Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

Relektüre eines Mythos Christian Hillengaß über „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968“ im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart

Wie betrachten wir heute das Erbe des Bauhaus? Die Jubiläumsfeiern des nächsten Jahres werden uns sicher mehr Aufschluss darüber geben. Aber auch die Geschichte des Bauhauses hat eine Geschichte, mit der sich nun wiederum die aktuelle Ausstellung in Stuttgart befasst. Um eine kritische Aufarbeitung bemüht, untersucht sie, wie sich die berühmte Schule im wichtigen Jahr 1968 in der Bundesrepublik repräsentierte. Christian Hillengaß schildert die Ambitionen einer Ausstellung über die Ausstellung.

Es ist der 4. Mai 1968. Ein Tag nachdem in Paris mit der Besetzung der Sorbonne ein heißer Sommer entfacht wurde, protestieren in Stuttgart Student*innen der Ulmer Hochschule für Gestaltung für den Erhalt ihrer Schule. Die 1953 als Nachfolgerin des Bauhaus angetretene HFG steht kurz vor dem Aus. Einen Steinwurf entfernt eröffnet derweil Walter Gropius unter „starkem, nicht endenwollenden Beifall“, wie das Protokoll vermerkt, die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ im Württembergischen Kunstverein. Die Jubiläumsschau, für die der nicht mehr junge Bauhaus-Gründer eigens über den Atlantik gekommen war, lag nicht nur ihm am Herzen. Auch der jungen Bundesrepublik kam sie gelegen, war das als politisch unbefleckt geltende Bauhaus doch ideales Aushängeschild für die Rehabilitation Deutschlands als Kulturnation auf der internationalen Bühne. „50 Jahre Bauhaus“ stand unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Heinrich Lübke und wurde zu fast hundert Prozent vom deutschen Staat finanziert. Das Institut für Auslandsbeziehungen – dem Auswärtigen Amt unterstellt – organisierte eine anschließende Welttournee. Die Ausstellung wurde ein durchschlagender Erfolg und prägte geradezu die Marke Bauhaus. Es wurde durch sie als Idee und Institution stilisiert, die durch den Nationalsozialismus ihr Ende gefunden hatte, von unbescholtenen, zumeist emigrierten Personen durch die dunkle Zeit getragen worden ist, und danach die Moderne quasi als Reimport in Deutschland fortsetzte. Durch ihren Umfang und Publikumserfolg wirkte die Ausstellung nicht nur am Mythos Bauhaus, sie schwebte auch bis vor kurzem noch wie ein ungebrochener Mythos über dem Württembergischen Kunstverein. Mit der aktuellen Schau „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968“ betreibt man dort nun die Entmystifizierung. Unter kuratorischer Leitung von Hans D. Christ und Iris Dressler wird die 68er-Schau einer kritischen Relektüre unterzogen. Die Ausstellung über die Ausstellung hinterfragt das damals gesetzte Bild einer homogenen Schule, deren Protagonist*innen und Produkte einzig einer menschenfreundlichen Moderne dienten. Ob die – vom Bauhaus avantgardistisch betriebene – Moderne ausschließlich mit Fortschritt, Freiheit und Demokratie synonym gesetzt werden kann, wird hier in Zweifel gezogen. Außerdem in Frage gestellt wird die Erzählung vom historischen Bruch durch das Verbot von 1933 und dem damit einhergehenden Ende kreativ-lukrativer Aktivitäten von Bauhäusler*innen im Dritten Reich. Unter dieser kritischen Beleuchtung werden nicht nur Schatten und Schattierungen in so mancher Bauhaus-Biografie sichtbar. Die gesamte rationalistisch-funktionalistische Moderne gerät dabei in ein Zwielicht, in dem sie sich nicht mehr trennscharf von Militarismus, Totalitarismus und Kolonialismus absondern lässt.

Untergliedert ist das Unterfangen in vier thematische Stränge. Ein erster kreist um die Rolle des Bauhauses im Ausstellungs- und Grafikdesign der 1920er- bis -40er Jahre, ein zweiter um Gegenmodelle zum Funktionalismus und zur kapitalistischen Konsumgesellschaft, ein dritter um die Verquickung von Avantgarde und dem industriell-militärischen Komplex. In einem Vierten wird schließlich die Moderne in multiplen Versionen und Visionen verhandelt.

Die Ausstellung verzichtet dabei auf Objekte, die in der 68er-Schau gezeigt wurden. Eine Vitrine mit Fotografien, Katalogen und Programmheften sowie ein Holzmodell des alten Ausstellungsdesigns, sind die einzigen direkten Referenzen. Alles andere wäre hier wohl nur platzraubender Zierrat, der den aktuellen diskursiven Exponaten im Wege stände. Denn der Platz ist knapp bei über 500 Exponaten von rund 60 Künstler*innen, die den neuen wie alten Teil des Stuttgarter Kunstgebäudes ausfüllen.

Marcel Breuers B3-Stahlsessel kommt immerhin indirekt vor. Auf einer Videoaufnahme im Eingangsbereich sitzt der Schriftsteller Helmut Heißenbüttel auf einem Exemplar des „Wassily“. Er trägt ein Gedicht vor, das in eine mantrische Sprachverwirrung führt, die der klassischen Geschlechterordnung, ja binären Denkweisen überhaupt, den Boden entzieht: „der mann, der lesbisch wurde“, von 1967. Mit diesem Auszug aus Urs Widmers Heißenbüttel-Portrait „Zweifel an der Sprache“ beginnt die Anzweiflung der konventionellen Bauhaus-Erzählung.

László Moholoy-Nagy, „10 Fotoplastiken“, 1925-1927 (1973)

Weiße, fast deckenhohe Trennelemente in feinster Bauhaus-Ästhetik strukturieren den Raum im neuen Teil des Kunstvereins. Sie suggerieren Klarheit und Transparenz, schaffen aber auch versteckte Winkel und Gänge und erwecken den Verdacht, Schiebewände zu sein, durch die die Ordnung jederzeit verändert werden könnte. In Kinomalerei übersetzte Schwarzweißfotografien lugen immer wieder dahinter hervor – Rückblenden vom Ausstellungsrundgang mit Walter Gropius und Heinrich Lübke sowie von studentischen Protesten vor der Haustür.

An einer Wand im Eingangsbereich hängt das Plakatmotiv der alten Ausstellung, entworfen von Herbert Bayer – zwischen 1925 und 1928 Leiter der Werkstatt für Druck und Reklame am Bauhaus. Zusammen mit Peter Wehr war Bayer für das Ausstellungsdesign der 68er-Schau zuständig. Ein paar Schritte weiter ein anderes Plakat von ihm: eine Werbegrafik für regenabweisende Kleidung aus „arischer Hand“ für die Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie (ADEFA). Die ADEFA war im Mai 1933 gegründet worden, um jüdische Unternehmen aus der Modebranche zu verdrängen. Das Plakat ist Auftakt für eine Reise durch das Grafik- und Ausstellungsdesign der 1920er- bis -40er Jahre, wobei unter anderem die Biografie Bayers als roter Faden dient, um die Verwicklungen der modernen Avantgarde in die Propagandamaschine totalitärer Staaten aufzuzeigen. Rund zwanzig Bild- und Texttafeln zu Ausstellungen und Messen unter der Regie von Nationalsozialisten und Sowjets führen zu der eindrücklichen Erkenntnis, wie sehr Faschismus und Totalitarismus die Moderne als Repräsentationsmittel an sich zogen. Zahlreichen NS-Veranstaltungen wurden durch die tatkräftige Unterstützung von Bauhäusler*innen wie Herbert Bayer oder Lilly Reich die Grundzüge einer modernistischen Ästhetik eingeschrieben. Nach der anschaulichen Darstellung dieses Engagements liest sich der Satz Ludwig Grotes im Katalog der 68er-Ausstellung weniger eindeutig: „das bauhaus begann und endete mit der ersten deutschen republik“.

Welch unterschiedliche Wege die Strömung der Moderne nimmt, wird im Anschluss durch Daniel G. Andújars Installation „Nichteinmischungsabkommen“ deutlich. Er stellt den spanischen Pavillon auf der „Internationalen Ausstellung für Kunst und Technik des Modernen Lebens“ von 1933 den Pavillons Deutschlands und der Sowjetunion gegenüber. Das als Gesamtkunstwerk entwickelte republikanische Gebäude stand in scharfem Kontrast zu der Monumentalität der anderen zwei und dennoch bergen alle modernistische Elemente – hier in größenwahnsinnigem Kalkül, dort in künstlerischer Lebendigkeit. Zeuge dieser modernen Lebendigkeit sind auch die experimentellen „10 Fotoplastiken (1925-1927)“ von László Moholy-Nagy. Sie ermöglichen ein Aufatmen, bevor die Ausstellung wieder in die nützlichkeitsstarren Formen der funktionalistischen Moderne führt. Diesmal vor allem in Gestalt von architektonisch-stadtplanerischen Auswüchsen, die in ihrer rationalistischen Kälte unter anderem durch Alexander Kluges Video-Triptychon „Dynamiken der Großstadt“ bloßgestellt werden.

„Kaiwan Mehta: A view from Ornament: Design Debates on Indianness“, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 2018, Ausstellungsansicht, Präsentation mit Werken von: Jitish Kallat, Madhav Raman, Annapurna Garimella, Rooshad Shroff, Abin Chaudhury, Rahul Mehrotra, Atul Dodiya, Revathi Kamat, Shimul Javeri Kadri, Ambrish Arora, Akshat Bhat

Im Weiteren werden Gegenmodelle zur funktionalen Stadt und den Rationalitätslogiken des Kapitalismus vorgestellt: Kollektive wie Constants New Babylon oder Asger Jorns Bauhaus Imaginiste, versuchen künstlerische Gegengewichte zu bilden, indem sie der Nüchternheit die Rauschhaftigkeit, freie Fantasie, organische Formen und Verschwendung gegenüber stellen. Ein Briefwechsel zwischen Max Bill und Asger Jorn, den der belgische Künstler Vincent Meessen für die Stuttgarter Ausstellung aufbereitet hat, gibt die Spannung zwischen diesen Tendenzen wieder. Max Bill herrscht da unter anderem sein Gegenüber an: „Das Bauhaus ist Doktrin und keine Imagination!“.

Im Durchgang zwischen altem und neuem Gebäude des Kunstvereins befindet sich auf der Schwelle zum Themenfeld „Avantgarde und militärisch-industrieller Komplex“ die Videoarbeit von John Barker und László Váncsa „Consequences (Folgen)“. Ein alter Mann spricht dort wie ein Zeitzeuge über das Bauhaus. Er selbst ist nicht zu sehen, man teilt nur seine Blicke aus dem Fenster in eine Winterlandschaft. Während dort Krähen und Schneeflocken fliegen, entzaubert der Erzähler das heile Bild vom Bauhaus und rückt dessen wichtigsten Akteur*innen mit Tatsachen zu Leibe, die sie in kein gutes Licht stellen. Vieles von dem, was der unsichtbare Sprecher dort anführt, bringt die Essenz der gesamten Ausstellung auf den Punkt, die nicht nur eine Kritik der alten Ausstellung und am Bauhaus, sondern auch eine allgemeine Kritik an elitenbetriebenen Steuerungsanmaßungen formuliert.

Die zweite Hälfte der Schau mit den Themenfeldern „Avantgarde und militärisch-industrieller Komplex“ und „Multiple Modernen“ sei hier nur, aufgrund der Fülle an Ausstellungsmaterial , kurz erwähnt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Württembergische Kunstverein hier nicht nur ein Stück notwendiger Geisteraustreibung im eigenen Haus betrieben, sondern auch einen äußerst wertvollen Beitrag zum hundertjährigen Bauhaus-Jubiläum gesetzt hat.

„50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 5. Mai bis 23. September 2018.

Christian Hillengaß ist freier Journalist und lebt in Heidelberg

Titelbild: Walter Gropius am Tag der Ausstellungseröffnung. Er richtet sich mit einem Megafon an die Demonstant*innen, Schwarz-Weiß-Fotografie

Notes

[1]“50 Jahre Bauhaus”, Ausst.-Kat., hg. von Württembergischen Kunstverein, Stuttgart, 1968, S. 9.