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BEWEGTE KUNST Christopher Weickenmeier über David Medalla im Bonner Kunstverein

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

Der 2020 verstorbene Künstler David Medalla ist vor allem für sein vielgestaltiges Werk bekannt, das von Zeichnungen, Gemälden und Collagen über Skulpturen und kinetische Kunst bis zu Impromptu-Performances und partizipativen Arbeiten reicht. Medalla studierte Literatur und Philosophie, reiste 1960 von den Philippinen nach Europa und schloss sich dort unterschiedlichen Performancekollektiven und aktivistischen Gruppen an. Eine solche Politik des Zusammenlebens und -arbeitens war auch richtungsweisend für seine erste umfassende Werkschau in Europa, die noch bis Sonntag im Bonner Kunstverein zu sehen ist. Dass das auf Unabgeschlossenheit angelegte Werk Medallas bisweilen seiner Musealisierung zuwiderläuft, macht ihn, wie der Autor und Kurator Christopher Weickenmeier argumentiert, umso mehr zu einem Pionier der ephemeren Künste.

Die Retrospektive des philippinischen Künstlers David Medalla im Bonner Kunstverein beginnt umständlich: Eine quer verlaufende Ausstellungswand versperrt den Weg und verbirgt den Blick auf die Räumlichkeiten dahinter. Nur ein geöffnetes Fenster in einem Durchbruch der Wand gibt den Blick auf ein Schiffsmodell (Titel unbekannt, 2017) frei, das dank seiner effektvollen Platzierung zur dominanten Metapher für die Ausstellung und den Modus ihrer Besichtigung gerät: eine Ausstellung, die die nahezu ununterbrochene Bewegung des global agierenden Künstlers Medalla insofern nachahmt, als sie die Besucher*innen durch dessen ausuferndes Werk lotst und dabei auf konventionelle Orientierungshilfen wie Chronologie und Wandtexte verzichtet. Richtungsweisend ist vor allem die aufwendige Ausstellungsarchitektur (Michael Kleine), die die Besucher*innen stets auf Umwege schickt und verschiedene – durchaus buchstäbliche – Herangehensweisen forciert. Die soziale Durchlässigkeit und Spontaneität von Medallas Praxis wird hier nicht in das Begegnungspotenzial eines öffentlichen Ausstellungsraums übersetzt. Vielmehr produziert die räumliche Verschachtelung auffällig intime Begegnungen mit Medallas Werken, die die affektive Wirksamkeit seiner ephemeren Arbeiten fokussiert. Die im Titel „Parables of Friendship“ angeführte Freundschaft bleibt hier Ideal, ihre Realisierung eine flüchtige Errungenschaft.

Für die Ausstellung haben die Kurator*innen Fatima Hellberg und Steven Cairns eine eklektische Auswahl von Medallas Arbeiten zusammengetragen. Neben einigen seiner Malereien und einer seiner bekannten kinetischen Skulpturen, Cloud Canyons (2021), finden sich hier Dokumentationen seiner Impromptu-Performances sowie einige seiner Neon-Installationen, Zeichnungen, Tagebucheinträge, Masken, Collagen und Poster. Seine wunderkindverdächtige Biografie – 1941 in Manila geboren wurde Medalla mit 14 Jahren an der Columbia University angenommen, und als er noch nicht einmal 30 war, zählten Marcel Duchamp und Gaston Bachelard zu seinen Fans – ist eng mit einer dekolonialen Auseinandersetzung mit der europäischen und nordamerikanischen Moderne verknüpft. Von dieser frühen Faszination, im Besonderen von Arthur Rimbaud, zeugen auch die klassischen, fast schon romantischen Zeichnungen (The Skull of Rimbaud, 1962), kleine figurative Malereien, die an der Rückseite der oben erwähnten Wand angebracht sind. Neben dem homoerotischen Pathos der idealisierten Männerdarstellungen offenbart der Einsatz von Briefumschlägen, Papptellern und Eierkartons als Alternativen zur klassischen Leinwand Medallas campen Humor.

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

Im Hauptraum besteht die Ausstellungsarchitektur aus modular verschränkten Räumen, in denen die Kurator*innen Medallas Arbeiten zu Werkgruppen verdichten. Ähnlich wie die geöffneten, hölzernen Transportkisten, in denen die mit Bruce Nauman verwandten Neon-Installationen in einem der Nebenräume ausgestellt sind, weckt die Architektur Assoziationen an jene Lager und Archive, in denen die Besucher*innen das noch unerschlossene Werk Medallas vermuten können. Die materiell und technisch stets variierte Präsentation der einzelnen Arbeiten mutet theatral an und aktualisiert so ihre Restperformativität. Einige Masken Medallas, die er oft aus vorgefundenen Materialien wie Magazinen und Werbeprospekten anfertigte und auch in seinen Performances häufig verwendete, sind so installiert, dass die auf die dahinterliegende Wand geworfenen Schatten maßgeblich in die Arbeit hineinwirken. Dieser kuratorische Inszenierungswille mag aus Medallas künstlerischer Praxis abgeleitet sein, die an seine Person als performatives Medium rückgebunden war. Dabei scheint es ihm weniger um die Domestizierung postdramatischer Realitätseffekte im Sinne einer strategischen Vermengung von Biografie und Fiktion gegangen zu sein als um die Spontaneität und Singularität von ästhetischen Erfahrungen.

Medallas Verschränkung von Leben und Kunst lässt sich nur schwer mit derjenigen der historischen Avantgarden vergleichen: Zu flüchtig und undurchdringlich ist sein referenzieller Überbau und zu idiosynkratisch sein commitment to the bit, wobei das besagte bit vor allem aus einer andauernden Deterritorialisierung der eigenen Subjektivität zu bestehen scheint, einer kultivierten Offenheit für die „zufälligen und willkürlichen Ereignisse des Seins“, die Medalla weder psychologisch noch identitätspolitisch ordnete. [1] Diese permanente Bewegung treibt auch jene Automatisierungsverfahren an, die seine kinetischen Versuchsanordnungen, wie Cloud Canyons, mit Sinn versorgen. Die Arbeit besteht aus unterschiedlich hohen Acrylröhren, die aus einem weißen, runden Plateau wie Stalagmiten emporragen und aus denen unentwegt Seifenblasen hervortreten, sich auftürmen und wieder in sich zusammenfallen. Neben dieser minimalistisch anmutenden Arbeit fällt die ästhetische Nüchternheit einer Serie von Protest-Postern auf, die Medalla Anfang der 1970er Jahre als Protest gegen den philippinischen und von den USA protegierten Diktator Ferdinand Marcos anfertigte und auf denen er mit handschriftlichen Slogans das faschistische Regime anklagte. Medalla selbst unterschied qualitativ nicht zwischen den oft spontanen, formal improvisierten Protestaktionen und seiner Kunst. [2] Dieser Kontinuität zwischen ästhetischer und politischer Praxis liegt Medallas „synoptischer Realismus“ zugrunde, der marxistische Ideologiekritik, naturwissenschaftliche Erkenntnisse und die Evidenz von Träumen und spirituellen Erfahrungen miteinander kombinierte. [3]

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 2021-22, Ausstellungsansicht

Der in der Ausstellung wiederholt thematisierte Produktionsprozess – von der Planung und dem Entwurf über die Performance bzw. Ausstellung bis hin zur Dokumentation – eröffnet mit Blick auf Medallas vielleicht bekannteste Arbeit, A Stitch in Time, die affektive Dimension seiner künstlerischen Praxis. Ausgestellt in zweifacher Ausführung – einmal in seiner musealisierten Form von 1981–1982 im Hauptraum und einmal als partizipative Installation im Foyerbereich des Kunstvereins – besteht A Stitch in Time aus einer Stoffbahn und der Einladung an die Besucher*innen, diese zu besticken. Anlass zu dieser Arbeit war ein Stofftaschentuch, das Medalla einem Liebhaber geschenkt hatte und das dieser und danach weitere Männer bestickt hatten. In den frühen Nullerjahren gab es in der queeren Theoriebildung eine Perspektivverschiebung auf Fragen der Zeitlichkeit. Queeres Begehren wurde hier im Sinne eines Potenzials zur Überschreitung der politischen Gegenwart definiert. [4] A Stitch in Time erforscht Phänomene der Überzeitlichkeit und der Transgression in entschieden affektiver Perspektive. So fungiert der Akt des Bestickens gleich einer „queeren historischen Berührung“ und verdinglicht den raumübergreifenden wie augenblicklichen Bezug zwischen Körpern jenseits ihrer symbolischen Darstellbarkeit. [5] Nicht zuletzt in Zeichnungen wie CON → TACT – VOLUME ONE, NUMBER ONE (undatiert), das die Berührung zweier Fingerspitzen im Zoom zeigt und mit dem Pfeil im Titel den Moment des Kontakts auch als solchen markiert, wird die Berührung in ihrer Affektivität und Nichtregulierbarkeit als zentrales Anliegen Medallas erfahrbar.

Im letzten, abgedunkelten Raum ist einzig die kleinformatige Fotocollage Bambi Shitting Dollars (1989) angestrahlt. Die Collage besteht aus einem Foto des Künstlers, der eine Darstellung der Disneyfigur Bambi in der Hand hält und die er für eine gleichnamige Performance so präpariert hatte, dass Besucher*innen durch einen Schlitz auf Höhe von Bambis Hintern dem Künstler Geld spenden konnten. Entstanden in einem Moment akuter Geldnot gerinnt die Zweckmäßigkeit der Arbeit zwar nicht zu ihrem Grund, veranschaulicht aber den ökonomischen Preis einer ruhelosen Praxis, die sich einer institutionellen und kommerziellen Aufwertung weitgehend entzog. Unweigerlich wirft der letzte Raum damit die Frage auf, wie sich Medallas auf Unabgeschlossenheit angelegtes Werk mit dessen Musealisierung verträgt. Eine mögliche Antwort gibt der Künstler selbst: Seine zeitlich begrenzte Beteiligung an diversen Initiativen und Organisationen, wie der einflussreichen Signals Gallery (1962–1964), der Gruppe Artists for Democracy (1974–1977) und der Gründung der London Biennale (2000), wirken im Nachhinein ganz so, als ob er sich weniger für eine Verstetigung durch Institutionalisierung interessierte als für die kurzfristige Notwendigkeit und praktische Effektivität ihrer Organisationsform: Warum eine Institution reformieren, wenn man eine neue gründen kann?! „Institutionen wandeln sich zwar, aber sie brauchen länger“, so Medalla, der diese Dauer stets anders zu nutzen wusste. [6]

„David Medalla: Parables of Friendship“, Bonner Kunstverein, 18. September 2021 bis 30. Januar 2022.

Christopher Weickenmeier ist Kurator und künstlerischer Leiter der Klosterruine Berlin.

Image credits: Photos Mareike Tocha; courtesy: private collection

Anmerkungen

[1]David Medalla, „Some Reflections on the Random in Art und Life“, unveröffentlichter Text, Rotterdam, zitiert in: Guy Brett, Exploding Galaxies. The Art of David Medalla, London 1995, S. 19.
[2]Eine gut dokumentierte Protestaktion fand 1969 statt, als er während der Eröffnung des Cultural Center of the Philippines den Besuch von US-Präsident Ronald Raegan bei Ferdinand Marcos zum Anlass nahm, ein Protestplakat mit der Aufschrift „A BAS LA MYSTIFICATION! DOWN WITH THE PHILISTINES!“ hochzuhalten. Kritiker*innen der Aktion antwortete Medalla noch am selben Abend: „I am a guest here, and I have come to exhibit a work of art!“ (Jose F. Lacaba, „,Down with Philistines!‘: David Medalla’s Protest at the 1969 CCP Opening“ , CNN, gesehen am 20.01.2022).
[3]David Medalla, in: A Fruitful Incoherence: Dialogues with Artist on Internationalism, hg. von Gavin Jantjes/Rohini Malik/Steve Burz/Gilane Tawadros, Iniva 1998.
[4]In diesem Sinne postulierte Lee Edelman beispielsweise die Absage an den, vom Kind symbolisch verbürgten, „reproduktiven Futurismus“. Edelman definierte den „reproduktiven Futurismus“ als heteronormatives Dispositiv, das die Sinnhaftigkeit politischer Handlung aus der Gewährleistung einer (besseren) Zukunft für nachkommende Generationen ableitet. Lee Edelman, No Future: Queer Theory and the Death Drive, Durham, NC, 2004.
[5]Carolyn Dinshaw, Getting Medieval: Sexualities and communities, pre- and postmodern, Durham, NC, 1999, S. 3 (übers. von C. W.).
[6]David Medalla, in: A Fruitful Incoherence.