Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

SHOWROOM DUMMIES: IT IS (NOT QUITE) WHAT IT IS Christian Höller über Heimo Zobernig im mumok, Wien

„Heimo Zobernig“, mumok, Wien, 2021, Ausstellungsansicht

„Heimo Zobernig“, mumok, Wien, 2021, Ausstellungsansicht

Kontextreflexivität bestimmt das Werk von Heimo Zobernig. Dabei sind es nicht nur skulpturale, sondern seit einigen Jahren vermehrt auch malerische Gesten, mit denen er das Vokabular der Minimal Art eigentümlich vergröbert. Neben dem Einsatz von Industriematerialien wie Sperrholz und Styropor sind es vor allem Strategien der Vereinfachung, Wiederholung und kleinen Abweichung, die Zobernigs selbstbezügliches Spiel mit vertrauten Zeichen und Mustern ausweisen. Diese Werklogik war auch für seine Retrospektive im Wiener mumok programmatisch: Bezug nehmend auf Gerrit Rietvelds Sonsbeek-Pavillon von 1955 verortete das von Zobernig gestaltete Display die gezeigten Arbeiten auch innerhalb von dessen Œuvre, womit sich der Künstler, wie Christian Höller argumentiert, nahezu selbst übertroffen hat.

Dem Ganzen noch eins draufsetzen. Dies mag die Maxime seitens des Wiener mumok gewesen sein, knapp 20 Jahre nach der groß angelegten „Mid-career survey“ von Heimo Zobernig [1] im heurigen Jahr erneut eine Retrospektive zu veranstalten. Stand 2002 das vielgestaltige Werk des Künstlers von Beginn der 1980er Jahre bis zur Jahrtausendwende im Mittelpunkt, so war der Fokus diesmal, zeitlich wie inhaltlich, verschoben: zeitlich auf die Phase nach der ersten mumok-Schau; inhaltlich auf „Painting“ bzw. „Sculpture“, wie Ankündigung und Katalogcover etwas tongue-in-cheek-mäßig wissen ließen (augenzwinkernd deshalb, weil Malerei und Skulptur bei Zobernig niemals pur zu haben sind, sondern stets innerhalb umfassenderer medialer Konstellationen situiert sind). Genauer war auf den Drucksorten gleich dreimal „Painting“ und zweimal „Sculpture“ zu lesen, auch das eine ironische Konterkarierung der von mumok-Direktorin Karola Kraus selbstverantworteten – höchst metikulösen – Kuratierung. [2]

Das mit dem Draufsetzen nahm Zobernig beim Wort. So platzierte er auf dem weißen Kubus, den er 2002 in die Ausstellungsebene zwei des mumok implantiert hatte, um so einen Durchgang und zusätzliche Ausstellungsfläche in den eher beengten Räumlichkeiten zu schaffen, einen „schwarzen Würfel“. Eine Black Box, die uneinsehbar von außen (und nur vom Treppenhaus aus sichtbar) schräg auf dem weißen Verbindungsgang thronte, als müsse dem Inbegriff der Moderne sein Anderes, ja, sein gegenteiliges Pendant in Erinnerung gerufen werden. Dabei geht der schwarze Monolith, bestehend aus grob lackiertem schwarzem Karton, auf das Jahr 1992 zurück, als Zobernig noch primär mit dem Unterlaufen und „Deflationieren“ des überkommenen Minimal-Repertoires (Karton und Pressspan statt Beton und Blei) befasst war. Als mottohafte Setzung in der 2021er Ausstellung hätte dies aber emblematischer nicht sein können. Geht es in den neueren Arbeiten doch vorrangig darum, eindeutige Bezugsgrößen – Malerei, Skulptur, Möbel etc. – auf den in sie eingelassenen „Gegensinn“ zu untersuchen, ja, das Sperrige darin, das ihrer klaren Kategorisierung Zuwiderlaufende zum Vorschein zu bringen.

Der eigentliche Parcours, lose angelehnt an Gerrit Rietvelds Sonsbeek-Pavillon aus dem Jahr 1955, führte dies anhand einer Art Greatest-Hits-Kompilation der letzten 20 Jahre eindrucksvoll vor Augen. Gute Sampler zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht einfach Hit an Hit reihen, sondern innerhalb dieser Serialität selbst noch einmal eine mehrwertige Dramaturgie zu inszenieren verstehen. Zobernig beherrscht dieses Re-Editing inzwischen souverän wie kaum ein anderer – was sich darin äußert, dass die höchst unterschiedlichen (und aus komplett divergenten Kontexten stammenden) Einzelarbeiten hier ein erweitertes, in sich verzahntes Ensemble bilden, als seien sie immer schon auf diesen gemeinsamen, sie einenden und zugleich der Differenz Raum gewährenden Zusammenhang hin entworfen worden. In vormodernistischer Diktion hätte man gesagt, die Zusammenstellung sei „aus einem Guss“, was Blödsinn ist, da bei so gut wie jedem Einzelobjekt mehrere „Güsse“, mehrere Fluchtlinien einander überlagern: Das Spezifische, sei es der neueren Gemälde oder der Regalskulpturen, resultiert mithin genau aus dieser inneren Gegenläufigkeit.

Heimo Zobernig, „Ohne Titel“, 2014

Heimo Zobernig, „Ohne Titel“, 2014

Und doch ist der Ausstellung eine gewisse einende Gesamtanmutung nicht abzusprechen. Der räumlichen Display-Gliederung kommt dabei höchste Wichtigkeit zu. Grob gesprochen besteht sie (vom Eingang weg betrachtet) aus drei Raumfluchten, mit zwei ergänzenden bzw. verbindenden Querachsen sowie zwei auf Anhieb verborgenen Seitenschiffen. Die drei Fluchten entfalten jede für sich eine elegant reduzierte, auf das Nötigste heruntergebrochene Spannungswirkung. Im ersten Schlauch etwa, ganz links, geschieht dies durch die Kombination aus einem neueren Skulpturenduo (einem kruden, bleigegossenen Kopf und einem verrenkten Arm auf einem Sockel, 2020) mit einer Malerei aus dem Jahr 2011 (darauf zu sehen sind die zart verblassenden Worte „LOVE LIVING SCULPTURE“ sowie zwei darüber laufende Barnett-Newman-artige rote „Zips“); dahinter platziert sind eine die Wand durchbrechende Sitzbank und eine leere Displaywand, die partiell Einblick in die wiederum dahinter befindliche „Malereikammer“ [3] gewährt. Die Mittelachse bildet ein „Schachbrettraum“, in allen Facetten des Wortes, ausschließlich schwarz und weiß gehalten, mit einem in die Horizontale verfrachteten Wandelement (mit Bezugnahme auf eine Theateraufführung des Regisseurs Ingmar Bergman aus den 1950er Jahren). Die rechte Raumflucht schließlich besteht aus einer Kombination von 13 in Serie, ohne Zwischenraum gehängten Mosaik- bzw. Pixelbildern, entstanden zwischen 2014 und 2021, sowie einem den Raum der Länge nach teilenden zickzackförmigen Paravent, bespannt mit semitransparenter Sprinklergaze (eine Hommage an Stano Filkos, Miloš Lakys und Ján Zavarskýs bahnbrechendes White Space in White Space-Projekt aus den 1970er Jahren [4] ). All das klingt kompliziert und schwerst referenzlastig, ist jedoch so geschmeidig abgemischt, dass man den Versatzstücken die Schwere ihrer Herkunft nicht mehr ansieht.

Ein Paradebeispiel dafür sind die Monochrome (nebst anderen Ansätzen modernistischer Malerei), deren nicht totzukriegender Widerspenstigkeit sich Zobernig seit gut 20 Jahren in immer neuen Anläufen widmet. Der „Idealisierung“ entgegenzuwirken, die dem Monochrom in Sachen Farbfeldwirkung und purer Selbstbezüglichkeit lange Zeit angedichtet wurde, hat der Künstler einmal seinen diesbezüglichen Ansatz umschrieben. [5] In der Ausstellung findet man ausgewählte Highlights dieses Zugangs, etwa eine auf der Rückseite einer mobilen Stellwand platzierte braune Acrylmalerei, aus der sich gleichsam skulptural das Wort „SCULPTURE“ herausschält (2010). In der hintersten Raumecke wiederum hängen zwei miteinander „kuschelnde“, mit Interferenzfarben gemalte „Selbsterklärer“ (beide 2014): das eine (grüne) mit der Aufschrift „THIS NEW MONOCHROME PAINTING“, das andere (blaue) mit den chemischen Formeln von Titan und Zinnoxid sowie weiteren Herstellerangaben, die aber nur bedingt die sich je nach Betrachter*innenposition verändernden Leucht- und Farbwirkungen erklären. Nomineller Selbstbezug als Finte, könnte man folgern, zumal hier in erster Linie einer gewissen Störrigkeit und Selbstüberschreitung des Monochroms Ausdruck verliehen wird.

„Heimo Zobernig“, mumok, Wien, 2021, Ausstellungsansicht

„Heimo Zobernig“, mumok, Wien, 2021, Ausstellungsansicht

Ähnliches lässt sich auch für die Serie modifizierter Billy-Regale – der vorderen Querachse der Ausstellung – konstatieren. Das 1978 eingeführte Möbelstück, etwa gleichalt wie Zobernigs Künstlerkarriere, führt lange schon ein renitentes Eigenleben im Werk des Künstlers, unablässig zwischen Alltagsgegenstand, Readymade, Displayelement und autonomer Selbstbehauptung changierend. Für das mumok wurden fünf aktuellere Varianten ausgewählt, eine etwa „geteert und gefedert“ (mit echten Daunen), worin sich indirekt ein Verweis auf rassistische Foltermethoden ausdrückt, in diesem Fall an einem harmlosen Möbelstück exerziert. Auch das eine List, die sich in Zobernigs Werk immer wieder in formbetonten Understatements bei gleichzeitiger maximaler Aussagekraft artikuliert. Als letztes in der Reihe steht eine grotesk deformierte, in das Billy-Regal regelrecht hineingefetzte Gipsfigur mit Resten von Arbeitskleidung (Blaumann!) und übermächtigem Phallus, ein ironischer Fingerzeig auf die vermeintlich hohe maskuline Potenz der gestischen Abstraktion.

Gendermäßig fluider geht es bei den vier Schaufensterpuppen zu, die im zweiten Seitenschiff den figurativen Pol – und Abschluss – der Schau bilden. Zwar sind die Dummies – Zobernig arbeitet seit 2002 mit diesem stets auch ein wenig unheimlichen Behelf menschlicher Figuration – zum Teil dem Körper des Künstlers nachgebildet. Doch markieren Schrammen am Kopf, Langhaarperücken, betont zierliche Posen, ein leicht zuckriger Anstrich oder ein derangiertes Billy-Regal als Sitzgelegenheit auch hier maximale Selbstdistanz. Oder besser gesagt: eine Kontrastierung jener unterkühlten Sachlichkeit, die schon 1977 von Kraftwerk in dem Song „Schaufensterpuppen“ auf den Punkt gebracht wurde. [6] Genau dieses Heraustreten aus zugeschriebenen Rollen, das dezente Aktivieren innerer Widersprüche und Sperrigkeiten, das nochmalige Eins-Draufsetzen auf bekannte Register und scheinbar perfekte Lösungen – all das hat Zobernig über die Jahre anhand vielfältigster Repertoires erprobt. Exzellent erprobt, wie die Greatest Hits Volume zwei im mumok nun eindrucksvoll unter Beweis stellen.

„Heimo Zobernig“, mumok, Wien, 19. Juni bis 17. Oktober 2021.

Christian Höller ist Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift Springerin – Hefte für Gegenwartskunst. Zuletzt erschienen u. a. Stano Filko, Miloš Laky, Ján Zavarský – White Space in White Space, 1973−1982 (hg. gemeinsam mit Daniel Grúň und Kathrin Rhomberg).

Image credit: 1. & 3. Georg Petermichl, ©mumok; 2. © Bildrecht, Wien 2021

Anmerkungen

[1]Vgl. die Besprechungen von Raimar Stange in Texte zur Kunst, 49, 2003, und Christian Kravagna in springerin 1/2003.
[2]Zobernig selbst sieht in der Replikationsfigur „Sculpture Sculpture Painting Painting Painting“ einen „Ausruf oder eine Zauberformel, eine Übertreibung oder eine Art Zirkelschluss meiner Argumentation“, wie er in einem Ausstellungsvideo des mumok kundtat; vgl. https://www.youtube.com/watch?v=KWSuWqaAvy4&t=6s.
[3]Die raumfüllenden Malereien darin (vier Gruppen aus je vier quadratischen Bildern) wären mit ihren gebrochenen Referenzen an Picasso, Mondrian, Warhol, Indiana und andere eine eigene Betrachtung wert, was aus Platzgründen hier leider nicht möglich ist.
[4]Vgl. Jan Verwoert, „Liebe zur Ontologie“; https://www.textezurkunst.de/articles/jan-verwoert-liebe-zur-ontologie/?highlight=verwoert.
[5]Heimo Zobernig anlässlich seiner Ausstellung im Indipendenza, Rom, 2015, zitiert im Katalog Sculpture Sculpture Painting Painting Painting, hg. von mumok, Wien, 2021, S. 256.
[6]„Wir steh’n herum / Und stellen uns aus … Wir blicken uns um / Und wechseln die Pose … Wir bewegen uns / Und wir brechen das Glas …“ (Musik & Text: Ralf Hütter, auf der Platte Trans Europa Express, Kling Klang / EMI Electrola 1977).