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Gürsoy Doğtaş über Ger van Elk im Kunstverein München

Am 17. August 2014 verstarb der niederländische Konzeptkünstler Ger van Elk im Alter von 73 Jahren. Mit seinem Tod endet ebenso eine umfassende Untersuchung der Beziehung zwischen Wirklichkeit, Abbildung und Abstraktion wie der Entspezifizierung von Medien. Ich möchte an diesen selbstreflexiven, ruhigen und zugleich lustigen und überaus poetischen Künstler erinnern, indem ich seine letzte Ausstellung im Kunstverein München, an der er selbst noch aktiv mitwirkte, zum Anlass nehme, um einige Hauptstränge seiner Denk- und Arbeitsweise zu würdigen.

Der Kunstverein stellt mühelos und feinsinnig disparate Werke von Ger van Elk aus einem halben Jahrhundert (1967-2013) zusammen und kommt dabei ohne die autoritäre Geste einer Retrospektive und des korrespondierenden biografischen Narrativs aus. Die Leichtigkeit der Ausstellung ist auch deshalb bemerkenswert, weil Ger van Elks letzte institutionelle Einzelausstellung außerhalb der Niederlande 25 Jahre zurückliegt. 1988 war der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen angetreten, um aktuelle Arbeiten von Ger van Elk zu präsentieren und auch damals ging der Ausstellung eine Etappe der Absenz voran, die der damalige Direktor des Kunstvereins Jiri Svestka beenden wollte: Elf Jahre waren die Arbeiten des Künstlers in keiner größeren institutionellen Ausstellungen zu sehen gewesen. Dieser lange Zeitraum ist insbesondere im Kontrast zu van Elks reger Ausstellungsaktivität Ende der 60er und der 70er Jahre erstaunlich. Er war in den 70ern u.a. auf der Documenta 5 (1972) und 6 (1977) zu sehen, wobei das Interesse des Kunstbetriebs an seinen Arbeiten bereits im März 1969 durch seine Teilnahme an zwei wegweisenden Ausstellungen entfacht worden war: „Op Losse Schroeven“ im Stedelijk Museum in Amsterdam und „When Attitudes Become Form“ in der Berner Kunsthalle. Beide markieren eine Zäsur sowohl in Bezug auf die Normen künstlerischer Produktion als auch in Bezug auf die Normen des Kuratorischen.

Ger van Elk setzt in dieser Schaffensphase alltägliche Materialien für ortspezifische und institutionskritische Interventionen ein. Vor beiden Museen trägt er etwa einen Teil des Bürgersteigs ab, um ihn in Amsterdam durch glänzend weiße und grüne Keramik („Luxurious Streetcorner“) bzw. in Bern durch eine detailgetreue fotografische Reproduktion des Asphalts („Replacement Piece“) zu ersetzen.

Drei Arbeiten aus dieser Zeit, die sich auch agonistisch zur Hegemonie der Institution und Kunstgeschichte positionierten, sind nun im Kunstverein zu sehen. Im Hauptausstellungsraum sind zwei gänzlich funktionsuntüchtige Zelte („Camping Art 1“, 1967 und „Camping Art 2“, 1968) aufgeschlagen – zu klein, um als Schlaffläche zu dienen und zu offen, um vor Witterungsverhältnissen zu schützen. Im Nachbarraum schweben wie entrückt kurze Seile knapp über dem Boden („Touwsculptuur“, 1968). Das kritische Potential dieser Werke, die damals von Museumdirektoren indigniert zurückgewiesen worden sind, mit Worten wie, dass die Ausstellung kein Campingplatz sei, ist im jetzigen Ausstellungskontext kaum nachvollziehbar. Stattdessen rückt die historische Verschiebung der Materialdiskurse innerhalb van Elks Arbeiten in den Vordergrund – von der Aufwertung alltäglicher Materialien und ihren vormaligen Belastungsproben weg, hin zur Emanzipation aus einer funktionsabhängigen Wahrnehmung des Menschen und Anerkennung eines eigenen Agens.

Die Erweiterung seiner künstlerischen Methode in den 70ern durch ein Ineinandergreifen von Malerei, Fotografie, Skulptur und Film und seine thematische Auflösung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion erschwerten eine eindeutige Verortung seines Werkes in den Kunstströmungen der Zeit. So ist in diesen Jahren z.B. nicht mehr die Ausstellungsinstitution Zielscheibe seiner Kritik, sondern die Autorität des Bildes, der Malerei, des Fotos, der Dokumentarfotografie. Van Elk demontiert den Wahrheits- und Wirklichkeitsanspruch des Bildes und des Fotos, indem er ihre Konstruiertheit und Manipulierbarkeit ins Sichtfeld rückt: Aus einer Gruppe von anzugtragenden Männern in einer semi-privaten, vielleicht sogar konspirativen Atmosphäre ist die Hauptfigur herausretuschiert, wodurch die Abgebildeten ins Leere posieren („Missing Person“, 1976). In dieser als Serie angelegten Werkgruppe wird im Stile der condemnatio memoriae die Erinnerung an eine – zumeist aus politischen Gründen – unerwünschte Person ausgelöscht, wobei die erzeugte Unverständlichkeit des Fotos umso mehr auf sie verweist. Der Kunstverein ergänzt diese Arbeiten um eine Studie, in der van Elk die Stimmigkeit der Bildkomposition erprobt.

Fotografie und Malerei sind Grundkonstanten in seinem Schaffen, die gegenseitig ihre mediale Spezifizität in Frage stellen. Deren Anspruch an eine Vormachtstellung destabilisiert Ger van Elk anhand seines Hauptthemas, dem Horizont in der Landschafts- und Marinemalerei. Bezeichnenderweise vereinfacht und reduziert er in seiner letzten Werkgruppe „Automatische Landschaften“ (2013) den Horizont auf ein sehr kleines Installationsformat, auf ein Zeichen, eine Hieroglyphe, indem zwei verschiedenfarbige Flüssigkeiten ohne zu emulgieren ein Equilibrium finden und ihre Berührungspunkte den Anschein eines Horizonts erwecken.

Ergänzt werden diese Werke um seine konzeptuelle Fotografie - sie stehen für die Zeit in Los Angeles der 70er, aber auch für seine einflussreichen Freundschaften dort mit Bas Jan Ader oder John Baldessari. Die aufgeladenen Konzepte Landschaft, Horizont oder Symmetrie spitzen sich auf einen kultiviertem Gag zu. Mit seiner „Fotoskulptur“ mit dem Titel „Laantje in Middleharnis (Naar Meindert Hobbema)“ von 1979 modelliert er, angelehnt an das Gemälde von Meindert Hobbema „Die Allee von Middle Harnis“ (1689), eine zum Horizont führende Allee mit Bäumen zu einem dreidimensionalen Objekt. Zwei lapidar in die Wand eingelassene Stangen, die jeweils für eine Seite der Alle stehen, hängen träge nach unten, weil sie das Gewicht der vielen kleinen Baumfotos nicht tragen können. Die Perspektive des sehr tief angesetzten Horizonts von Hobbemas Allee, die ein Streitpunkt unter Kunstkennern war, scheint hier seine maximale Grenze erreicht zu haben. An anderer Stelle erzeugt er mit minimalem Aufwand eine Parodie auf unseren Impuls, in Dingen Geschichten lesen zu wollen: Im Video „Talking Trees“ (1970) weht der Wind durch die Äste und Blätter von zwei jungen Bäumen, die zugleich den Anschein erwecken, als würden sie abwechselnd gestikulierend kommunizieren oder bedächtig zuhören, bisweilen sogar gleichzeitig und aufgeregt durcheinander sprechen.

Nach der Ausstellung beginnt man, Ger van Elk intuitiv und bereichernd mit Künstlergenerationen nach ihm zu verknüpfen, wie der Picture Generation oder der Vancouver School. Sie verdanken ihm das arrangierte Foto (mit seiner teilweise malerischen Fiktion), das seinen eigenen Mechanismen der Wahrheitssuggestion ideologiekritisch entgegentritt. Er selbst ist wie seine „Missing Person“ – sein Fehlen in der Kunstgeschichte indiziert ihre Unzuverlässigkeit.

Für inspirierende Gespräche über Ger van Elk danke ich Antje von Graevenitz, Willem de Rooij und Bart van der Heide.

"Ger van Elk", Kunstverein München, 27. Juni - 31. August 2014

Aus rechtlichen Gründen können die Bilder, die diesen Text zum Zeitpunkt der Veröffentlichung begleitet haben, nicht mehr gezeigt werden.

Gürsoy Doğtaş ist Autor und lebt in München.