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Michael Franz über Stefan Hayn in der Kienzle Art Foundation

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Sculpting in time

Die Arbeiten von Stefan Hayn waren in Berlin in den letzten Jahren nur vereinzelt in Gruppenausstellungen oder im Rahmen von Filmscreenings zu sehen. Mit der Ausstellung „Whose propitious Garden is this?“ unternimmt die Kienzle Art Foundation den Versuch einen weiter gefassten Blick auf Hayns Werk zu werfen. In den Ausstellungsräumen werden mehrere Filme sowie 13, teils mehrteilige Malereien, Zeichnungen und Collagen aus den letzten 30 Jahren gezeigt.

„Dahlienfeuer“, Hayns 2016 im Britzer Garten in Berlin Neukölln während des gleichnamigen Blumen-Events gedrehter Film, eröffnet die Ausstellung auf einem Flatscreen im Eingangsbereich gezeigt und stellt zugleich die Verbindung zum Ausstellungstitel her: Wessen verheißungsvoller Garten ist das? – hier?

In klassischer Dokumentarfilmtradition sucht Hayn im Film das Gespräch mit den Parkbesuchern. Mit wenigen, einfachen Fragen gelangt er dabei vom deutschen Sonntagnachmittagsvergnügen zu Themen wie Krieg und Zukunftsangst. Ein zweiter Gesprächsstrang ist das „Bildermachen“ an sich. Viele der Parkbesucher fotografieren (mehr oder weniger ambitioniert) die leuchtend bunten Dahlienblüten. Hayn stellt Fragen nach Komposition und Ausschnitt und nach dem Zweck dieser Beschäftigung, während er selbst ihr natürlich gleichzeitig ebenfalls nachgeht. Bilder der Blumen und der kleinen Schilder mit ihren ausgefallenen Namen wechseln mit solchen, die den Künstler und seine Gesprächspartner zeigen. Die Montage kombiniert lange statische Einstellungen mit wackeligen, vorsichtig tastenden Aufnahmen, die sich sowohl als Anlehnung, als auch Abgrenzung zu den „amateurhaften“ Aufnahmen der Parkbesucher lesen lassen, aber auch als Geste, die die zurückhaltende, aber bestimmte Gesprächsführung Hayns abbildet. Die Nahaufnahmen der Dahlienblüten und der sie umgebenden Parklandschaft verbinden sich in der Ausstellung unmittelbar mit den ungegenständlichen Malereien an den Wänden und erweitern so die Überlegungen zum „Bildermachen“ auf die gesamte Ausstellung.

Diese wirkt auf den ersten Blick ziemlich „klassisch“: große Leinwände mit viel Farbe drauf, gerahmte Papierarbeiten und Aquarelle, mehr oder weniger gegenständlich gemalt, teilweise an Informel oder an abstrakten Expressionismus erinnernd, unleserliche, übermalte Wörter und Buchstaben; viele der Arbeiten sind Collagen, fast alle bestehen aus mehreren deutlich erkennbar übereinandergelegten Farb- oder Papierschichten.

Stefan Hayn, „Whose propitious Garden is this?“ Ausstellungsansicht, 2017

In einer mit rosa Plüsch überzogenen, als „Kino-Box“ betitelten Holzkiste, die an einen Teil eines Katzenkratzbaums erinnert, sind die beiden Filme „Fontvella’s Box“ und „Das Festspiel“ zu sehen. „Fontvella’s Box“ ist eine queere, assoziativ-spielerische Aneinanderreihung immer neuer, aufeinanderfolgender surrealer Bildräume, in denen sich offensichtlich ein seltsames Drama ereignet, „Das Festspiel“, ein autobiographischer Essayfilm. Darin werden Spielelemente aus dem titelgebenden Festspiel („Der Meistertrunk“ über die Belagerung Rothenburgs im dreißigjährigen Krieg) mit Recherchen zur Geschichte der Stadt, dem Geburtsort des Künstlers, und eingesprochenen Kindheitserinnerungen Hayns kombiniert. Die inhaltliche Dichte der beiden sehr verschiedenen, sich hier kommentierenden Filme lässt in den Malereien unwillkürlich weitere Bedeutungsebenen vermuten. Malerische Gesten, wie beispielsweise die übermalten, unleserlichen Wortfetzen entwickeln eine suggestive Eigendynamik, die nicht in konkretem Sinn auflösbar ist. Daneben wird durch die Zeitlichkeit der Filme diese auch in den Malereien betont bzw. erst sichtbar.

„Malerei heute“ (1998-2005) und „S T R A U B“ (2006-2014), die in jeweils eigenen Screenings während der Laufzeit der Ausstellung gezeigt wurden, machen diese Verknüpfung von Film und Malerei exemplarisch. Während der erste Hayns Arbeiten – in diesem Fall kleine Aquarelle – fast immer frontal, und vollformatig zeigt, besteht „S T R A U B“, der Titel mit Verweis auf Jean-Marie legt nahe, dass es hier auch ums Filmemachen selbst geht, aus Zeichnungscollagen und meist expressiver, ungegenständlicher Malerei, die in Ateliersituationen als Ausschnitte, in Nahaufnahmen und Schwenks über die Leinwand abgefilmt wurden.

Für sich genommen würden die Bilder in der Ausstellung (und die in den Filmen) unter Umständen nicht weiter bemerkenswert erscheinen – man würde vielleicht sagen: „Ja, nicht schlecht, ganz gut gemacht, aber habe ich doch so ähnlich schon mal irgendwo gesehen“. Auch die Filme wären isoliert betrachtet sicherlich nicht uninteressant – Harun Farocki, Jack Smith und Kenneth Anger treffen auf die fränkische Provinz. Aber sie fielen vielleicht trotzdem in bekannte Raster. Die gegenseitige Verschränkung von Malerei und Film transformiert die verwendeten Elemente jedoch. Bilder und Filme, Malerei und erzählte Geschichten und durch Malerei erzählte Geschichten scheinen sich gegenseitig zu kommentieren, zu reflektieren und dadurch zu verstärken, schließlich zu bedingen. So entsteht ein Kreislauf, der sowohl den Malereien, als auch den Filmen eine zusätzliche Bedeutungsebene verleiht. Das Zeitgenössische daran ist, dass dabei Gegenwart gerade nicht in unmittelbar verfügbarer Form – als singuläres Bild, Referenz oder Material – angezeigt wird, sondern in der Summe möglicher Eindrücke als Ergebnis eines Prozesses erfahrbar wird.

Stefan Hayn, Filmplakat zu „Straub“, 2015

Hayn hat bildende Kunst und Film studiert, arbeitet also konsequent in den Bereichen, die er gelernt hat. Seine Arbeiten wirken, anders als viele neuere Hybride, die (irgendwie) selbst-gemachte Bildformen als Backdrop für Video, Performance oder Film verwenden, nicht zeitgemäß cool, was ich in diesem Zusammenhang mit mehr oder weniger beliebig in der Auswahl ihrer Referenzen übersetzen würde, sondern so, als ob Hayn in jedem Moment seiner Arbeit all die formalen, historischen und auch persönlich-subjektiven Bedingtheiten, die jede Form künstlerischer Tätigkeit auf die eine oder andere Weise prägen, nicht nur im Blick hätte, sondern diese in einer bewussten Anstrengung ebenfalls zum Material seiner Arbeit machte. So wirken diese Bilder nicht wie Props oder Platzhalter, nicht wie Anspielungen auf Malerei und sie funktionieren völlig anders als es Requisiten tun, da sie eben singulär sind und eigenständig bleiben. Anders als Künstler wie Flame in ihrer „Malperformance“ bei Real Fine Arts (2013), Will Benedict in seinen Fotocollagen oder vielleicht am direktesten Alex Israel in der Videoserie „As it lays“, ist Malerei hier nicht lediglich Hintergrund und mehr als eine Chiffre für Kunst.

Der Fixierung auf eine ausschließlich biografische Lesart entgeht Hayn durch die kontinuierliche Reflexion des eigenen Tuns in Texten und Vorträgen, vor allem aber in der künstlerischen Praxis selbst, ohne jedoch dadurch in einer selbstreflexiven Geste alles in Message, Kritik oder Referenz aufzulösen. So entsteht eine Kunst, die unter anderem das Nachdenken über sich selbst zum Thema hat, die persönlich, ruhig und zurückhaltend und trotzdem allgemein, von sich selbst abstrahierend und sehr genau ist. Die erzählten Geschichten sind nicht notwendigerweise Hayns, man sieht gesellschaftlichen Wandel, die Veränderung ästhetischer Parameter, persönliche Zeit, mit „Bildermachen“ verbrachte Zeit – die auch in den Farb- und Papierschichten in seinen Malereien erkennbar wird.

Ein Begriff, der in seiner paradoxen Struktur und seinem Potential zur Assoziation der spezifischen Verbindung von Form und Inhalt in Hayns Werk nahesteht, könnte der englischen Titel von Andrei Tarkowskis Filmtheorie sein, „Sculpting in Time“. Der Autor widmet der Zeit darin ein eigenes Kapitel und betont die festgehaltene (in der dt. Übersetzung des Titels „versiegelte“) Zeit als wesentliche Eigenheit des Films (in Abgrenzung zu Aussage, Handlung und Bild). Genau um die in den Bildern festgehaltene, mit ihrer Herstellung verbrachte Zeit geht es hier.

Stefan Hayn, „Whose propitious garden is this?“, Kienzle Art Foundation, Berlin, 26. November 2016 – 28. Januar 2017

Michael Franz ist Künstler und lebt in Berlin.

Anmerkungen

[1]Stefan Hayn, „Dahlienfeuer“, 2016, Filmstill