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BERLIN UPDATE 2.0 Susanne von Falkenhausen über die Besetzungspolitik der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Neue Nationalgalerie, Berlin

Neue Nationalgalerie, Berlin

Am 10. September 2021 beschloss der Rat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) unter der Leitung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters wichtige Leitungspositionen bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Für die Neue Nationalgalerie (mit dem künftigen Museum des 20. Jahrhunderts, dem Museum Berggruen und der Sammlung Scharf-Gerstenberg) wurde Klaus Biesenbach, vormaliger Direktor des Museum of Contemporary Art in Los Angeles (MOCA) und langjähriger Chief Curator at Large am Museum of Modern Art (MoMA) in New York, berufen; für den Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart fiel die Wahl auf die assoziierten Kuratoren am Berliner Gropius Bau und Gründer der multidisziplinären kuratorischen Plattform Art Reoriented Sam Bardaouil und Till Fellrath. Wie diese Entscheidungen im weiteren Feld einer von Sponsoring und „Mäzenat*innentum“ bestimmten Museumspraxis einzuschätzen sind, diskutiert Susanne von Falkenhausen.

Im Juni 2014 erschien Heft Nummer 94 von Texte zur Kunst unter dem Titel „Berlin Update“, für das ich ein Statement zur Sammlungs- und Ausstellungspolitik Udo Kittelmanns beigetragen hatte. Ein Blick zurück ist aufschlussreich. Im Vorwort des Heftes hieß es: „Offiziell punktet Berlin weiterhin mit ihrer Ökonomie, […] den intensiven Debatten, die hier angeblich geführt werden, und einer bohemistische Aura. Aber beruhen diese Versprechen nicht auf dem Stand der 1990er und Nullerjahre, der inzwischen der Vergangenheit angehört?“ [1] Das passt wie angegossen zur Berufung von Klaus Biesenbach auf den Leitungsposten der Neuen Nationalgalerie und des Museums des 20. Jahrhunderts in diesem September.

Was qualifiziert ihn nun also für die Leitung der beiden Nationalmuseen? Sein Ruf als Ausstellungsmacher? Der war bereits 2015 angekratzt, als ihm ein „lack of curatorial oversight“ bescheinigt wurde. [2] Dass sich seine Kunstauffassung in den 1990er Jahren in Berlin ausgebildet hatte, als er die Berlin Biennale und die Kunst-Werke e.V. mit gründete? Ein leicht zu kapitalisierender Begriff für den Kurator*innen-Speak jener Jahre, Nicolas Bourriauds „Relationale Ästhetik“, gekoppelt mit einer ebenfalls kapitalisierten Version von Beuys‘ „Sozialer Plastik“ boten damals die Reizwörter, die auch heute noch Biesenbachs Rhetorik grundieren. Er hatte und hat jedenfalls die Kompetenz, Partizipation, Offenheit, Interdisziplinarität neoliberal und prä-postkolonial umzudeuten (das war im Übrigen schon zu Zeiten der ersten Berlin-Biennalen der Fall); und vielleicht macht ihn ja auch das, abgesehen von seiner Twitter-Prominenz, für Politiker*innen attraktiv. Diese Berufung wäre dann nicht nur ein Symptom dafür, dass sich die Museen „mit dem Repräsentationsbedürfnis der Politik zu arrangieren haben“ [3] , sondern könnte zudem als ein bedenkliches Symptom dafür gelesen werden, dass die Staatlichen Museen für ihre Häuser, die den Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts er- und bezeugen, jene Neoliberalisierung fortsetzen wollen, die mit dem Einzug privater Sammlungen begann. Mein Kommentar 2014: „Durch die Sponsoring-Struktur, die ja in den 80er Jahren intensiv kritisch diskutiert wurde, kann heute nur gemacht werden, was von privater oder unternehmerischer Seite gefördert wird. Die öffentliche Hand […] ist machtlos gegenüber den privaten Geldern. Und während es in den USA etwa im MoMA ein Board of Trustees gibt, in dem immerhin noch eine Aushandlung zwischen den einzelnen privaten Geldgebern stattfindet, sind es in Berlin Einzelpersonen, die über ihre Sammlungen im Museum Einfluss auf die Strukturen und Inhalte der Kanonisierung ausüben. Insgesamt trägt dies alles dazu bei, das Museum als öffentliches Prinzip zu unterlaufen.“ [4]

Wieso muss ein*e Direktor*in der Neuen Nationalgalerie überhaupt Berlin-Kompetenzen haben, wie sie für Biesenbach hervorgehoben werden? Es handelt sich ja schließlich nicht um eine Berliner Kunsthalle, sondern um ein Museum auf Bundesebene, das sich zudem nicht mit Gegenwartskunst, sondern mit der Kunst des vergangenen Jahrhunderts befasst. Noch einmal lohnt ein Blick zurück ins Jahr 2014, als m.E. bereits offensichtlich war:

„Es gibt […] für die Kunst der Moderne und Gegenwart in den Häusern der Nationalgalerie weder eine kontinuierliche Arbeit mit den Sammlungsbeständen noch eine konsistente Ausstellungspraxis. Damit hängt zusammen, dass sich keine Kanonisierungsprozesse qua Filtern, Kuratieren und Zeigen entwickeln können – eine andere Kernaufgabe einer solchen Institution. […] Ein Museum, und gar eine Nationalgalerie, ist qua Institution der Endpunkt einer Kanonisierung. Wenn wir sie nicht wollten, müssten wir diese Institution abschaffen; alles andere wäre Heuchelei.“ [5]

Auch ein Kanon muss jedoch in Bewegung bleiben. Was dringend erforderlich ist, nämlich die Revision des seit 1945 festgefahrenen Kanons der westlichen Moderne, kann nicht durch eine Kunsthallisierung des Museums geleistet werden, schon gar nicht mit zu wenig wissenschaftlichem Personal, das zudem immer öfter unter Bedingungen des Prekariats arbeiten muss.

Mir geht ja der offenbar noch lange nicht überwundene Zwang, ständig die Berufung von Frauen in Leitungspositionen einklagen zu müssen, gegen den Strich. Dieser Zwang bringt mich in eine Position, die ich als unwürdig empfinde, dennoch, angesichts der augenblicklich mal wieder gehäuften Berufung von Männern für die Kulturinstitutionen Berlins: Wenn schon „international“, warum dann nicht Fachfrauen wie etwa Helen Molesworth für die Nationalgalerie bzw. Ute Meta Bauer oder Gabi Ngcobo für den Hamburger Bahnhof? Sie alle haben eine inhaltlich und fachlich konsistente Museums- bzw. Ausstellungspraxis vorzuweisen, kennen die Brennpunkte aktueller Diskurse und sind außerdem inklusionspolitisch ausgewiesen. Das würde internationale Aufmerksamkeit herstellen und gleichzeitig die provinzielle Berlin-Bezüglichkeit dieser nur vorgeblich international orientierten Berufung aushebeln.

Die Pressemitteilung des SPK preist Biesenbach für seine Erfolge im Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles – dafür, dass er eine Performancehalle geschaffen, die Digitalisierung des Museums vorangetrieben sowie den freien Eintritt für das Museum eingeführt habe. [6] Klingt dieser freie Eintritt nicht wie ein versehentlich gegebenes Versprechen (so ähnlich wie Schabowskis „Nach meiner Kenntnis ist das sofort.“, das die Öffnung der Mauer nach sich zog) von Bund und Ländern, welche die SPK finanzieren? Ach, wäre das schön! Denn das steht als Reformanliegen schon lange im Raum und würde die Museen nun wirklich verändern, vom Möchte-gern-Tourist*innen-Hotspot zu Orten, die, ganz jenseits aller Sozialromantik, allen Bürger*innen offenstehen, denen sie, da durch Steuern finanziert, ja letztlich gehören. Wenn die das in Großbritannien hinkriegen (dort haben alle Staatlichen Museen freien Eintritt in die Sammlungen, mit dem Effekt, dass es in ihnen, im Gegensatz zu den Museen der SPK, sehr lebhaft zugeht), warum dann nicht in Berlin? Ob freier Eintritt Teil des Konzepts war, mit dem Biesenbach sich beworben hat? Diesen Stein hätte er dann jedenfalls bei mir im Brett.

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Weniger „fragwürdig“ [7] ist die Berufung von Sam Bardaouil und Till Fellrath auf die Leitung des Hamburger Bahnhofs. Sam Bardaouil ist im Übrigen der einzige studierte „Fachmann“ der drei Nominierten. Allerdings fehlt ihm und Fellrath Museumserfahrung, denn beide kommen aus der globalen Kultur des nomadischen Kuratierens. Das heißt, dass sie tatsächlich polyglott sind und, insbesondere Bardaouil, Internationalität, die über die angloamerikanisch hegemoniale Lingua franca hinausgeht, sehr viel überzeugender darstellen können als Biesenbach es kann. Auch intellektuell sind sie überzeugender als Biesenbach, der sich eher als Macher, Netzwerker und Fundraiser aus (Kunst-)Leidenschaft geriert, mit der Folge, dass er seine kuratorischen Entscheidungen unbefleckt von (kunst-)historischem Wissen, ästhetischer Kompetenz oder fundierter Reflexion austoben zu können meinte, was in den USA nicht nur auf Gegenliebe stieß.

Inwieweit Bardaouils und Fellraths Kunstpolitik sich allerdings vom kulturellen Neoliberalismus unterscheidet, wird sich zeigen. Sponsorenfreundlich müssen sie, wie ja auch Biesenbach, als freie Kuratoren wohl sein, und das, nehme ich an, ist ganz im Sinne der Politik, die sich auf diese Weise weiterhin aus der Verantwortung und aus Personal- wie Ankaufsbudgets für die Staatlichen Museen zurückziehen kann. Lange schon sind aus Sponsor*innen Sammler*innen geworden, die unmittelbar Einfluss nehmen. So hat die öffentliche Hand zugelassen, ja, wurde durch ihr Zusammenstreichen von Ankaufsbudgets geradezu dazu gezwungen zuzulassen, dass die Sammler*innen ihre Strategien in den letzten beiden Dekaden immer stärker in Richtung eines „Mäzenat*innentums“ ausgeweitet haben, das an feudale Zeiten denken lässt (Ausnahmen wie die Sammlung Hoffmann bestätigen die Regel). Der Hamburger Bahnhof lebte lange wesentlich von privaten Sammlungen (Sammlung Marx, Flick Collection). Nach dem Weggang der Friedrich Christian Flick Collection im September 2021 bleiben die Schenkungen der 268 Arbeiten, die der Sammler 2008 und 2014 vorgenommen hat. Auch die Sammlung Marx verkündete jüngst, ihren Bestand an Werken von Joseph Beuys „über bestehende Leihverträge hinaus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dauerhaft zuzuwenden“ [8] . Generell werden in solchen Verbindungen die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sammlung obsolet, die steuerfinanzierten Kunstmuseen Spielorte „höfischer“ Repräsentation, aufgerieben zwischen der Einflussnahme von Mäzen*innen und Politik. Da wäre freier Eintritt das Mindeste, was die Steuerzahler*innen für die Mitwirkung der öffentlichen Hand an der Wertsteigerung dieser Sammlungen erwarten können.

Zur Zeit der Berufung von Udo Kittelmann, dem vormaligen Leiter des Kölnischen Kunstvereins, waren Kunsthallen und Kunstvereine, die aktuelle Kunst unabhängig von Sammlungsgeschichte(n) ausstellen, Rekrutierungsorte für Museumsleitungen. Heute ist, wie die Berufung von Bardaouil und Fellrath zeigt, das globale nomadische Kuratieren an ihre Stelle getreten, in Biennalen oder anderen zeitlich begrenzten Zusammenhängen. Hier haben die zukünftigen Leiter des Hamburger Bahnhofs ihre Kompetenz. Eines könnten sie deshalb vielleicht leisten, das unter Kittelmann nicht möglich war [9] : eine Anbindung des Hauses an aktuelle Diskurse, wie sie im sammlungsunabhängigen, projektisierten Kuratieren erprobt werden, indem sie eine Verbindung zwischen sammlungsbezogener, fachlich fundierter Museumsarbeit und dem aktuellen Kunstgeschehen sowie seinen Debatten herstellen.

Susanne von Falkenhausen ist Prof. em. für Neuere Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Moderne an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Image credit: 1. & 3. Fotos: David von Becker

Anmerkungen

[1]Philipp Ekardt/Isabelle Graw/Hanna Magauer, „Vorwort“, in: Texte zur Kunst, „Berlin Update“, 94, 2014, S. 4.
[2]Christian Viveros-Fauné, „MoMA curator Klaus Biesenbach should Be Fired Over Björk Show Debacle“, in: Artnet News, March 24, 2015; https://news.artnet.com/art-world/how-will-momas-bjork-debacle-impact-klaus-biesenbach-279582.
[3]Nicola Kuhn: „Udo Kittelmanns Rücktritt wirft ein Schlaglicht auf gravierende Probleme“, in: Der Tagesspiegel, 26.8.2019; https://www.tagesspiegel.de/kultur/staatliche-museen-in-der-krise-udo-kittelmanns-ruecktritt-wirft-ein-schlaglicht-auf-gravierende-probleme/24944096.html.
[4]Susanne von Falkenhausen, Statement zur Sammlungs- und Ausstellungspolitik der Berliner Nationalgalerie, in: Texte zur Kunst, „Berlin Update“, 94/2014, S. 89–97; https://www.textezurkunst.de/94/statement-zur-nationalgalerie/.
[5]Ebd.
[6]https://www.preussischer-kulturbesitz.de/pressemitteilung/artikel/2021/09/10/entscheidung-im-stiftungsrat-klaus-biesenbach-wird-direktor-der-neuen-nationalgalerie-und-des-museums-des-20-jahrhunderts.html.
[7]Raimar Stange, „Berliner Hausbesetzungen“, in: artmagazine, 13.9.2021; https://www.artmagazine.cc/content116799.html.
[8]https://www.preussischer-kulturbesitz.de/pressemitteilung/artikel/2021/09/09/gedenkfeier-fuer-erich-marx.html.
[9]Vgl. dazu ausführlicher Susanne von Falkenhausen: „Statement zur Sammlungs- und Ausstellungspolitik der Berliner Nationalgalerie“.