Cookies disclaimer
Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to deliver better content and for statistical purposes. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device. I agree

126

KÖRPER MIT GROSSEM K – DIE REGEL VON DER AUSNAHMEFRAU Stefanie Diekmann über „Body of Truth“ von Evelyn Schels

Evelyn Schels, „Body of Truth“, 2019, Filmstill

Evelyn Schels, „Body of Truth“, 2019, Filmstill

Mise en Scène der Künstlerin als Bild. Ein Film über vier Doyennen der bildenden Kunst – Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding – verspricht Großes und ist in der Tat genau dies: eine Heldinnenerzählung. Just darin liegt aber das entscheidende Problem des Films, wie die Medienwissenschaftlerin Stefanie Diekmann argumentiert. Das Ensembleporträt der Powerfrau über 50 – jener Ausnahmefigur, die es geschafft hat, obwohl sie einstecken musste; die ihr Ding macht und das nicht erst seit gestern – reaffirmiert gerade die genderbezogenen Diskriminierungen des Kapitalismus, von denen sich seine vier Protagonistinnen so vehement losgesagt haben.

Body of Truth (2019), eine Dokumentation über die Künstlerinnen Marina Abramović, Sigalit Landau, Shirin Neshat und Katharina Sieverding, ist ein unerfreulicher Film, auch wenn er von einigen Seiten viel Lob erhalten hat. Ein Porträt von „vier Künstlerinnen auf einer emotionalen Reise durch ihre Biographien“ hat die Produktionsfirma (Indi Film) angekündigt; die Rezensionen beschreiben ihn unter anderem als den gelungenen Versuch, einem Kinopublikum „die Schaffensprozesse und Persönlichkeiten der vier Künstlerinnen näherzubringen“ (Kino-Zeit), als ein „Ensemble sehr persönlicher Lebens- und Arbeitszeugnisse“ (Der Spiegel) oder als eine Hommage an vier „Kämpferinnen für Wahrheit und innere Freiheit“ (Der Tagesspiegel).

Das Prinzip der Hommage ist ohne Zweifel bestimmend für die filmische Arbeit von Evelyn Schels, die für den Bayerischen Rundfunk und Arte Film-Portraits (Eigenbezeichnung) über Per Kirkeby (2014), Georg Baselitz (2013), Amedeo Modigliani (2009) und Jean Tinguely (2007) gedreht hat. Die Würdigung ist Programm, und die filmische Partitur aus aktuellen Aufnahmen und Archivmaterial, aus denen sich Body of Truth zusammensetzt, ist zuallererst auf Ikonisierung angelegt: eine Mise en Scène der Künstlerin als Bild, teils Trademark, teils Monument, was vor allem den Selbstinszenierungen, mit denen ­Sieverding und Abramović seit einigen Jahrzehnten befasst sind, ganz gut entspricht.

In ihrer Konzeption ist diese Mise en Scène konventionell. Schels’ Film, der Porträt, Einblick, Huldigung sein will, lässt sich als eine Fallstudie zur generischen Inszenierung von Künstler*innenfiguren im Dokumentarfilm betrachten und liefert entsprechendes Anschauungsmaterial: Der erste Auftritt vor einer Stadt-, Natur-, Atelierkulisse, je nachdem, welcher Akzent für die folgenden Szenen gesetzt werden soll (Body of Truth schickt alle vier Protagonistinnen erst einmal ans Wasser, Element des Wandels und der Weiblichkeit); die Selbstauskünfte, ebenfalls vor variabler Kulisse, die Intimität codieren kann (der Privat­raum) oder Arbeitsdisziplin (das Atelier), eine explorative Arbeitshaltung (der Spaziergang) oder konzeptionelle Strenge (der Schreib- und Arbeitstisch); die Atelierbesuche, mit denen manchmal eine kleine Werkschau verbunden wird; der Blick auf Szenarien der Produktion und der Präsentation, von Ortsbesichtigungen (Landau) bis zu Aufführungssituationen im Museum (­Abramović); und vor, zwischen und nach den aktuellen Aufnahmen das Archivmaterial, das von Kindheit und Jugend erzählt, von biografischen Prägungen, ohne die das standardisierte Künstler*innenporträt nicht auskäme, von Schlüsselerlebnissen und von bezwungenen Widerständen, denn die Dokumentation ist in diesem Film auch als Heldinnenerzählung angelegt.

Die Koppelung der persönlichen und der künstlerischen Biografie erfolgt in Body of Truth sehr dezidiert. Das Trauma, die gewaltbestimmte Erfahrung geschichtlicher Umbrüche, soll in jedem der Porträts eine Rolle spielen, mit dem Ergebnis, dass die Vernichtung und Heimsuchung zweier jüdischer Familien durch die Shoah­ (­Lan­dau), die Vertreibung und Internierung deutscher Besatzer nach 1945 (Sieverding), die Diaspora nach dem islamistischen Umsturz im Iran (Neshat) und die Malaise im gewaltsam befriedeten Jugoslawien der 1950er Jahre (Abramović) tendenziell nivelliert und derselben Funktion untergeordnet werden: zu erklären, warum das Werk der jeweiligen Künstlerin so aussieht, wie es aussieht, und auf diese Weise das Œuvre und die Person umso stabiler zu verbinden. Dass „ein klares Verständnis gegenwärtiger Kunst in ihrer jeweils aktuellen politischen Dimension“ (so der Verleih) auch abseits der Biografie untersucht werden kann – etwa mit Blick auf Praktiken, Referenzen, Arbeits- und Rezeptionsformen –, ist kein Thema für diesen Film, der stattdessen ein Ensemble von Heroinnen instituiert, denen die Geschichte mit großem G zum Movens und Material wird.

Der Umgang mit Akteurialität ist ein Problem – in Body of Truth nicht weniger als in den sehr zahlreichen Dokumentationen, die ihr Künstler*innensubjekt immer noch als eines entwerfen, das solistisch agiert und ohne Unterstützung tätig wird. Und die dennoch dem solistischen Subjekt, sofern es kein männliches ist, nicht denselben Platz einräumen wie den Großkünstlern von Kiefer bis Baselitz (im entsprechenden „Portrait“ von Schels mit 105 Minuten bedacht), die längst alle ihren eigenen Dokumentarfilm haben. (Ausnahme: Marina Abramović, deren Retrospektive im MoMA 2010 zwei Jahre später durch die in alle Richtungen ausbuchstabierte Hagiografie The Artist is Present ergänzt wurde.) Es gehört zu den Paradoxien dieses Films, dass die Assistent*innen, die an der Produktion von Landau, Sieverding et al. sehr offensichtlich beteiligt sind, von der Kamera nicht anders behandelt werden als das Inventar und die Apparate, die sich ebenfalls im Bild befinden. (Desiderat: Filme über die Assistenzfiguren des Kunstbetriebs, nicht als Hommage, sondern strikt soziologisch konzipiert.) Und dass sich zugleich die vier Künstlerinnen, die hier ikonisiert werden, die moderate Laufzeit von 92 Filmminuten teilen müssen: plus/minus 23 Minuten für jede, was ausreicht, um ein paar Bilder und Auftritte abzufilmen und ansonsten das Programm des dokumentarischen Künstler*innenporträts mit etwas mehr Eile abzuspulen als üblich.

Evelyn Schels, „Body of Truth“, 2019, Filmstill

Evelyn Schels, „Body of Truth“, 2019, Filmstill

Wie das Line-up der vier eigentlich zu plausibilisieren wäre, ist eine andere Frage, wenn auch keine, bei der sich der Film lange aufhält. Folgt man den Setzungen von Body of Truth, so ist der Zusammenhang evident: Diejenigen, die hier porträtiert werden, sind Künstlerinnen und in ihrer Arbeit vor allem auf den Körper bezogen, der durch den Titel als Träger einer Wahrheit eingeführt wird, die wiederum direkt mit der Weiblichkeit des Subjekts verbunden ist. Dass indes die künstlerische Praxis der vier Protagonistinnen sehr wenig gemeinsam hat, deutet sich bereits in einer der ersten Szenen an, wenn Sieverding erklärt, dass ihr der Fokus auf den ganzen Körper stets etwas fremd und unbehaglich geblieben und ihre Arbeit stattdessen auf das Gesicht konzentriert sei. Aber auch dort, wo der Körper als Schauplatz und Akteur in Erscheinung tritt, sind die Abstände zwischen den Performances von Abramović (Endurance, Selbstverletzung), den elementarisch-elegischen Videos von Landau und den Fotografien und Filmen Neshats, deren zentrales Prinzip das Ornament ist, denkbar groß. (Ausnahmen bestätigen die Regel, darunter Landaus frühe Videoperformance Barbed Hula [2000], die als kontrollierte, in die Länge gezogene Selbstverletzung an die frühe ­Abramović erinnert.)

Weil die Abstände zwischen den Arbeiten und Arbeitsinteressen im Verlauf des Films immer deutlicher werden und weil Body of Truth auch an den punktuellen Korrespondenzen nicht besonders interessiert scheint, entsteht nach und nach, von viel Unbehagen grundiert, der Eindruck, dass die Auswahl der vier Künstlerinnen weder mit Praktiken noch mit Sujets viel zu tun hat, sondern mit einer ganz anderen Kategorie: jener der Women of a Certain Age. Das mag absurd erscheinen; immerhin liegen zwischen Sieverding, Jahrgang 1944, und Landau, Jahrgang 1969, 25 Jahre. Aber wo andere Verbindungen nicht zu erkennen sind (der versehrte Körper bei Abramović ist ein ganz anderer als der flächig inszenierte und bemalte und später zu Formationen geordnete bei ­Neshat, der fluidisierte in Landaus Videos und die monumentalisierte Facies in Sieverdings Fotos), liegt der Verdacht nicht fern, dass Body of Truth von seiner Regisseurin primär als Ensembleporträt der Powerfrau über 50 konzipiert worden ist: jener Ausnahmefigur, die es geschafft hat, diesmal eben im Kunstbetrieb; die einstecken musste und sich behaupten kann; die von Erfahrungen mit Rückschlägen und Verlusten zu berichten weiß und doch vor allem in einer Rolle gecastet wird. Die Frau also, die ihr Ding macht, nicht erst seit gestern, und dafür längst die gebotene Aufmerksamkeit erhält.

Das Empowerment-Projekt, das in Body of Truth eingeschrieben ist, wäre weniger unbehaglich, wäre es nicht von problematischen, durchaus heterogenen Bildern und Verweisen durchsetzt. Das betrifft die Szenografie des Erfolgs: die Skyline, das Loft, die Fensterfronten, die großen Arbeitsräume und die cleanen Arbeitsflächen, die sich ohne Umstände aus dem Ensembleporträt in einen Bankenkrimi transferieren ließen. Es betrifft aber auch jene genderbezogenen Assoziationen, die nebenbei und wie selbstverständlich kommuniziert werden: die Ineinssetzung von Weiblichkeit und Körperlichkeit; die Adressierung des Körpers als Ort der Wahrheit; die Anti-Intellektualität, die sich dort artikuliert, wo körperliche Regungen als die wahren und wesentlichen beschrieben werden; die Glorifizierung von Mutterschaft, unter Schmerzen erfahren, aber umso bedeutsamer für die Gewissheit weiblicher Stärke; die raunende Beschwörung weiblicher Überlegenheit, die auch dann nicht zu ertragen ist, wenn sie von Abramović im üblichen Modus sympathischer Crazyness vorgebracht wird.

Mehr als die generischen Elemente irritieren also diejenigen, die Body of Truth als spezifisch verstanden wissen will: spezifisch weiblich, spezifisch heroisch, spezifisch essenziell, in einer ebenso diffusen wie insistenten Verkettung, der in diesem Film an keiner Stelle widersprochen wird.

Evelyn Schels, „Body of Truth“, Indi Film, 2019.