Der Freiheitswille und die Tradition“.
Das Dialogische war gleichermaßen Lebensthema und Lebensform. Unermüdlich hat Michael internationale Veranstaltungen und Kooperationen initiiert, mit Kolleg*innen aus Frankreich, Italien, der Schweiz und den USA, hat zahlreiche Gastprofessuren und Fellowships innegehabt, von denen er stets höchst inspiriert und voller neuer Ideen zurückkehrte. So ist es nicht von ungefähr, dass das bedeutende Forschungskolleg, das Michael in Eichstätt mit ins Leben gerufen hat, den Titel „Dialogkulturen. Wissenschaftliche Reflexionsräume für Kultur- und Sozialwissenschaften“ trägt.
Wie sonst kaum jemand hat Michael die intervenierende und transformierende Kraft der Künste ernst genommen. Es ist unfassbar und unerträglich schmerzhaft, mit Michael Zimmermann einen leidenschaftlichen Denker und Gesprächspartner, einen inspirierenden Kollegen, einen großzügigen, zugewandten und loyalen Freund so früh und unerwartet verloren zu haben. „Forza!“, wäre Michaels Antwort auf einen solchen Schlag gewesen.

Beate Söntgen ist Professorin für Kunstgeschichte an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie ist Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs „Kulturen der Kritik“ und leitete gemeinsam mit Susanne Leeb das Projekt „PriMus – Promovieren im Museum“. Derzeitig forscht sie zum Thema „Künstlerische Lebensform als Intervention“ im Rahmen des SFB „Intervenierende Künste“ der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsgebiete sind Kunst, Kunsttheorie und Kunstkritik der Moderne und der Gegenwart. Zuletzt hat sie mit Julia Voss Why Art Criticism? A Reader (Hatje Cantz, 2022) herausgegeben.

Image credit: Courtesy Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt