Kunst des Kommunikationsabbruchs. Viel besprochen und inzwischen institutionalisiert sind die zeitweiligen bis endgültigen Rückzüge von Künstlerinnen wie Lee Lozano, Agnes Martin, Cady Noland, Adrian Piper und Charlotte Posenenske aus der Kunst. Die Historisierung solcher Praktiken des Widerstands ist jedoch, wie die Kunsthistorikerin Charlotte Matter begründet, auch deshalb kritisch zu hinterfragen, weil sie Mechanismen des Ein- und Ausschlusses reproduziert: Wie viele mehr hörten auf, deren Geschichten ungeschrieben bleiben, weil ihre Rückzüge so konsequent waren, dass keine Spuren zurückblieben, die sich nachträglich wiederentdecken und verwerten ließen, oder weil sie gar nie erst Zugang in die Kunstwelt gefunden hatten? Plädoyer für eine Überprüfung der Tauglichkeit von Kunst als politischem Werkzeug.
„Die Stärke des Mannes liegt in seiner Identifikation mit der Kultur, unsere liegt in deren Ablehnung.“ Manifest von Rivolta Femminile
„Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“, fragt ein breitbeinig aufgepflanzter Mann, sein praller Schritt auf dem großformatigen Gemälde fast mittig platziert, eine Tür aufreißend und nach draußen auf die Straße zeigend, wo eine Kundgebung der Kommunistischen Partei Deutschlands gerade vorbeimarschiert, die zum Kampf gegen Lohnraub, Arbeitshetze, Teuerung und politische Unterdrückung auffordert. Seine Frage richtet sich an einen anderen Mann, der im Innenraum des Ateliers sitzt und mit Pinsel und beiger Farbe dazu angesetzt hat, eine weiße Leinwand zu bemalen.
Das vor Maskulinität strotzende Bild, das Jörg Immendorff in den frühen 1970er Jahren malte, vermag den Arbeiter nur in der männlichen Form zu konzipieren – von Kolleg*innen keine Spur. Es ist bezeichnend für den damals verbreiteten Sexismus in linken Kreisen, den die Filmemacherin Helke Sander in einer Rede anlässlich der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes [sic] im September 1968 anprangerte. Sander warf den Delegierten vor, die spezifische Unterdrückung und systemische Ausbeutung von Frauen zu übergehen. Indem sie sich weigerten, das Private als etwas Politisches zu begreifen, würden sie die Anliegen von Frauen missachten und damit patriarchale Machtstrukturen aufrechterhalten. Als Gegenmodell stellte Sander die Initiative der antiautoritären Kinderläden vor. Berühmt wurde ihre Rede nicht zuletzt, weil sich die Delegierten weigerten, Sanders Aufforderung zum Dialog zu folgen, woraufhin sich ihre hochschwangere Kollegin Sigrid Rüger aus dem Publikum erhob und das Podium mit Tomaten bewarf.
Politisiert von den Ereignissen der Zeit erprobten viele Kulturschaffende in den 1960er und 1970er Jahren verschiedene Formen des Widerstands, die unterschiedlich laut und unterschiedlich radikal ausfielen (wobei das eine nicht mit dem anderen gleichzusetzen ist). Während Herbert Marcuse die „Große Verweigerung“ und Alain Jouffroy die „Abschaffung der Kunst“ und einen „Kunststreik“ lautstark propagierten – ohne selbst zur Tat zu schreiten –, formierten sich in zahlreichen Ländern feministische Gruppen und Bewegungen, die konkrete Mittel ergriffen, um gegen systemische Diskriminierung anzukämpfen. Manche bemühten sich um Gleichstellung und plädierten für Reformen innerhalb des Systems, andere wiederum lehnten dies grundsätzlich ab und sprachen sich für die revolutionäre Abschaffung aller bestehenden Strukturen aus. Für die italienische Kunstkritikerin und Philosophin Carla Lonzi war etwa die „Gleichheit zwischen den Geschlechtern“ lediglich „der Deckmantel, unter dem heute die Unterlegenheit der Frauen verschleiert wird“. In Sputiamo su Hegel (auf Deutsch etwas abgemildert als Wir pfeifen auf Hegel übersetzt) fragte sie daher: „Wollen wir uns unter dem Namen der Gleichheit nach Jahrtausenden in eine Welt einfügen, die von anderen gestaltet wurde?“ Die Antwort brauchte sie nicht zu liefern. Für Lonzi war klar, dass es nun eine ganz andere Gesellschaft zu entwerfen gelte, deren Werte nicht durch patriarchale Ideologien vorbestimmt sein würden.
Reform oder Revolution lautete die altbekannte Frage, an der sich die Geister schieden. So verfolgte Sheila Rowbotham in ihrer Geschichte feministischer Aufstände das Zerwürfnis zwischen „zwei Feminismen“ bis in das 19. Jahrhundert zurück: „Der eine sucht die Akzeptanz der bürgerlichen Welt, der andere strebt eine ganz andere Welt an.“ In der Einleitung zu ihrer feministischen Anthologie From the Center: Feminist Essays on Women’s Art nahm auch Lucy Lippard Stellung zu diesem Zwiespalt. Selbstkritisch stellte sie fest, dass sie noch immer tief in der Kunstwelt verwurzelt war, gegen die sie seit den späten 1960er Jahren protestierte: „Ich würde gerne revolutionieren, aber ich muss mich aufgrund meines Arbeitsumfelds mit Reformen begnügen.“ Für Lippard war das Ziel des radikalen Feminismus, die Welt grundlegend zu verändern, unvereinbar mit einem Kunstsystem, das in ihren Augen höchstens Reformen zuließ. Vor diesem Hintergrund wurde der Feminismus zu ihrem Antrieb (und ihrer Ausrede, wie sie selbst einräumte), um in diesem Feld zu verharren, denn: „Es gibt so wenige von uns, die hauptsächlich über die Kunst von Frauen schreiben, und so wenige Feministinnen im Establishment, dass ich mich gebraucht fühle. Ich werde gebraucht.“
Zu einem anderen Schluss kam Lonzi. 1970 verfasste sie gemeinsam mit der Künstlerin Carla Accardi und der Journalistin Elvira Banotti das Manifest von Rivolta Femminile, das die endgültige Befreiung von Frauen aus der Unterdrückung durch die Institutionen der Familie, Religion und Politik forderte. Im gleichen Jahr publizierte sie einen Text, in dem sie ein letztes Mal mit der Kunstkritik abrechnete und die „große Torheit des Kritikers“ (wohl nicht zufällig in der männlichen Form) sowie dessen „völlige Entfremdung“ von Kunstschaffenden anprangerte – und zog sich aus der Kunst zurück. Lonzi monierte, dass die Kunstkritik eine Form von Wissen zu produzieren suche, die der Etablierung von Herrschaftsverhältnissen diene. Schon zuvor hatte sie das Prinzip der auktorialen Deutungshoheit infrage gestellt, so etwa in ihrem Buch Autoritratto (Selbstbildnis), das 1969 erschien und lange in Vergessenheit geriet. Zusammengesetzt aus aufgezeichneten und neu arrangierten Gesprächen mit 14 Künstler*innen forderte dieses polyphone Werk die Konventionen der Kunstkritik heraus, indem es vermeintliche Objektivität gegen radikale Subjektivität eintauschte. Im Bestreben, etablierte Hierarchien zu dekonstruieren, vermischte Lonzi ihre eigene Stimme mit den Worten der Künstler*innen. Letztlich betrachtete sie ihre Tätigkeit als Kunstkritikerin aber als unvereinbar mit ihrem feministischen Engagement. Ein zweites Manifest von Rivolta Femminile erteilte 1971 die Absage an die „Feierlichkeiten männlicher Kreativität“ und verkündete die Verweigerung seiner Autorinnen, weiter daran teilzuhaben. Gleichstellung im bestehenden System der Kunst anzustreben, bedeute, sich den Regeln und Werten unterzuordnen, die historisch durch das Patriarchat festgelegt und für alle anderen entfremdend seien; nur durch Ablehnung könne eine Befreiung von dominanten Modellen erreicht und ein eigener Zugang zur Kunst gefunden werden.
Innerhalb von Rivolta Femminile herrschte Uneinigkeit darüber, wie (und ob) Kunst mit Feminismus zu vereinbaren sei. Während sich Lonzi aus der Kunst zurückzog, verfolgte Accardi beispielsweise ihre künstlerische Tätigkeit weiter und war eine der elf Mitbegründerinnen der Cooperativa Beato Angelico, die sich 1976 zum Ziel setzte, die Werke von Künstlerinnen aus der Vergangenheit und Gegenwart zu präsentieren und zu dokumentieren. Das eklektische Programm des kurzlebigen Ausstellungsraums, der in einer kleinen Seitenstraße im Zentrum von Rom gelegen war, reichte von Malerinnen des 17. Jahrhunderts wie Artemisia Gentileschi über vergessene Künstlerinnen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts wie Regina bis zu den Mitgliedern der Kooperative selbst wie Accardi oder Suzanne Santoro. Maria Bremer zufolge war die Nichtlinearität ihrer Ausstellungen, die ohne chronologischen Zusammenhang erfolgten, eine programmatische Strategie, um das Kontinuum einer von Männern geprägten und geschriebenen Geschichte aufzubrechen. Für Accardi war es jedenfalls kein Widerspruch, sich sowohl in der Kunst als auch im Feminismus zu engagieren. In den 1970er Jahren danach befragt, was sie gerade umtrieb, entgegnete sie, dass sie ihre politischen und künstlerischen Interessen miteinander zu verbinden suche.
Diesen Brückenschlag konnten – und wollten – aber nicht alle Künstler*innen dieser Zeit vollziehen. So stellte 1968 Charlotte Posenenske bekanntlich fest: „Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann.“ Im selben Jahr hörte sie auf, Kunst zu produzieren, und schrieb sich an der Universität Frankfurt/M. im Studienfach Soziologie ein. Ihr Ausstieg aus der Kunst ist mittlerweile in die Geschichte eingegangen. Längst haben die Institutionen der Kunst sie wieder einverleibt und lecken sich die Finger nach erhaltenen oder posthum nachproduzierten Werken, die in aufwendigen Publikationen und Ausstellungen aufbereitet werden. Viel besprochen und inzwischen institutionalisiert sind auch die zeitweiligen bis endgültigen Rückzüge von Lee Lozano, Agnes Martin und Cady Noland. Auch das Archiv von Lonzi ist vor wenigen Jahren durch die Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contemporanea in Rom erworben worden; über 16 000 Dokumente (darunter Arbeitsnotizen, Briefe, Postkarten, private Fotografien sowie Reproduktionen von Kunstwerken) sind inzwischen von Google Arts & Culture digitalisiert. Wie würde Lonzi wohl dazu stehen, dass ihr Nachlass von der Kunst zurückannektiert worden ist und dass, vor allem, weite Teile daraus von einem Unternehmen wie Google verwaltet werden, in dessen Algorithmen Sexismus und Rassismus strukturell eingeschrieben sind? Andererseits gilt es, einer romantisierenden Verklärung entgegenzuwirken und diese mythischen Rückzüge zu relativieren: Vielfach erweisen sie sich bei genauerer Betrachtung als widersprüchlich. So blieb etwa Agnes Martin während ihres Rückzugs in der Wüste in beständigem brieflichen Kontakt mit ihren Kolleg*innen in der New Yorker Kunstwelt. Auch Lonzi befasste sich nach ihrem Rückzug weiter mit Kunst – wenn auch nur, um eine Kritik an deren Zusammenhang mit patriarchalischen Strukturen zu formulieren.
Nicht zuletzt ist die Historisierung solcher Praktiken des Widerstands auch deshalb kritisch zu hinterfragen, weil sie Mechanismen des Ein- und Ausschlusses reproduziert. Wie viele mehr hörten auf, deren Geschichten ungeschrieben bleiben, weil ihre Rückzüge so konsequent waren, dass keine Spuren zurückblieben, die sich nachträglich wiederentdecken und verwerten ließen? Oder weil sie gar nie erst Zugang in die Kunstwelt gefunden hatten? Wie die gesamte Kunstgeschichte ist auch die Geschichte von Rückzügen aus der Kunst von blinden Flecken durchzogen. Kaum je finden etwa die Ausstiege von Künstler*innen Erwähnung, die unter prekären Bedingungen und außerhalb des westlichen Kunstmarkts tätig waren. Unter der wachsenden Zensur und Repression der Militärdiktatur unter General Juan Carlos Onganía gaben in Argentinien beispielsweise zahlreiche Künstler*innen die Malerei in den 1960er Jahren auf. Das Phänomen war derart verbreitet, dass ein Nachrichtenmagazin 1969 gar sein Titelbild mit einem Trauerkranz auf einer Staffelei und den Worten „Argentinien: Der Tod der Malerei“ zierte. Doch lassen sich diese Rückzüge weniger einfach erzählen, weil über viele von ihnen schlicht wenig bekannt oder erhalten ist und weil ihre Geschichten oft nicht geradlinig verlaufen. Sie sind nicht geeignet für verkürzte, gefällige Erzählungen, weil beispielsweise einige dieser Künstler*innen auf kommerzielle Zweige umsattelten, die sich nicht so leicht mit gängigen Vorstellungen von politisch engagierter Kunst vereinen lassen.
Margarita Paksa etwa zog sich nach diversen Erfahrungen der Zensur 1968 aus dem institutionellen Ausstellungsbetrieb zurück, organisierte eine Veranstaltungsreihe zur politischen Lage in Lateinamerika (die jedoch unter polizeilicher Verwarnung suspendiert wurde) und gab Zeichenunterricht in den informellen Siedlungen von Buenos Aires. Zugleich gründete sie ein Unternehmen und stellte fortan Kunststoffmöbel her – ganz zum Missfallen einiger ihrer Weggefährt*innen. Die Künstlerin Lea Lublin beispielsweise stand Paksas Wechsel von der Kunst zum Kommerz höchst kritisch gegenüber und kommentierte in einem Brief: „Margarita Paksa kämpft mit ihren eigenen Widersprüchen, will keine Kunstwerke für den bürgerlichen Konsum schaffen, produziert aber Möbel aus Plexiglas.“ Auch der Kritiker Jean Clay, der Paksa anlässlich einer Reise nach Argentinien kennengelernt hatte, dürfte wenig Gefallen an ihrem Kurswechsel gefunden haben. Clay predigte zu dieser Zeit eine Abkehr vom System der Objekte und forderte eine „wilde Kunst“, die sich der Zähmung durch den Kunstmarkt und privatwirtschaftlichen Interessen widersetzen würde. Doch wie so viele verkannte auch er, dass er nur aus einer privilegierten Position heraus derart argumentieren konnte. Das fehlende Bewusstsein für ökonomische Zusammenhänge machte ihn blind für die Realität vieler Kunstschaffenden, die auf ein Einkommen angewiesen waren. Paksa selbst legte rückblickend ihre Beweggründe für das kommerzielle Umsatteln pragmatisch dar und wies darauf hin, dass sie als Künstlerin einer prekären Zukunft entgegensah, nachdem sie sich von sämtlichen Ausstellungen zurückgezogen hatte. Noch heute wirken aber Fehlvorstellungen politischer Kunst nach und trüben den Blick auf engagierte Praktiken, die stiller und komplexer sind als laute Aufrufe zur großen Verweigerung. Der Rückzug aus der Kunst, so mahnt uns das Beispiel von Paksa, ist ebenso eine Frage von Privilegien.
In den gängigen Narrativen solcher Rückzüge fehlen auch stets die unzähligen Namen derer, die aufhören mussten, bevor sie überhaupt erst richtig begonnen hatten: all derer beispielsweise, die es sich nicht leisten konnten, Kunst zu studieren, weil sie nicht auf familiäre Unterstützung zählen und ebenso wenig auf ein regelmäßiges Einkommen verzichten konnten; all derer, die sich vom strukturellen Rassismus und Sexismus an Kunstschulen, im Ausstellungsbetrieb und auf dem Kunstmarkt entweder von vornherein ausgeschlossen oder völlig desillusioniert sahen; all derer, für deren Beeinträchtigungen und chronische Krankheiten die neoliberale Kunstwelt keine Rampe, keine Übersetzung in Gebärdensprache, keine Steckdose für Wärmedecken und schon gar keine Geduld bereit hatte. Wer nicht als weißer, heterosexueller, wohlhabender Cis-Mann ohne Behinderung in einer westlichen Metropole lebte, konnte nicht unbedingt darauf zählen, überhaupt jemals die Aufmerksamkeit der Kunstwelt zu bekommen, die Voraussetzung für einen wirksamen Rückzug aus der Kunst war. Für Arthur Rimbaud, Ludwig Wittgenstein und Marcel Duchamp jedenfalls bedeutete die jeweilige Abkehr von der Dichtung, der Philosophie und der Kunst nicht die Aufhebung ihrer vorherigen Arbeit, sondern verlieh ihr vielmehr rückwirkend eine besondere Autorität und unanfechtbare Ernsthaftigkeit, wie Susan Sontag treffend in The Aesthetics of Silence bemerkte. Letztlich zielten ihre Rückzüge darauf ab, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren, denn sie implizierten, so Sontag, dass „der Künstler [sic] den Scharfsinn hatte, mehr Fragen zu stellen als andere Menschen“ und zudem über „stärkere Nerven und höhere Exzellenzansprüche“ verfügte. Einen solchen Entschluss konnte nur fassen, wer bereits eine gewisse Autorität geltend gemacht hatte. Wie effektiv ist aber ein Streik, wenn niemand merkt, dass du nicht zur Arbeit erschienen bist?
So wie Posenenske rang auch Adrian Piper um die gleiche Zeit mit der Untauglichkeit von Kunst als politischem Werkzeug. Veranlasst durch eine Reihe von Ereignissen im Frühjahr 1970 – namentlich die US-amerikanische Invasion in Kambodscha, die Frauenbewegung, die tödlichen Schießereien an den Universitäten Kent State und Jackson State sowie die Schließung des City College of New York, wo Piper Philosophie studierte –, entschloss auch sie sich zum Rückzug und reichte folgende Erklärung als Beitrag zur Ausstellung „Conceptual Art and Conceptual Aspects“ ein:
„Das ursprünglich für diesen Raum vorgesehene Werk ist zurückgezogen worden. […] Ich präsentiere seine Abwesenheit als Beweis für das Unvermögen des künstlerischen Ausdrucks, unter anderen Bedingungen als denen des Friedens, der Gleichheit, der Wahrheit, des Vertrauens und der Freiheit eine sinnvolle Existenz zu haben.“
In ihrem autobiografischen Essay Talking to Myself (1970–1973) sinnierte Piper rückblickend, sie habe eine Auszeit gebraucht, um über ihre Stellung „als Künstlerin, als Frau und als Schwarze“ zu reflektieren. Sie kam aber auch zu dem pragmatischen Schluss, dass sie kaum über genügend Macht verfügte, um einzig durch den Rückzug aus Ausstellungen oder die Unterzeichnung von Petitionen etwas bewirken zu können.
Pipers zeitweiliger Rückzug vergegenwärtigt nicht zuletzt die Notwendigkeit, Strategien des Widerstands aus einer intersektionalen Perspektive zu betrachten. Allzu oft sind Gesten des Protests von einem emanzipatorischen Gedanken geleitet, bleiben aber rassistischen, sexistischen und ableistischen Mechanismen verhaftet. So kam es beispielsweise, dass sich Robert Morris und andere Kunstschaffende 1970 unter dem Motto eines Kunststreiks gegen Rassismus, Sexismus, Unterdrückung und Krieg aus der Venedig-Biennale zurückzogen und eine Gegenveranstaltung planten. Ihre sogenannte Liberated Biennale sah jedoch ursprünglich nur die Beteiligung der offiziell nach Venedig eingeladenen, ausschließlich weißen und männlichen Künstler vor – hätte also letztlich ihre Dominanz auf Kosten derer bestärkt, für die sie vermeintlich protestierten. Wie Faith Ringgold im Rückblick bemerkte, bestand der unausgesprochene, aber eigentliche Zweck des Art Strike darin, „weißen männlichen Superstars eine Plattform für ihre Proteste gegen den Krieg in Kambodscha zu bieten“. Auf Druck von Ringgold, Michele Wallace und anderen Mitgliedern der hastig zusammengerufenen Women Students and Artists for Black Art Liberation wurde die „Befreite Biennale“ tatsächlich befreit und stand am Ende allen zur Teilnahme offen; doch die Beobachtung von Wallace, dass die westliche Kulturavantgarde damals gegen Rassismus und Sexismus protestierte und die weiße männliche Hegemonie erkannte, sich aber dennoch nicht davon zu lösen vermochte, klingt auch heute bitter nach.
Viele der Fragen, über die in den 1960er und 1970er Jahren heftig diskutiert und gestritten wurde, haben nichts an Aktualität eingebüßt. Während die Institutionen der Kunst vor dem Hintergrund globaler Protestbewegungen zunehmend unter Druck geraten und die Rufe immer lauter werden, Museen zu dekolonisieren, stellt sich gerade für politisch informierte Kunst- und Kulturschaffende die Frage: Wo stehe ich mit meiner Kunst? Welche Kompromisse bin ich bereit, einzugehen, um meine Botschaft zu überbringen? Wie lassen sich systemkritische Inhalte mit privatwirtschaftlicher Finanzierung vereinbaren? Dient meine Arbeit der Legitimierung von Geschäften, die unter ausbeuterischen Bedingungen zustande kommen und soziale Ungleichheit (re)produzieren?
Sollte ich nicht aussteigen?
Im März 2020 veröffentlichte Paul Maheke einen viel diskutierten offenen Brief unter dem Titel „Das Jahr, in dem ich aufhörte, Kunst zu machen. Warum die Kunstwelt Künstler*innen jenseits der Repräsentation unterstützen sollte; in Solidarität“. In der ersten Person erzählend, springt Maheke durch Zeit, Raum und Identitäten und schildert die vielfältigen Gründe, die zum unfreiwilligen Rückzug aus der Kunst führen können. Seine intime Erzählperspektive, die zwischen Körpern und Kontexten fluktuiert, wird dabei zum eindringlichen Mittel einer verkörperten Solidarität. Nicht erst mit der globalen Pandemie setzte die Ungerechtigkeit des Kunstsystems ein, erinnert uns Maheke in seinem Brief – und doch mahnt der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung daran, dass sich in diesem Zusammenhang bereits prekäre Zustände drastisch zugespitzt haben.
„Ich fühle mich im Moment nicht danach, Kunst zu machen“, spricht auch Jesse Darling im Voiceover eines poetischen Videoessays, das während der zweiten Infektionswelle entstand. Vielmehr schien der Moment gekommen zu sein, um innezuhalten, nachzudenken, anderen zuzuhören, statt selbst zu sprechen. Diese Unterbrechung sei jedoch nicht, wie Darling richtigstellt, mit einer generellen Arbeitsniederlegung gleichzusetzen. Nebst einem aufwendigen Mail-Art-Projekt, das gängige institutionelle Wege der Kunstdistribution umging und auf einer direkten Schenkökonomie basierte, verrichtete Darling vielfältige Formen der Arbeit, darunter die Fürsorge für Mitmenschen und sich selbst. Doch selbst heute – knapp 50 Jahre nach der internationalen Wages-for-Housework-Kampagne und trotz der inflationären Verwendung des Care-Begriffs in Ausstellungen und Sammelbänden – bleiben Tätigkeiten, die als reproduktiv gelten, meistens unsichtbar, weil sie noch immer nicht als Arbeit wahrgenommen oder anerkannt werden.
Verletzlichkeit anerkennen, sich fürsorglich engagieren: Die Frage „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kolleg*in?“ stellt sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mit einer neuen Dringlichkeit. Nichts ist neu an der grässlichen Polizeigewalt, die von Rassismus und Transphobie getrieben ist, oder an der neoliberalen Gesundheitsökonomie, die ausdrücklich in Kauf nimmt, dass vulnerable Personen auf der Strecke bleiben. Der Moment scheint aber gekommen zu sein, in dem eine kritische Masse erkennt, dass das Persönliche schon immer politisch war und dass das nicht „bloß“ ein feministischer Slogan ist. Vor diesem Hintergrund äußern viele Kulturschaffende zunehmend persönlich-politische Gründe, wenn sie sich zurückziehen, eine Pause einlegen oder ihre Teilnahme verweigern. Konkret lehnen sie beispielsweise ab, spezifische Formen der emotionalen Arbeit weiter unbezahlt zu verrichten, oder wehren sich gegen den Leistungsdruck der befremdlich professionalisierten Kunstwelt und fordern Verständnis dafür, dass sie limitierte Energiebestände haben. Im Unterschied zum Kunststreik und den bisweilen machohaften Tendenzen der Arbeitsniederlegung ist es vielleicht endlich an der Zeit, den Begriff der Arbeit selbst zu überdenken.
Charlotte Matter ist Kunsthistorikerin. Sie lehrt an der Universität Zürich und koordiniert den Masterstudiengang Kunstgeschichte im globalen Kontext.
Image credits: 1. Courtesy of Claire Fontaine und T293, Rom, Foto: Roberto Apa; 2. © Basis-Film Verleih, courtesy of Deutsche Kinemathek; 3. Courtesy of the Estate of Charlotte Posenenske und Galerie Mehdi Chouakri, Berlin; 4. © Marie Orensanz, courtesy of Alejandra von Hartz Gallery; 5. © and courtesy of Generali Foundation Collection, Dauerleihgabe des Museum der Moderne Salzburg; 6. Jesse Darling
Anmerkungen