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HOMAGE TO THE BURLAP Eva Kernbauer über Maja Vukoje im Belvedere 21, Wien

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

Attrappe Bild. Das Wiener Belvedere widmet der für ihre medialen Entgrenzungen der Malerei bekannten Künstlerin Maja Vukoje derzeit eine umfangreiche Personale. Die mit rund 100 Arbeiten der letzten 15 Jahre bestückte Schau bringt Vukojes malerische Auseinandersetzung mit Themen wie Postkolonialismus und Transkulturalität in einer speziell für die Ausstellung konzipierten Raumintervention zur Aufführung. Dabei zeigt sich vor allem, wie die Kunsthistorikerin Eva Kernbauer darlegt, dass Vukoje die Malerei nicht außerhalb, sondern stets in den kolonialen Strukturen des globalen Exportverkehrs verortet, die auf Kosten der Ressourcen des globalen Südens und zugunsten der Konsumation in reicheren Ländern gehen.

Maja Vukojes aktuelle Einzelausstellung „Auf Kante“ umfasst 120 malerische Arbeiten der letzten 15 Jahre sowie eine ortsspezifische Installation, die die Ausstellung im oberen Geschoss des Wiener Belvedere 21 formal zusammenschließt. In dem hellen, auf allen Seiten von Glasfronten durchzogenen Gebäude sind klein- und mittelformatige Acrylbilder und größere installative Arbeiten entlang formaler und thematischer Entsprechungen nach Werkserien präsentiert. Vor die Fensterachsen auf der Süd- und der Nordseite sind gefärbte Jutebahnen gehängt, die den Ausstellungsraum in farbiges Licht tauchen. Die Auswahl enthält nur wenige von Vukojes illusionistischen oder szenisch-figurativen Arbeiten vor 2010 und ist auf bestimmte Farbtöne, räumliche Zusammenklänge und einfache, oft der geometrischen Abstraktion entspringende Formen reduziert.

Die formale Vereinheitlichung liegt vor allem am verwendeten Material und den damit verbundenen Anwendungsarten. Seit 2012 verwendet Vukoje industriell vorgefertigte Jute als Malgrund. Diese ist gröber gewebt und durchsichtiger als herkömmliche Jute, wie sie seit der Moderne in der Malerei verwendet wird. Eigentlich kann man kaum von Mal*grund* im direkten Sinne sprechen: Die Jute ist nicht Träger des Bildes, sondern sein Bestandteil. Die Farbe wird von hinten oder von vorn durch das Material gepresst, und auch die freibleibenden, un- oder vorgefärbten Flächen tragen zur Bildgewinnung bei. Zudem macht die transluzide Membranwirkung der Jute den Raum zwischen Bild und Wand sichtbar, es entsteht ein zugleich realer und malerisch illusionierter „Bildinnenraum“ (Vukoje [1]) von plastischer Qualität.

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

Diesen Effekt inszeniert Vukoje in vielfältiger Weise in der Serie Scarecrows, benannt nach ihrem Ausgangspunkt, Paul Klees auf Jute gemalter Vogelscheuche (1935, Sammlung mumok, Wien). Während diese aus geometrisch abstrakten Einzelteilen zusammengesetzt ist, sind Vukojes Figuren durch Gegenstände erzeugt. Im Fall von Patata (2013) wird aus dem Keilrahmen ein Körpergestell bzw. Bildskelett, auf den ein BH, ein Flipflop, eine Socke und ein Handschuh gehängt sind; eine Maske bildet das Gesicht, eine Mini-CD das rechte Auge. Mittels gemalter und physischer Schatten, illusionistischer Umkehrungen und der transluziden Wirkung der Jute gibt Vukoje Einblicke in das Innere ihrer „Bildattrappen“ [2]. Bei SPA 3 (2020) verschränkt sich das Bildskelett mit der bunten Kachelwand eines Badezimmers, bei Omixe (2015) öffnet sich der Raum optisch noch tiefer: Auf den durchscheinenden Keilrahmen ist ein Sonnenschirm gespannt, während im transparent illusionierten Bildinneren ein Hocker unter einem Glastisch Platz findet. In einer Serie in Gruppe angeordneter ‚Individualporträts‘ von Genusswaren (Südfrüchte, Eislutscher, Kaffeekapseln) dient der durchscheinende Keilrahmen quasi als Stiel, auf dem diese präsentiert werden. Vukoje bietet alle technischen Raffinessen auf, um Mango, Physalis, Avocado, Süßkartoffel, Kiwi oder Ingwer verführerisch wie in holländischen Luxusstillleben des 17. Jahrhunderts in Szene zu setzen, und jedes dieser ‚Porträts‘ ist in anderen Techniken gearbeitet. Die Acrylfarbe steht zum Beispiel als Schalenoberfläche auf der Leinwand, das Fruchtfleisch ist mit Bleich-, Layering- und Airbrusheffekten auf gefärbter oder gebleichter Jute gearbeitet, die Kaffeekapsel in Kaffee gemalt.

Maja Vukoje, „Sun RA", 2015

Maja Vukoje, „Sun RA", 2015

Räumlich illusionierende Schichtungs- und Umkehreffekte sind Thema der älteren Arbeiten Billboard (2011) und Linen (2012), die Gegenlichteffekte zeigen. Der Malgrund aus Leinen bleibt frei, die eigentlich im Hintergrund zu denkende Lichtwirkung ist in Acryl daraufgesetzt. Ein Negativverfahren, das direkt zur Bleichtechnik überleitet, die Vukoje in Arbeiten entlang der fotografischen Technik der Cyanotypie (Serie Nach Anna Atkins, 2014) fokussiert einsetzt, indem sie verschiedene Abstufungen an Entfärbung der Jute vornimmt. Bei Leo (2018/20), das die Konturen des gleichnamigen Tieres in Bleiche auf blau vorgefärbter Jute gesprayt zeigt, sind gestische Ansätze am stärksten, aber zugleich radikal gebremst: Die Geste ist blind, denn die Wirkung der Bleiche zeigt sich erst zeitverzögert. Zugleich wird das Ganze zum Bildelement im größeren Ausstellungszusammenhang: Es ist um die Ecke (bzw. über Kante) gehängt, so, wie auch andere großformatige Jutebahnen Wände drapieren, umhüllen oder Arbeiten übereinandergehängt sind.

In diesen technisch virtuosen Arbeiten und Eingriffen in den Raum zeigt sich die Malerei als ebenso komplexes wie abwechslungsreiches Medium. Die Ausstellung ist ein visuelles Erlebnis, die einzelnen Bildexperimente sind formal beeindruckend und vielfältig in ihren kunsthistorischen Bezügen. Darüber hinaus entwickelt die Ausstellung auch inhaltlich klar konturierte ortsspezifische Referenzen. Karl Schwanzer entwarf das Gebäude als Österreich-Pavillon der Expo 1958 in Brüssel. Diese gigantische Weltausstellung, die kurz vor der Unabhängigkeit des Kongo veranstaltet wurde, inkludierte auch eine Kolonialausstellung des Gastlands mit einem „village congolais“, in dem mehrere Hundert Kongoles*innen in der Nachfolge der Völkerschauen vorgeführt wurden. Daneben wurden die neuen Technologien EDV, Atomkraft und Raumfahrt gefeiert – deutlicher kann die Kontinuität kolonialer Strukturen im postindustriellen Zeitalter kaum markiert werden. Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Firmenpavillons (IBM, Coca-Cola), darunter Le Corbusiers Philips-Pavillon, eine extravagante, als Gesamtkunstwerk geplante Multimediashow. Die Architekturen waren also nicht nur als Hüllen für die Exponate konzipiert, sondern fungierten konkret als Kunstwerke. Dieser Charakter wird dem Schwanzer-Pavillon in Vukojes Ausstellung formal mit seinen drapierten Zwischenwänden und farbig verhängten Fensterbahnen zurückgegeben. Zugleich öffnet sie die modernistische Architektur auch für Bezüge zu Kolonialismus, Globalisierung, Handel und Technik.

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

Für mehrere Arbeiten, darunter das erwähnte Omixe, hat Vukoje neben Acryl auch Kaffee, Kakao, Zucker und Sand verwendet. In Anlehnung an Josef Albers Serie Homage to the Square ist eine Werkgruppe entstanden, bei der etwa raffinierter, halbraffinierter und Rohzucker in drei farblichen Abstufungen konzentrische Quadrate ergeben (Albersburg, 2017). Was Farbenlehre bei Albers war, ist hier Materiallehre, umso mehr als der Malgrund aus aufgetrennten Jutesäcken für den Kaffeetransport besteht. Die Firmennamen und Warenkennzeichnungen sind noch lesbar und markieren die Integration der Malerei in ökonomische und soziale Kreisläufe, im Sinne des „Network Painting“ (David Joselit), auf das Vukoje sich explizit bezieht.

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

„Maja Vukoje: Auf Kante“, Belvedere, Wien, 2022, Ausstellungsansicht

An dieser Stelle leiten die meisten theoretischen Kontextualisierungen der Ausstellungspraxis der Künstlerin zu den Themen Transkulturalität und Hybridität über. Mit Blick auf die auch in der Ausstellung gezeigten anachronen Selbstinszenierungen und Identitätskonstruktionen des Afrofuturismus (Sun RA, 2015; BC 3000, 2015), mit denen Vukoje sich ausführlich beschäftigt hat, ist dies naheliegend. Doch verstellt diese Interpretation die spezifischen ökonomischen und politischen Bezüge der Ausstellung. Bei Kaffee, Kakao, Zucker und neuerdings auch Sand handelt es sich um klassische Exportware (wenngleich Kaffee heute eher als Streugut transportiert wird); ebenso bei den für die Konsumation im globalen Norden hergestellten „Südfrüchten“, die für eklatanten Ressourcenraub in den Anbauländern stehen. Gerade der Schwanzer-Pavillon in seiner historischen Dimension unterstreicht den solide europäisch/US-amerikanischen Bezugsrahmen des Material- und Motivreservoirs, der auch von Hinweisen auf Albers’ Interesse an präkolumbianischer Architektur oder anderen Referenzen nicht gesprengt wird. „Auf Kante“ zeigt vielmehr überzeugend die historisch klar konturierte, in der Ausstellung vom globalen Handelskapitalismus der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart gezogene Kontinuität kolonialer Strukturen im globalen Exportverkehr– mit dem Preis der Ausbeutung von Ressourcen im globalen Süden für die Konsumation in reicheren Ländern. Die Malerei steht nicht außerhalb dieser ökonomischen Zusammenhänge, sondern kommt damit direkt in Berührung, wie dies etwa die Jutesäcke demonstrieren, die unterschiedliche Wertdiskurse durchlaufen haben, bis sie dann zum Bestandteil einer Ausstellung werden. Indem sie die Malerei als Objekt von Konsumation und Genuss in aller virtuoser Pracht inszeniert, macht „Auf Kante“ weniger transkulturelle Überschreitungs- oder Verflechtungsphänomene sichtbar als vielmehr die Eingeschriebenheit des Eigenen in globale Zusammenhänge – nicht unähnlich der holländischen Stillleben, die Vukoje so überzeugend aufgreift.

Eva Kernbauer ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Image credit: Fotos 1, 2, 4 & 5: Johannes Stoll, Foto 3: Roland Krauss

Anmerkungen

[1]„Transkulturelle Entzugsstrategien auf Jutesack. Ein Zoom-Gespräch zwischen Isabelle Graw und Maja Vukoje“, in: Maja Vukoje, Auf Kante/On the Edge, Ausst.-Kat., Belvedere 21, Wien/Köln: König, 2020, S. 158.
[2]Vukoje über ihr Verständnis des „Bildes als Attrappe“, in: Ebd., S. 163.