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JO BAER (1929–2025) Von Julia Friedrich

Jo Baer, 2013

Jo Baer, 2013

Jo Baer war eine Hauptvertreterin des Minimalismus. In die New Yorker Kunstszene bestens integriert, hat man ihr dennoch lange Zeit die gebührende Aufmerksamkeit verweigert. Hauptsächlich deshalb, weil sie – für diese Kunstströmung untypisch – malte. Außer ihr taten das nur wenige andere Minimalist*innen. Die Malerei galt den Bildhauer*innen des Minimalismus als „illusionär“. Baer hat 1967 in einem berühmten Leserinnenbrief in Artforum ihre künstlerische Entscheidung gegen Donald Judd und Robert Morris eloquent verteidigt. [1] Der Brief bereitete ihre spätere, auf ihre eigenen kognitionspsychologischen und neuroästhetischen Studien gestützte Überzeugung vor, dass Sehen an sich illusionär sei. In einem Interview drückte sie es so aus: Was wir zu sehen glaubten, sei immer nur „the brain’s best guess“. [2] In einem Seitenhieb gegen Dan Flavin bemerkte sie außerdem, auf Licht komme es ihr an, nicht auf Lampen. „Ich stelle Gemälde her, die nicht Licht repräsentieren, sondern Licht sind.“ [3]

Das Weiß ihrer stark reduzierten Gemälde leuchtet, wie Baer selbst erklärte, „über seine Grenzen hinaus wie ein kleiner Strahlenkranz und schenkt auch der Nachbarfarbe Licht“. Überall in ihrer Arbeit lenkt sie den Blick auf die physikalischen, physiologischen und psychologischen Grundlagen der Malerei, auf das, was „Ästhetik“ wörtlich bedeutet. Das unterscheidet sie von weit beliebteren Malern ihrer Zeit, wie Mark Rothko oder Barnett Newman, die mit ihren Werken zur Meditation einladen. Vor Baers Bildern lässt sich nicht meditieren, aber sehen und denken.

Das leere Zentrum ihrer Anfang der 1960er Jahre entwickelten minimalistischen Gemälde ist jeweils von einem schwarzen Band mit farbigem Streifen umzogen. „Die Ecken faszinieren, weil sie lebendig sind.“ [4] Die Künstlerin gruppierte diese Werke in Serien, die sich nach Maßgabe strenger Kriterien unterscheiden. So liegen die farbigen Streifen mal zwischen der leeren Mitte und dem schwarzen Band, mal sind sie in das Band eingebettet. Baer malte diese Bilder stets ohne Zuhilfenahme von Abklebestreifen. „Ich glaube an die Hand, nicht weil die Hand etwas Großartiges ist, sondern einfach, weil sie eine Unebenheit erzeugt, die viel lebendiger ist als irgendetwas Mechanisches. Ich bin keine Puristin.“ [5] Auch deshalb besitzen diese Werke trotz ihrer Kühle einen Zug ins Konkrete, Organische. Das verstärkt den Eindruck von Präzision, gerade weil die Strenge unterlaufen wird.

Eine ihrer unbetitelten Serien aus den späten 1960ern besteht aus zwölf Gemälden, die die Künstlerin in ein Sextett, ein Triptychon, ein Diptychon und ein Einzelbild zerlegt hat. Auf den Leinwänden dieses Zyklus verläuft der schwarze Balken, in den ein jeweils unterschiedlich gefärbter Streifen eingelassen ist, um den Gemälderand herum. Baer bezeichnete diese Werke deshalb als Wraparounds. Die Serie ist typisch für ihre späteren minimalistischen Arbeiten, die den Objektcharakter der bemalten Leinwand betonen und sich doch nicht von der Malerei verabschieden.

Wer jedoch angenommen hätte, nun sei der Übergang von der Malerei in die Bildhauerei unausweichlich, sah sich getäuscht. Im Gegenteil vollzog Baer Mitte der 1970er Jahre einen Bruch in mehrfacher Hinsicht: Sie verließ die Abstraktion, malte weiter, nun jedoch figürlich, wenn auch die Figuren niemals einer Erzählung, sondern immer einer Erkenntnis dienen. Und sie verließ New York, was sie scherzhaft, aber treffend einen „career suicide“ [6] nannte. Fast zehn Jahre lang lebte sie auf einer Burg in Irland, bevor sie 1984 endgültig nach Amsterdam übersiedelte.

Der Bruch erscheint wesentlich weniger tief, wenn wir nicht ausschließlich die Gemälde einbeziehen. In der von mir 2013 im Museum Ludwig in Köln kuratierten Retrospektive habe ich ihre grafischen Arbeiten in den Vordergrund gerückt. Sie sind besonders aufschlussreich, weil sie eben nicht, wie bei vielen anderen Künstler*innen, lediglich die großen Leinwände vorbereiten, sondern eine Methode des Durchdenkens sind. Es kommt sogar vor, dass die Künstlerin eine bereits von ihr abgeschlossene Leinwand abzeichnet, so als ob noch etwas offengeblieben wäre und weiterverfolgt werden müsste.

Diese Grafiken sind keine hingeworfenen Skizzen, sondern technisch exakte Erfassungen. In einer ihrer Serien verwendet Baer das für die sogenannte Labanotation – das heißt für den Entwurf von Choreografien – entwickelte Papier. In dessen Kästchen fügt sie ihre Zeichnungen ein und mit diesen überträgt sie dann auch die feine Linien der Kästchen auf die Gemälde, die sich damit als Bilder von Bildern, als abgemalte Papierarbeiten zu erkennen geben. Die Methode war abgeschaut von der Pop Art, sie unterstreicht aber auch den Anspruch auf Exaktheit. Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass die Künstlerin an Tanzperformances von Yvonne Rainer mitgewirkt hat.

Schon auf Gouachen der frühen 1960er Jahre erscheinen Säulen, Amphoren und Ornamente. Viele Jahre später stellte Baer in ihrem Buch Revisioning the Parthenon (2010) ihre genaue Kenntnis der antiken Kunst unter Beweis, der sie sich wiederum aus wahrnehmungstheoretischem, ja, politischem Interesse widmete. So zeigte sie sich überzeugt davon, dass die Athener „den Parthenon als Propagandaapparat benutzt haben“. [7]

Baer näherte sich der Welt der Antike streng und strukturell. Dafür mag die Druckserie Cadmos’ Thicket (1973) stehen, in der sie das phönizische, das griechische und das keltische Zeichensystem miteinander kombiniert. Ende der 1970er Jahre setzte Baers „radikale Figuration“ ein, mit der sie – ganz auf ihre sorgfältige, wissenschaftliche Weise – auf die Bilder steinzeitlicher Höhlen zurückgriff. So gelangte sie schließlich zu ihren großen Bildsynthesen oder -systemen, in denen Urtypen und historische Ikonografien eine zentrale Rolle spielen. Die Vorlagen für diese Arbeiten zog sie häufig aus dem Internet.

Im Titel des Ölgemäldes Tis Ill Pudling in the Cockatrice Den (La-Bas) (etwa: „In der Höhle des Basilisken wälze man sich nicht im Dreck (dort unten)“) von 1987 griff die Künstlerin einen Satz des Baptistenpredigers John Bunyan (1628–1688) auf. Sie selbst beschrieb dieses Gemälde auf eine Weise, die verdeutlicht, wie ihre Interessen an Wahrnehmung, Perspektive, archaischen Strukturen, Konstruktion und Tanz miteinander verschmelzen konnten:

„Der Blick eines Falken und die nach unten gerichteten Augen des Läufers stecken quer über das Gemälde eine horizontale Linie ab. Der Kopf des Pferdes mit dem gebrochenen Genick, unten, lenkt den prüfenden Blick der Betrachterin auf das Rechteck des Gemäldes und um es herum. Diese wiederholten und vom Starren der Tänzerin, oben, bestätigten Blicke geben dem gemalten Raum eine Richtung und einen bestimmten Unterbau: là-bas.“ [8]

Baer hat es im Kunstbetrieb nicht leicht gehabt. Aber sie wusste sich zu behaupten. Das Kämpfen hatte sie von ihrer Mutter gelernt, Hortense Kalisher Kleinberg (1905–1966), die als Zeichnerin für die Vogue arbeitete. Ihre Vorfahren waren deutsche Jüd*innen, die in den 1840er Jahren ausgewandert waren. Später sagte Baer einmal, als Frau komme eine nur weiter, wenn sie „rude“ sei. [9] Mir erschien sie im Umgang nicht „rude“, aber doch selbstbewusst, klar, bestimmt. Ihr unabhängiger Geist, ihre Gradlinigkeit und nicht zuletzt ihr Humor werden mir in Erinnerung bleiben.

Julia Friedrich ist Sammlungs- und Ausstellungsdirektorin am Jüdischen Museum Berlin. Zuvor war sie Kuratorin am Museum Ludwig, Köln, wo sie 2013 Jo Baer eine Ausstellung widmete.

Image credit: Foto Ralph Goertz © IKS-Medienarchiv

Anmerkungen

[1]Vgl. Jo Baer, „Leserbrief (1967)“, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden 1995, (Fundus-Bücher, 134) S. 133–140.
[2]„Jo Baer interviewed by Mark Godfrey, 2004“, in: Jo Baer, Broadsides & Belles Lettres. Selected Writings and Interviews 1965–2010, hg. von Roel Arkesteijn, Amsterdam 2010, S. 26–35, hier: S. 35.
[3]„Letter to Robert Morris (1967)“, in: Ebd., S. 41–42, hier: S. 42.
[4]Cadmos’ Thicket, 1998“, in: Ebd., S. 81.
[5]„The Adventures of Jo Baer. Interview by Judith E. Stein, 2003“, in: Ebd., S. 14.
[6]Ebd., S. 13. Vgl. Lucy R. Lippard, „Jo Baer: In Defense of Painting“, in: Julia Friedrich (Hg.), Jo Baer, Ausst.-Kat., Museum Ludwig, Köln, 2013, S. 10–15, hier: S. 15.
[7]Baer, zit. nach Lauren O’Neill-Butler, „Weitermachen“, in: Friedrich (Hg.) 2013, S. 206.
[8]Tis Ill Pudling in the Cockatrice Den (La-Bas)“ in: Baer (2010), S. 129, hier zit. nach Friedrich (Hg.) 2013, S. 177.
[9]„The Adventures of Jo Baer“, in: Baer (2020), S. 23.