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Dominic Eichler

"Painted White In A Spirit Of Rebellion" Julian Göthe in der Galerie Daniel Buchholz, Köln

Julian Göthe, "Painted White in a Spirit of Rebellion", 2002/03, Galerie Daniel Buchholz, Köln, Installationsansicht Julian Göthe, "Painted White in a Spirit of Rebellion", 2002/03, Galerie Daniel Buchholz, Köln, Installationsansicht

Julian Göthes verwinkelte, vielflächige Schaufensterskulptur mit dem Titel "Painted White in a Spirit of Rebellion" bildete kürzlich den Mittelpunkt seiner gleichnamigen und eindrucksvollen ersten Ausstellung. Die blitzgescheite, aggressive, sich in den Vordergrund schiebende, stachlig-kantige, Aufmerksamkeit heischende Form erschien hinter dem Fensterglas wie ein Vorhang für ein geheimgehaltenes Drama. Ihre respektlose Version skulpturaler Abstraktion stellte ihre komisch absurden Möglichkeiten ebenso wie das potentiell Unheimliche, Gewaltige und Bedrohliche ungegenständlicher Formen heraus. Nichts schien neutral zu sein an dieser weißen Papieroberfläche, die wie Haut oder eine Draperie an einer feingliedrigen Metallkonstruktion befestigt ist. Sie könnte ebenso gut als sorgfältig gearbeitetes Exoskelett wie als abstrakte Verkörperung einer komplizierten Figur gelesen werden. Ausgesuchte Querbezüge auf disparate Quellen und Einflüsse, die indirekt eingearbeitet wurden oder durch die ungewöhnlichen Gestalt aufgerufen werden ˆ unter anderem auf Möbeldesigner des italienischen "Stil Novo" der fünfziger Jahre, wie Renzo Zavanella ˆ, ließen die Arbeit wie einen skulpturalen Hybrid oder Sonderling erscheinen. Eine Kakophonie aus Anspielungen und Zitaten neoklassischer und ultramodernistischer Fragmente, auf seltsame Weise zu einem größeren paradoxen Ganzen verschmolzen, machten sie zu einer einzigartigen mutierenden Wunderlichkeit.

Formal gesehen enthält die Arbeit Fragen und Antworten des Künstlers auf viele skulpturale Dilemmata; aber es sind Antworten, die es vorziehen, unversöhnliche Differenzen zum Ausdruck zu bringen. Ein Beispiel: Die Arbeit ist abstrakt, enthält aber figurative, kreaturhafte Elemente; sie erscheint autonom, ist aber dennoch situiert und referenziell; Tangenten verlaufen ihren horizontalen und vertikalen Achsen zuwider; sie hat einen monumentalen Charakter und ist gleichwohl leichtgewichtig wie ein Modell konstruiert; sie ist flach und bildähnlich, ermuntert einen aber dazu, sie von allen Seiten zu betrachten ˆ selbst ihre ungeschönte Bühnenbildrückseite.

Die stilistische Übertreibung der Skulptur, die Raumrätsel und inneren Widersprüche scheinen weniger idiosynkratisch, wenn man sie unter dem Aspekt sexueller Politik würdigt. In der ansonsten völlig leer gelassenen Galerie gab es mit Göthes Vitrinenarbeit "Raphael/Gywneth" (2003) einen offensichtlichen Anhaltspunkt für diejenigen, die auf diesen Aspekt noch nicht gekommen waren, als sie die Schaufensterskulptur von der Straße aus betrachteten. In der Vitrine sind mehrere gefaltete Papiere und Fotokopien inspirierenden Materials versammelt: unter anderen ein "roof painting" von José Maria Sert, ein Designerstuhl von Raphael, ein Kupferstich mit einer muskulösen Figur von Hendrick Goltzius und den Bodybuilder Casey Viator. Ein Ausdruck von Geschmack und Begehren verbindet hier homoerotische Halbakte mit Abstraktion und Interior Design. Ein Galeriebesucher reagierte auf dieses Zusammenspiel, als er bemerkte: "Vor Formen hat er jedenfalls keine Angst", ˆ was den Punkt der Arbeit traf. Die Vitrine machte das explizit, was in der Skulptur implizit blieb ˆ dass die Arbeiten zumindest teilweise etwas damit zu tun haben, wie Begehren nach gleichgeschlechtlichem Sex in modernistischen Settings zugleich unterdrückt und ausgedrückt werden kann. Göthes Arbeit beinhaltet eine witzige Inversion: Durch den homoerotischen Blick werden der extreme Machismo abstrakter Skulpturen (oder vermutlich des Modernismus überhaupt) und Sportformen des body sculpting dekorativ und begehrenswert ˆ und wenn sie in diesem Prozess nicht entwaffnet werden, könnte ihre Kraft zumindest in Lust ˆ und daher zum Besseren ˆ gewendet werden.

Eines der möglichen Probleme bei der Bewunderung muskelbepackter Männer - oder bei ihrer künstlerischen Nutzung ˆ sind die starken Männer des Faschismus, grobe, dumpfe Kampfmaschinen, die ihre Vorläufer auszumerzen versuchten: die ästhetisch vieldeutigen und sexuell emanzipatorischen männlichen Akte in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, wie sie etwa Sascha Schneider (1870-1927) malte. Schneider, der aufgrund der Androhung eines homosexuellen Skandals eine Zeit lang ins Exil gezwungen wurde, nenne ich hier als Beispiel, denn er wollte eine Bodybuilding-Schule aufbauen, um sich offenbar mit einem Vorrat an geeigneten Modellen für seine Arbeiten zu versorgen. [1] Aber die fanatischen homosozialen Krieger des Faschismus, unabhängig davon was einige seiner Anhänger tatsächlich miteinander anstellten, waren natürlich fanatisch und mörderisch homophob. Jedenfalls ist es extrem leicht, potentiell gute Liebhaber von ideologisch korrumpiertem "Beefcake" zu unterscheiden.

Wenn man über die vierziger und fünfziger Jahre nachdenkt, sind auch die Arbeiten von Francis Bacon vielleicht nicht zu weit hergeholt, der, wie mir eine unbestätigte Quelle mitteilte, eine kurze Zeit als Innenausstatter arbeitete und der seine Arbeiten gerne hinter Glas sah. In Bacons vivisezierenden Porträts von grobschlächtigen schwulen Freunden und Liebhabern, die wie wissenschaftliche Untersuchungsobjekte in einem abstrakten, zellenartigen Raum fixiert sind, gibt es ein analoges Dreieck von Begehren, Figur und abstrakter Form. Der Unterschied ist, dass Göthes Arbeit mit kühler Distanz operiert, die sich seinem auch zurück gerichteten Blick verdankt, während sie gleichzeitig einen Kampf gegen externe Kräfte und die Notwendigkeit einer Schutzhülle aufscheinen lässt - eines Panzers aus gleichwohl dünnem Papier.

(Übersetzung: Susanne Leeb)

Julian Göthe, "Painted White in a Spirit of Rebellion", Galerie Daniel Buchholz, Köln, 25.Mai bis 1. Juli 2003

Anmerkung

[1]Andreas Sternweiler, "Kunst und schwuler Alltag", in: Ausst.-Kat. "Eldorado - Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850-1950. Geschichte, Alltag und Kultur", Berlin 1984, S. 82.