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VIOLAINE HUISMAN, SIGMUND FREUD, KAREN KILIMNIK Seen & Read – von Isabelle Graw

Von Violaine Huismans Paris über Sigmund Freuds Wien bis hin zu Karen Kilimniks farbenfrohen Beachscapes im winterlich grauen Berlin: In unserer neuen Rubrik „Seen & Read“ nimmt TZK-Herausgeberin Isabelle Graw ihre Leser*innen mit an ausgewählte Orte, an die Literatur, Film und Kunst sie in letzter Zeit führten. Ihre Eindrücke und Beobachtungen fasst sie hier in pointierten Kurzrezensionen zusammen.

Violaine Huisman, Les monuments de Paris

Georges Huisman

Georges Huisman

Violaine Huismans neuestes Buch schließt Autobiographisches mit Kulturgeschichtlichem kurz. Mit ihrer so intensiven wie eleganten Schreibweise gelingt es der Autorin einmal mehr, die Lebensgeschichten ihrer Familienmitglieder nicht nur zu rekonstruieren, sondern aus ihrer Sicht zu imaginieren. Das Buch, in dem Huisman ihren Vater in den Tod begleitet, stellt nicht nur einen gelungenen Fall von literarischer Trauerarbeit dar. Es verwebt darüber hinaus die eigene Familiengeschichte der Autorin mit der Vor- und Nachkriegsgeschichte Frankreichs. Besonders berührend ist Huismans kritisch-liebevoller Blick auf den nicht unproblematischen Vater, einen 1929 geborenen misogynen Lebemann und Kulturfunktionär, für den bei Frauen allein das Aussehen zählte. Mit einer Mischung aus intellektuellem und Geschäftssinn trieb er seiner Tochter zufolge die Popularisierung der ästhetischen Philosophie voran. Im zweiten Teil des Buchs betritt der berühmte Großvater Georges Huisman die Bühne. Auch er war zwar einerseits ein erfolgreicher Kulturfunktionär, als Jude wurde er im zweiten Weltkrieg jedoch verfolgt und sozial deklassiert. So wurden ihm derzeit z.B. nicht die Ehrungen zuteil, die er als Gründer der Internationalen Filmfestspiele von Cannes verdient hätte. Die Straßen von Paris, die in Violaine Huismans Roman als Bühne fungieren, sind für die Autorin dermaßen mit persönlicher Geschichte aufgeladen, dass sie die Stadt als junge Frau verlassen musste, um sich in New York neu zu entwerfen. In einer Szene beschreibt sie ihre Rückkehr nach Paris. Sie findet sich dort nicht mehr zurecht, ist völlig desorientiert. Huisman interpretiert diesen Zustand als Reaktion ihrer Psyche auf diesen mit schmerzhaften Erinnerungen angereicherten Ort.

Violaine Huisman, Les monuments de Paris, Gallimard, 2024

David Teboul, Sigmund Freud. Jude ohne Gott

David Teboul, “Sigmund Freud. Jude ohne Gott,” 2020

David Teboul, “Sigmund Freud. Jude ohne Gott,” 2020

Dieser Dokumentarfilm lohnt sich schon allein aufgrund seiner zahlreichen Originalaufnahmen. Man sieht Sigmund Freud in den unterschiedlichen Stadien seines Lebens, zumeist umgeben von Mitstreiter*innen und Familienmitgliedern. Besonders präsent ist seine Tochter Anna Freud, die die Rolle der Frau an seiner Seite zu spielen scheint. Man sieht auch Stadtansichten von Wien um 1900 und Aufnahmen von dem Pariser Arzt Jean-Martin Charcot mit seinen hypnotisierten Patientinnen. Vor allem wird deutlich, welche Revolution Freuds Entdeckung des Unbewussten darstellte und wie vehement diese Idee damals abgewehrt wurde. Man begreift, dass der Analytiker schon aufgrund der zahlreichen Anfeindungen eine eigene „Schule“ seines Denkens gründen musste. Doch auch innerhalb dieser Schule kam es bekanntlich zu zahlreichen Spaltungen und Abgrenzungsbewegungen. Freud ging immer wieder innige Verhältnisse mit engen (männlichen) Mitstreitern wie Wilhelm Fließ, Carl Gustav Jung oder Sándor Ferenzci ein, die ihn dann aber mit ihrer Abtrünnigkeit enttäuschten. Nur Tochter Anna hielt Freud auch nach seinem Tod intellektuell die Treue. Der Film lebt von unterhaltsamen Freud-Zitaten, die daran erinnern, dass einige seiner Überlegungen – etwa zum „Todestrieb“ oder zur „Überlebensschuld“ – überaus aktuell sind.

David Teboul, Sigmund Freud. Jude ohne Gott, Arte, 2020

„Karen Kilimnik“

“Karen Kilimnik,” Sprüth Magers, Berlin, 2023

“Karen Kilimnik,” Sprüth Magers, Berlin, 2023

Karen Kilimniks in hellen Hockney-Farben gemalte Beachscapes sind malerische Entsprechungen gängiger Wunschfantasien in düsteren Zeiten. Man könnte tatsächlich sagen, dass sie das eskapistische Moment solcher Fantasien malerisch zuspitzen. Zugleich werden in ihnen Meer, Strand und Palmen auf eine Weise dargestellt, die mit kunsthistorischen Vorbildern von Gustave Courbet zu Sigmar Polke kommuniziert. Mehr noch: Es gelingt Kilimnik, den eigentlich seit den frühen 1990er Jahren überholten Gegensatz zwischen „High“ und „Low“ zu aktualisieren. Denn ihre Strandansichten sind dicht an der Grenze zur Nicht-Kunst angesiedelt, zum Kitsch. Sie werfen somit die Frage nach ihrem eigenen Kunststatus auf. Um ein ähnliches Problem kreisen die in der Mitte der Galerieräume platzierten Sockel, die in ihren Türkistönen an die Trademark-Farbe der jüngst von Bernard Arnaults Firma LVMH aufgekauften Tiffany-Kette erinnern. Wie in den Läden letzterer werden auf diesen Sockeln bei Kilimnik glitzernde „Schätze“ gezeigt, Fundstücke, die von einem gesunkenen Kreuzfahrtschiff stammen könnten. Die Präsentation dieser Objekte ist an die von Luxusobjekten wie Uhren oder Schmuck angelehnt, so als würde die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Kunstwerken und Luxusgütern reflektiert. Doch da der Materialwert dieser Schätze offenkundig gering ist, wird zuletzt die Fähigkeit der bildenden Kunst unterstrichen, eigentlich Wertloses in etwas symbolisch Wertvolles zu verwandeln.

„Karen Kilimnik“, Sprüth Magers, Berlin, 18. November 2023 bis 23. März 2024

Isabelle Graw ist Herausgeberin von TEXTE ZUR KUNST und lehrt Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt/M. Ihre jüngsten Publikationen sind: In einer anderen Welt: Notizen 2014–2017 (DCV, 2020), Three Cases of Value Reflection: Ponge, Whitten, Banksy (Sternberg Press, 2021) und Vom Nutzen der Freundschaft (Spector Books, 2022).

Image credit: 1. Photo Rob Kulisek, 2. Courtesy of Violaine Huisman; 3. Courtesy of Les Films d'Ici & WILDart FILM; 4. Courtesy of Sprüth Magers, photo Ingo Kniest