(RE)WRITING CODE(S) Felix Vogel über Katrin Mayer im Badischen Kunstverein, Karlsruhe
Im letzten Drittel von Katrin Mayers Ausstellung „#c0da comptoir #fanny carolsruh“ befindet sich ein Schlüssel für die gesamte Schau: Einer von zwei hier gezeigten handschriftlichen Texten handelt vom Arbeitsplatz der Künstlerin im ehemaligen LEITZ-Werk in Düsseldorf, den sie erst vor einem Jahr bezogen hat, zuvor hatte sie meist am heimischen (Schreib-)Tisch gearbeitet. Unmittelbar kommen einem Virginia Woolfs Topos des Room of One’s Own (1929) als Möglichkeitsbedingung für weibliches Schreiben oder Frances Starks Text The Architect & The Housewife (1999) in den Kopf, der sich ebenfalls mit den (räumlichen) Grundlagen weiblicher künstlerischer Arbeit befasst. Mayers Text gibt dabei weniger Aufschluss über ihre konkreten künstlerischen Verfahren, deren Kenntnis ein besseres Verständnis der Ausstellung ermöglichen würde, als dass er zwei wichtige Punkte markiert: Zum einen die für ihre eigene Praxis relevante Geschichte der Post-Studio Practice, deren feministischen Wurzeln heute zunehmend durch den Begriff der künstlerischen Forschung überschrieben werden. Zum andern benennt Mayer den zentralen Gegenstand der Ausstellung: die räumlichen, materiellen und vergeschlechtlichen Bedingungen von Wissensproduktion, die sich auch auf den Begriff der „Situiertheit des Wissens“ [1] bringen lassen.
Im Zentrum der Ausstellung steht das von ihr initiierte Projekt c0da, das durch drei weitere Themenkomplexe und einen Archivteil erweitert wird, in die c0da wiederum räumlich und inhaltlich eingebettet ist. c0da ist eine von Mayer 2022 initiierte Onlineplattform, auf der – im weitesten Sinne – Texte publiziert werden, die sich mit dem Verhältnis von feministischen Schreibpraktiken und der weiblichen Geschichte des Programmierens befassen. [2] Bislang sind auf der in enger Zusammenarbeit mit der Grafikdesignerin und Programmiererin Anna Cairns entwickelten Website Texte von unter anderen Sophia Eisenhut, Hanne Loreck, Sarah Lehnerer, Jasmina Metwaly und Romy Rüegger erschienen. Die Bandbreite der Themen reicht von automatischem Schreiben über zerologische Subjekte bis hin zur Geschichte des Cyberfeminismus. Exemplarisch sei Mayers eigener Beitrag erwähnt: In ihrem Videoessay convulsa or The Need for Each Other’s Relay verknüpft sie zahlreiche Themen miteinander, die auch für das gesamte c0da-Projekt zentral sind. Es geht um Pionierinnen des maschinellen Rechnens und Erfinderinnen des Programmierens wie Grace Hopper, Alise Snyder, Kathleen McNulty Mauchly Antonelli; um die Grundlagen des Computers in der Automatisierung des Webens; aber auch um Computer als Erweiterungen unseres Selbst; um kollektive Netzwerke und deren nicht eingelöste Potenziale. Eingebettet ist all dies in ein dichtes Netz von Referenzen, die unter anderen Luce Irigaray, Karen Barad, Catherine Malabou, Ursula K. Le Guin, Alfred Hitchcock, Lygia Clark und Rosemarie Trockel verweisen und immer wieder auf visuelle und topologische Modelle des Faltens anspielen.
In Karlsruhe wird c0da zum ersten Mal in den Raum übertragen, worin sich Mayers lang anhaltende Auseinandersetzung mit Fragen des Displays als Teil ihrer künstlerischen Forschung niederschlägt. [3] Anstatt der (weißen) Wände des Kunstvereins kommen in allen Räumen halbhohe, mit Graupappen betackerte Trennwände zum Einsatz. Dadurch werden nicht nur räumliche Zonen der Konzentration geschaffen; auch verweist die Form der Wände auf Raumteiler in Großraumbüros. Die Aneinanderreihung der Graupappen lässt ein Muster entstehen, das an die Linienstruktur von Programmierinterfaces erinnert. Zudem werden die Objekte und technischen Geräte (Projektoren, Monitore, Kopfhörer, etc.) nicht auf klassischen Ausstellungsmöbeln wie Sockeln präsentiert, sondern auf überdimensionierten Freiform-Schreibtischen, deren Gestalt ein möglichst effizientes und ergonomisch gesundes Arbeiten verspricht und die daher als Teil einer Disziplinierung von Körpern in der Arbeitswelt verstanden werden können. Die Möbel entstammen einer Büroauflösung und wirken, obwohl sie kaum 20 Jahre alt sein dürften, anachronistisch, insofern sie im zunehmend unzeitgemäßen Typus des stationären Büros Verwendung fanden. Die Freiform-Schreibtische sind demnach nicht nur Displayelemente, sondern zudem direkt mit den Kernthemen der Ausstellung verbunden: mit der Verräumlichung, Materialität und Körperlichkeit der (Denk-)Arbeit. In diesem Sinn sind sie auch mittelbar Teil der oben erwähnten Situiertheit von Wissen. Damit verbunden können die Tische auch als Nebenprodukt der Computerisierung der Arbeit verstanden werden, deren feministische Wurzeln für c0da den Ausgangspunkt bilden. Mayer findet mit diesen Tischen eine Form für die Ausstellung, die man – Benjamin H. D. Buchlohs Begriff mutwillig missverstehend – als einer „Ästhetik der Administration“ verpflichtet auffassen könnte.
Mayers Ausstellung folgt der strikten Raumabfolge des Badischen Kunstvereins und ordnet die einzelnen Kapitel den einzelnen Kabinetten und Galerien zu. Im ersten Raum, also c0da noch vorgelagert, wird eine mäandernde Geschichte des Fächers gezeigt. Ausgangspunkt ist der Gründungsmythos der Fächerstadt Karlsruhe, die heute nicht zufällig auch ein Zentrum der Informationstechnologie ist. Die Legende besagt, dass der Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach im Jahr 1715 während der Jagd einschlief, von einem Fächer träumte und daraufhin den Entschluss fasste, das Lustschloss „Carols Ruh“ und dessen Anlage in Form eines Fächers bauen zu lassen. Mayer geht es nun weniger um städtebauliche oder gartenhistorische Auseinandersetzungen, vielmehr untersucht sie die unterschiedlichen Konnotationen und Funktionen des Fächers, die in Form von gefundenen und selbst verfassten Texten sowie historischem Bildmaterial präsentiert werden. Besucher*innen erfahren unter anderem vom Fächer als Bildträger und Massenmedium oder von der „Sprache des Fächers“ im 18. und 19. Jahrhundert, die einer codierten, erotisch aufgeladenen Kommunikation diente. Beispielsweise bedeutete das Tragen des Fächers in der linken Hand, dass die Trägerin nach Bekanntschaften suchte, während ein langsames Fächern signalisierte, dass sie verheiratet war. Es wird deutlich, dass mit Fächern weibliche Räume organisiert wurden oder mit ihnen zumindest minimale Eingriffe vorgenommen werden konnten, etwa indem mit ihnen ein männlicher Blick abgeschirmt werden konnte. Die Geschichte des Fächers ist bei Mayer zugleich eine der Metaphern (das Englische fan für Fächer wird bei Mayer zu fanny, was umgangssprachlich Vulva bedeutet) und der weiblichen Kulturtechniken. Ohne es explizit zu machen, läuft dieses Narrativ auf eine feministische Umdeutung des Gründungsmythos von Karlsruhe hinaus.
In einem engen thematischen Zusammenhang zu c0da stehen die beiden anderen Kapitel der Ausstellung, die der weiblichen Geschichte des Schreibens und Programmierens, respektive dem Rechnen auf Linien gewidmet sind. Zentral ist hier insbesondere die Auseinandersetzung mit materiellen und räumlichen Bedingungen, mit Kleidung sowie mit Werkzeugen und Maschinen, die als Teil einer feministischen Geschichte des Büros gelesen werden kann. Mayers Narrativ ist dabei höchst spekulativ und franst wortwörtlich und im besten Sinne aus. So leitet sich die Bezeichnung „Büro“ etymologisch von textilen Rechentüchern ab, die aus verfilzten Wollstoffen hergestellt wurden, die man wiederum ursprünglich aus dem burre genannten Scheiden-Wollgras (Eriophorum vaginatum) gewann: Textil/Scheide/Rechnen/Büro. Etymologische Erklärungen sind gefährlich, weil sie eine Evidenz behaupten, wo oft reine Kontingenz herrscht. Allein der Begriff „Office“ wartet mit anderem etymologischen Ballast auf. Und dennoch hat diese Spekulation Methode, zeigt sie doch auf (oder allegorisiert vielleicht sogar), dass Räume wie das Büro von materiellen, vergeschlechtlichen Praktiken abhängen.
Immer wieder rücken in den unterschiedlichen Kapiteln der Ausstellung scheinbare Nebensächlichkeiten ins Zentrum: Auf der einen Seite sind das neben dem Accessoire des Fächers Dinge wie Aufbewahrungs- und Ordnungsbehältnisse, Bindfäden für Akten sowie die bereits erwähnten Schreibunterlagen und Tische, die als Ermöglichungsbedingungen, aber auch Standardisierung und Einschränkung der Produktion, Administration und Distribution von Wissen verstanden werden können. Auf der anderen Seite sind es Paratexte, die auf zwei unterschiedlichen Ebenen auftauchen. Erstens als Gegenstand, wie beispielsweise die Geschichte von Ada Lovelace, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Kommentar zu Luigi Federicos Menabreas Artikel über Charles Babbages „Analytical Machine“ das erste Computerprogramm entwickelte: Die bahnbrechende Erfindung Lovelaces manifestierte sich in einem sekundären, vermeintlich nebensächlichen Produkt, dem paratextuellen Kommentar. Zweitens nehmen Paratexte eine wichtige methodische Funktion in der Ausstellung ein, wenn sie die Quellen des gezeigten Bild- und Textmaterials bereithalten und dadurch zu verstehen geben, dass Mayer nicht die einzige Sprecherinneninstanz der Ausstellung ist. Die Künstlerin selbst wählt aus und arrangiert, gibt dem Material eine Form, ist aber nicht die letztgültige Autorität. In der Ausstellung als Ganzem hallt auch die Mehrstimmigkeit von c0da und Mayers häufig kollektive Arbeitsweise nach.
Für ihre Praxis – wie auch für viele andere Praktiken künstlerischer Forschung – stellt die Wiederholung von Werken eine Herausforderung dar. Mehr noch als bei „klassischer“ ortsspezifischer Kunst stellt sich die Frage, ob und wie diese auch in anderen Kontexten als den ursprünglichen gezeigt werden können, ob eine Wiederholung überhaupt möglich ist. Mayer ging bislang davon aus, dass es in ihrer „Arbeit keine Wiederholung gibt, weil keine Arbeit zweimal zu sehen ist“ und es sich immer um „neue Formulierungen handelt.“ [4] Dass nun im Badischen Kunstverein trotzdem frühere Arbeiten präsentiert werden, steht dazu nur auf den ersten Blick in einem Widerspruch; bei genauerer Betrachtung zeigt dies den prekären Status von Mayers Arbeiten generell erst auf: Die frühen Werke werden in einem als „Archiv Ebene“ bezeichneten Raum ausgestellt, der das Ende des Rundgangs markiert (und im Badischen Kunstverein unter der Leitung von Anja Casser bereits häufiger für archivarische Präsentationen Verwendung fand). Mayers Arbeiten wurden für diese Präsentation nicht aktualisiert – zum Beispiel durch ein auf die räumliche Situation in Karlsruhe angewandtes Verfahren –, es wird jedoch auch nicht lediglich die Dokumentation der ursprünglichen Situation gezeigt, die gleichwohl in einer Materialsammlung am Ende der Ausstellung konsultiert werden kann. (Beispielsweise entstand Clothed, RECEPTION (2010) für die Berliner Galerie Reception, deren Grundriss mit gestreiftem Stoff nachgebildet wurde und 2010 im Galerieraum als Teil einer Gruppenausstellung drapiert war. In Karlsruhe fällt nun die räumliche Passgenauigkeit und damit auch die institutionskritische [5] Dimension weg, womit verdeutlich wird, dass bestimmte Effekte tatsächlich nicht wiederholt werden können.) Die vier Arbeiten [6] der „Archiv Ebene“ können – im positiven Sinn – als Fußnoten zur restlichen Ausstellung verstanden werden (und sind dabei, nicht ganz unironisch, die objekthaftesten Elemente der Ausstellung), insofern sie auf Mayers Praxis der letzten 24 Jahre und die intensive Auseinandersetzung mit Themen verweisen, die in Karlsruhe nun erneut präsent sind. Auch dies ist als eine Form der künstlerischen Forschung zu verstehen, die sich in der Praxis des Ausstellens manifestiert, wenn es um das Ausloten der (räumlichen, zeitlichen, institutionellen) Bedingungen des Ausstellens selbst geht.
„Katrin Mayer: #c0da comptoir #fanny carolsruh“, Badischer Kunstverein, Karlsruhe, 21. Juni bis 1. September 2024.
Felix Vogel ist Professor für Kunst und Wissen an der Universität Kassel und Mitglied des documenta Instituts.
Image credit: Courtesy Badischer Kunstverein, Fotos Heiko Karn
ANMERKUNGEN
[1] | Donna Haraway, „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective“, in: Feminist Studies, September 1988, S. 575–599. |
[2] | Das Projekt entstand im Rahmen des Berliner Programms für Künstlerische Forschung, zu dessen Stipendiat*innen Katrin Mayer in der ersten Kohorte gehörte. |
[3] | Neben der räumlichen Präsentation finden im Rahmen der Ausstellung auch zahlreiche Vorträge, Lesungen und Talks mit Beteiligten von c0da statt. |
[4] | Rike Frank/Katrin Mayer, „(Nicht-)Wiederholungen. Ein Gespräch über künstlerische und kuratorische Fragen an den Ausstellungsraum als Ort der steten Neuformulierung“, in: Re: Ästhetiken der Wiederholung*, hg. von Hanne Loreck/Michaela Ott, Hamburg 2014, S. 184–192, hier: S. 186. |
[5] | Fiona McGovern, „Von Kerben und Nähten“, in: Texte zur Kunst, November 2010. |
[6] | o.T. (Günther-Klotz-Anlage) (2000); Clothed, RECEPTION (Reception, 2010); Rose Fortune (Ludlow 38, 2014); Forbidden Symmetries Letter 02 (HKW, 2015). |