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DIE WEISSE UNSCHULD UND DER INSTITUTIONALISIERTE RASSISMUS Gürsoy Doğtaş über „Friendly Confrontations“ in den Kammerspielen, München

Unter dem Titel "Friendly Confrontations. Festival zu globaler Kunst und Institutionskritik kuratiert von Julia Grosse und Julian Warner" fanden vom 16. bis 19. Januar verschiedenste Veranstaltungsformate in den Münchner Kammerspielen statt. Der Kunsthistoriker und Autor Gürsoy Doğtaş berichtet für Texte zur Kunst über das Festival, das es verstand, "diasporische Ästhetiken und Perspektiven" den institutionalisierten Rassismen deutscher Kulturbetriebe entgegenzusetzen.

Die Weißen in den Niederlanden nehmen sich als außerordentlich gastfreundlich, tolerant gegenüber dem Anderen, antirassistisch sowie im besten Sinne "farbenblind“ wahr. In diesem Narrativ des nationalen Exzeptionalismus deckt die Sozial- und Kulturanthropologin Gloria Wekker ein fundamentales Paradox auf – denn das Selbstbild des "guten“ und "unschuldigen“ Weißen lässt sich nur aufrechterhalten, weil die alltäglichen Rassismen und Diskriminierungen gegenüber der restlichen Bevölkerung erfolgreich verleugnet und zudem die beträchtliche Geschichte des niederländischen Imperialismus und Kolonialismus als auch die Beteiligung der Niederlande am Sklavenhandel einschließlich ihrer Effekte in die Gegenwart unterschlagen werden. Somit verdeckt die weiße Unschuld die Quellen ihrer Privilegien und Macht und negiert zugleich das Weiß-Sein als eine rassische oder ethnische Kategorie. Auf diesem verharmlosenden Selbstverständnis, in der sich das Weiß-Sein als eine unausgesprochene Norm, eine unsichtbare Normalität unhinterfragt durchsetzt, basiert der strukturelle Rassismus. Gloria Wekker teilt diese Einsichten aus ihrem Buch White Innocence (2016) auf dem Festival "Friendly Confrontations“ mit. Sie diskutierte beim letzten Panel "Are we enemies? Are we friends?“ über den institutionalisierten Rassismus besonders im Kunst- und Kulturbetrieb mit Peggy Piesche (Bundeszentrale für politische Bildung), Max Czollek (Autor und Publizist), Bahareh Sharifi (Diversity Arts Culture) und der Moderatorin Nadja Ofuatey-Alazard (Journalistin und Autorin). Sie alle konfrontierten, wenn auch auf unterschiedlichen Kampffeldern, die "weiße Monokultur“ mit ihrer Hegemonie.

Das postnationalsozialistische Deutschland schere im innereuropäischen Vergleich aus dem Mythos der weißen Unschuld aus, da es sich zu seiner Schuld bekannt hat, so Czollek. Jedoch sei die Aufarbeitung dieser historischen Schuld getragen von der Sehnsucht nach "Normalität“ und "Wiedergutwerdung“ der Deutschen. Von den Jüd*innen werde erwartet, dass sie das neue, gute deutsche Selbstbild bestätigen – während zur selben Zeit Deutschland von den (Post-)Migrant*innen Integration im Horizont einer ethnischen und kulturellen Homogenität einfordere und so die Bedingungen für neovölkische Gesellschaftsbilder mit all ihren Gefahren erneuere.

Auch der gängigere Begriff der Diversität, so Sharifi, verschleiße durch den übermäßigen Gebrauch sein diskursives Potenzial. Er erwecke den Eindruck, als wäre gesellschaftliche Vielfalt bereits allseits wertgeschätzt, und kaschiere, wenn auch unabsichtlich, Diskriminierungsprozesse. In der Diskussion verständigten sich die Panelist*innen darauf, dass dieser Begriff zwar inhaltsleer gemacht worden sei, ohne aber tatsächlich leer zu sein. Das Paradox der "weißen Unschuld“ löse sich beim Verlust der Unschuld allerdings nicht auf. Schuld- wie Schamgefühle endeten zumeist in Vermeidungs- und Verdrängungsmechanismen und könnten so die Vertuschung von strukturellem Rassismus fortsetzen. Geeigneter wäre es, Verantwortung für die eigene Privilegiertheit zu übernehmen und sie zu reflektieren.

Lynette Walworth, „Collisions“, 2016, Filmstill

Lynette Walworth, „Collisions“, 2016, Filmstill

Über die Ausgangsfrage, ob wir "Feinde oder Freunde“ seien, näherte sich Piesche an die antagonistische Beziehung zwischen dem Innen (das Heterogenität verdrängt) und dem Außen (das Zugehörigkeit limitiert) der Institutionen. Diese Fragen müssten sich die Institutionen selbst stellen, so ihre Bilanz. Gegenüber deren Antworten sei aber ausgeprägte Wachsamkeit geboten – denn die Institutionen erwidern allzu schnell: "Wir sind Freunde.“ Allerdings handelt es sich dabei um ein toxisches "Wir“, das durch Universalismen Unterschiede einebnet. Erkenntnisse aus der Studie "Sichtbarmachung der Diskriminierung und sozialen Resilienz von Menschen afrikanischer Herkunft“ (2019) für den Berliner Senat, an der Piesche mitgearbeitet hat und deren Ergebnisse sie als Keynote am Anfang des Festivals präsentierte, erhärten diese Einschätzungen. Obwohl seit 2012 Initiativen aus der Schwarzen deutschen Community wie etwa "Bühnenwatch“ die Verwendung von Blackface problematisieren, reproduziere das deutsche Theater rassistische Typisierung und damit eine eurozentrische Sicht und weiße Dominanz. Im Umgang mit dem kolonialen Erinnerungserbe und den Fragen nach Restitution (ein gesonderter Programmpunkt des Festivals) setze sich ein vergleichbarer Diskurs in den Museen fort. Das Wechselverhältnis zwischen dem Innen und Außen der Institution werde dann herausgefordert, wenn ihrer Definitionsgewalt aktivistisches Wissen entgegengesetzt und in die Institutionen hineingetragen wird.

Das Kuratorenduo Julia Grosse und Julian Warner nutzte den Zugang in die Kammerspiele, um ein Modell dafür vorzuschlagen, wie sich mit Programm, Publikum und Personal der strukturelle Rassismus einer Institution suspendieren ließe. Vorbild ihres Vorhabens sind Okwui Enwezor und sein kuratorisches Vermächtnis. Von Enwezor lernen, heiße kämpfen lernen. In einem ungleichen Kampf gegen mehrere Gegner*innen zugleich anzutreten. Unter diesen befand sich eine Moderne, die die westliche Avantgarde nahezu religiös verehre und stets versäumte, deren politische Determinanten wie Kolonialismus und Imperialismus klar zu benennen. Daneben steht ein auf diese Sicht abgestimmter Kanon, dessen Referenzzentrum um den okzidentalistischen Kunstdiskurs kreist. Dann jene Aspekte der Globalisierung, die mit ihrer liberalistischen Weltmarktpolitik das vorherrschende Machtungleichgewicht zwischen dem Westen und dem globalen Süden verfestigt habe und überdies sich in den Regeln der "Globalkultur“ fortsetze.

Einer enwezorischen Plattform gleich, deren offene Form der Wissensorganisation und ihr nicht hierarchisches Modell der Repräsentation als ein transdisziplinärer Leitfaden der Vielstimmigkeit bereits mit der 11. Documenta erprobt wurden, versammelt das Festival "diverse diasporische Ästhetiken und Perspektiven“, wie Harfenmusik von Ahya Simone, Soundcollagen von Moor Mother, einen Radiosender, eine Tanz-Performance von Joana Tischkau und einen realen Boxkampf zwischen Vereinen – und immer wieder diskursive Veranstaltungen, wie die Alternative-History-Performance von Heba Y. Amin, einen Lecture-Walk von Nadir Sourigi, Panels und vieles mehr.

Onyx Ashanti, „Metabit: Metapixel: Metadimension“, Performance für „Friendly Confrontations", Münchner Kammerspiele, 2020

Onyx Ashanti, „Metabit: Metapixel: Metadimension“, Performance für „Friendly Confrontations", Münchner Kammerspiele, 2020

Enwezor veränderte einerseits die Machtdynamiken des Kunstbetriebs, aber andererseits – und dies arbeitet das Festival sorgsam aus – umklammern ihn Teile des Kunstbetriebs noch immer mit einem toxischen Wir. Obwohl er es an die Spitze des Kunstbetriebs schaffte und bereits zu Lebzeiten in die Kunstgeschichte aufgenommen wurde, blieb er dem strukturellen Rassismus ausgesetzt, dies wird im Panel "Everyone should feel invited“ mit Markus Müller, aber auch in der Anmoderation von Nadja Ofuatey-Alazard im letzten Panel deutlich. Selbst wenn er für sein Wirken im Sinne einer Gegenkanonisierung gefeiert wird, wiederholen sich subtile Formen des institutionalisierten Rassismus, wenn beispielsweise seine Leistung als ein Einzelphänomen aus dem Kontext des reichhaltigen Ausstellungsdiskurses der Süd-Süd-Achse isoliert wird. Der strukturelle Rassismus zeigt sich auch als ein Rückschlag, wenn unvollständige buchhalterische Argumente genutzt werden, um sein Vermächtnis zu diskreditieren und tilgen.

Auch nach dem Festival fügen sich disparate Puzzleteile zusammen, um die Botschaften des strukturellen Rassismus lesbar zu machen. Wenn Künstler wie Georg Baselitz 2014/15 im Haus der Kunst und 2015 auf der Venedig Biennale von Enwezor ausgestellt werden und Baselitz diesen Zuwachs an Prestige wenige Jahre später in einem Interview in der Wochenzeitung Die Zeit dafür einsetzt, den Platz der AfD in der Demokratie zu verteidigen (die AfD wiederum postete dieses Zitat auf ihrer Webseite und warb so für sich), dann nutzt er seine mediale Aufmerksamkeit nicht dafür, demokratische Werte anzupreisen, die das Anliegen von Enwezor (seinem Unterstützer) stärken, sondern unterfüttert Sehnsüchte nach einem weißen Backlash, die Enwezor substanziell gefährden.

Die Masken der "weißen Unschuld“ sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Häufig präsentieren sie sich als gute Absichten. Wenn beispielsweise das Kulturreferat München und das NS-Dokumentationszentrum ein Symposium über Öffentlichkeit und Erinnerungskultur veranstalten, aber niemanden aus der postmigrantischen, postkolonialen und queeren Münchner Stadtgesellschaft einladen, dann wiederholt sich ein weiteres Mal der strukturelle Rassismus (https://dearall2020.blogspot.com). Ofuatey-Alazards Bemerkung "München war nicht bereit für Enwezor“ bestätigt sich erneut.

Gürsoy Doğtaş ist Kunsthistoriker und Autor.

Titelbild: Boxkampf zwischen der Boxabteilung des TSV 1860 München, dem Attoh Quashie Boxing Gym und der Charles Quartey Boxing Foundation aus Ghana auf dem Festival "Friendly Confrontations", Münchner Kammerspiele, Januar 2020

Credits: Julian Baumann, Piers Mussared, Gabriela Neeb