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LUST AN DER SELBSTERKUNDUNG ALS STREIT Ramona Heinlein über Evelyn Plaschg in der Galerie Layr, Wien

„Evelyn Plaschg: Iodine“, Layr, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Evelyn Plaschg: Iodine“, Layr, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

An die Malerei herangetragene Projektionen und Klischees, wonach jene als direkter Ausdruck innerer Gefühlsregungen oder als Speicher unmittelbarer körperlicher Präsenz zu verstehen sei, werden derzeit besonders von der figurativen Malerei herausgefordert; zumal dann, wenn das traditionell männlich dominierte Terrain der Malerei feministisch besetzt wird. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür stellen die Arbeiten von Evelyn Plaschg dar. Wie die Kunsthistorikerin Ramona Heinlein darlegt, ist bei Plaschg die Lust am Material immer auch ein Begehren nach dem eigenen Körper, der hier als Teil eines sozialen Gefüges verständlich wird.

Zwei Körper berühren einander und strahlen dabei wie ein elektrisierendes Kraftfeld. Auf den orange-roten Flächen wirken die Konturlinien in grellem Blau fast wie Abkühlung versprechende Rinnsale, wie kalter Schweiß auf heißer Haut. Der malerische Strich ist schnell und bewegt. Energische Setzungen wechseln sich mit wie gehaucht wirkenden Gesten ab. Gleichzeitig lässt die skizzenhafte Ausführung die Figuren ephemer und ungreifbar erscheinen.

Evelyn Plaschg malt menschliche, häufig nackte Körper: die ihrer Freund*innen, aber auch ihren eigenen. Das beschriebene Gemälde, Us spectacting (Blue Pulse) (2022), zeigt die Malerin zusammen mit einem ihrer Modelle und ist in der Ausstellung „Iodine“ zu sehen, der ersten Einzelschau der Künstlerin in der Wiener Galerie Layr. Dass die beiden Körper so aussehen, als wären sie von Röntgenstrahlen durchleuchtet, ist kennzeichnend für Plaschgs Bilder. Die Malereien scheinen die dargestellten Figuren, deren Haut gleichsam schillert, zu durchdringen. Sie sind nicht aus der Zentralperspektive dargestellt, sondern von schräg unten oder oben.

In Gemälden wie Sine/Threshold (2022) sind die Leiber so verzerrt und so nah herangeholt, dass man zunächst gar nicht weiß, was man sieht, obschon körperliche Umrisse sich abzeichnen. Dezidiert abstrakt dagegen wirken zunächst Arbeiten wie Slope (Pool) (2021), das von rost-roten und blau-grünen Farbfeldern bestimmt ist, die in ihrer dichten, matten Textur an Druckflächen erinnern. Die präzisen grafischen Formen überlagern sich und greifen ineinander. Anders als die dynamischen Körpertexturen strahlen sie eine ruhige Konzentriertheit aus und scheinen dennoch zu vibrieren. Schließlich blitzen durch die flächigen Farbschichten dann doch Andeutungen von Figuren hindurch.

Plaschgs Bilder, deren Farbspektrum von knalligem Orange und stumpfem Rotbraun über fleischiges Rosa bis zu wässrigem Türkis und sattem Dunkelblau reicht, sind auf Papier gemalt und weisen eine pudrige Leichtigkeit auf. Zugleich ist der Farbauftrag stellenweise so dicht und intensiv, als wäre das Papier mit Farbe imprägniert. Die Künstlerin arbeitet mit reinem Pigment ohne Binder, das sie mit Schleifpapier und Kosmetikschwämmen in Schichten aufträgt. Dadurch ergibt sich eine eindrückliche Präsenz bei gleichzeitiger Zartheit; fast so, als könnte man in den Tiefen der Farben versinken und die Bilder dennoch mit einem Pusten zerstäuben.

„Evelyn Plaschg: Iodine“, Layr, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Evelyn Plaschg: Iodine“, Layr, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

Mit der affektiven Kraft und Lebendigkeit, die von diesen Bildern ausgehen, bewegt sich Plaschg souverän in dem von Projektionen und Klischees belasteten Feld der Malerei, wonach die malerische Spur als direkter Ausdruck innerer Gefühlsregungen oder als Speicher unmittelbarer körperlicher Präsenz zu verstehen sei. Diese Topoi sind historisch eng an die Vorstellung von der schöpferischen Potenz des männlichen Genies gebunden, das allein aus sich heraus schafft und dies auf die Leinwand bringt. Darüber hinaus lässt sich die malerische Darstellung des weiblichen Akts und die daran geknüpfte Maler-Modell-Beziehung kaum von der Fetischisierung und Objektivierung des feminisierten Körpers durch den männlichen Blick trennen. Plaschg entwirft in ihren Bildern dagegen eine Begehrens- und Ausdrucksarchitektur, ein Blickregime, das anders funktioniert, da sie die Besetzung des traditionell männlich dominierten Terrains der Malerei mit malerischer Selbsterkundung verknüpft. So ist die Lust am Material auch ein Begehren nach dem eigenen Körper. Der sexualisierende Blick von außen erfährt eine autoerotische Aneignung durch die Künstlerin. [1]

Besonders deutlich wird dies in Plaschgs kürzlich erschienenem Katalog Possessions, der im Zuge ihres Marianne-Defet-Malerei-Stipendiums entstanden ist. Die Künstlerin ergänzt hier ihre Malereien um Smartphone-Videostills, die sie von sich selbst im Atelier aufgenommen hat. Mit festem Blick sieht sie der Betrachter*in in die Augen. Ihr Körper ist aus nächster Nähe und aus ungewöhnlichen, teils bewusst sexualisierten Perspektiven festgehalten: beim Ringen mit sich selbst, beim Tanzen übers Papier, dabei, wie sie sich mit der Kamera abtastet, scannt, festhält, erfährt, mit Pigment an den Füßen. Das Malen als autoerotischer Akt ist dabei eng verknüpft mit einer „performativen Selbstimagination“ [2] : Wie befühle ich mich selbst? Zu welcher Form finde ich, wenn ich mich immer wieder neu spürend umkreise?

Dass Plaschg zudem als Musikerin tätig ist und ihre Ausstellungseröffnungen nicht selten von ihren musikalischen Performances begleitet werden, verwundert angesichts dieser Lust am Sich-Zeigen und -Aufführen kaum. Und auch diejenigen ihrer Malereien, die auf Stills von Videoaufnahmen basieren, beginnen mit dem Liveact vor der Kamera. Plaschg lädt dazu Freund*innen in ihr Atelier ein, wo die Malerin und ihre Modelle miteinander interagieren, sich an- und ausziehen und gegenseitig (ab-)filmen. Die eigene Körperlichkeit realisiert sich hier als Teil eines Netzwerks von Beziehungen, eines sozialen Gefüges. Entsprechend ist die elektrisierende Gegenwärtigkeit von Plaschgs Bildern weder als privatistischer Rückzug in eine ureigene Innerlichkeit zu verstehen, noch bleibt ihre Praxis der klassischen Aktiv-Passiv-Struktur der Malerin-Modell-Beziehung verhaftet. Vielmehr besteht die hier vorgetragene Physis im kollektiven Erleben einer geteilten Körperlichkeit.

Evelyn Plaschg, „Us spectacting (Blue Pulse)“, 2022

Evelyn Plaschg, „Us spectacting (Blue Pulse)“, 2022

Dieses Figur-Werden als Sache des Kontakts involviert auch die Betrachtenden. Zwar kann die buchstäbliche Berührung der Gemälde nur imaginiert sein, doch würde das dürftig fixierte Pigment bei einer Berührung durch die Betrachter*in tatsächlich Spuren auf der Haut hinterlassen. In Us spectacting (Blue Pulse) scheinen außerdem nicht nur das Material, sondern auch die Körper mit dem Publikum zu kommunizieren. So hebt eine der beiden Figuren die Hände zu einer uneindeutigen Geste. Welches Zeichen will sie uns geben? Der Titel des Bildes sagt es bereits: Diese Körper werden nicht nur betrachtet, sondern betrachten auch uns; wir sind ebenso fühlende und gefühlte, sehende und gesehene Leiber.

So nah uns Plaschgs Körper an sich ziehen, so sehr sträuben sich die Arbeiten jedoch gegen eine barrierelose Immersion. Figuration als Begegnung kann nur ein flüchtiger Moment sein. Das Material hält zwar fest, doch lassen sich Plaschgs Körper nicht auf Dauer stellen. Sie taugen nicht als passive Projektionsfläche, ihre Direktheit ist auf irritierende Weise beschränkt. So laufen die Figuren in Us spectacting (Blue Pulse) zu den Rändern hin ins Schemenhafte aus, die Gesichter bleiben unfertig. Der Bildraum ist durch die abstrakten, jeweils heller gestalteten Flächen, die am oberen und unteren Rand in die organische Textur der Körper eingearbeitet sind, unklar. Sie haben etwas Technisches an sich, an dem der Blick abrutscht und das an die Medialisiertheit von Körpern im Zuge ihrer digitalen Inszenierung denken lässt.

Plaschgs exhibitionistischer Impuls ist zugleich mit einer eigentümlichen Verschlossenheit verschränkt, die selbst dem Körper in Sine/Treshold anhaftet. Trotz schwindelerregender Nähe zieht sich dieser förmlich ins Material zurück. Seine fleischigen Abgründe, Hügel und Kluften strahlen dabei eine Brutalität aus, die die Betrachter*in unweigerlich einen Schritt nach hinten weichen lässt. In Slope (Pool) ist der Impuls des Rückzugs sogar ganz buchstäblich umgesetzt: Bei den abstrakten Farbfeldern handelt es sich um Übermalungen eines ursprünglich figurativen Bildes – eines Körpers, der nun von der samtigen Oberfläche versteckt und so gewissermaßen vor Blicken geschützt wird.

Die Lust an der Selbsterkundung zeigt sich in Plaschgs Bildern damit als Streit: Die Figur-Werdung und Ermächtigung des eigenen (Körper-)Bildes stemmen sich gegen eine Objektivierung und schwanken zwischen Öffnung und Widerstand, innen und außen, Sich-Aussetzen und Sich-Entziehen. Eine Uneindeutigkeit, die auch im Titel der Ausstellung anklingt: „Iodine“. Das hört sich einerseits wie der Name einer mythologischen Göttin an, andererseits lässt sich an das englische Wort für Jod und somit an nässende Körperwunden und orangebraune Desinfektionssalbe denken. Das altgriechische „ioeides“ bedeutet aber auch „Veilchenfarbe“, was feministische Assoziationen weckt. So vereint der Titel in sich, was die Ausstellung auf visueller Ebene artikuliert: eine Arbeit an den Grundfesten eines männlich dominierten Malereibegriffs, an normierenden Darstellungen des Körpers und nicht zuletzt an einem idealisierten Verständnis medialer Selbstdokumentation.

„Evelyn Plaschg: Iodine“, Galerie Layr (Seilerstätte), Wien, 11. Februar bis 19. März 2022.

Ramona Heinlein ist Kunsthistorikerin, Redakteurin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Wien und Frankfurt am Main.

Image credits: Courtesy of the artist and Layr, Vienna, photos: Simon Veres

Anmerkungen

[1]Zur Autoerotik bei Plaschg vgl. Evelyn Plaschg, „Fleeting Immediacy“, Interview mit Miriam Stoney, in: PW-Magazine, 4. März 2021.
[2]Melanie Ohnemus, „Es ist immer persönlich, nie universell“, in: Evelyn Plaschg. Possessions, Kunstverein Nürnberg, Nürnberg 2021.