Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

KASPER KÖNIG (1943–2024) von Ulrich Wilmes

Kasper König, 2017

Kasper König, 2017

Als er nach der Berufung ans Museum Ludwig gefragt wurde, was das Museum für ihn darstelle, antwortete Kasper König stets sinngemäß: Das Museum ist eine Zeitschöpfungsmaschine. Es gehört keinem und jedem. Und: Es geht nicht um uns, sondern darum, wie das Museum in zwanzig Jahren dasteht, wenn wir längst nicht mehr da sind.

In den letzten Wochen ist aus gegebenem Anlass viel über ihn geschrieben worden und das meiste davon über das, was er bewegt und getan hat. Und es stimmt ja auch, dass König sich wie kaum ein anderer über sein Tun definierte, trotzdem der Mann selbst eine ungeheure Präsenz verströmte, die manchmal dazu führen konnte, sich als Gast im eigenen Haus zu fühlen.

Aber wer war Rudolf Hans König, den seine Mutter immer „Rölfchen“ rief?

Am Anfang seines öffentlichen Wirkens stand die Wahl eines anderen Vornamens, weil es König nach eigener Aussage nicht gefiel, wie die in den Kunstkreisen Londons, in denen er sich Anfang der 1960er Jahre bewegte, stark vertretene Schwulenszene den Namen Rudolf in Vergötterung des Tänzers Nurejew aussprach. Er mochte dieses weiche Timbre nicht, weshalb er sich in Kasper umbenannte, was härter klingen konnte. Wie auch immer: Seitdem galt „Der König ist unverkennbar Kasper“, wie es ein geschätzter Kollege einmal treffend formulierte.

Außer dem oft beschriebenen Nonkonformismus, den König so erfolgreich pflegte, waren es andere Charakteristika, die das Attribut „Kasper“ absolut rechtfertigten: Zum einen seine Uneitelkeit, die nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild kennzeichnete. Es sei denn, man betrachtete diese gepflegte Vernachlässigung als eine umgekehrte Form von Eitelkeit. Zum anderen seine Furchtlosigkeit, die sich darin zeigte, wie er seine Ideen und Projekte verteidigte und vorantrieb. Er war ein Erreger, der seine Pläne mit aller Entschlossenheit erzwingen wollte, selbst auf die Gefahr des Scheiterns. Ein Scheitern war jedoch selten und wenn, dann lag es daran, dass das von König veranschlagte Tempo so manche Beteiligte schlicht überforderte. Die Ungeduld des Zeitschöpfers sorgte dann im günstigen Fall für ungläubiges Staunen, provozierte aber im ungünstigen Fall Symptome von Fluchtverhalten.

Zudem war es seine unbedingte Loyalität, die er nicht nur an seinen Mitarbeiter*innen schätzte, sondern ihnen umgekehrt auch gewährte. Will sagen: Wer einmal für König arbeiten durfte, konnte sich seiner Unterstützung bei künftigen Aktivitäten uneingeschränkt sicher sein. Es bedurfte schon einer kaum vorstellbaren Verfehlung, um sich sein Wohlwollen zu verscherzen.

König war, und das weniger aus tiefer innerer Überzeugung als aus mangelnder Einsicht, ein durch und durch analoger Mensch.

Wichtigste Requisiten waren ein nicht versiegender Vorrat an im Laufe der Jahre zunehmend selbst gestalteten Postkarten, sein berühmtes Adressbuch und der große Kalender. In letzterem waren alle ihm am Tag beziehungsweise in der Woche und darüber hinaus wichtig erscheinenden Verabredungen, Veranstaltungen und Verpflichtungen notiert. Mit ihm war König verwachsen. Wenn er ihn aufschlug, begann sein Tag, und er endete, wenn er ihn zuklappte.

Einziges Zugeständnis an die unabwendbar fortschreitende Digitalisierung war eine spezielle Idee von Facebook. Es basierte auf dem besagten Adressbuch, in dem König seit Beginn seines Schaffens alle Kontakte, die seine Wege gekreuzt haben, sammelte. Wer in diesem Buch nicht verzeichnet war, existierte auch nicht in seiner internationalen Kunstwelt. Die Adressbücher hatten die gleiche Konsistenz wie die Kalender, und König beförderte sie dann irgendwann zum Facebook, indem er begann, kleine Porträtfotos neben die Einträge zu kleben.

Kasper König verstand sich als Ausstellungsmacher und setzte diese Bezeichnung sehr bewusst gegen den Begriff Kurator ab. Diese Abgrenzung, die sich für König wie selbstverständlich aus seinem Werdegang ergab, diskutierte er einmal in einem Podiumsgespräch mit Okwui Enwezor, der die Rolle des Gegenparts einnahm. Ohne akademische Ausbildung war König ein Selfmade-Macher, der sich seine Profession aus der Leidenschaft für die Sache selbst geschaffen hatte. Er entwickelte seine Expertise aus dem intensiven Dialog mit den Künstler*innen, die für ihn immer die höchste Priorität verkörperten. Er spürte so den für ihn interessanten Themen nach, die er anschaulich und haptisch gestalten wollte. Letzteres galt auch für Enwezor, der seine Arbeit jedoch auf der profunden Grundlage akademischer Bildung entwickelt hatte, allerdings eher in Feldern abseits der bildenden Künste. Zu diesen erschloss er sich den Zugang über das Studium der Politikwissenschaft und der aktiven Beschäftigung mit Poesie. Ihm ging es darum, Ausstellungskonzepte zu entwickeln, die ein Thema nicht nur auf der Basis enger Vertrautheit mit künstlerischen Positionen, sondern auch mit einer theoretischen Haltung durchdringen und zur Anschauung bringen.

Obgleich beide völlig unterschiedliche Persönlichkeiten darstellten, vereinte sie das Attribut des Quereinsteigers. Sie waren einander in Respekt und Wertschätzung freundschaftlich verbunden. Enwezor nannte König den „Maestro“, und der nahm ihm die Sympathie bekundende leise Ironie dieser Titulierung nicht übel.

Als der junge König durch die Kunstwelt der 1960er vagabundierte, unbekümmert und offen, gab es das Berufsbild, dessen Mitbegründer er werden sollte, allenfalls in Ansätzen. Für uns nachrückende Generation stellte es eine Wunschvorstellung dar. Seien wir ehrlich: Wer träumte insgeheim nicht davon ein Szeemann oder König zu werden? Meist wies uns die Realität allerdings in andere Bahnen.

Den Freigeist dieser Jahre hat sich König zeitlebens bewahrt, auch als er doch antrat, namhafte Institutionen zu leiten, wobei das bei ihm immer auch formen bedeutete.

War ihm die Frankfurter Städelschule von seinem Selbstverständnis her noch näher, war die Berufung an das Museum Ludwig in Köln eine Aufgabe, die er mit der ihm eigenen Verve anging, aber auch mit einer gehörigen Portion Respekt. Die damalige Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer, die ihn – koste sie es, was er wollte – zu engagieren beabsichtigte, erinnerte sich später: „Mit einem Blatt Papier bewaffnet, betratst Du erneut das Dezernat. Fein säuberlich war da aufgelistet, was die Bedingungen für Dein Kölner Engagement seien. Mir wurde schwarz vor Augen.“ [1] Königs Übernahme der Direktion war eine Wette auf die Zukunft des Hauses. Eine andere Blickrichtung hätte auch gar nicht seinem Wesen entsprochen.

Doch wird sein Lebenswerk immer am engsten verbunden bleiben mit den Skulptur Projekten in Münster, die er mit Klaus Bußmann, seinem Freund aus gemeinsamen Schulzeiten, begründete. Beide ergänzten sich kongenial aus ihrer komplementären Kenntnis (kunst-)historischer Zusammenhänge und aktueller Strömungen zeitgenössischer Kunst. Die herausragende Bedeutung, die die Skulptur Projekte sich in ihrem zehnjährigen Turnus erworben haben, wäre ohne die enge Verbundenheit ihrer beiden Protagonisten nicht denkbar gewesen. Und sie haben König bis zuletzt bewegt, auch als er die Verantwortung für die nächste Ausgabe schon abgegeben hatte. Nicht nur diese von ihm angestoßene Herzensangelegenheit wird nicht mehr die sein, die sie durch und mit ihm war.

Einen König, der Kasper war, werden wir hoffnungslos vermissen:

„When they built you, brother, they broke the mold.“ [2]

Ulrich Wilmes ist Kunsthistoriker. Nach seinem Studium an der Ruhruniversität Bochum und einem Volontariat am Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte organisierte er die Ausstellung „Skulptur Projekte in Münster 1987“ mit. Nach Stationen am Portikus Frankfurt/M., in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München und am Museum Ludwig in Köln arbeitete er bis 2018 als Hauptkurator am Haus der Kunst München.

Image credit: Foto Ute Friederike Schernau

Anmerkungen

[1]Kasper König zum 60. Geburtstag. 21. November 2003, hg. von Thomas Weski/Ulrich Wilmes/Walther König, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2003, S. 300.
[2]Bruce Springsteen, Terry’s Song, 2007.