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Raumerweiterung – Anna Voswinckel über Marianne Wex bei Tanya Leighton, Berlin

„Dude … Stop the Spread, Please – It’s a space issue.“ Mit dieser Plakatkampagne machte die New Yorker Metro 2014 auf die Problematik des Manspreading aufmerksam – der Angewohnheit einiger meist männlicher Fahrgäste, ihre Beine so weit zu spreizen, dass sie mehrere Sitzplätze einnehmen. Zur Entstehungszeit von Marianne Wex’ aktuell bei Tanya Leighton gezeigter künstlerischer Recherchearbeit wurde dieses gendertypische Verhalten im Mainstream noch weitestgehend ignoriert bzw. naturalisiert. Eine grundsätzliche Kritik am binären Geschlechterregime war noch nicht formuliert, geschweige denn wissenschaftlich etabliert. Marianne Wex musste eine eigene Form finden, ihrem Unbehagen am dichotomen Denken Ausdruck zu verleihen.

Für ihre Untersuchung zu „,Weiblicher‘ und ,männlicher‘ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse“ hatte sie zwischen 1972 bis 1977 im Hamburger Stadtraum unbewusst eingenommene Körperhaltungen von Passanten und Passantinnen fotografiert, um normative Verhaltensmuster erkennbar zu machen. Ihre Fotoabzüge gruppierte sie nach den eingenommenen Haltungen und jeweiligen Körperpartien, bildete Reihen, die sie auf Papierbögen klebte und zusammenfasste, jeweils getrennt nach sozialem Geschlecht – männlich und weiblich. Dass Wex dieses binäre Geschlechterverständnis als sozial konstruiert entlarven wollte, zeigt sich durch zwei weitere Ergänzungen, die sie vornahm: Zum einen fotografierte sie Abbildungen aus den Massenmedien wie Werbefotografien, Fotos von Prominenten und Politikern/Politikerinnen, TV- und Filmstills und Pornoanzeigen ab, die sie als normative Leitbilder mit den Dokumentarfotos mischte. Zum anderen bezog Wex fotografische Reproduktionen antiker Skulpturen in ihre Analyse ein, um historische Vergleiche in Bezug auf Geschlechterrepräsentation ziehen zu können. Die Blätter ergänzte Wex durch Texte, in denen sie auf einzelne Bilder oder Bildgruppen eingeht und ihre Schlussfolgerungen formuliert. Die Arbeit wird schließlich in Form von Bildtafeln präsentiert, auf denen die Künstlerin die Blätter in zwei Reihen übereinanderhängt. Das Layout der Tafeln ist prinzipiell modular: Die Bildgruppen sind horizontal unterschiedlich kombinierbar; es gibt verschiedene Sprachversionen der Texte. Unveränderbar bleibt die vertikale Anordnung der Blätter, durch die Wex die gesellschaftliche Hierarchie zwischen Männern und Frauen (als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse) abbildet: Die Männer stehen immer über den Frauen. Fotos, die eine geschlechteruntypische Geste oder eine Paarkonstellation abbilden, sind von diesem Raster versetzt angeordnet, sodass sie buchstäblich aus der Reihe fallen. Einen weiteren gestalterischen Eingriff stellen die individuellen Fotoformate dar; Wex beschnitt das Format der Fotoabzüge entsprechend dem Raum, den die Person im Bild einnimmt. Während in der oberen Reihe wenige Männer mit viel Freiraum nebeneinander Platz haben, reihen sich Passantinnen und Anzeigenmodels in der Reihe darunter wie in einer ungewollten Tanzrevue aneinander. Das formale Gerüst betont so eindrücklich die Ungleichheit im Raum und die gewünschte Verfügbarkeit des weiblichen Körpers.

Eine weitere Untersuchungsvariante der Recherchearbeit bilden inszenierte Fotos mit männlichen und weiblichen Modellen, die Wex aufgefordert hatte, bewusst zu posieren, einmal in weiblichen Posen, einmal in männlichen. In ihrem Erläuterungstext beschreibt Wex die Reaktionen der Probanden und Probandinnen: Frauen, die Spaß daran haben, männliche Haltungen vorzuführen, Männer, die sich schwertun, weibliche Posen einzunehmen, da sie sie als einschränkend wahrnehmen. Das Aufführen der jeweils anderen Identität ermöglicht eine andere Erfahrungswelt; Körper und Bewusstsein lassen sich nicht voneinander trennen. Wex’ Versuchsanordnung nimmt hier bereits Experimente mit Gendertheorie in der Kunst der 1990er Jahre vorweg, etwa Diane Torrs Drag-King-Workshops „Man for a day“. [1] Begonnen hatte Wex ihre Analyse gendernormativer Körpersprache im Medium der Malerei, wo sie, beeinflusst durch Pop-Art, Gesten und Körperhaltungen aus Werbebildern ausschnitthaft abmalte. Zunächst nutzte sie ihre Fotografien lediglich als realistische Vorlagen für ihre Malerei. Später erkannte sie die Vorzüge des Seriellen der Fotografie, um gesellschaftliche Muster erkennbar zu machen. [2] Abfotografierte Medienbilder, die die Realität auf den Bild-Fetisch des Konsumobjekts reduzierten, kombinierte Wex gleichberechtigt mit ihren Straßenfotos. Ähnliche Strategien wurden zeitgleich auch von anderen feministischen Künstlerinnen wie etwa Martha Rosler oder Sanja Ivekovic entwickelt.

Wex, die von 1963 bis 1980 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg lehrte, verstand ihre Arbeit mit Bildern als Forschung, die sie mit den ihr zur Verfügung stehenden künstlerischen Mitteln vollzog. Mit dieser Auffassung von künstlerischer Praxis war sie ihrer Zeit voraus. Ihre umfangreiche visuelle Untersuchung zu „,Weiblicher‘ und ,männlicher‘ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse“ präsentierte Wex zum ersten Mal 1977 im Rahmen der Ausstellung „Künstlerinnen International 1877–1977“ der NGBK in Berlin. Zwei Jahre später publizierte sie die Arbeit in erweiterter Form als Buch, zugleich als deutsche und englische Ausgabe. Deren Titel, „Let’s Take Back Our Space: Female and Male Body Language as a Result of Patriarchal Structures“, betonte das feministische Aktivierungspotenzial, das in der Arbeit angelegt war. Von der Mehrheit der Mitglieder der NGBK wurde Wex’ Bildtafel-Installation 1977 folglich ausschließlich als feministisches Aufklärungsprogramm wahrgenommen; die wenigsten erkannten damals die künstlerische Qualität der Arbeit. Wex’ kritische Untersuchung von Gendernormen ist seitdem sowohl in der Kunstwissenschaft als auch in den Sozialwissenschaften aufgegriffen worden – sie lässt sich nicht eindeutig in ein dichotomes Schema von bildender Kunst oder Sozialwissenschaft einordnen. Auch hierin spiegelt sich Wex’ Kritik am binären Denken, dem „System des Trennenden, das einen wesentlichen Pfeiler zur Erhaltung patriarchaler Machtstrukturen darstellt“, wie sie es im Vorwort ihres Buchs formuliert.

„Marianne Wex – Let’s Take Back Our Space“, Galerie Tanya Leighton, Berlin, 11. Januar bis 17. Februar 2018.

Title image: Marianne Wex, Ausstellungsansicht, 2018

Anna Voswinckel ist Künstlerin und Kuratorin. Sie lebt in Berlin und Leipzig

Anmerkungen

[1]In diesem Zusammenhang interessant ist Gabriele Stötzers künstlerische Suche nach Identitäten jenseits der Geschlechterdichotomie, die sie in den frühen 1980er Jahren als Reaktion auf die normative Genderpolitik der DDR in Form von Performance, Foto- und Videoarbeiten realisierte. Ihre spielerischen und zugleich fein komponierten Bildreihen inszenierter Fotografien eines Cross-Dressers, „Die Trans-Serien aus dem Mackenbuch“ von 1983 erinnern in ihrem seriellen Aufbau an Marianne Wex’ Tableaus. (Die Arbeit ist noch bis zum 24. März in der Ausstellung „Left Performance Histories“ in der NGBK Berlin zu sehen.)
[2]Diese Vorgehensweise hat sich nachhaltig auf soziologische Foto- und Recherchepraxen ausgewirkt – beispielsweise wiederzuerkennen in den Arbeiten Hans Eijkelbooms oder dem „Exactitudes“-Projekt von Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek.