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WIE „NACHHALLIG“ IST EINE REZENSION? Andreas Beyer über wissenschaftliche Besprechungen allgemein und seine ausgebliebene zur jüngsten Donatello-Ausstellung im Besonderen

Donatello und Michelozzo, Tanzende Spiritelli von der Prato-Kanzel, 1434–1438

Donatello und Michelozzo, Tanzende Spiritelli von der Prato-Kanzel, 1434–1438

Während sich die meisten der hier versammelten Texte mit der Review in Kunstzeitschriften auseinandersetzen – und selbiges auch sind –, blickt Andreas Beyer auf Besprechungen in akademischen Fachjournalen. Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich eines sehr viel spezifischeren Publikums von Reviews in Zeitschriften wie TEXTE ZUR KUNST, auch die Aktualität ihres Gegenstands sowie ihre Offenheit gegenüber unkonventionellen Methodologien sind verschieden, wie der Kunsthistoriker am Beispiel einer möglichen Rezension, die er über das internationale Ausstellungsprojekt „Donatello: Erfinder der Renaissance“ hätte schreiben können, darlegt. Letztlich verfasste Beyer dann doch einen wissenschaftlichen Aufsatz, der nun selbst einer anderen Form der Review, der Peer Review, unterliegt.

Die Erörterung der Review in den gängigen Kunstzeitschriften (Pars pro Toto: Artforum, Frieze, Monopol oder TEXTE ZUR KUNST) dürfte sich m. E. sinnvoll ergänzen lassen um die Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Rezension, wie sie in den Fachjournalen erscheint (u. a. Art Bulletin, The Burlington Magazine, Kunstchronik). Während genannte Reviews eher selten historischen Gegenständen gewidmet sind – ganz so, als habe die ältere Kunst keinerlei ästhetische oder intellektuelle Wirkkraft auf die Gegenwart –, ist die wissenschaftliche Rezension übrigens weniger verlegen um Stellungnahmen bezüglich des gesamten zeitlichen Spektrums; bis zum Jetzt. Allerdings zielt sie durchaus nicht auf unmittelbare Wirkung, sondern gleichsam auf eine etwas überzeitlichere Wahrheit – Ausstellungsbesprechungen, die dort noch während der Laufzeit einer Schau erscheinen, geraten leicht in den Ruch des Unseriösen.

Was sie von der zeitgenössischen Kritik aber noch grundlegender unterscheidet, ist die Autor*innenschaft. Eine professionelle Kritikerin oder ein Journalist kommen darin in der Regel nicht zu Wort. Der wissenschaftliche Kommentar, ob zu einem Buch oder einer Ausstellung, nährt sich aus der akademischen Disziplin selbst: Fachleute, Peers, nehmen zueinander Stellung. Womit vermeintlich einschlägige Expertise gesichert, der Conflict of Interest aber umso entschiedener vorprogrammiert ist. Denn meist geht es, unausweichlich, um die Verteidigung des eigenen Terrains, den Kampf um Deutungshoheiten, die Auseinandersetzung von Denkschulen. Weil aber alle Beteiligten „in einem Boot“ sitzen, finden sie sich in einer Verstrickung wieder, die kaum auflösbar scheint. Der oder die kritisierte Kolleg*in droht ja, in der nächsten Berufungskommission zu sitzen, bei der Zusprache von Fördermitteln oder Druckkostenbeihilfen, die man selbst einmal vielleicht beantragen würde wollen, mitzureden und überhaupt dafür zu sorgen, dass, fällt die Rezension arg negativ aus, weitere unerfreuliche Konsequenzen folgen. Eine weniger raffinierte Methode besteht darin, sich bei nächster Gelegenheit mit einer Besprechung zu revanchieren. Aber auch betont wohlwollende Einlassungen stehen unter Verdacht – nur unter umgekehrten Vorzeichen. Im besten Fall sorgt diese wechselseitige Abhängigkeit im selbstverwalteten akademischen Betrieb für einen zivilen Ton und Umgang, mit meist aber weitreichenden Einbußen, was pointierte Zuspitzungen, den erfrischenden Schlagabtausch, vitales Zeitzeugnis, die Freude am Lesen insgesamt betrifft. So entsteht vielfach, was Bibliotheksleute „graue“ Literatur nennen.

Noch eines kommt hinzu. Mir erging es kürzlich anlässlich der Ausstellung des Bildhauers Donatello, die 2022/23 in Florenz, Berlin und London gezeigt wurde, wie folgt. Es handelte sich um eine Schau, gegen die ich fundamentale Vorbehalte hatte. Nicht wegen der möglicherweise problematischen Zuschreibungen bei einigen der gezeigten Werke, die Gegenstand der Fachkritik jenseits des enthusiastischen Tenors fast aller Feuilletons waren. Mir stieß vielmehr auf, dass in allen drei Katalogen – für jeden Austragungsort entstand eine eigene Version – die magere Quellenlage bezüglich der Lebens- und Arbeitsumstände des Künstlers beklagt wurde, zugleich aber auf den großen Schatz an „Anekdoten“, wie sie aus dem (un-)mittelbaren Umfeld Donatellos überliefert sind, nicht zurückgegriffen wurde. Dabei lässt sich aus diesem eine enorme Menge an Informationen zur Lebensform, künstlerischen Praxis und auch theoretischen Positionierung des Bildhauers entnehmen. Die akademische Kunstgeschichte hat aber offenbar noch immer Schwierigkeiten damit, die spätestens durch den New Historicism als (quasiliterarische) Primärquelle rehabilitierte Anekdote überhaupt nur wahrzunehmen – Werner Buschs 2020 in München erschienenes Buch Die Künstleranekdote 1760–1960 bleibt eine rühmliche Ausnahme. Darüber hinaus ist die „Künstlergeschichte“, wie sie seit den Viten des Giorgio Vasari (1550/1568) über Jahrhunderte das eigentliche Geschäft der Kunstgeschichte war, nicht zuletzt als Folge des hysterischen Geniekults des 19. Jahrhunderts arg in Verruf geraten. Was nun aber bedauerlicherweise dazu geführt hat, dass die Biografie und Lebenswirklichkeit, die individuelle Leiblichkeit insgesamt, gänzlich ausgeblendet bleiben. Und sich die akademische Kunstgeschichte angesichts der unübersehbaren Ausdehnung des Ichs in der zeitgenössischen Kunst gerade mit dieser besonders schwertut.

Donatello: Sculpting the Renaissance“, Victoria and Albert Museum, London, 2023, Ausstellungsansicht

Donatello: Sculpting the Renaissance“, Victoria and Albert Museum, London, 2023, Ausstellungsansicht

Im Falle Donatellos hätte eine Möglichkeit, darauf zu reagieren, nun darin bestanden, eine Rezension zu verfassen, die exakt dieses Problem benannt und mit sprechenden Beispielen unterfüttert hätte. Es ist nun aber nicht, weil ich mich mit der einen oder dem anderen der zuständigen Kurator*innen befreundet fühle, oder gar, weil ich Konsequenzen irgendwelcher Art befürchtet hätte, dass ich darauf verzichtet habe. Mein Einspruch hätte gewiss seine kurzzeitige Wirkung getan; mehr als vereinzeltes Kopfnicken aber wohl kaum ausgelöst. Dagegen erschien mir jedoch das Ergebnis, das ich zu Donatello aus den zahlreichen anekdotischen Quellen, wie sie namentlich Angelo Poliziano und Giorgio Vasari verfügbar gemacht haben, extrapoliert hatte, gleichsam zu „kostbar“, um es im kurzlebigen Format der Besprechung zu „vergeuden“. Denn eine kaum zu bestreitende Tatsache bleibt es ja, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Rezension, auch wenn sie im exquisitesten Fachjournal erscheint, mit ihren Erkenntnissen nicht eingeht in die wissenschaftliche Literatur. Nicht nur, dass sich die Wissenschaft noch immer weigert, die sogenannte Tageskritik, wie sie etwa in den Feuilletons vorgetragen wird (und, das nebenbei, sehr oft von nicht weniger gut ausgewiesenen Fachleuten), in den eigenen Diskurs einfließen zu lassen; auch die „Fach-Rezension“ bleibt, von Ausnahmen abgesehen, letztlich ohne bleibende Spur. Gewiss, „Nachhall“ generiert sie – allerorten spricht man darüber, rümpft die Nase, schüttelt den Kopf oder nickt mit demselben. „Nachhaltig“ wirkt sie dagegen grundsätzlich kaum – im Falle von Ausstellungen schon deshalb nicht, weil deren je eigene „Geschichte“ noch immer zu selten zum Gegenstand eigenen Interesses wird. Weshalb sich auch immer weniger Personen finden lassen, die dieses undankbare Geschäft übernehmen. Wiewohl alle selbstverständlich ungeduldig erwarten, rezensiert zu werden. Als viele Jahre zuständig gewesener Herausgeber der Zeitschrift für Kunstgeschichte könnte ich ein episches Klagelied davon anstimmen.

Und auch ich habe im Fall Donatello gekniffen. Statt einer Besprechung habe ich vielmehr einen Aufsatz verfasst, in dem ich meine Quellen ausbreite und kommentiere, in der Hoffnung, solcherart das Schrifttum zu Donatello folgenreicher zu beeinflussen. Aktuell liegt das Manuskript bei einem einschlägigen Journal und durchläuft das Peer-Review-Verfahren. Angefragt werden Personen aus jenem Kreis geworden sein, die sich als Kurator*innen oder Autor*innen im Rahmen der besagten Donatello-Ausstellung als Spezialist*innen empfohlen haben. Damit wird das Manuskript von ungenannt bleibenden Gutachter*innen sozusagen vorab „reviewed“. Und dann, gegebenenfalls, nicht gedruckt. Falls doch, wird der Aufsatz freilich nicht „rezensiert“. Es gab nur einmal, zuzeiten des schon aus diesem Grund immer gern erinnerten Henning Ritter (1943–2013) – in der von ihm begründeten Beilage „Geisteswissenschaften“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – eine kurze Phase, in der Aufsätze eingehender Besprechungen gewürdigt wurden. Das ist eine Ausnahme geblieben; Schule hat es leider nie gemacht. Und so bleibt, dass man für einen Aufsatz nur hoffen kann, dass er, wenn er das vorgängige Verfahren der anonymen „Review“ überstanden hat, zwar nicht besprochen, immerhin aber doch „zitiert“ wird. Worauf die Rezension, unverdientermaßen, wiederum kaum hoffen darf.

Andreas Beyer ist Kunsthistoriker und Professor für Kunstgeschichte an der Universität Basel. Zuletzt erschien von ihm: Künstler, Leib und Eigensinn. Die vergessene Signatur des Lebens in der Kunst (Wagenbach Verlag, 2022).

Image credit: 1. photo Andreas Beyer; 2. © Victoria and Albert Museum, London