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Für Okwui Enwezor von Maria Eichhorn

Beyond the distemper and disorder in the current #Kstate of things#K, there is one pervasive preoccupation that has been at the heart of our time and of modernity itself. That preoccupation is the nature and logic of Capital, both its fiction and reality. Capital is the great drama of our age. Today nothing looms larger in every sphere of experience, from the predations of the political economy to the rapacity of the financial industry. The exploitation of nature through commodification of its natural resources, the growing structure of inequality, and the weakening of the broader social contract have recently compelled a demand of change.[1]

An Bestrebungen zur Veränderung hin zu einer besseren, sozialeren, friedlicheren, gerechteren, anderen Welt war Okwui beteiligt, indem er in seinen Texten, mit seinen Ausstellungen, in Diskussionen gesellschaftliche, institutionelle, ökonomische Missstände dekonstruierte und in die Zukunft gerichtete, wegweisende Alternativen und Vorschläge formulierte.

Okwui glaubte an die Macht der Sprache, des Textes, an die Kraft der Kunst und daran, dass Einzelne etwas bewegen und in der Gemeinschaft gesellschaftspolitische, soziale, ökologische Veränderungen herbeiführen können. Ausstellungen und Bücher bildeten für ihn Formen des Widerstands gegen eine Welt voller Hass, Gewalt, Ungerechtigkeit und Rassismus. Dem setzte er mit all seinen Fähigkeiten und Kräften Aufklärung, Internationalität und Leidenschaft entgegen – Leidenschaft für Kunst, Musik, Literatur und Poesie, Hingabe an seine Mitmenschen und an sich selbst.

Okwui war Marxist. Er ließ Das Kapital von Karl Marx während der 177 Tage seiner Venedig Biennale „All the World’s Futures“ öffentlich vorlesen. Ihm war klar, was das bewirken kann und was es bedeutet. Er wollte erreichen, dass Zuhörer*innen durch die Eindringlichkeit dieser tief ins Bewusstsein sich einprägenden Performance zum Nachdenken und Umdenken bewegt werden. Während seine Ansprüche, Ideen und Aktionen immer auf „Think Big“ ausgerichtet waren, war seine Persönlichkeit doch von einer Bescheidenheit und Demut geprägt, die seine Mitmenschlichkeit unterstrichen und seine Verletzlichkeit zeigten.

Neulich sprach mich eine junge US-Amerikanerin an, die in einem erzkonservativen Umfeld aufgewachsen war. Sie erzählte, wie sie durch Okwuis Venedig Biennale „All the World’s Futures“ erkannte, wie fatal ihre Erziehung gewesen war und wie sie nun versucht, dieser Prägung zu entkommen, indem sie sich für die Rechte von Minderheiten engagiert.

„The Short Century, Independence and Liberation Movements in Africa 1945–1994“ mit Künstler*innen wie Georges Adéagbo, Jane Alexander, Ghada Amer, Zarina Bhimji, Isaac Julien, Moshekwa Langa, Yinka Shonibare, Gazbia Sirry und Sue Williamson 2001 im Berliner Martin-Gropius-Bau war die erste Ausstellung von Okwui, die ich gesehen habe. Die Ausstellung dokumentierte die Befreiung von der kolonialen Unterdrückung in der Zeitspanne zwischen dem 5. Pan-Afrikanischen Kongress in Manchester 1945, auf dem die Dekolonisation Afrikas gefordert wurde, und der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten Südafrikas im Jahr 1994, dem Ende des Apartheidregimes.

Während der Konferenz „Biennalen im Dialog“ in Kassel im August 2000 habe ich Okwui zum ersten Mal öffentlich sprechen gehört. Er sah in den weltweiten Biennalen kulturelle Foren der Selbstermächtigung, die dazu beitragen könnten, den Eurozentrismus aufzubrechen. Anfang 2001 besuchte er mich gemeinsam mit Angelika Nollert in Berlin und lud mich zur Documenta11 ein. Dann ein weiteres Treffen wieder in Berlin und später in Kassel mit seinen Co-Kurator*innen Carlos Basualdo, Ute Meta Bauer, Susanne Ghez, Sarat Maharaj, Mark Nash und Octavio Zaya.

Die Stärke der Documenta11 war auch die Stärke seines Teams aus Co-kurator*innen und Mitarbeiter*innen wie Angelika Nollert, Markus Müller, Gerti Fietzek, Heike Ander, Stephanie Mauch, Christian Rattemeyer, Luise Essen, Winfried Waldeyer, Karin Rebbert, Oliver Marchart oder Sophie Goltz, um nur einige zu nennen. Als exzellenter Teamplayer pflegte er äußerst respektvolle Umgangsformen, spielerisch beförderte er einen wunderbaren Teamgeist, beherrschte das Zusammenspiel der kreativen Kräfte und konnte so den Fokus der Aufmerksamkeit von sich ablenken und auf viele Mitakteur*innen verteilen. Die Verantwortung gab er dabei nicht ab.

Im März 2002 kam Okwui zur Gründung und allerersten Aufsichtsratssitzung der Maria Eichhorn Aktiengesellschaft – meines künstlerischen Projekts für die Documenta11 – nach Berlin. Er war Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft; als ihn Charles Esche 2007 ablöste, blieb er Mitglied des Aufsichtsrats. Gewissenhaft wie er war, schlug er frühzeitig Angelika Nollert als seine Nachfolgerin vor, eine enge Freundin, die bis zuletzt immer für ihn da war.

Okwui war außergewöhnlich großzügig mit seiner Zeit, seinen Gedanken und seinen Gefühlen, in der Zusammenarbeit mit anderen wie auch in seiner eigenen kuratorischen und schriftstellerischen Tätigkeit. Er war intellektuell auf der Höhe der Zeit und des Diskurses. Er anerkannte und unterstützte vorbehaltlos ungewöhnliche künstlerische Ideen. Er war respektvoll und politisch, kritisch und unangepasst, warmherzig und mitfühlend. In Gesellschaft immer ein aufmerksamer Zuhörer. Er sprühte vor Lebensfreude. Er war nachsichtig mit seinen Freunden und Feinden. Es ist ein Geschenk, ihm begegnet zu sein.

„Ich möchte nur anmerken, dass die Institutionen zeitgenössischer Kunst oft als aufgeklärteste und liberalste aller Kulturinstitutionen gelten, die auf der Weltbühne tätig sind. In den achtziger Jahren erzwangen Multikulturalismus, Feminismus und Schwulenbewegung neue Diskussionen, deren Ziel es war, die langjährige Reformverweigerung großer Institutionen zu brechen […] In den 90er Jahren kam es jedoch zu einem Kurswechsel, der das positive, vitale Diskussionsumfeld langsam und systematisch erodierte.“  [2]

Gegen diese fortwährende Erosion hat Okwui gekämpft und er hätte gewollt, dass wir weiterkämpfen.

Anmerkungen

[1]Okwui Enwezor, „Exploding Gardens, […] Capital: A Live Reading“, in: All the World’s Futures. La Biennale di Venezia. 56th International Art Exhibition, 2015, S. 94.
[2]Okwui Enwezor, „Die Black Box“, in: Documenta 11. Plattform 5, Ausst.-Kat., Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2002, S. 53.

Okwui Enwezor war von 2002 bis 2007 Aufsichtsratsvorsitzender und von 2007 bis 2019 Mitglied des Aufsichtsrates der anlässlich der Documenta11 gegründeten Maria Eichhorn Aktiengesellschaft.

Die Künstlerin Maria Eichhorn nahm teil an den von Okwui Enwezor kuratierten Documenta11, Kassel, 2002; The Unhomely. Phantom Scenes in Global Society. 2nd International Biennial of Contemporary Art of Seville, Sevilla, 2007; All the World’s Futures. La Biennale di Venezia. 56th International Art Exhibition, Venedig, 2015.