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Melanie Ohnemus

"If Only You Could See What I Have Seen With Your Eyes" Über die Videoarbeiten von Nina Koennemann

Nina Koennemann

In den Videoarbeiten von Nina Könnemann nehmen die Handlungsorte eine bedeutsame Rolle ein. Obwohl es sich um eher alltägliche Orte wie z.B. einen nachsaisonalen Badestrand in Hamburg, die S-Bahnstation Potsdamer Platz in Berlin oder die Wiese eines Musikfestivals am Morgen danach handelt, ist gerade die Abwesenheit eines Ereignisses - das es vermeintlich eher zu dokumentieren lohnen würde - entscheidend für die Wahl. Es sind Orte des Übergangs, seltsame "Nonplaces", denen eine grundsätzlich nüchterne Stimmung innewohnt. Nina Könnemann nimmt mit der Kamera eine beobachtende Perspektive ein, die sich der Zufälligkeit der Geschehnisse unterordnet. Die Szenen werden weder mit Sprache noch mit Musik kommentiert. In "DLRG" (2000, 5'30") ist der Schauplatz ein kleiner, mit Graffiti dekorierter Betonquader am Elbstrand, der dem örtlichen DLRG sowohl als Aufenthaltsraum wie auch als Stauraum für Gerätschaften dient. Eine kleine Mannschaft der DLRG hat sich bereits in Übergangsjacken gekleidet vor dem Häuschen zu einem kleinen Bierchen postiert. Der herüber gerufene Satz "der Strand ist heute geschlossen" lässt vermuten, dass bereits Nachsaison ist. Ein Ort, dessen ereignisreiche Zeiten für die Dauer von ein paar Monaten der Vergangenheit angehören. Die letzte Einstellung zeigt einen bulligen DLRG-Lifeguard in voller Montur, der auf das Wasser hinausblickt und sich zuletzt verunsichert der Kamera zuwendet. Das Video endet abrupt mit diesem Blick.

Die Dramaturgie der Videos wird von episodenhaften Ereignissen bestimmt. Menschen treten auf, werden mit der Kamera eingefangen und wieder aus dem Blickfeld entlassen. Wie bei einem Protokoll wechselt sich die Bestandsaufnahme der allgemeinen Situation mit der Verfolgung einzelner Fährten ab. In "M.U.D." (2000, 9') wird dieses Interesse an Nebenschauplätzen und Überbleibseln von Ereignissen besonders deutlich. Es ist eine Festivalwiese zu sehen, die am Morgen nach dem Konzert mit Müll und liegen gebliebenen Sachen übersät ist. Personen treten auf, die mit Taschen unterm Arm über die Wiese gehen. Rentner suchen mit Plastiktüten in der Hand nach Verwertbarem. Nina Könnemann folgt diesen Gängen mit der Videokamera. Die Unorganisiertheit des Settings wird einzig von den Linien, die die Personen durch das Bild ziehen, geordnet. Geschehnisse und Dinge geraten ins Blickfeld, die für gewöhnlich der Aufmerksamkeit entgehen, hier aber zu spannungsgeladenen, situativen Mikroereignissen werden. Teilweise arbeitet Nina Könnemann in die Handlung naturalistisch inszenierte Sequenzen ein, die den situativen Möglichkeitsrahmen aber nicht sprengen, da sie sich - angelehnt an die realen Ereignisse - kaum von ihnen unterscheiden lassen. So ist in "M.U.D." eine in Decken gehüllte Figur zu sehen, die mit einem Holzstab im Müll herum stochert, Tüten aufwirbelt und kurz mit ein paar Jungs ins Gerangel gerät. Die Figur löst zwar durch ihre Erscheinung ein gewisses Unbehagen aus, welches sich aber an Mangel eines weiteren Kommentars der Künstlerin nicht wirklich verankern kann. Einerseits stellen die inszenierten Szenen zwar Eingriffe in das reale Setting dar, begnügen sich aber damit, die realen Handlungen der Personen eher nachzuahmen, als in die Situation offensiv zu intervenieren. Einige solcher inszenierten Szenen sind auch in "Unrise" (2001, 10'30") zu sehen. Nina Könnemann postiert sich für dieses Video in der Eingangshalle der neuen S-Bahn Station am Potsdamer Platz Berlin. Ein unablässiges akustisches Off, bestehend aus Technorhythmen, dringt bis hinunter in die Halle. Es ist Love Parade in Berlin. Unten drunter kadriert Nina Könnemann mit der Videokamera den modernistischen Raum, der als "Übergangsebene" zu den S-Bahngleisen dient. Einzelne Figuren tauchen an den Rolltreppen auf, wanken ein paar Schritte zwischen den hohen Säulen hin und her, schlagen unvorhergesehene Wege ein. Andere lassen sich plötzlich auf den Boden fallen, wieder andere suchen die "Metro". Insgesamt entsteht der Eindruck, dass eigentlich keiner so ganz genau weiß, warum er jetzt gerade hier ist, oder wo er gleich wieder hingehen wird. Ein betrunkener Mann taucht auf und hält murmelnd seine blutverschmierte Hand in die Kamera. Hier klingt schon eine jener Situationen an, die in Nina Könnemanns Arbeiten immer wieder auftauchen: Situationen, in denen Personen mit ihren ganz alltäglichen Unzulänglichkeiten ins Blickfeld geraten. Offensichtliche Peinlichkeiten, Aggressionen oder Situationskomik werden als Teil des vorgefundenen Settings gezeigt. Dies kann sich in im nüchternen Beobachten Betrunkener oder auch in Kleinigkeiten wie in einem Blick, einem Stolpern oder einer komischen Frisur offenbaren. Stets hat man das Gefühl, das alles zu kennen, sich an Situationen zu erinnern, die man so oder so ähnlich schon gesehen hat. Die beobachtende, eher passive Kamerahaltung Nina Könnemanns lässt eine direkte Entsprechung des Kamerablicks mit dem Zuschauerblick entstehen. Allerdings ist es nicht immer möglich, die Distanz, die man zum Gesehenen vielleicht einnehmen möchte, zu wahren. Sie ist im Moment des Sehens nicht mehr kontrollierbar. Da weder Schnitt noch Narrationsverlauf das kommentieren, was gezeigt wird, entsteht beim Zuschauer zuweilen das unbehagliche Gefühl, zum Voyeur gemacht zu werden. Allerdings hat der Kamerablick von Nina Könnemann niemals etwas Vorführendes an sich. Außer bei einigen Zooms zeigt sich die Kamera als eine insistierend Wartende, auf dass eine Person ins Blickfeld tritt, etwas tut oder sagt und es wieder verlässt, während die Kamera weiterhin den leer gewordenen Raum kadriert. Der Raum wird nicht als geschlossenes System gezeigt, sondern als Ausschnitt aus dem gesamten Geschehen, inklusive der nicht sichtbaren Love Parade. Zusammen mit der Akustik des Raums, bestehend aus Pfiffen, verhaltenen Technobeats, aufklatschenden Skateboards und irgendwelchen Rufen transportieren die Beobachtungen das eigentliche Ereignis des Tages an einen Nebenschauplatz. Es bieten sich dem Zuschauer sozusagen Momentaufnahmen von Mannigfaltigkeiten, die eigenen Gesetzen des Übergangs gehorchen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass das Video ohne Titel einfach unmittelbar einsetzt und mit einem Blick auf die gerade leer gewordenen Halle endet. Dass Stimmungen von Ereignissen an deren Nebenschauplätzen - wenn auch geblurt - spür- und sichtbar werden, ist z. B. auch in "Pleasure Beach" (2000, 9') Thema. Wieder bekommt man nur die Ränder der eigentlichen sozialen Ereignisse zu sehen. Den Überschuss dessen, wo eine physische Verausgabung schon stattgefunden hat. Nina Könnemann dokumentiert einen Abend in Blackpool, dem britischen schon etwas heruntergekommenen Bade- und Vergnügungsort. Das alles beherrschende Ereignis dieses Abends ist ein Sturm, der die Wellen über das Ufer schlagen lässt. Dennoch sind die Straßen belebt und Könnemann folgt den in Einheitstracht (Minirock) gekleideten Frauen und Mädchen auf den Wegen von einer Disco in die nächste, oder zum Taxi. Die ganze Szenerie spielt sich ausschließlich auf dem Gehsteig des Strandboulevards ab. Blinkende Neonlichter, Wellen, die über das Ufer schwappen und Frauen, denen der Wind die Kleider an den Körper presst, während sie lachend vorübergehen, ergeben eine skurrile, ekstatische Mischung. Selbst das Bild scheint manchmal überzuschwappen vor lauter Eindrücken. Eine Gruppe von Mädchen ist zu sehen, die in stürmischem Regenwetter über die Straße gehen und in ihrer Mitte eine offensichtlich betrunkene Freundin stützen. Eine Straßenbahn fährt durchs Bild Richtung Manchester Square - im Vorüberziehen kann man die Aufschrift auf der Seite erkennen: Terror Train. Die kurzen Episoden in Nina Könnemanns Videos sind Dokumente der alltäglichen Wirklichkeit. Der zeitliche Verlauf des Videos entfaltet sich vor allem aus optischen und akustischen Situationen, wie Verkehrgeräuschen, Musik oder Rufen. Das Dokumentieren im Vorübergehen lässt die Orte und Figuren zu Metaphern des Alltäglichen werden und das Alltägliche gestaltet sich unaufhörlich als ortloses Schauspiel. Die unbekannten Personen werden zu Trägern von subjektiven Assoziationen des Zuschauers. Die Handlungen, die gezeigt werden, halten sich frei schwebend in der Situation, statt sie zu vollenden oder abzuschließen. Es ergibt sich eine unendliche Reihung von Situationen und Eindrücken die spezieller und gewöhnlicher zugleich nicht sein könnten. Die Kamera wird zum Zeugen einer Reihe von Feststellungen ohne Schlussfolgerung, ohne wirklich logischen Zusammenhang. Das Faszinierende an Nina Könnemanns Videos liegt genau in diesem Punkt verborgen; die Geschehnisse werden in ihrer gesamten Disparität dargestellt und kleinste Beobachtungen werden zu fesselnden Ereignissen. Man könnte Nina Könnemanns Blick als einen emphatisch distanzlosen bezeichnen, der es fertig bringt, innerhalb von etwa zehn Minuten die sichtbare Unordnung eines Ortes ein Stück eigenartiger Sinnfälligkeit abzutrotzen.

Überschrift: Zitat aus dem Film "Blade Runner" von Ridley Scott (1982)