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Kontinuitäten des Antisemitismus ein Bericht aus dem Grünen Salon der Volksbühne Berlin von Aram Lintzel

Ist die antiisraelische Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) Teil einer antisemitischen Kontinuität? Aufgrund diverser Vorfälle im Kulturbetrieb, etwa beim Eurovision Song Contest, beim Berliner Pop-Kultur Festival, bei der Ruhrtriennale, beim deutsch-israelischen Filmfestival „Seret“ und wo sonst noch BDS mit Drohgebärden in Erscheinung trat, spätestens aber seit dem interfraktionellen Bundestagsbeschluss vom Mai 2019, der BDS als antisemitisch einstuft und die finanzielle und logistische Unterstützung für Kooperationen mit BDS untersagt, wird diese Frage noch intensiver diskutiert. Bei einer Veranstaltung des Forums demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst im Grünen Salon der Berliner Volksbühne wurde BDS in den größeren Zusammenhang einer antisemitischen Diskursdynamik gestellt. Die personalisierende Frage, ob denn nun jede BDS-Unterstützer*in antisemitisch sei, beantwortete der neben Fabian Bechtle veranstaltende Künstler Leon Kahane denn auch lapidar mit: „Die Intention ist irrelevant, wenn sich am Ende antisemitische Narrative durchsetzen.“

Ein Problem mit Israel

Kahane vertrat auf dem Podium den kurzfristig erkrankten Antisemitismusforscher Samuel Salzborn, neben ihm saßen Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. und die Autorin Mirna Funk. Moderatorin Gabriela Hermer von rbbKultur wählte zunächst einen dramaturgischen Plot, in dem sie BDS als freundliche Menschenrechtsorganisation zeichnete, gegen die man doch nichts haben könne. Wer sei schon gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser? Beziehungsweise: Was sei denn so schlimm an BDS? Erst später machte sie klar, wie vage und gerade deshalb gefährlich die BDS-Positionen sind. Insbesondere die Forderung nach einem Rückkehrrecht der geflüchteten Palästinenser (dessen Realisierung das Ende eines jüdischen und demokratischen Israel bedeuten würde) und die Unklarheit darüber, welche Territorien denn nun „arabisch“ sein sollen – die vor der israelischen Unabhängigkeit 1948 oder lediglich die vor dem Sechstagekrieg 1967? –, erlaubten die Interpretation, dass das Existenzrecht Israels insgesamt infrage gestellt werde. Tatsächlich hört man aus BDS-Kreisen nichts über eine Zweistaatenlösung, die das Selbstbestimmungsrecht Israels beinhaltet. Überhaupt gibt es in der BDS-Szenerie keine Ansätze zur Lösung des Nahostkonflikts. Es ist offensichtlich und alles andere als eine böswillige Unterstellung, dass BDS einen demokratischen Staat mit jüdischer Mehrheit für das eigentliche Problem hält.

Bekenntniszwang für Jüdinnen und Juden

Laura Cazés betonte, dass das für sie in jeder politischen Debatte über Nahost aber der entscheidende Punkt sei. Welchen Ort hat die jüdische Perspektive und steht sie gleichberechtigt neben der palästinensischen?, sei zu fragen. Dies sei selbst in den angeblich diskriminierungsfreien Räumen feministischer Gruppen nicht selbstverständlich der Fall. Im Gegenteil, oft mache sie gerade in linken Zusammenhängen die Erfahrung, dass mit der denunziatorischen Gleichung Judentum = Zionismus = Kolonialismus jüdische Stimmen marginalisiert würden. Die Leute behaupteten zwar, kein Problem mit Jüdinnen und Juden zu haben, knüpften das öffentliche Auftreten einer jüdischen Person aber an Bedingungen, die nicht von Jüdinnen und Juden bestimmt werden. So diene dann etwa Zionismus als Codewort für Rassismus und Apartheid. Dass Jüdinnen und Juden etwas ganz anderes darunter verstehen und Zionismus eine sehr diverse, auch linke und emanzipatorische Idee vom selbstbestimmten Leben von Jüdinnen und Juden ist, falle unter den Tisch, wenn von ihnen eine bekenntniszwanghafte Distanzierung vom Zionismus eingefordert wird.

Leon Kahane, Mirna Funk, Gabriela Hermer und Laura Cazés, Volksbühne Berlin, Januar 2020

Leon Kahane, Mirna Funk, Gabriela Hermer und Laura Cazés, Volksbühne Berlin, Januar 2020

Israel als das koloniale Böse

Die Frage, ob in der Deklaratorik von BDS denn, wie behauptet, die palästinensische Perspektive wahrhaftig und authentisch vertreten wird, wurde von Mirna Funk implizit aufgeworfen. Mit palästinensischen Taxifahrern führe sie ganz andere Gespräche als mit deutschen Israelkritiker*innen. Von Apartheidvorwürfen und Ähnlichem höre sie da nichts, stattdessen frage man sich gemeinsam: „Warum wollen die uns nur alle zu Feinden machen?“ Leon Kahane wies darauf hin, dass es sich bei den von BDS initiierten Debatten um typische Stellvertreterdebatten handele. Es gehe bei BDS letztlich gar nicht um palästinensische Anliegen – diese würden in paternalistischer Weise funktionalisiert – , vielmehr bestehe der ideologische Kern in dem, was man schon immer über Israel loswerden wollte: etwa, dass es die letzte Kolonialmacht sei. In einem nächsten Schritt, so ließe sich ergänzen, wird der jüdische Staat dann zur anachronistischen und illegitimen Macht an sich hypostasiert. Hier liegt wohl die Erklärung dafür, dass BDS aus postkolonialen Szenen so viel Zuspruch bekommt. Dieser Punkt wurde allerdings erst in der offenen Publikumsdiskussion und sehr kurz zum Thema. Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung titulierte das Phänomen als „Palästinensierung der Debatten“. In antirassistischen und postkolonialen Kreisen werde Unterdrückung fast ausschließlich an Israel und seinem Verhalten gegenüber den Palästinensern festgemacht.

Fehlende Empathie

Es sei traurig, so Funk, dass jede noch so legitime Solidarisierung mit palästinensischen Anliegen heutzutage unversehens bei BDS landet. Dabei sei das Spektrum möglicher Kritiken an israelischer Politik größer als die destruktive Boykottstrategie von BDS. Seltsamerweise kam an dem Abend das spezifisch deutsche Framing von „Boykott“ aber gar nicht zur Sprache. Dass der „Judenboykott“ historisch eine Vorstufe zur Massenvernichtung war und seine Reaktualisierung empathielos die jüdische Erfahrung der Shoah vernachlässigt, ist eine moralische Verfehlung, die man den BDS Unterstützer*innen vorhalten muss.

In der grundsätzlichen Diskussion über BDS verlor sich die eingangs formulierte Frage, was BDS gerade im Kulturbetrieb so attraktiv mache, leider im Anekdotischen. Weshalb auch nicht darüber gesprochen wurde, was der BDS-Psychoterror eigentlich für die Kunstfreiheit bedeutet. Umso eindrücklicher waren die Berichte von gewalttätigen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden an US-amerikanischen Unis, die mit der Popularität von BDS nachweisbar zugenommen haben. Leon Kahane erinnerte daran, dass auch die BDS-nahe Neuköllner Schlägertruppe „Jugendwiderstand“ gewalttätig war. Hoffentlich haben diejenigen im Publikum, die den eingangs erwähnten Bundestagsbeschluss ablehnen, weil BDS doch dankenswerterweise gewaltfrei und nicht terroristisch sei, genau hingehört.

Aram Lintzel ist Referent für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und freier Autor.

Titelbild: Leon Kahane, Mirna Funk, Gabriela Hermer und Laura Cazés, Volksbühne Berlin, Januar 2020

Credit: ©Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst