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BEST OF MARTHA ROSLER? Susanne Holschbach über Martha Rosler in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

„Martha Rosler“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2023, Ausstellungsansicht

„Martha Rosler“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2023, Ausstellungsansicht

Die Zerstörungskraft patriarchaler Regime und die Brutalität von Kriegsgeschehen sind heute so präsent wie vor über 50 Jahren, als Martha Rosler damit begann, diese Realitäten in ihrer Kunst feministisch zu verarbeiten. Auch weitere Themen, die sich durch Roslers Werk ziehen, haben nicht an Aktualität eingebüßt – sei es der Kampf um städtischen Wohnraum oder das Ringen um mediale Deutungshoheit. Mit einer inhaltlich in drei Kapitel gegliederten Retrospektive gibt die Schirn derzeit Einblick in das vielfältige Œuvre der Künstlerin. Inwieweit die Kurator*innen der Bandbreite Roslers künstlerischer und aktivistischer Praxis gerecht werden, erörtert Susanne Holschbach in ihrer Rezension.

Angefangen mit ihren feministischen und Antikriegs-Collagen der späten 1960er Jahre bis zu ihrem jüngsten Projekt, der 2011 begonnenen Dokumentation des Gentrifizierungsprozesses in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, dem Brooklyner Stadtteil Greenpoint, hat Martha Rosler mit ihren Fotoserien, Videos, Performances und Installationen sowie in ihren Schriften stets Stellung bezogen zu virulenten gesellschaftlichen, sozialen und politischen Themen. Eine von Sebastian Baden und Luise Leyen kuratierte Einzelausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, der ersten im deutschsprachigen Raum seit denjenigen in der Generali Foundation Wien von 1999 [1] und im Sprengel Museum Hannover von 2005 [2] , verspricht nun einen „Überblick über Roslers Schaffen seit den 1960er Jahre [zu] bieten“ [3] .

Den Auftakt der Ausstellung bilden fünf in der sogenannten Rotunde, dem eintrittsfreien Bereich vor dem Eingang der Schirn, aufgehängte Banner des Theater of Drones – eine Text-Bild-Arbeit, die Rosler 2013 als Intervention im öffentlichen Raum in Charlottesville, Virginia, realisiert hat, der ersten Stadt in den USA, die eine Resolution gegen den Drohneneinsatz im lokalen Luftraum verabschiedet hatte. Zunächst wirken die Abbildungen von unterschiedlichen Drohnentypen wie „neutrale“ Info- oder Werbeplakate. Die Inhalte der Überschriften, Texte und Statistiken offenbaren jedoch eine scharfe Kritik am Einsatz unbemannter Flugzeuge als Überwachungstechnologie und Kriegswaffe und vermitteln so einen ersten Eindruck von Roslers politischer Haltung sowie von dem Thema, das im Zentrum der Werkschau steht, deren drei Kapitel im zweiten Stock der Schirn präsentiert werden.

Martha Rosler, „Theater of Drones“, 2013

Martha Rosler, „Theater of Drones“, 2013

Das Kapitel der „Antikriegsbilder“ nimmt den größten Bereich des durch Stellwände in drei Bereiche gegliederten Raums der Ausstellung ein, in dessen Mittelpunkt ein weiß lackiertes Fass, umgeben von Satelliten aus Coladosen, knapp über dem Boden schwebt. Die inhaltliche Gewichtung mag zum einen der Präsenz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geschuldet sein, bildet vermutlich aber auch ein spezifisches Interesse von Sebastian Baden ab, der vor der Übernahme der Leitung der Schirn als Kurator der Kunsthalle Mannheim eine Ausstellung zu „künstlerische[r] Perspektive auf die Geschichte und Ikonografie des modernen Terrorismus“ [4] ausgerichtet hat. In der Schirn werden Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen Roslers gezeigt, die sich mit den jeweils aktuellen Militäroperationen der USA und den Kriegseinsätzen der NATO auseinandersetzen: von den längst ikonischen, an John Heartfield und Hannah Höch geschulten Fotocollagen House Beautiful: Bringing the War Home (circa 1967/72) – die die Künstlerin im Zuge ihres Engagements in feministischen, sich auch gegen den Vietnamkrieg positionierenden Gruppen für Plakate und Zeitschriften entwickelt hat (Aktualisierungen von 2004 und 2008 im Kontext der Kriege in Afghanistan bzw. im Irak hat Rosler mit House Beautiful: Bringing the War Home. New Series betitelt und so einen direkten Bezug zum Vietnamkrieg hergestellt) – bis zur Wandarbeit It Lingers (1993) und der Installation OOPS! (Nobody loves a hegemon) (1999), die vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege entstanden. Zusammen mit der Fotoserie March on the Pentagon for jobs and against the war in El Salvador, Washington DC, 3 May 1981 (o. J.) und dem Video If it’s too bad to be true, it could be DISINFORMATION (1985) zur Rolle des Fernsehens in der Zeit der Reagan-Regierung sowie kleinen Bodenskulpturen in Form von Kampfjets (B-52 in Baby’s Tears, 1972, und Prototype.[Sandbox B2], 2006) veranschaulichen die „Antikriegsbilder“ die große Bandbreite an Medien und Ästhetiken, die Rosler zum Einsatz bringt.

In der 1993 produzierten Arbeit It Lingers verwendet Rosler ein anderes Montageprinzip als in den Serien von Bringing the War Home: Hier wird nicht Material aus unterschiedlichen Zeitungsgenres (z. B. der Tagespresse und Lifestyle-Magazinen) konfrontativ zu einem Bild collagiert, sondern eigene Fotografien, Zeitungsausschnitte und Filmstills werden in einem großen Tableau direkt neben- bzw. untereinandergestellt. Gleich einer dreidimensionalen Montage kombiniert die Installation OOPS! die oben erwähnte Fallschirmkonstruktion mit in unterschiedlichen Medien aufbereiteten Informationen. An der Wand veranschaulichen Plakate unter anderem mit Konstruktionszeichnungen, wie die zur Unterbrechung des serbischen Stromnetzes eingesetzten Kanister- und Splitterbomben funktionieren. Auf einem Tisch stellt die Künstlerin einen Ordner mit gesammelten Zeitungsausschnitten zum Kriegsgeschehen bereit sowie ein alten Macintosh, auf dem sich Besucher*innen durch archivierte albanische und serbische Webseiten – Onlinepropaganda in ihren Anfängen – klicken können.

Martha Rosler, „Semiotics of the Kitchen“, 1975, Filmstill

Martha Rosler, „Semiotics of the Kitchen“, 1975, Filmstill

Den Kapiteln „Politik des Bildes, der Sprache und des Körpers“ und „Dokumentation und Kritik“ wird weniger Platz eingeräumt als den „Antikriegsbildern“. Neben der Collage-Serie Beauty knows no pain, or Body Beautiful (1966/72), die wie Bringing the War Home aus der Zeit von Roslers Engagement in einer sozialistisch-feministischen Frauengruppe in San Diego stammt, stehen drei auf zwei Monitoren gezeigte Videos für Roslers Auseinandersetzung mit der Repräsentation von Weiblichkeit und Geschlechterrollen. Die legendäre Videoperformance Semiotics of the Kitchen (1975), die auf wunderbar lakonische Weise zugleich Kochsendungen und die Art & Language-Konzeptkunst-Avantgarde parodiert [5] , läuft abwechselnd mit der gefakten Fernsehdokumentation Losing. A Conversation with Parents (1977), in dem ein von Schauspieler*innen dargestelltes Elternpaar zwischen der Reflexion über die tödliche Anorexie ihrer Tochter, dem Hungerstreik als politischem Mittel und der Ungerechtigkeit des Hungers in der Welt hin- und her mäandert. Ohne die Relevanz dieses fast 20-minütigen Videos in Abrede zu stellen, wäre an dieser Stelle eine Beschränkung auf das kürzere Semiotics of the Kitchen sinnvoll gewesen, dessen Kultstatus die im Video Semiotics of the Kitchen: An Audition (2011) dokumentierten Proben für ein Reenactment der Performance hätte belegen können. [6] Auf einem eigenen Monitor mit Kopfhörer ist die Performance Martha Rosler Reads „Vogue“ (1982) zu sehen, in der Rosler die Begehrensproduktion von Fashionmagazinen mit der ökonomischen Realität der Modeindustrie konfrontiert. Die über 25-minütige Dekonstruktion der Botschaften von Vogue erfordert volle Aufmerksamkeit, das Verweilen wird jedoch durch die ungünstige Positionierung der Monitore im Durchgang erschwert, zumal auch Sitzgelegenheiten fehlen.

Letztere sind vor den kurzen Super-8-Filmen im Kapitel „Dokumentation und Kritik“ vorhanden, das in einem Raum im Raum untergebracht ist. Durch dessen Eingang ist die Arbeit The Bowery in two inadequate descriptive systems (1974/75) schon von Weitem sichtbar. Zusammen mit dem einige Jahre später erschienenen Essay „In, Around, and Afterthoughts (on Documentary Photography)“ [7] begründet das Werk den kritischen Diskurs zur sozialdokumentarischen Fotografie mit: „Wir [damit ist u. a. Allan Sekula mitgemeint] mussten das Dokumentarische erneuern, wieder erfinden, zurückerobern“, erläutert Rosler rückblickend in einem Gespräch mit Molly Nesbit und Hans Ulrich Obrist. [8] Das streng konzeptuelle Tableau mit den Schwarz-Weiß-Fotos von verschlossenen Ladenfronten und Textzeilen, die den Zustand des Betrunkenseins in unterschiedlichen Idiomen umschreiben, spiegelt sich im Glastisch, auf dem die Arbeit Greenpoint Projekt (2011) platziert ist.

„Martha Rosler“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2023, Ausstellungsansicht

„Martha Rosler“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2023, Ausstellungsansicht

Ganz anders konzipiert als The Bowery, besteht das Greenpoint Projekt aus einfachen Farbabzügen mit Porträts von migrantischen und postmigrantischen Betreiber*innen kleiner Restaurants und Läden des ehemaligen Industrieviertels. Einige mussten trendigen Cafés und Shops mit hipper Klientel weichen, sie werden in der Fotoserie Greenpoint. New Fronts (seit 2015) gezeigt, mit der Rosler die Gentrifizierung ihres Viertels dokumentiert, des „still-slightly-gritty-but-on-the-way-to-becoming-hipsterland-Greenpoint“, wie sie es 2012 in ihrem Essay „Culture Class, Creativity and Urbanism“ charakterisiert. [9] Eine Kontextualisierung der Greenpoint-Arbeiten in Roslers langjähriger Beschäftigung mit dem Thema der Stadtentwicklung wird leider nicht gegeben, obwohl gerade diese ein wichtiger Aspekt ihrer aktivistischen Tätigkeit ist. Dazu zählt etwa ihr kuratorisches Projekt If you Lived Here (1989), in dessen Rahmen die Künstlerin verschiedene Akteur*innen zu insgesamt drei Ausstellungen in die Dia Art Foundation einlud, um Themen wie Wohnungsbeschaffung, Obdachlosigkeit, Architektur und Stadtplanung zu verhandeln. [10]

Gegenüber der Greenpoint-Fassaden wird die Installation In the Place of the Public: Airport Series (seit 1983) gezeigt, die aus Textelementen und Fotografien von Transiträumen in Flughäfen besteht, von Rosler auf Reisen aufgenommen. Sie sind nur Beispiele der zahlreichen Motive, die die Künstlerin seit den 1970er Jahren unterwegs mit einer Kleinbildkamera festhielt. [11] In der Ausstellung zeigt eine Diaschau in der Flucht des dunklen Gangs Fotografien unterschiedlicher Demonstrationen und Kundgebungen auf den Straßen New Yorks. [12] Die Aufnahmen entwerfen ein Gegenbild zu den bürgerlichen Interieurs der Lifestyle-Magazine, der Hypertrophie der Konsumwelt und den bedrückenden Kriegsszenarien: Indem sie die Kreativität der Protestierenden, die sich in Bannertexten und -bildern manifestiert, dokumentiert, bezeugt Rosler die Widerständigkeit und Solidarität einer Zivilgesellschaft, die einen Moment der Utopie in der dystopischen Gegenwart aufrechterhält.

Die räumlich kompakte Ausstellung vermittelt Besucher*innen, die mit dem Werk von Martha Rosler nicht vertraut sind, einen lohnenden Einblick in die Themen und medialen Arbeitsweisen der Künstlerin. Mit der Fokussierung auf besonders bekannte Werke und der Schwerpunktsetzung auf das Thema Krieg zeichnet die Ausstellung jedoch ein recht reduktionistisches Bild ihrer über 50 Jahre andauernden künstlerischen und aktivistischen Tätigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass noch zu Lebzeiten der Künstlerin eine umfassende Würdigung ihres Gesamtwerks in einer großen Museumsausstellung realisiert wird.

„Martha Rosler: In One Way or Another“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 6. Juli bis 24. September 2023.

Susanne Holschbach ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin. Sie hat an verschiedenen Universitäten und Kunsthochschulen als Vertretungs- bzw. Gastprofessorin gelehrt (zuletzt an der HBK Braunschweig und der HfG Karlsruhe). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Mediengeschichte und -theorie der Fotografie, zeitgenössische Kunst und Medialität, Gender und visuelle Kultur.

Image credits: 1+4. Courtesy of Martha Rosler und Schirn Kunsthalle Frankfurt; 2. Courtesy of Martha Rosler, Galerie Nagel Draxler; 3. Courtesy of Martha Rosler, Electronic Arts Intermix (EAI), New York

Anmerkungen

[1]„Positionen in der Lebenswelt“, Generali Foundation, Wien, 12. Mai bis 8. August 1999. Der gleichnamige von Sabine Breitwieser in Zusammenarbeit mit Catherine de Zegher hrsg. Katalog ist nach wie vor das wichtigste deutschsprachige Kompendium zum Werk von Martha Rosler; Positionen in der Lebenswelt, Ausst.-Kat., hg. von Breitwieser/de Zegher, Generali Foundation, Wien, 1999.
[2]Die Ausstellung „Martha Rosler. If Not Now, When?“ im Sprengelmuseum Hannover, 30. Januar bis 16. Mai 2005, wurde ausgerichtet anlässlich der Verleihung von SPECTRUM – internationaler Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen. Im Katalog zu dieser Ausstellung gibt Inka Schube eine sehr konzise Einführung zu Roslers Werk: Inka Schube, „Eine andere Art der Kriegsberichterstattung“, in: martha rosler. passionate signals, Ausst.-Kat., hg. von Ders., Sprengelmuseum, 2005, S. 271–281.
[3]So die Formulierung in der Pressemitteilung.
[4]Zitat aus dem Pressetext zur Ausstellung „MINDBOMBS. Visuelle Kulturen der Gewalt“, Kunsthalle Mannheim, 10. September 2021 bis 24. April 2022, (letzter Zugriff: 5. August 2023).
[5]Ein Thema, das Rosler nach wie vor beschäftigt, etwa in dem zusammen mit Josh Neufeld konzipierten Comic The Art of Cooking: A (Mock) Dialog between Julia Child und Craig Clayborn; siehe Martha Rosler/Josh Neufeld: „Food Riot? Food Riot!“, in: e-flux, #110 (Juni 2020), (letzter Zugriff: 5. August 2023). Zu Roslers Auseinandersetzung mit dem sozialen, kulturellen und politischen Gebrauch von Nahrung siehe auch Alexander Alberro, „Die Dialektik des Alltags. Martha Rosler und die Strategie der Verlockung“, in: Positionen in der Lebenswelt, S. 150–186.
[6]Das Reenacment wurde 2003 anlässlich der Ausstellung „A Short History of Performance, Part II“ in der Whitechapel Gallery in London von insgesamt 26 Frauen durchgeführt; vgl. das Werkverzeichnis auf der Website von Rosler (letzter Zugriff: 5. August 2023).
[7]Erstveröffentlichung in: Martha Rosler, 3 Works, Halifax, N. S.: Press of Nova Scotia College of Art & Design, 1981.
[8]Martha Rosler im Gespräch mit Molly Nesbit und Hans Ulrich Obrist, in: martha rosler. passionate signals, S. 6–63, hier: S. 29.
[9]Martha Rosler, „Culture Class, Creativity and Urbanism Part III“, in: e-flux, #25 (Juli 2011, letzter Zugriff: 5. August 2023). In dem dreiteiligen Essay beschäftigt sich Rosler theoretisch und aus historischer Perspektive mit der Rolle von Künstler*innen und der Creative Class in urbanistischen Prozessen. Siehe auch Martha Rosler, „The Artistic Mode of Revolution. From Gentrification to Occupation“, in: e-flux, #33, (März 2012, letzter Zugriff: 5. August 2023).
[10]Siehe dazu das Werkverzeichnis in Positionen in der Lebenswelt: „Neben KünstlerInnen, Film- und VideomacherInnen kamen Obdachlose, HausbesetzerInnen, DichterInnen, AutorInnen, Schulkinder und andere AktivistInnen zu Wort und stellten ihre Arbeiten vor“, S. 276. Unter dem Titel „‚If You Lived Here Still …‘“ wurden zwischen 2009 und 2011 Archivmaterialien und Dokumente dieses Projekts ausgestellt.
[11]Eine umfangreiche Dokumentation dieser fotografischen Arbeiten bietet der Katalog martha rosler. passionate signals.
[12]Die nicht eigens als Werk ausgewiesenen Fotografien werden als eine unendlich laufende Diaschau in der Flucht des dunklen Gangs und am Scheitelpunkt des großen Raums mit den Collagen gezeigt.