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Weder Drinnen noch Draußen. Moritz Scheper über Ulla von Brandenburg im Kunstverein Hannover

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Ulla von Brandenburg, "Drinnen ist nicht Draußen", Kunstverein Hannover, 2014, Ausstellungsansicht. Foto: Raimund Zakowski

Da wurde Hannover eben erst von Karla Black in der Kestnergesellschaft beglückt, schon naht mit Ulla von Brandenburg die nächste Großmeisterin des Ephemeren an und bestreitet im Kunstverein den Ausstand für den scheidenden Direktor René Zechlin. „Drinnen ist nicht Draußen“  heißt der Parcours, mit dem die Künstlerin ihr Publikum in eine Maschine, eine dem Theater oder Kino vergleichbare mediale Apparatur einspannt. Direkt beim Betreten der Ausstellung durchläuft man „Wagon Wheel“, eine Installation aus von der Decke hängenden Patchworkdecken mit deutlich sichtbaren Nahtstellen. Alte Vorhänge, Tischdecken und Kleidungsstücke schleppen ihre alten Kontexte und Geschichten ein und ergeben so Fahnen mit diffuser Signalwirkung. Anhand von Flicken verhandelt die 1974 in Karlsruhe geborene Künstlerin in ihrem Werk immer wieder die Konstruiertheit von Identität aus Vorhandenem, immer mit dem Verweis auf die dubiose Figur Bert Hellinger und dessen psychotherapeutische Praxis der Familienaufstellung, wonach man „Informationen“ von bis zu sieben vorangegangenen Generationen in sich trägt.  Allerdings sollte man sich nicht in der visuellen Qualität der Stoffbanner verlieren, denn in ihrer labyrinthischen Anordnung dienen sie hier auch als Vorhang, hinter dem ein surrender Projektor den Stummfilm „The Objects“ zeigt. Wobei man kaum von einem Film sprechen kann, denn es handelt sich um eine in Endlosschleife gespielte Kamerafahrt auf einzelne Objekte, die jeweils kurz vor der Kollision aus dem Bild gezogen werden und den Blick auf den nächsten Gegenstand freigeben. Funktioniert „The Objects“ auch eigenständig als augenzwinkernde Wiederaufnahme illusionistischer und hypnotischer Tendenzen aus den Kindertagen des Films, im Arrangement mit „Wagon Wheel“ sticht die Gemachtheit des Films stärker heraus. Ebenso gewinnt das formelle Muster der Reihung an Bedeutung, welches im Film ganz sachlich, in der Installation jedoch in seiner weniger nüchternen Ausprägung der Nachfolge im genealogischen Sinne durchexerziert wird, was zurück zur Identitätsfrage und deren Konstrukten führt. 

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Ulla von Brandenburg, "Drinnen ist nicht Draußen", Kunstverein Hannover, 2014, Ausstellungsansicht. Foto: Raimund Zakowski

Durchaus typisch für Zechlin setzt die Ausstellung einen starken Akzent auf Ulla von Brandenburg als Filmkünstlerin. Schon im Foyer hört man den Gesang von Shadowplay, der in einen hohen Raum mit schwarzen Wänden lockt. Nur wenige weiße Flecken sind ausgespart und allmählich wird klar, dass dies die Mimikry eines Scherenschnittes ist, der eventuell als nächtlicher Wald interpretiert werden kann. Zentral im Raum befindet sich ein großes Zelt in Flickenoptik, das durch eine Leinwand separiert ist. Auf dieser Leinwand zeichnet sich ein Schattenspiel ab, in dem sich drei Schauspieler schminken und sich schlussendlich in einer Spiel-im-Spiel-Situation selbst mit Puppen nachspielen. Der in Knittelreimen vorgetragene Gesang, für den von Brandenburg eine Art Kunstsprache entwickelt hat, entfaltet eine hypnotische Wirkung, die beinahe das Täuschungsmanöver dieser Installation überdeckt: Denn auch wenn der Raum hinter der Leinwand nicht betreten werden kann, findet hier mitnichten ein Schattenspiel statt, sondern die filmische Reproduktion eines Schattenspiels im Maßstab 1:1. Das große Brimborium, mit dem die Künstlerin dem Film als Medium der Reproduzierbarkeit einen Anstrich von Liveness zu geben versucht, ist Teil einer strategischen Offenlegung von Inszeniertheit, die schon in der Medienmimikry des gemalten Scherenschnitts angedeutet ist.

Dass ein solches Verfahren nicht nur ausschließt, sondern auch inkludiert, zeigt Die Straße, eine weitere Filmarbeit. Hier trifft ein Fremder auf eine eigentümlich entrückte Gemeinschaft, dessen eigenartige Rituale und Umgangsformen – konstruiert aus Versatzstücken süddeutscher Fastnachtspiele, deren Kostüme auch Gegenstand der wenigen in Hannover gezeigten Aquarelle sind – ihm vollkommen unverständlich sind. Abgespielt wird der Film in einer Räumlichkeit, die den Kulissen der Straßenzüge im Film nachempfunden ist. Zudem liegen vereinzelt Requisiten aus dem Film innerhalb dieses Interieurs aus. Wo das Schattenspiel den Besucher ausschließt durch die vorgebliche Authentizität, die sich dann als abgefilmt erweist, hebelt „Die Straße“ die Möglichkeiten einer Distanznahme aus. Nicht nur teilen wir den Blick des Fremden auf diese auch in unseren Augen eigenartige Gemeinschaft, auch sind wir selbst in die Kulissen eingebaut.

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Ulla von Brandenburg, "Drinnen ist nicht Draußen", Kunstverein Hannover, 2014, Ausstellungsansicht. Foto: Raimund Zakowski

Bei der Filminstallation „Spiegellied“ ist der Besucher dann weder Drinnen noch Draußen, sondern im Zwischenraum zweier einander gegenüberstehenden  Leinwände. Der Titel legt nahe, dass hier eine Leinwand die andere spiegelt, was jedoch nicht der Fall ist. Stattdessen sind sich die Filme ähnlich, allerdings nicht identisch, das Geschehen wird also nicht gespiegelt, sondern nachgespielt. Also auch hier wieder ein mediales Spiel? Eine solche Interpretation ist zumindest verkürzt, denn wirft man einen Blick auf das Motivinventar der drei Arbeiten, findet man die seit der romantischen Literatur klassischen Allgemeinplätze der Identitätsproblematik: Schatten verweisen auf diejenigen, die sie werfen; Spiegel werfen das eigene Bild zurück; und dass Fremde als Kontrastmittel zur eigenen Identitätsbildung missbraucht werden, kann täglich in der Tagespresse verfolgt werden. Wenn Ulla von Brandenburg mithilfe der Kamera wie in einem Märchen von Andersen ihren Schauspielern die Schatten abschneidet, rüttelt sie prüfend am Baum des Subjekts als kleinstmögliche soziale Entität. Das Medium Film, von der Psychoanalyse immer schon interessiert theoretisch begleitet, bietet ihr die Möglichkeit, ganz wie in den Stoffbannern Narben und Nähte bei ihren Figuren offenzulegen. Grundsätzlich koppelt Sie dafür den Ton von den Filmbildern ab, lässt nachvertonen, wodurch die filmischen Figuren als  instabil wahrgenommen werden. Ein Effekt, den die Künstlerin lustvoll verstärkt, wenn wie in „Die Straße“ eine Frau zu singen anhebt und ein Mann das Lied weiterführt, ohne dass auf der Tonspur ein Sprecherwechsel stattfindet. Auch das „Spiegellied“ spielt mit dieser Technik, wenn beide Leinwände sich eine Tonspur teilen, jedoch die Bilder voneinander abweichen.

Einziger Wehrmutstropfen der Ausstellung ist das nahezu vollständige Fehlen des von Brandenburg’schen Leitmotivs – Theater. Die Bühne als ontologisch prekärer Ort, an dem Person, Schauspieler und Rolle in Eins fallen, nutzt die Künstlerin häufig als Rezeptionskatalysator auf die verhandelten Konstrukte identitärer und medialer Art. Andererseits hatte die Wiener Secession kürzlich erst die Theatermetaphorik von Brandenburgs strapaziert, weswegen die Betonung der Medienarrangements trotz subtilen Komplexität durchaus erfrischend ist.

Ulla von Brandenburg, „Drinnen ist nicht Draußen“, Kunstverein Hannover, 5. April - 22. Juni 2014.