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Isabel Inácio

Über das Buch "From Work To Text", Centro Cultural De Bélem

Renée Green, "Returns: Tracing Lusitania", 2000/2001, Ausstellungsansicht Renée Green, "Returns: Tracing Lusitania", 2000/2001, Ausstellungsansicht

Kurz vor der Mündung in den Atlantik lagern am Ufer des Tejo im Lissaboner Vorort Belém, dem Aufbruchsort zu den kolonialen "Entdeckungen", historische Bauwerke, die Portugals einstige Stellung als reiche Seefahrernation dokumentieren und zugleich zelebrieren: der zum Wahrzeichen Lissabons avancierte manuelinische Festungsturm Torre de Belém, das gleichfalls manuelinische Hieronymitenkloster sowie das Denkmal der Entdeckungen (Padrão dos Descobrimentos), das unter der Diktatur Salazars im Rahmen einer umfassenden Neugestaltung der Anlage zwischen Tejo-Ufer und Kloster errichtet wurde. An diesem geschichtsträchtigen Ort wurde zwischen 1988 und 1993 in nächster Nachbarschaft zur Klosteranlage des 16. Jahrhunderts nach den Plänen der Architekten Vittorio Gregotti und Manuel Salgado das Kulturzentrum Centro Cultural de Belém (CCB) errichtet: ein massiver, an eine Festung erinnernder Mega-Komplex, der Raum für Kongresse, Film-, Tanz- und Theatervorführungen, Musikveranstaltungen und Ausstellungen bietet.

Das Ausstellungszentrum des CCB, das allein eine Fläche von ca. 8000 Quadratmetern umfasst, beherbergt ein Design-Museum sowie große Hallen für temporäre Ausstellungen, in denen mit einer gewissen Präferenz für Design, Fotografie und Architektur zumeist in Zusammenarbeit mit anderen in- und ausländischen Institutionen und wechselnden Kuratoren/innen neben portugiesischen Künstler/innen renommierte, vorwiegend moderne und zeitgenössische internationale Kunst gezeigt wird. Einer trotz Vorlieben prinzipiellen Offenheit des Ausstellungsprogramms verdankt es sich möglicherweise, dass die damalige Direktorin des CCB-Ausstellungszentrums, Margarida Veiga, den in Lissabon lebenden und in der portugiesischen Kunstszene nicht unbekannten Kurator und Direktor der ebenfalls in Lissabon ansässigen Kunstschule Maumaus-Escola de Artes Visuais, Jürgen Bock, dazu eingeladen hat, im CCB eine Ausstellung zu kuratieren. Jürgen Bock, auch Kurator der diesjährigen Bienal da Maia in Nordportugal, folgte dieser Einladung mit der Konzeption einer Ausstellung, das mit zumeist ortsbezogenen Arbeiten und einer auf politische und soziale Verhältnisse Bezug nehmenden Kunst seinem Anspruch, einen Gegenpol zu früheren und zeitgleichen Ausstellungen im CCB zu markieren und weniger die sinnliche Erfahrung eines Betrachters als vielmehr die intellektuelle Leistung eines Rezipienten heraus zu forden, durchaus gerecht wurde.

Das als einjährige Ausstellungsreihe (Mai 2000 bis Juni 2001) konzipierte Projekt hatte seinen zentralen Ort in einem eigens eingerichteten und als "Project Room" bezeichneten Raum, der sich bereits mit einer Größe von nur etwa 120 Quadratmetern von den sonstigen groß dimensionierten Ausstellungen absetzte. Mit Ausstellungen von Heimo Zobernig, Nuno Ribeiro, Renée Green, Nathan Coley, Allan Sekula sowie der gemeinsamen Ausstellung von Eleanor Antin und Harun Farocki zeigte der "Project Room" Arbeiten oder Praktiken, die den Ausstellungsbetrieb bzw. den sozialen, gesellschaftlichen oder kulturellen Raum analysieren und somit eine Öffnung des Ausstellungsraums hin zu verschiedenen Außenräumen unternahmen. Mit der Installation von Heimo Zobernig, in der der Künstler unter anderem mit einem eigentlich für den Ausstellungsbetrieb bestimmten Tisch arbeitete, durchbrach und verwischte der "Project Room" die Grenze zu dem ihn einrahmenden institutionellen Raum. Allan Sekula drang mit seiner Ausstellung "TITANIC's wake", die mit ihrer Globalisierungs- und Meeresthematik in Lissabon und vor allem in Belém einen adäquaten Bezugspunkt fand, über den "Project Room" hinaus in das CCB ein und stellte weitere Arbeiten im Denkmal der Entdeckungen am Tejo-Ufer sowie im benachbarten Marinemuseum aus, wo seine Installation "Dear Bill Gates" mit den dortigen Ausstellungsobjekten und diese wiederum mit den Fotografien im CCB in Beziehung gebracht wurden. Nathan Coleys Videoinstallation "The Land Marked" erinnerte dagegen an eine ehemalige Gasfabrik, die sich im 19. Jahrhundert neben dem Festungsturm Torre de Belém befand, während Renée Green in "Returns: Tracing Lusitania" den Spuren einer eigenen bereits 1992 in Lissabon begonnenen Arbeit folgte, die sich mit Portugals Vergangenheit als Kolonialmacht auseinandersetzte.

Auf die Ausstellungsreihe folgte dann ein zweitägiges Symposium unter dem Titel "Contemporary Moments - Dialogue on current art practice and criticism", an dem neben fast allen Künstler/innen der Ausstellung Kunstkritiker/innen und Wissenschaftler/innen teilnahmen, um ausgehend von den Ausstellungen Fragen und Bedingungen zeitgenössischer Kunstproduktion zu diskutieren. Unter den Teilnehmenden waren Alexander Alberro, der durch seine Publikationen zur Konzeptkunst hervorgetretenen ist, Sabeth Buchmann und Diedrich Diederichsen, Julian Stallabrass vom Londoner Courtauld Institute of Art sowie der Anthropologe José António Fernandes Dias, der an der Faculdade de Belas Artes der Universidade de Lisboa unterrichtet, sowie João Fernandes, der derzeitige Direktor des Museu de Serralves in Porto.

Das schließlich Ende 2002 erschienene Buch "From Work to Text. Dialogues on Practise and Criticism in Contemporary Art" ist so sicherlich auch ein verspäteter Ausstellungskatalog, wenngleich sein Herausgeber Jürgen Bock es nicht unbedingt als solchen verstanden wissen möchte. Die zahlreichen Abbildungen und Texte am Projekt beteiligter Künstler/innen sowie Wissenschaftler/innen und Kritiker/innen, darunter auch Beiträge der Symposiumsteilnehmer, reflektieren zugleich aber auch das Gesamtprojekt und schreiben es in einem anderen Medium fort. Man könnte auch sagen, dass das Buch, das Projekt dokumentiert, indem es dieses reflektiert und fortschreibt. Annelie Pohlen etwa analysiert Heimo Zobernigs Dekonstruktion der Ausstellungsinfrastruktur und diskutiert die mit seiner Arbeit aufkommende Frage der "Ausstellung als Kunst", während Zobernig selbst mit "A Little Conversational Lexicon on Art and the City, Art and Architecture, Art and History, Art and Society, Art and the Exhibition, Art and the Public - an Outline" auf seine Arbeit referiert. Renée Green antwortet dagegen auf Fragen zu ihrer Kunstpraxis in "Returns: Tracing Lusitania", die ihr von der Kunsthistorikerin, -kritikerin und Kuratorin Elvan Zabunyan gestellt werden. Weitere Auseinandersetzungen mit ihren eigenen künstlerischen Praktiken liefern Allan Sekula sowie Harun Farocki, der im "Project Room" zusammen mit den Videos "The Adventures of a Nurse" (1976) und "The Nurse and the Hijackers" (1977) der amerikanischen Künstlerin Eleanor Antin seine Videoinstallation "Ich glaubte Gefangene zu sehen" (2000) mit Bildern von Überwachungssystemen in einem US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis zeigte. Die Installation von Antin und Farocki wird schließlich in "From Work to Text" durch einen Beitrag von Jürgen Bock zu Narration und Analyse in den Arbeiten der beiden Künstler aufgegriffen.

Reflexion und Fortschreibung des Ausstellungsprojekts werden im Buch jedoch vor allem an Alexander Alberros Beitrag zu Andreas Gursky ("Gursky's Magic") deutlich, dessen Arbeiten nicht im "Project Room", sondern während seiner Vorbereitung in anderen Räumen des CCB ausgestellt wurden. In seinem Aufsatz analysiert Alberro prägnant die Fotografien Gurskys, in denen er weniger eine Beschäftigung mit inhaltlichen als mit formalen Aspekten erkennt (S. 92). Gursky, so Alberro, interessiere sich gar nicht für die "unsettling nature of globalization" (ebd.), die sozialen und ökonomischen Kräfte, die die Orte und Gegenstände, die er fotografiert, erschaffen und bestimmen, sondern vielmehr für eine "pictorialist celebration of style, craftsmanship, and the perfect photographic image" (ebd.). Indem er die Oberflächlichkeit in den Fotografien Gurskys beschreibt, hebt der Aufsatz von Alberro einen grundlegenden Gegensatz zu den im "Project Room" ausgestellten künstlerischen Praktiken hervor, die gerade die bei Gursky vermisste Kontextualisierung vornehmen, und verweist auf den Unterschied zwischen "Project Room" und der Programmatik der übrigen Ausstellungen des CCB, mit denen die Besucher während der Ausstellungsreihe konfrontiert wurden. Durch den Kontext des Aufsatzes zu Gursky in einem Band, der ansonsten nur Texte von oder zu Künstlern des "Project Room" und Beiträge aus dem an die Ausstellung anschließenden Symposium enthält, sowie insbesondere auch durch die in Alberros Beitrag nicht vorhandene explizite Thematisierung des Unterschieds zu den ortsbezogenen Arbeiten des "Project Room" werden Leser/innen von "From Work to Text" mit dem damaligen Besucher des CCB vergleichbar, der durch die zeitgleich mit dem "Project Room" in anderen Räumen des CCB laufenden Ausstellungen ebenfalls auf unterschiedliche künstlerische Praktiken und kuratorische Konzepte stieß.

"Leerstellen", wie sie im Buch unter anderem durch die unkommentierte Aufnahme des Beitrags zu Gursky hervortreten, finden sich auch in den Arbeiten der ausgestellten Künstler wieder, in denen der Rezipient auf Fotos, wie etwa bei Allan Sekula, Objekte wie ganz gewöhnliche Tische bei Zobernig oder, wie bei Renée Greens Installation, auf Videos, Zitate, Karten, Fotografien und Manuskripte trifft, deren Bedeutung er sich allmählich durch längere Auseinandersetzung und die Analyse ihrer Beziehungen zueinander sowie zu ihrer Umgebung erarbeiten muss. "Project Room" und "From Work to Text" erfordern die aktiven Rezipienten, denen, wie es Barthes in dem im Titel zitierten Essay "De l'œuvre au texte" [1] in bezug auf Leser beschreibt, Arbeit und Produktion abverlangt werden: "le Texte ne s'éprouve que dans un travail, une production." [2] Der "Text", den Barthes in seinem Aufsatz vom Begriff des "Werks" absetzt, in dem er im Unterschied zu jenem unter anderem ein Konsumgut sieht, fordert den Rezipienten dazu auf, die Distanz zwischen dem Schreiben und dem Lesen zu verringern und den Text zu produzieren bzw. fortzuschreiben. [3] "Project Room" und das Buch "From Work to Text" sind in diesem Sinne Texte.

Anmerkungen

[1]Jürgen Bock (org./ed.), From Work to Text.
[2]Dialogues on Practise and Criticism in Contemporary Art / Da obra ao texto.
[3]Diálogos sobre a Prática e a Crítica na Arte Contemporânea, Lisboa: Fundação Centro Cultural de Belém, 2002.