HIER GIBT ES NICHTS ZU SEHEN Matthias Dell über „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen und „Riefenstahl“ von Andres Veiel

Andreas Dresen, „In Liebe, Eure Hilde“, 2024
Hilde Coppi (1909–1943) hat gegenüber Leni Riefenstahl (1902–2003) immer schon verloren. Und das, obwohl Coppi für die Geschichte steht, die Deutschland nach der NS-Diktatur offiziell am liebsten von sich erzählt hat: dass man nicht mitgemacht habe im verbrecherischen Regime, nicht einverstanden oder gar dagegen war. Für entsprechende Narrative herhalten mussten mitunter paradoxale Erfindungen wie die vom „inneren Exil“ bis hin zur Überbetonung von vermeintlich widerständigen Handlungen. Coppi war, was viele nachher sein wollten: eine Frau aus ökonomisch einfachem Haus, die als Sachbearbeiterin in der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte beschäftigt war, als sie sich in ihren späteren Mann Hans Coppi verliebte, der Teil eines Berliner Widerstandsnetzwerk war.
Geschadet hat dem Ansehen von Hilde und Hans Coppi sowie deren von den Nazis als „Rote Kapelle“ verächtlich gemachte Gruppe bis heute die Verbindung zur Kommunistischen Partei Deutschlands, die Hilde Coppi schon vor der Ehe unterhielt. Der tief sitzende Antikommunismus der westdeutschen Nachkriegszeit brach sich noch 1968 in einer Serie von Spiegel-Artikeln Bahn, die das Netzwerk in der Linie der Nazis als von Moskau gesteuerte Spionage diffamieren wollte. [1] Die DDR wiederum überhöhte die Rolle der „Roten Kapelle“; die ursprünglich abwertende Bezeichnung wurde für die eigenen Zwecke affirmiert, es gelang in diesem Zuge aber immerhin, ein paar Straßen und Schulen nach den Coppis und anderen aus der Gruppe zu benennen. (Während manche in den restaurativen 1990er Jahren ihren Namen wieder verloren, gibt es mittlerweile auch in Westdeutschland einige solcher Würdigungen). Es dürfte erinnerungspolitisch schon eine der größten Anstrengungen gewesen sein, das Andenken an Hilde Coppi und das Widerstandsnetzwerk am Leben zu erhalten.
Deshalb ist es verdienstvoll, dass Andreas Dresen mit In Liebe, Eure Hilde (2024) der Widerstandskämpferin ein Biopic mit Berlinale-Premiere gewidmet hat. Schon weil die filmische Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus seit Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946) durch Rücksicht auf und Faszination von Täterinnen- und Tätergeschichten geprägt ist. Generationen des deutschen Schauspiels in Westdeutschland sind in schmucken Naziuniformen und blank gewichsten Stiefeln durch das Stahlbad kritisch gemeinter Befehlsbrüllerei gegangen – in Filmen, die in das Nachdenken über die eigene, untergründig affektive Begeisterung für den ganzen Nazi-Schmonz nicht so viel Energie investierten.
Dass Dresen um diese geläufigen Darstellungsweisen weiß, ist sein bester Trick und markiert zugleich die Defensive, aus der In Liebe, Eure Hilde kommt. Die Nazis im Film brüllen nicht, sie sprechen leise und gewöhnlich, auch wenn sie bullige Physiognomien haben, wie der Vernehmer, den Thomas Lawinky spielt. Damit erschöpft sich aber auch schon, was In Liebe, Eure Hilde nach einem Drehbuch von Laila Stieler dem dicken Bildapparat entgegenzusetzen weiß, der durch Filme über die NS-Zeit entstanden ist. Der Rest der Geschichte bedient sich bei den dramatischen Standards, aus denen sich auch eine traurig endende Krankheitsgeschichte ihr emotionales Gefälle basteln könnte.
Am Anfang ist es schön und unbeschwert, junge Leute, gut drauf, jauchzend und verliebt (Hilde und Hans, gespielt von Liv Lisa Fries und Johannes Hegemann), Picknick am See, Tanz zu Musik und auch mal Staunen, wie lässig Großbürgers wohnen (Widerstandsgruppenmitglied Libertas Schulze-Boysen, gespielt von Sina Martens). Am Ende wird es tragisch, tapfer und grau, und damit der Tod durch das Fallbeil im Strafgefängnis Plötzensee nicht das lange letzte Wort hat, erzählt In Liebe, Eure Hilde nicht chronologisch, sondern parallel – immer geht es hin und her zwischen Gefängnis und der Zeit davor, in der die Gruppe versucht, mit Funksprüchen Informationen ins Ausland zu schicken und durch Plakataktionen den Widerstand gegen die Nazis in Deutschland zu kommunizieren.
Vom politischen Engagement Hilde Coppis bleibt in dieser konventionellen Anordnung am Ende die große Liebe übrig, was vermutlich mehr sagt über die Zielgruppenängste der deutschen Filmförderverwaltung als über die historische Figur. Wenn ein größeres Publikum erreicht werden will, dann regiert die softe Einfühlungsmaschinerie: Die Hilde-Coppi-Figur soll möglichst viele Menschen „mitnehmen“, deshalb muss sie arglos, nett und bitte nicht so politisch sein, die ganze Nummer im Schlussakkord von großer Liebe aufgehen.
Robert Schwentkes Film Der Hauptmann (2017) wurde seinerzeit von der Berlinale ignoriert, dabei handelte es sich um einen der wenigen deutschen Geschichtsfilme, die den eingeübten Umgang mit der NS-Zeit irritierten (böse ist die SS, im Mittelpunkt stehen gute, leider irgendwie fehlgeleitete Deutsche, die es auch nicht so recht wussten): Hauptfigur war ein Deserteur, der zu Beginn die Sympathie des Publikums gewinnt, wenn er vor klassischen Nazi-Schergen abhaut und sich in die zufällig gefundene Uniform eines Hauptmanns flüchtet. Um dann am eigenen Leib den Gang in den Faschismus durchzuspielen, den ihm die Uniform und das damit verbundene Ansehen ermöglicht.
Riefenstahl steht als Gegenbild für die verdrängte, aber realistischere Version von Nachkriegsdeutschland: BRD noir. Dafür prädestiniert sie schon die lange Lebensspanne, die aus Riefenstahl als von Adolf Hitler und Joseph Goebbels hofierter Propagandafilmerin eine Untote der verbrecherischen deutschen Vergangenheit macht. Riefenstahl personifiziert Schuld und Verstrickung, die gerade nicht „aufgearbeitet“ werden, was sie in der längeren Hälfte ihres Lebens im Nachkriegswestdeutschland in einer ausdauernden Inszenierung als vermeintlich unpolitische Künstlerin wie keine zweite demonstriert hat. Es ist nicht ohne Ironie, dass Andres Veiels Dokumentarfilm Riefenstahl (2024) nun 20 Jahre nach dem Tod der Regisseurin diese – wieder mal – vor dem Vergessenwerden bewahrt. In guter Absicht, denn Veiels Neukompilation bestehenden Interview- und Dokumentarfilmmaterials liegt der Versuch einer kritischen Auseinandersetzung mit Riefenstahl durchaus zugrunde. Der Film schöpft jedoch mit allzu vollen Händen aus dem auf die eigene Unschuldserzählung getrimmten Riefenstahl-Nachlass bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wozu auch die Nuba-Fotografien gehören, die eine geschickte Fluchtbewegung der Filmemacherin ins Ethnologische zur Aufpolierung des eigenen Images dokumentieren. Natürlich lassen sich in einem solchen Archivfilm Entdeckungen machen: Skifahren mit dem 1969 aus der Haft entlassenen Albert Speer, dem Riefenstahl nebenbei erklärt, wie hoch man Honorarforderungen bei der Vermarktung des bösen Ruhms stellen kann. (Die clevere Filmemacherin verlangte für Interviews weit höhere Summen als der NS-Rüstungsminister.) Die vermeintliche sexuelle Belästigung durch Goebbels und andere Naziführer. Oder die mitgeschnittenen Anrufe, die nach öffentlichen Auftritten der Regisseurin unverhohlen Sympathie für ihre Ableugnung von Verantwortung vermitteln sollten.

Kästen mit Bildern aus dem Nachlass von Leni Riefenstahl
Besonders letztere rücken die Verhältnisse in Sachen „Aufarbeitung“ zurecht, weil die Leute auf dem Anrufbeantworter nicht klammheimlich sympathisierten, sondern keine Scheu hatten, ihre Namen und bürgerliche Existenzen anzugeben. So lässt sich eine dieser Unterstützungsnachrichten etwa Erna Fentsch (1909–1997) zuordnen, einer eher unbekannten Schauspielerin, die sich nach dem Ende des NS-Terrors aufs Drehbuchschreiben verlegte und der Bundesrepublik nicht nur Stoffe jener Heimatfilme lieferte, in denen die völkische Ideologie, verkleidet als Lob von Scholle und Familie, Idyllenkarneval feierte, sondern auch für zwei Tatort-Filme mit dem Münchner Kommissar Veigl, gespielt von Gustl Bayrhammer.
Aber letztlich ist Erna Fentsch auch nur ein Name für das immer gleiche rabbit hole, in das man fällt beim Versuch, Riefenstahls Nachkriegsentwurf von sich selbst zu dekonstruieren. Vorausgegangen war dem Anruf der Besuch Riefenstahls in der Talkshow Je später der Abend im Herbst 1976, der im schlierigen Videobild atmosphärisch viel von dem Reiz versprüht, von dem Veiels dokumentarische Arbeit lebt, wenn nicht: fasziniert ist. Da kann Sprecher Ulrich Noethen sich noch so viel Mühe geben, distanziert-staatstragend durch die Biografie zu leiten. In Je später der Abend traf Riefenstahl auf Elfriede Kretschmer, eine Frau, die anders als die Filmemacherin eine klare Abneigung gegen die Nazis hegte – eine Konfrontation, die die Sinnlosigkeit des medialen Redens mit Rechten vorwegnahm, weil der vermeintliche Streit mit Menschen ohne Scham und Reue, die den Diskurs verweigern, zu nichts führt.
Das beste Sinnbild für den redundanten Loop der Riefenstahl-Rezeption ist die Figur Sandra Maischberger. Die fungiert als Produzentin von Veiels Film, eine für die Talkshow-Moderatorin eher ungewöhnliche Rolle, die ihr gerade deshalb Image-Gewinne von vermeintlicher Ernsthaftigkeit und historischem Interesse („Aufarbeitung“) verschaffen. Maischberger assoziiert ihren Namen mit dem brisanten Versuch einer Bewältigung des Bösen, der sich bei genauerem Hinsehen als schlichte Verlängerung ihres medialen Alltagsgeschäfts erweist. In einem Interview zum Film hat Maischberger vom eigenen Gespräch mit der hochbetagten Riefenstahl erzählt, bei der sie abgeprallt sei: „Das, was ich zuvor in der Vorbereitung in Interviews gelesen hatte, war eins zu eins das, was sie mir auf alle meine Fragen auch geantwortet hat.“ [2] Schöner kann man nicht beschreiben, wie unreflektiert die mediale Faszination für Riefenstahl zu deren Lebzeiten gewesen ist und wie untauglich die Gesprächsversuche waren – als ob nicht die ganze Zeit klar gewesen wäre, dass Riefenstahl über ihre Rolle bei den Nazis lügt. Schließlich betankte genau Riefenstahls konsequente Naivitätsperformance die nicht enden wollende Tour durch den medialen Zirkus, in dem die Begeisterung für die historische Figur sich als vermeintlich aufklärerisches Verstehenwollen tarnte. In Riefenstahl gibt es also nichts zu sehen – bis auf Bilder, die schon zuvor jahrzehntelang gezeigt worden sind. Archivfilme leben gemeinhin davon, neue, einst übersehene Perspektiven auf alte Bilder herzustellen. In Veiels Film wird dagegen mit großem Aplomb reproduziert, was immer schon da war.
Die Bilanz beider Filme fällt also ernüchternd aus. In Liebe, Eure Hilde baut generisch die Widerstandsgeschichte zum Liebesfilm um. Und Riefenstahl präsentiert einen Nachlass in einer Art und Weise, deren Erkenntnisgewinn vor allem in der Bestätigung besteht, dass man sich genau solche „Aufarbeitungen“ nicht mehr anzuschauen braucht. Wenn die Fiktionalisierung der Widerstandsfigur Entpolitisierung bedeutet, und der dokumentarische Umgang mit der Täterin faszinierte Reproduktion, dann erscheint als bester Umgang mit den problematischen Ideen- und vor allem Bildwelten der Nazizeit die nüchterne Dokumentation von Opfergeschichten. Etwa Hans-Dieter Grabes leiser Interviewfilm Ludwig Gehm – Ein deutscher Widerstandskämpfer von 1983, der ein beeindruckendes Leben mit ein paar Fotos illustriert. Schon weil es von solchen Geschichten kaum Bilder gibt.
In Liebe, Eure Hilde, Andreas Dresen (Deutschland 2024), und Riefenstahl, Andres Veiel (Deutschland 2024).
Matthias Dell arbeitet als freier Film- und Medienkritiker und Redakteur für Deutschlandradio, schreibt u.a. für Cargo und die FAS. Bei ZEIT Online veröffentlicht er den „Obduktionsbericht“, eine wöchentliche Besprechung der aktuellen Tatort- und Polizeiruf-Folgen. Zuletzt erschien von ihm: Peter Hacks auf der Fenne in Groß Machnow (1974–2003) (Frankfurter Buntbücher 72, 2023).
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